„Ich wollte nur spielen” – JAKOB ZIMMERMANN im mica-Interview

JAKOB ZIMMERMANN gilt als einer der talentiertesten jungen Pianist:innen des Landes. Im Trio mit CLEMENS ROFNER und SIMON SPRINGER weiß er mit einem eklektizistischen Feuerwerk irgendwo zwischen Bach, Jarrett und Hancock zu begeistern. Trotzdem ist die Musik so eigenständig, dass man ihr die großen Vorbilder nicht anhört. Im Gespräch mit Markus Deisenberger schildert er, wie er zu seiner “horizontalen Ziehharmonika” kam und warum man das Autodidaktische nie wirklich aus ihm rausgebracht hat.

Dein Debütalbum heißt Resistance” und wurde in der „Edition Ö1“ veröffentlicht. Wie kam es zu dem Namen?

Jakob Zimmermann: Das ist eine Frage, die auch in der Ö1 Jazznacht gestellt wurde. Es gibt eigentlich keine großartigen Gründe dafür. Es ist kein Konzeptalbum, hat keinen Text, und jedes Stück steht für sich. Dass man einen Titel findet, ist halt obligatorisch und so hab´ ich mir ein paar Titel aufgeschrieben. “Resistance” – das Wort gefiel mir einfach, weil es viele Bedeutungen hat, aktiv wie passiv im Sinne von Widerstandsfähigkeit und aktivem Widerstand. Es fasst das wechselhaft Rhythmische und Unerwartbare zusammen, aber es hat nichts Politisches.

Jedes Stück steht für sich – dem kann man nur zustimmen. Die Bandbreite ist enorm. Nehmen wir gleich das erste Stück: Wenn man den Groove zurückfahren würde, könnte es glatt als Klavierstück von Bach durchgehen…

Jakob Zimmermann: Seht nett, vielen Dank. Wenn die Parallele gezogen wird, freut mich das. Bach ist wahrscheinlich auch der klassische Komponist, den ich bisher am meisten gespielt habe. Ich habe ja keinen großen Zugang zum Notenlesen, deshalb fiel es mir immer eher schwer, klassische Musik zu spielen. Bach gefällt mir wegen seiner Polyphonie. Die Harmonie ergibt sich bei ihm aus verschiedenen Melodien, und jede dieser Melodien ist eigenständig. Das ist das, was ich versuche, vielleicht nicht schaffe, weil ich nicht die geistige Kapazität eines solchen Genies habe. Aber ich versuche es zumindest.

Du hast das Unerwartbare angesprochen. Es gibt immer wieder Breaks in den einzelnen Nummern, die die Geschwindigkeit zurückfahren und die Stimmung verändern. Eine Nummer beginnt funkig und lässt plötzlich innehalten, wird beinahe elegisch. Ich nehme an, da steckt Absicht dahinter?

Jakob Zimmermann: Die Zäsuren. Das ist absichtlich, ja. Die Musik ist sehr ausgeschrieben. Die Leute sagen immer “Jazz” dazu, und in gewissen Bereichen ist es Jazz, weil wir in vorgegebenen Formen improvisieren, aber sonst ist es sehr strikt auskomponiert, sehr genau durchkonzipiert.

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Das Synth-Solo auf „The Lead Sheep” klingt wiederum mehr nach gutem, alten Fusion-Jazz. Da fliegt es, salopp gesagt, weg wie auf einer Herbie Hancock-Platte. Das genaue Gegenteil von strikt also.

Jakob Zimmermann: Stimmt. Das ist die Solo-Form, in der es nicht strikt ist. „Lead Sheep” hebt sich überhaupt ein wenig vom Rest der Platte ab, und wir haben uns auch dazu entschieden, die Nummer beim Konzert im Porgy nicht zu spielen, weil es zwei Identitäten gibt, wenn man so will. Das, was “bachesk” klingt, wie du gesagt hast. Viele verschiedene Taktarten und die Melodie in der linken Hand. Das ist eine Schiene. Und die andere ist die Funk-Fusion-Schiene, die in „Lead Sheep” gefahren wird. Um unserer Identität nicht verlustig zu gehen, haben wir beschlossen, das live nicht zu spielen. Es stammt aus einer Zeit, in der ich viel Herbie Hancock hörte und in diese Richtung spielte. Ich habe mich dann aber immer mehr davon weg- und hin zu „Restless” und „Resistance” hinbewegt. Das sind zwei völlig unterschiedliche Identitäten. Natürlich spiel ich das auch noch immer gerne, aber eine klare Identität ist ratsam, wenn man sich und seine Musik präsentieren will. Völlig unterschiedliche Stile zu spielen, macht live keinen Sinn, finde ich. Wenn ich in ein Restaurant gehe und dort gibt es Burger, klassische österreichische Küche und chinesische Pfannen, fühle ich mich dort ja auch nicht wohl, weil ich den Eindruck gewinne, dort wird nichts zu 100% beherrscht.

Ich persönlich würde mich selbst nie in einem Atemzug mit Bach nennen.”

Wenn wir schon beim Stil sind, wie würdest du den beschreiben?

Jakob Zimmermann: Das ist immer schwer, weil man sich die Fragen ja nicht stellt, wenn man die Musik macht. Ich würde die Musik als rhythmisch komplex, harmonisch komplex, aber klassisch und strukturiert bezeichnen. “Progressive Bach” vielleicht? Ich würde mich das aber nie trauen zu sagen. Aber weil du vorhin davon angefangen hast… Ich persönlich würde mich selbst nie in einem Atemzug mit Bach nennen.

Du hast mit dem Klavierspiel erst spät, mit neun Jahren angefangen. Wie lief das ab? Wie kamst du mit dem Klavier, mit der Musik in Berührung?

Jakob Zimmermann: Meine Mutter hatte eine Berghütte in Tirol. Sonntag gab es dort gegenüber im Wirtshaus einen Frühschoppen, wo sehr viel alpenländische Tradition gelebt wurde. Als Kind war ich sehr begeistert von Volksmusik und volkstümlicher Musik. Damit hat alles begonnen. Dann bekam ich eine Spielzeug-Ziehharmonika, auf der ich sehr schnell Kinderlieder nachspielen konnte. Dann bekam ich eine richtige Ziehharmonika, hab´ weitergespielt, aber irgendwann hat mich die Ziehharmonika nicht mehr interessiert. Dann hab´ ich ein Klavier gekriegt. Plötzlich hatte ich eine horizontale Ziehharmonika, und fing mit zwei Händen an, meine Gehirnzellen weiterzuentwickeln. Das war mit Acht oder Neun.

Du hast dir das Klavierspiel autodidaktisch beigebracht. Wie war das später? Haben Lehrer versucht, dir das selbst Erlernte auszutreiben bzw. durch dem Schulbuch Entsprechendes zu ersetzen?

Jakob Zimmermann: Ich war in Musikschulen, und dort wollten sie pädagogische Konzepte anwenden. Ich sollte Noten-Memory spielen, d.h. Notenwerte aufdecken und wieder zudecken. Das hat mich aber alles nicht interessiert, ich wollte nur spielen. Da gab es dann Differenzen. Nach eineinhalb Jahren wurde ich rausgeschmissen. Generell habe ich immer nur dort etwas lernen können, wo ich das Gefühl hatte: Das inspiriert mich. Ich ging immer gleich zu den Leuten, die mich inspiriert haben. Wenn sie einen Text schreiben, der mich interessiert, gehe ich zu ihnen und nicht an eine Schule, an der Leute angestellt sind, die etwas über Texte lehren sollen. Das Autodidaktische hat man also nie wirklich aus mir rausgebracht. Natürlich kamen auch erlernte Elemente dazu, aber ich habe immer noch Schwierigkeiten, Noten in Echtzeit zu lesen. Das geht sich kaum aus.

Du hast bei so großen Leuten wie Michael Wolff (Weather Report), Pete Drungle (Ornette Coleman), Craig Harris (Sun Ra) und Adam Holzman (Miles Davis) gelernt. Wie kommt man als junger Vorarlberger zu diesen Namen? Indem man in die USA geht?

Jakob Zimmermann: Ich bin leider nicht in die USA gegangen. Ich war schon an der Manhattan School Of Music aufgenommen. Es war alles unter Dach und Fach, ich habe alles Tag für Tag, Wochen und Monate lang akribisch geplant, mich darauf vorbereitet. Ich sollte gemeinsam mit einem österreichischen Trompeter gehen, doch der hat zwei Wochen vor Abflug – das Ticket war schon gebucht – gemeint, er könne das nicht mehr unterstützen, weil die Gefahr, dass mir etwas passieren könnte, ich ausgeraubt, entführt oder zusammengeschlagen würde, zu groß sei. Er ist von der Bürgschaft zurückgetreten. Das war sehr einschneidend, weil ich mich sehr darauf gefreut hatte. Das hat mich lange Zeit wirklich belastet, denn damals hat die finanzielle Möglichkeit, das zu machen, noch bestanden.
Zu den genannten Namen bin ich gekommen, weil diese Leute beim Musikfestival in Schwaz waren. Dort war ich in ihren Workshops, habe sie persönlich kennengelernt. Pete Drungle hat mich dann in weiterer Folge privat nach Paris eingeladen, ich war ein paar Tage bei ihm in Paris und wir standen in regem E-Mail-Kontakt. Man findet heute aber auch viel im Internet. Es gibt Online-Masterclasses. Es ist alles zugänglicher geworden, aber angefangen hat alles bei der Outreach Academy in Schwaz.

Bild Jakob Zimmermann Trio
Bild (c) Jakob Zimmermann Trio

Waren das inspirierende Begegnungen?

Jakob Zimmermann: Sehr inspirierende.

Wie habt ihr im Trio mit Simon Springer (Schlagzeug) und Clemens Rofner (Bass) zusammengefunden?

Jakob Zimmermann: 2015, als ich den Jazzpreis [Tiroler Jugend-Jazzpreis, Anm.] erhielt, wurde ich gebeten, im Treibhaus ein Konzert zu spielen. Da war es naheliegend, das Unkomplizierteste, und Einfachste, ein Trio, anzustreben, weil es viel Freiheiten lässt. Viele meiner Vorbilder haben ein Trio. Ich habe dann Clemens Rofner gefragt, weil ich den Eindruck hatte, dass er ein sehr guter Bassist ist. Und Clemens Rofner hat dann Simon Springer vorgeschlagen. So kamen wir zusammen.

Und wie kamst du nach Schwaz?

Jakob Zimmermann: Meine Mutter ist Schwazerin, mein Vater ist aus Nüziders. Und an langen Wochenenden waren wir in dieser Hütte. 2014 kam es als Folge eines privaten Zerwürfnisses dazu, dass ich nach Tirol kam. Bis 2017 lebte ich dann in Schwaz, seitdem bin ich in Innsbruck.

Nach dem, was du über dem vorerst geplatzten Traum, in die USA erzählt hast: Ist es immer noch dein Traum dorthin zu gehen und in die dortige Jazzszene einzutauchen oder ist das vom Tisch?

Jakob Zimmermann: Eine gute Frage. Sollte ich irgendwann einmal die Kohle haben, mache ich das schon. Aber das Semester dort kostet zwischen 50.000 und 80.0000 Euro. Selbst wenn ich ein volles Stipendium bekomme, muss ich immer noch dort wohnen, essen und leben. Das ist unleistbar und [lacht] fast schon mit Innsbruck vergleichbar.

Du hast vorhin von Vorbildern gesprochen. Ich nehme mal an, Brad Mehldau ist so eines. Der hat vor einigen Jahren eine wunderbare Platte mit dem Titel “After Bach” herausgebracht und die auch im Wiener Konzerthaus vorgestellt. War das, nämlich zu sehen, dass jemand Bach als Ausgangspunkt nimmt, um etwas davon beeinflusstes aber trotzdem völlig Eigenständiges draus zu machen, inspirierend?

Jakob Zimmermann: Ich war auf diesem Konzert. Ich habe hier eine mit Kaffee verschüttete Ausgabe der Bach-Variationen von Mehldau, die er mir nach dem Konzert signiert hat. Dass sie mit Kaffee besudelt ist, verleiht ihr ein besonderes Flair, finde ich. Das war sehr inspirierend, ja. Brad Mehldau ist in dem Sinn ja auch kein Jazzpianist. Er hat eine klassische Ausbildung und einen sehr kontrollierten Anschlag. Wie er Bach spielt, fand ich interessant, und natürlich auch die Variationen.

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„Es gibt nicht nur den Pianisten, sondern auch den, der sich ein wenig austoben will.“

Wann kommt das zweite Album?

Jakob Zimmermann: Eine gute Frage. Es sind immer auch finanzielle Aspekte, die bei einem Album mitspielen. Musik und Material ist genug da. Aber meine momentane Wohnungssituation in Innsbruck ist sehr prekär. Seit ich im September aus Wien zurückgekehrt bin, befinde ich mich auf Wohnungssuche. Deshalb kann ich momentan auch nicht komponieren, denn fürs Komponieren brauche ich mein Logic und mein Midi-Keyboard, meine Boxen etc., ein bestimmtes Set Up also. Das ist gerade nicht möglich. Sollte ich endlich einen Wohnort finden, dann werde ich nach Monaten wieder in der Lage sein, mich zurückzuziehen und was Gescheites zu machen. Ich kann mir auch vorstellen, eine Zeit lang nur Filmmusik zu machen. Es gibt nicht nur den Pianisten, sondern auch den, der sich ein wenig austoben will.
Ich werde auf jeden Fall etwas machen, wenn ich endlich eine Wohnung gefunden habe. In Innsbruck was zu finden, ist eine Katastrophe. Ich überlege auch wieder, woanders hinzugehen, weil noch ein halbes Jahr halte ich das mental nicht aus. Entschuldige, ich will nicht lamentieren, aber die Frage nach einem Album ist immer auch eine persönliche, deshalb habe ich so ausholen müssen. Ein Rückzugsort, ein Creative Space ist das Um und Auf, etwas absolut Notwendiges. Wie gesagt: Ich will nicht lamentieren, aber die Kreativität leidet unter einer solchen Situation.

Absolut verständlich. Zwischen Tür und Angel lässt sich kein Meisterwerk erschaffen. Das war doch auch in der Corona-Zeit ein riesiges, viel zu wenig beachtetes Problem. Wie viel Kreativität da verloren ging, weil die Situation auf einmal eine bedrängte war…

Jakob Zimmermann: Die Situation war für Achtzehn-, Neunzehn-jährige eine absolut existenzielle. Wenn man gerade dabei ist, ins Leben reinzustarten und plötzlich passiert einmal zwei Jahre nichts. Es heißt Warten. Das hat schon etwas mit einem gemacht. Der Album-Titel „Resistance” ist bei einigen Leuten, obwohl es überhaupt nicht der Plan war, es in dieser Richtung zu interpretieren, falsch angekommen. Auf einmal wurde ich gefragt: „Wollen Sie darauf anspielen, dass Sie Widerstand hätten leisten wollen?” Dass einem so etwas in den Mund gelegt wurde, war höchst unangenehm. Die Gesellschaft ist noch einmal gehässiger geworden in dieser Zeit, kommt mir vor.

Vielen Dank für das Gespräch.

Markus Deisenberger

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