Eigentlich wollte AL COOK Physiker werden, die Astronomie war sein Steckenpferd, doch dann wurde es doch der Blues. Mittlerweile steht er mehr als fünfzig Jahre auf der Bühne und gilt weit über die österreichischen Grenzen hinaus als Legende, wenn es um den authentischen Blues der Zwischenkriegszeit geht. Dem mica erzählte der “White King of Black Blues”, wie er liebevoll genannt wird, in seinem Studio in Wien Landstraße, wie ihm Elvis dabei half, raus aus der Fabrik zu kommen, und weshalb Ö3 dafür verantwortlich war, dass er den Wandel vom Kultur-Alien zum anerkannten Musiker vollzog.
Sie sind in Bad Ischl geboren. Wie kommt man aus dem Salzkammergut
nach Wien und vor allem: Wie kommt man zum Blues?
Al Cook: Das ist eine lange Geschichte. Ich wurde am 27. Februar 1945 im Kreiskrankenhaus Bad Ischl geboren. Als abzusehen war, dass die Russen in Wien einmarschieren, ließ mein Vater meine Mutter und mich übers Militär nach Bad Ischl evakuieren. Da haben wir ein Jahr lang in einer Villa gewohnt, die pikanterweise “Villa Daheim” hieß. Die Besitzerin verstarb 1957. Wir waren nur ein Jahr dort, denn als sich die Kampfhandlungen in Wien legten, ging meine Mutter wieder nach Wien mit mir. Da hatten wir eine Wohnung, hier in diesem Haus. Aber ebenerdig. Ich wohne jetzt einen Stock höher.
Und die Wohnung gab es noch? Die war nicht zerbombt?
Al Cook: Einen leichten Bombenschaden hatte sie schon. Das Haus daneben wurde von einer Bombe getroffen, deshalb hatten wir in der Mauer ein Loch, das mein Vater, nachdem er aus der französischen Gefangenschaft zurückgekommen war, zumauerte. Dann konnten wir wieder wohnen. Das mit der Musk ist eine längere Geschichte: Es war bei mir nicht so, dass ich schon als Kleinkind Musik gemacht hätte. Ich war zwar ein gebildeter Junge, konnte mit Fünf schon lesen und schreiben, aber bis zu meinem fünfzehnten Lebensjahr hatte ich mit Musik überhaupt nichts am Hut. Ich wollte Wissenschaftler werden. Astronomie und Physik – dafür hab´ ich mich interessiert. Mit dreizehn Jahren war ich das jüngste Mitglied der Urania Sternwarte. Ich wollte studieren, nur leider hatten meine Eltern das Geld nicht dafür und steckten mich in eine Lehre. An und für sich habe ich dreizehn Jahre als Feinmechaniker in der Metallbearbeitung gearbeitet.
Mochten Sie den Job?
Al Cook: Nein, überhaupt nicht. Ich wollte studieren und musste das halt machen, um Geld zu verdienen. Meine Eltern wussten nicht, was mit mir anfangen. Mein Vater meinte, ich müsse einen Beruf erlernen. Aber die Gesellschaft in der Fabrik, das so genannte Industrieproletariat, war nicht meine Gesellschaft. Und justament am ersten Arbeitstag ging ich aus lauter Frustration die Ungargasse Richtung Stadtpark entlang. Da gab es damals in der Beatrixgasse ein Kino. In dem wurde ein alter Elvis-Film gespielt, aus dem Jahr 1957. Wir hatten bereits 1960. Der Film hieß “Gold aus heißer Kehle”. Da spielte Elvis einen Charakter, der meiner Mentalität entsprach.
Inwiefern?
Al Cook:Er spielte einen einsamen Jüngling, der ein Waise war. Ich war zwar keine Waise, aber ich war einsam, suchte wie Elvis im Film nach Freundschaft und Liebe. In der ersten Szene gibt es eine Wahlveranstaltung. Jemand will zum Gouverneur gewählt werden, und die Band, die dazu spielen soll, besteht aus Elvis´ damaligen Mitmusikern. Die Managerin, die die Veranstaltung organisierte, sucht nach einer Attraktion. „Kann jemand singen?”, fragt sie. Elvis´ Kollege zeigt auf ihn. „Der kann das gut.” Elvis will nicht, ziert sich, wird letztlich auf die Bühne gezerrt, aber in dem Moment, in dem er auf der Bühne ist, wird er zu einem anderen Menschen, geht regelrecht auf, wird lebendig. Am Schluss des Filmes stand ich auf uns sagte laut: „So wie er muss ich werden. Dann komm ich raus aus der Fabrik.” Ich hab mir den Film dann noch elfmal angeschaut. Das war der Einstieg. Daraufhin wollte ich Rock´n´Roll-Star werden.
Wien weit war der Weg vom Rock´n´Roll zum Blues?
Al Cook: Weit. Nachdem ich den Film gesehen hatte, borgte ich mir Geld von meinem Vater. In der Nähe gab es eine Schallplattenhandlung. Da kaufte ich mir sämtliche erhältliche Elvis-Platten und einen Koffer-Plattenspieler.
Was sagten die Eltern? Begeistert waren sie wohl nicht von der Dauerbeschallung und den neuen Karriereplänen des Sohnemanns?
Al Cook: Ich habe einen fünf Jahre jüngeren Bruder. Der war damals erst fünfzehn, verfügte aber schon über ein gewisses elektrotechnisches Wissen und baute mir in den Kofferplattenspieler einen Kopfhörerausgang. So konnte ich leise über einen alten Wehrmachtskopfhörer Rock´n´Roll hören. Tag und Nacht habe ich mir das reingezogen, wie man heute sagt. Ich war wahrscheinlich auch ein Pionier der Schlaflernmethode, weil ich mit den Kopfhörern schlief und daneben Musik hörte, sie mir so förmlich ins Unterbewusstsein drückte. Ja, so fing es an. 1963 im Oktober habe ich mir dann meine erste Gitarre gekauft. Da dachte ich mir, dass ich weit genug war, um es mir selber beibringen zu können. Ich hatte keine Lehrer und auch sonst niemanden, der mir das gezeigt hätte.
Welche Gitarre wurde es?
Al Cook: Ich wollte immer so eine, wie Elvis in diesem Film hatte. Das war eine akustische Westerngitarre, eine Martin D28. Die hätte damals aber 10.000 Schilling gekostet, was wahnsinnig viel Geld war. Ich hatte ja nur meine Lehrlingsentschädigung: In drei Wochen 50 Schilling. Ich bin aber sehr sparsam und habe mir 450 Schilling erspart. Auf meinem Weg in die Firma im fünfzehnten Bezirk gab es auf der Strecke des 49er, die kurz vor dem Urban Loritz Platz hielt, eine Musikalienhandlung. Die gibt es heute noch. Witzmann hieß sie damals. Da ging ich vor dem Geschäft auf und ab, weil ich so nervös war. Schließlich hab´ ich mir ein Herz gefasst, bin rein und hab sie mir gekauft. Für eine Tasche hatte ich kein Geld mehr. So haben sie mir die Gitarre einfach in einen Plastiksack gesteckt und oben zugebunden.
Als ich nach Hause kam, meinte mein Vater zu mir: „Wenn du in einem halben Jahr nichts darauf weiterbringst, hau´ ich sie beim Fenster raus und dich gleich hinterher.” Es hätte keiner solcher Drohung bedurft, weil ich regelrecht besessen war. Ich kaufte mir ein Griffheft und hab die Griffe dann solange geübt, bis ich die rasch wechseln konnte. Im Oktober 1964 wurde in einer Parteizeitung der SPÖ dann die Öffnung einer neuen Sektion Ecke Neulinggasse/Landstraße angekündigt. Die hatten dort einen Konzertsaal und veranstalteten eine Amateur-Show mit allen möglichen Leuten. Eine Variety-Show, wie es im Englischen heißt. Erst gab es eine Ausscheidung, wo sie alle Untalente aussiebten. Ich hatte damals schon eine gewisse Semi-Professionalität, weil ich den Elvis ja regelrecht studiert hatte. Ich habe dort drei Elvis-Nummern, „All shook up”, „Teddy Bear“ und die Titelnummer aus „Gold aus heißer Kehle”, „Loving You”, eine Liebesballade, gespielt.
Und? Wie lief es?
Al Cook: [lacht] Ich habe damals vor dem falschen Publikum gespielt. Das waren Leute von der Straße, Pensionisten. Die hatten keinen Sinn für Rock´n´Roll. In der ersten Reihe saßen die Parteifunktionäre, und als Ehrengast war die Stadträtin Jacoby da, nach der später im Dritten eine Gasse benannt wurde. Die haben sich vor meinem lauten Gesang geschreckt, und die Hofratswitwen regten sich auf, dass ich nicht auf Deutsch dang. Vor mir war eine beleibte Dame im Dirndl angetreten, die den Erzherzog Johann Jodler sang. Die hatte ihnen besser gefallen als der Schock-Rocker. Und so kam es, wie es kommen musste: Am Schluss der Veranstaltung gab es einen “Applausometer”, mit dem man die Intensität des Applauses maß. Ich wurde letzter, weil ich nur einen leise vor sich hin tröpfelnden Höflichkeitsapplaus bekam. Aber jeder, auch der Letzte erhielt einen Preis. In meinem Fall war das eine Kiste Wein. Dabei bin ich Nichttrinker.
„Mein erster Auftritt war also ein fürchterlicher Flop.“
Wie kommt man vom falschen Publikum zum richtigen? Und wie kommt man zum Blues?
Al Cook: Mein erster Auftritt war also ein fürchterlicher Flop. Ich hatte meine Arbeitskollegen eingeladen, damit sie Zeugen meines ersten Schrittes zum Rockstar werden konnten. Die waren alle beschämt. Einer blieb und fragte mich, ob ich nicht mehr ganz klar im Kopf sei. Ob ich denn nicht wisse, dass es bereits die Beatles gäbe? Nein, wusste ich nicht. Ich hatte mit der jüngsten Musikentwicklung nichts am Hut. Ich kam aus dem Rock´n´Roll. Ein anderer hätte wahrscheinlich das Instrument ins Eck gestellt, aber ich war besessen. Ich musste einen Weg finden, um eine Karriere als Musiker zu machen. Und dann kam es zu einem weiteren Schüsselerlebnis: Schräg gegenüber wohnte damals ein Student, der im Sommer das Fenster offenließ. Da kam eines Tages eine sonderbare Musik raus. Eine Musik, die ich noch nie zuvor gehört hatte, die mich aber so faszinierte, dass ich raufging und anläutete. Ob ich mir das nicht eine Zeit lang anhören könnte? Konnte ich, ich war willkommen.
Was war das für eine Musik?
Al Cook: Teilweise Oldtime Jazz. Dann gab es aber längere Sequenzen, die ich so noch nie gehört hatte. Ein klassisches Boogie Woogie-Piano mit archaischem Country-Blues. Das hat mich so fasziniert, dass ich mir dachte: Das muss ich lernen. Ich wusste sofort: Das war die Musik, mit der ich mich würde ausdrücken können. Ich habe dann sechs Jahre vor unverständigem Publikum gespielt. Wenn man bedenkt, dass damals die ersten Diskotheken aufkamen, in denen Jimmy Hendrix, Eric Clapton und Psychedelic-Rock gespielt wurde, und dann kam ich mit einer Wandergitarre und spielte tiefsten Country Blues, kann man sich schon denken, warum es nicht so gut funktionierte. In einer Disco in der Steiermark kam einer nach der ersten Nummer mit einem Hut voll von Zehn Groschen Stücke und meinte: „Wir haben gesammelt, damit du aufhörst.” Ich wurde auf diversen Veranstaltungen als Kultur-Alien herumgereicht. Die Leute wussten überhaupt nicht, was Blues ist.
Wann kamen die ersten Erfolge? Wann kam die erste Anerkennung?
Al Cook: Ich hielt durch. 1969 war Woodstock, da traten Typen wie die Canned Heat auf und auch andere, die einen modernen, rockigen Blues spielten. Und es gab die Bewegung um Bob Dylan und Donovan. Die kamen zwar aus dem Folk, haben aber mit überlebenden Blues-Leuten gespielt. Mit der Folk-Welle, die auch nach Europa rüberschwappte, kam auch das Interesse nach dem klassischen Blues auf. Ich dann war bei der Gründung von Ö3, im Jahr 1967 dabei. Da war ich einer der ersten, die sie im ORF aufgenommen haben. Einer der ersten der neueren Generation. Damals und zumindest bis 1995 war Ö3 ja ein progressiver Sender.
Mit Sendungen wir der Musicbox etwa.
Al Cook: Da war ich Stammgast. Genau, in der Musicbox war das. Da gibt es auch eine Anekdote: Als ich mit meiner Gitarre ins Funkhaus kam – der Hubert Gaisbauer war damals der Chef, glaub ich – haben mich alle angeschaut, ich wurde begrüßt, und Gaisbauer fragte mich, ob ich eine Zigarette wolle. Ich war – das erste Mal im Funkhaus – offenbar sichtlich nervös. Ich verneinte. Nach einer Weile fragte er: „Willst ein Stamperl?” „Nein danke, ich trinke nichts.” Nach wieder einer Weile neigte er sich zu mir und flüsterte mir ins Ohr: „Wüst an Joint?” „Um Gottes willen nein, ich bin die Manifestation des Rauschgift-Gegners”, antwortete ich. Darauf er: „Sag einmal, wofür lebst du denn dann?” Ich habe daraufhin nur auf meine Gitarre gezeigt. „Ich brauch keinen Alkohol, kein Rauschgift. Das schönste High werden ist, wenn in einem Konzert von mir in der ersten Reihe schöne Damen sitzen, die mir vielversprechende Avancen machen. Das ist der größte Rausch.” Nach der Sendung riefen damals Leute an, was das für eine Musik sei. Ab da, 1970, ging es los, da kam auch die Plattenfirma Amadeo zu mir, und ich sollte der erste weiße Nicht-Amerikaner werden, mit dem sie eine Platte machten. Die hieß „The Working Man´s Blues”. Heute sind das Sammlerstücke, werden von 300 bis 500 Euro gehandelt. Natürlich bin ich heute noch ein Rock´n´Roller und ein Rhythm& Blues-Typ, aber der authentische Blues war immer mein Lebenswerk. Ich bin jetzt seit 58 Jahren auf der Bühne, und ich habe auch alle Berühmtheiten des Austropop gekannt, allerdings in der Embryonal-Phase…
…aber nie mit ihnen fusioniert, oder?
Al Cook: Nein, das war eine völlig andere Welt.
„Ich aber wollte den reinen, den echten Blues.“
Aber es gab doch Ansätze z.B. eines Georg Danzers, Dialekttexte mit Blues kurzzuschließen. Hat Sie das nie gereizt?
Al Cook: Damals wollten sie was Neues schaffen, und haben natürlich Musikrichtungen aus Kulturen, die aus meiner Sicht inkompatibel sind, zusammengewürfelt. Ich aber wollte den reinen, den echten Blues. Und das habe ich offenbar so gut gemacht, dass viele Leute mich wie eine Ikone verehrten. Ich bin ja sogar in Kreisen geschätzt und bekannt geworden, die mit Blues überhaupt nichts am Hut haben.
Wie leicht oder schwer war es damals, an Platten ranzukommen? Blues war ja nicht gerade das meistgehörte Genre, war vom Mainstream Lichtjahre entfernt.
Al Cook:In Plattengeschäften hat man das gar nicht bekommen. Es gab nur ein einziges Plattengeschäft in Wien, in der Wollzeile. Neben dem Frick, der früher Buchhandlung Heger hieß, gab es ein winziges Geschäft mit Spezialplatten: Jazz, Folk, Ethno. Zufällig sah ich da einmal in der Auslage eine Platte mit echtem Blues. Drinnen gab es einen ganzen Stoß. Die Verkäuferin war mir gut gesinnt und ließ mich den ganzen Tag lang Bluesplatten hören.
Früher konnte man sich die Platten, die man kaufen wollte, in einer Art Telefonzelle anhören. Jedes Mal kaufte ich mir dann eine Platte. Eines Tages sagte die Verkäuferin: „Wissen´s was, ich kenne den Produzenten dieser Platten”, und gab mir seine Telefonnummer. Das war der Johnny Part – den meisten Fans des historischen Blues bestens bekannt. Heute ist er in seinem 92. Lebensjahr. Der hat sämtliche Aufnahmen des historischen Blues auf 880 CDs herausgebracht. Das waren faktische meine Lehrmittel. Ich besuchte ihn oft.
War Part ein Förderer?
Al Cook: Ich hatte regelmäßigen Kontakt mit ihm. Er wohnte damals in der Hinterbrühl. Nach seiner Scheidung zog er nach Wen, da konnte ich ihn dann öfter besuchen. Einer seiner Freunde, der Hans Maitner, hatte in Ö3 eine regelmäßige Sendung Living Blues. Der hat allerdings nicht nur den historischen, sondern auch den Nachkriegs-Blues gespielt. Maitner hatte eine noch größere Sammlung. Mit den beiden war ich in regelmäßigem Kontakt.
Dieser Purismus, den sie an den Tag legten, wonach sie nur den reinen Blues spielen wollten und nichts verwässertes, wurde ihnen auch zur Last gelegt bzw. falsch ausgelegt, oder?
Al Cook: Zum Teil schon, ja. Es gibt solche und solche. Es gibt genug Leute, die mich bewundern, weil ich meinen Weg hart verfolgte.
Beharrlich und ein wenig stur…
Al Cook: Stur würde ich nicht sagen. Es gibt einen eklatanten Unterschied zwischen Sturheit und fachbezogener Überzeugung. Ein sturer Mensch hält an etwas fest, auch wenn er die Erfahrung macht, dass das Gedachte falsch ist, weil er sich keine Blöße geben will. Ich musste in meinem Leben öfters einsehen, dass ich falsch lag.
Zum Beispiel?
Al Cook: Mit wurde eingeredet, dass der Blues eine traurige Sklavenmusik sei, was überhaupt nicht stimmt. Ich habe mich dann informiert. In der Ära der Sklaverei, die 1865 mit dem Bürgerkrieg ihr Ende fand, gab es überhaupt keinen Blues. Die Sklaven durften überhaupt keine Instrumente besitzen. Die einzigen Schwarzen, die Instrumente besitzen durften, waren die Mitglieder der Salonorchester in den Herrenhäusern. Die spielten aber keinen Blues, sondern Johann Strauss. Blues war nicht traurig, sondern es gab immer eine auflösende Conclusio. Mit dem humoristischsten Bluesman, den es je gab, habe ich gespielt: Roosevelt Sykes, ein Pianist aus St Louis. Der war eine “Humorwurzn”, wie man in Wien sagt. Der hatte Texte, die von ironisch bis pornographisch gingen. Ein Lied von ihm ging so: “If you can´t love me corretcly, we better do not start, cause love is an abcess in the brain and it works like on the heart.” Das waren mehrdeutige bis eindeutige Texte, die von der weißen Zensur aber nicht verstanden wurden:“You don´t do nothing but laying on your DPA.” DPA stand für Dirty black Ass. Oder KMS. Das stand für Kansas, Missouri und Arkansas. Eigentlich hieß es aber: Kiss my Ass. Die Sprache nannte sich Double Talk und wurde entwickelt, damit die Weißen nicht verstehen konnten, was sie reden. Ich habe mich sehr intensiv damit befasst, und habe dann begonnen, eigene Nummern zu schreiben. Auf meinen CDs sind ja 95% Eigenkompositionen.
Was macht die Faszination Blues für Sie aus. Wie würden Sie das beschreiben?
Al Cook: Die Faszination liegt eigentlich im Sound, der Atmosphäre und natürlich auch der Wahl des Textes, den aber viele nicht verstehen. Meiner Meinung nach ist die größte missverstandene Nummer ja der „Crossroad Blues” von Robert Johnson. Da wurde gesagt, das sei das Lied, in dem er darüber spreche, wie der dem Teufel seine Seele verkauft hat.
So erzählt es die Legende.
Al Cook: Ja, aber das stimmt überhaupt nicht. Wenn man sich das genau anhört, kommt darin kein Wort vom Teufel vor. Das spielt in Texas, wo er aufnahm. Als er abends mit den Aufnahmen fertig war, ging er in San Antonio spazieren. Im Süden gab es damals ein ungeschriebenes Gesetz: Nach Sonnenuntergang müssen die Schwarzen von der Straße sein, und er hat sich halt in der Zeit vertan, steht an einer Kreuzung und will Autostoppen, aber niemand nimmt ihn mit. Am Ende singt er: “You can run, you can run, tell my friend Willie Brown.” Damals gab es in Mississippi ein Trio aus Son House, Charlie Patton und Willie Brown. Von denen hat er gelernt. Schließlich hat ihn die Highway Patrol aufgegriffen und eingesperrt. Der weiße Aufnahmeleiter musste ihn am nächsten Tag aus dem Gefängnis auslösen. Das ist die wirkliche, wahre Geschichte. Was immer alle mit dem Teufel haben, weiß ich nicht.
Angeblich hat man ihm nicht glauben wollen, dass er sich so schnell das Gitarrespielen beigebracht hatte, woraus man schloss, der Teufel müsse seine Hand im Spiel haben. Er habe quasi seine Seele dafür verkauft.
Al Cook: Ja, dazu muss man aber bemerken, dass die einfachen Menschen im Süden, von denen viele nicht einmal lesen und schreiben konnten, wahnsinnig abergläubisch waren. Alles, was sie nicht verstanden, haben sie entweder dem Teufel oder dem Herrgott zugeschrieben. Der Teufel, der ihm das Gitarrespielen beibrachte, hat ein menschliches Gesicht. Von dem Mann, der Ike Zimmermann hieß, gibt es Fotos. Ike war ein Jahr lang mit Johnson zusammen, und hat es ihm beigebracht. Dass Johnson so schnell begriff, ist wohl Zeichen eines übermäßigen Talents. Ich habe mit Leuten geredet, die ihn noch kannten: Johnny Shines und David “Honeyboy” Edwards. Die haben erzählt, dass er ein Lied, das er im Radio hörte, sofort nachspielen konnte. Er soll ein absolutes Gehör gehabt haben.
„Man mochte mich gerade deshalb, weil ich als Weißer, der mit dem Blues nicht aufgewachsen ist […]“
Ein Thema liegt mir noch am Herzen, das derzeit durch alle Medien geht, das der vermeintlichen kulturellen Aneignung. Reggae-Bands werden gecancelt, weil sich Menschen unwohl fühlen, wenn Weiße schwarze Musik spielen. Sie haben mit so viel schwarzen Bluesmusikern zusammengespielt: Sahen sie sich jemals mit dem Vorwurf konfrontiert, sie hätten da als Weißer nichts verloren, weil das schwarze Musik sei, die ausschließlich von Schwarzen gespielt werden soll bzw. sie würden sich diese Musik als Weißer ungerechtfertigt aneignen?
Al Cook: Nein, gab es nie. Das ist erst in den letzten Jahren aufgekommen. Ich nenne solche Leute respektlos und rassistisch. Die sehen in allem Rassismus, und das ist rassistisch. Ich habe diese Fragen schon vor langer Zeit mit Schwarzen erörtert. Man mochte mich gerade deshalb, weil ich als Weißer, der mit dem Blues nicht aufgewachsen ist, diese Musik und Kultur in Eigeninterpretationen am Leben erhielt.
Und dadurch die Kultur auch verehrt.
Al Cook: Ja. Roosevelt Sykes und Johnny Shines wollten mich nach Amerika mitnehmen. Ich spielte mit ihnen und sie waren begeistert.
Sie gingen dennoch nie in die USA. Weshalb eigentlich?
Al Cook:Das hat mehrere Gründe: Zuerst hatte ich kein Geld, dass ich mir eine Reise hätte leisten können. Als ich das Geld dann hatte, wurden meine Eltern krank und ich musste sie im Rollstuhl fahren, weil ihnen beiden die Beine amputiert wurden. Meine Mutter war schwer zuckerkrankt, und mein Vater hatte Gefäßverschluss durch das Rauchen. Da konnte ich nicht weg. Zugleich war ich damals nicht in Wien, sondern in Neunkirchen wohnhaft. Ich konnte mich eine Weile nicht ums Geschäft kümmern und lebte von Ersparten. 1983 gab es dann ein Rock´n´Roll und Rockabilly-Revival, und ich hatte das Glück, zwei Musiker zu finden, um ein Trio im Stile des historischen Elvis zu bilden.
Mit den Musikern spiele ich heute noch. Dazu kam damals auch noch, dass ab den späten 1980er und frühen 1990er Jahren alle Leute, mit denen ich spielte wie Honeyboy Edwards, Roosevelt Sykes und Johnny Shines einer nach dem anderen wegstarben. Da wollte ich nicht mehr rüber. Dazu kam, dass die Schwarzen ihre eigene Musiktradition auf den Müllhaufen der Geschichte schmissen.
Wie meinen Sie das?
Al Cook: Wann der Blues entstand, ist nicht klar. Das ging schleichend vor sich. Wann es mit ihm als lebende Kultur aus war – das weiß ich genau. Mit der Bürgerrechtsbewegung. Die wollten vom Blues nichts mehr wissen. Das hat sie zu sehr an die Unterdrückung, Segregation und Rassentrennung erinnert. Die Soul-Bewegung entstand. Funk und Hip-Hop kamen.
Stimmt die Geschichte, dass sie, nachdem sich Cream aufgelöst hatte, mit Eric Clapton und John Mayall eine Platte machen sollten, das Angebot aber ausschlugen?
Al Cook: Ja, das stimmt.
Und haben sie das nie bereut?
Al Cook: Nein. Ich hätte ihn gerne zu meinem fünfzigjährigen Bühnenjubiläum getroffen, denn eines haben wir gemeinsam: Ich bin einen Monat älter als er, und wir haben etwa zur gleichen Zeit das Album „King of the Delta Blues Singers” von Robert Johnson entdeckt. Davon haben wir beide gelernt. Clapton hat dann aber durch die Leute, die er kennengelernt hat – Ginger Baker und Jack Bruce – eine Richtung eingeschlagen, die mir nicht behagte. Er hat immer behauptet, er stehe auf die alten Blues-Leute. Hin und wieder nimmt er auch etwas in die Richtung auf, aber er kann meiner Meinung nach das Flair nicht darstellen. Der raue erdige Vortrag, den es dafür braucht, das ist nicht seines. Heute spielt er, wenn sie mich fragen, mehr oder weniger Fahrstuhlmusik. Er scheint seiner eigenen Musik müde geworden zu sein.
Wie kam es dazu, dass man sie einlud, mit Mayall und Clapton zu spielen?
Al Cook: Ein Musikjournalist machte Aufnahmen von mir und fuhr damit nach London zu Alexis Korner, der die Vaterfigur war, um den Mayall, die Stones, Clapton und andere kreisten. Die haben den Blues dann einem breiten Publikum schmackhaft gemacht. Das ist ein Verdienst, aber sie haben dafür zu viel Konzessionen an die Pop-Kultur gemacht. Der spielte ihm also die Aufnahmen vor. Damals wurde gerade die Verwendung der Bottleneck-Guitar bekannt. Brian Jones hat in „Little Red Rooster” einen Akkord raufgeschliffen. Auch Mick Taylor, der kurz bei den Stones spielte, spielte Bottleneck. Ich hatte mich lange damit befasst, war quasi der Weltmeister im Slide-Gitarre-Spielen. Korner meinte damals, ich müsse als Frontmann auftreten. Das, was ich konnte, gab es damals in England nicht. Daraufhin kam Amadeo Records und wollten das organisieren. Ich sollte mit Mayall und Clapton eine Platte machen, aber ich habe nicht einmal überlegt. Ich wollte meine Musik nie verrocken oder Psychedelik-Hadern draus machen lassen. Bevor ich das mache, dachte ich mir: „Zum Erdäpfelfressen wird es sich immer noch ausgehen.”
Wie wurde ihre Entscheidung damals aufgenommen?
Al Cook: Geteilt. Die einen haben mich als Hero gefeiert, die anderen als borniert bezeichnet oder für wahnsinnig erklärt. Bereut habe ich es jedenfalls nicht.
Trotzdem hätten Sie Clapton gern bei Ihrem Bühnenpublikum dabeigehabt, sagen Sie. Wieso?
Al Cook: Ich hätte damals im Metropol gern mit ihm Robert Johnson-Nummern gespielt. Auf der Akustischen.
Wobei Mayall und andere dann im Alter vielfach zu den Roots zurückkehrten.
Al Cook: Ja. Wie es geht, wissen ja alle. Mayall spielt auch gut Blues-Piano. Es gibt Aufnahmen von ihm mit Jo-Ann Kelly, die damals im Stile einer großen Country-Blues-Sängerin sang, die ich auf Tonband habe. Die sind grandios. Ich weiß allerdings nicht, ob das jemals auf Platte rauskam.
Vielen Dank für das Gespräch.
Markus Deisenberger
Al Cooks Autobiographie „Al Cook – kein Platz für Johnny B. Goode”, die er ohne Ghostwriter und ohne Lektor verfasst hat und an der er zehn Jahre schrieb, ist im Verlag Epikuros erschienen. Euro 24,99
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