„Ich will hören, wie mein Blut durch den Körper rauscht“ – Óscar Escudero im mica-Interview

Óscar Escudero ist Musiker, Komponist, Multimedienkünstler und Performer. Er wurde 1992 in Alcázar de San Juan geboren, einer kleinen Stadt in der Region La Mancha. Seit einem Jahr lebt und arbeitet Óscar Escudero in Wien, wo sein Herz ihn hin verschlagen hat. Sein neuestes Werk, die Klanginstallation „Dal Cuore – von Herzen“ entstand als Auftragswerk für das Festival 4020 im Brucknerhaus Linz. Für den Austrian Focus bei den Operadagen Rotterdam in Kooperation mit den Musiktheatertagen Wien wurde sein multimediales Werk „[OST] (Original Soundtrack)“ ausgewählt. Im Interview mit Miriam Damev erzählt der digital Native über die Verbindung zwischen den unterschiedlichen Welten und wie er damit umgeht.

Wann hat deine Lovestory mit Wien begonnen?

Óscar Escudero: Wien war die erste Stadt, die ich außerhalb Spaniens besucht habe. Ich war 14 und hatte gerade mit dem Musikstudium begonnen, als meine Mutter mich mit einer Wien-Reise überrascht hat. Wir haben uns alle musikalischen Sehenswürdigkeiten der Stadt angesehen, von den Komponistenwohnungen über die Konzerthäuser bis zu den Gräbern am Zentralfriedhof. Vor einem Jahr hat es mich wieder hierher verschlagen. Jetzt lebe ich seit einem Jahr in Hetzendorf. Wien ist der ideale Ort, um zu Arbeiten, weil mich die Stadt beflügelt und mir zugleich Ruhe gibt. Wenn ich mich zurückziehen möchte, gehe ich einfach in den Lainzer Tiergarten oder nach Schönbrunn. Außerdem mag ich die deutsche Sprache, und es macht mir Spaß, jeden Tag neue Wörter dazuzulernen. Ich finde es inspirierend, mich außerhalb der eigenen Comfort-Zone zu bewegen.

Was waren deine ersten Berührungspunkte mit Musik?

Óscar Escudero: Mein Großvater hatte eine riesige Schallplattensammlung. Er hat Klassik geliebt und über 1.000 Platten besessen. Wir haben viel Zeit gemeinsam verbracht und Musik gehört. Ich war damals fasziniert von der Idee, dass sich da vor mir ein unendlich weites Feld auftut, das ich erforschen kann und mit dem ich mich spielen möchte. Mit elf Jahren habe ich begonnen kleine Stücke zu komponieren und Oboe zu lernen.

Wie würdest du deine ersten Kompositionen beschreiben?

Óscar Escudero: Definitiv unspielbar [lacht]. Mit 16 habe ich mit vier Freunden ein Streichquartett mit Oboe gegründet. Weil es dafür keine Kompositionen gab, habe ich das Schreiben übernommen. Wir haben uns jeden Samstag zum Proben getroffen und auch Konzerte gespielt.

Waren das klassisch notierte Partituren?

Óscar Escudero: Ja, allerdings habe ich schon damals versucht, unterschiedliche Konzepte miteinzubeziehen. Zum Beispiel gab es bei einem unserer Auftritte einen Grafikdesigner, der zur Musik abstrakte Zeichnungen in den Computer übertragen hat, die dann wiederum live projiziert wurden. Eine großartige Erfahrung, die mich dazu inspiriert hat, mit Künstlern verschiedenster Ausrichtungen zusammenzuarbeiten. Mir wurde klar, dass sich die unterschiedlichen Codes miteinander verbinden lassen. Seither denke ich die Musik anders.

„Ich sehe die Musik vielmehr als Teil eines Gesamtkunstwerks, wo das Wort, die Mimik, das Licht, die Musik und die Geräusche, die Farben, die Kostüme und die Choreografie eine Rolle spielen.“

Wie genau denkst du Musik?

Óscar Escudero: Ich sehe die Musik vielmehr als Teil eines Gesamtkunstwerks, wo das Wort, die Mimik, das Licht, die Musik und die Geräusche, die Farben, die Kostüme und die Choreografie eine Rolle spielen. 2013 habe ich mich in dem Stück „The Landscape of Shadow and Forgivness“ mit der Alzheimer Krankheit beschäftigt. Meine Großmutter, die mir sehr nahestand, ist an Alzheimer gestorben, und ich habe miterlebt, wie sich ihre Erinnerung und ihre Wahrnehmung langsam verändert haben. Das wollte ich musikalisch wiedergeben. Ich beziehe in meinen Werken auch Ideen aus unterschiedlichen Bereichen wie Philosophie, Soziologie oder Medientheorie ein, aber auch von anderen Sparten wie Video und bildender Kunst.

Das Virtuelle spielt in deiner Arbeit eine essenzielle Rolle. Dein Lieblingsinstrument ist der Computer.

Óscar Escudero: Es ist Realität, dass sich unser Leben zu einem großen Teil im Internet abspielt. Musikalische Codes, mit denen wir uns in der Vergangenheit identifiziert haben, gelten heute nicht mehr. In der Barockzeit wussten die Menschen genau, was ein Generalbass ist und was die Affektlehre bedeutet. Heute leben wir in einer Zeit, die von Diversität geprägt ist. Manche sprechen von einer Krise der westlichen Zivilisation. Es gibt keine Konventionen und keinen einheitlichen Stil mehr. Die Grenzen sind fließend.

Bist du ein Heavy User?

Óscar Escudero: Ich bin damit aufgewachsen. Heute sind die virtuelle Welt und die sozialen Netzwerke Teil unserer Realität. Ich lasse sie in meine Arbeit einfließen.

Welche Rolle spielen Facebook & Co?

Óscar Escudero: Wir nutzen Facebook als Plattform der Selbstdarstellung. Zugleich stellt es einen Bereich von Raum und Zeit dar, der mit unserem realen Leben nichts zu tun hat. Ich denke da zum Beispiel an die Profile von Menschen, die tot sind. Wir treffen virtuell eine Person und scrollen durch ihr Leben, obwohl sie nicht mehr da ist.

Wie kommst du mit dieser Fülle an Informationen klar?

Óscar Escudero: Ich möchte Codes entschlüsseln. Die Facebook-User-Profile sind auf den ersten Blick extrem benutzerfreundlich. Aber wenn man genauer hinsieht, sind sie voller Konflikte und Gegensätze. Als Community versuchen wir Wege zu finden, zu verstehen, wer wir eigentlich sind und was mit unserem Leben passiert – mitten im Chaos, das uns umgibt.

Bekommt das Reale, Haptische, Spirituelle überhaupt noch einen Raum?

Óscar Escudero: Natürlich! Die großen Themen der Menschheit wie die Suche nach Identität, Liebe und Tod beschäftigen uns alle, egal ob online oder nicht. Gerade hier manifestieren sich die extremen Konsequenzen der virtuellen Realität. Wie verstehen wir heute Liebe und Freundschaft? Wie drücken wir Gefühle oder politische Ansichten aus? Wie gehen wir mit der eigenen Biografie um? Was ist real, was ist virtuell und was ist fake? Ich sehe mich als Mensch auf der Bühne in Interaktion mit den digitalen Medien, die unser Leben in den vergangenen Jahren maßgeblich verändert haben. Wie gehen wir mit ihnen im echten Leben, im Virtuellen und in den künstlerischen Konzepten um?

„Ich möchte zeigen, dass ein einzelner Ton, ein Geräusch, ein Bild oder eine Bewegung berühren und begeistern können.“

Was willst du mit deiner Arbeit erreichen?

Óscar Escudero: Ich möchte zeigen, dass ein einzelner Ton, ein Geräusch, ein Bild oder eine Bewegung berühren und begeistern können. Ich möchte das Publikum zum Staunen bringen und neugierig machen. Das kann über die körperlich-sinnliche Wahrnehmung, über das eigene Ausprobieren und Experimentieren mit Klängen oder über interdisziplinäre Ansätze gehen.

So wie bei „[OST] (Original Soundtrack)“, das als Teil der „Flat Time Trilogy“ entstanden ist …

Óscar Escudero: Das war die erste gemeinsame Arbeit mit der spanischen Künstlerin Belenish Moreno-Gil. Sie ist für einen Musiker, Virtual-Reality-Headset, Video und Elektronik entstanden. Wir haben alles gemeinsam erarbeitet, die Dramaturgie, das Licht, den Text, die Choreografie und die Musik. Ich stand als Performer auf der Bühne und habe mit dem futuristischen Teil am Kopf einen Dialog mit mir selbst geführt. Mit den Mitteln simultaner Mediennutzung wird die Erfahrung von Zeit und Raum im Zeichen der Cross Reality, einer Technologie, bei der die reelle mit einer virtuellen Realität vermischt wird, erkundet.

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Für das Linzer Festival 4020 ist die Auftragskomposition „Dal Cuore“ entstanden. Worum geht es hier?

Óscar Escudero: Ausgehend von Aufnahmen mit Kontaktmikrofonen ihrer eigenen Herzklänge habe ich gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern der Musik-NMS Harbach eine Soundinstallation entwickelt. Die Kinder bekommen eine Audiopartitur mit den unterschiedlichen Geräuschen aus unserem Körper auf ihre Handys gespielt, die sie sich über Kopfhörer anhören und dazu sie auf ihren Instrumenten improvisieren. Das Publikum wiederum sieht die Übersetzung dessen, was es nicht hören kann: den Herzschlag, das Blut, Verdauungsgeräusche, verstärkte neuronale Geräusche oder den Atem. Ich war selbst vor drei Jahren zum ersten Mal beim Kardiologen und war erschüttert zu hören, wie mein Herz schlägt und mein Blut durch den Körper rauscht. Oft haben wir von den Dingen, die uns am nächsten sind, keine Ahnung. Das Naheliegende zu erforschen ist ein wesentlicher Teil meiner Arbeit.

Vielen Dank für das Gespräch!

Miriam Damev

Links:
Óscar Escudero
Belenish Moreno-Gil
Festival 4020
Austrian Heartbeats at Operadagen Rotterdam