Das Werk von Bernhard Lang geht über das akustisch Erklingende hinaus, denn ebenso relevant wie das musikalische Resultat ist die Bedeutung, mit der der Komponist sein Schaffen auflädt. Zusätzlich zu den musikspezifischen Fächern wie Klavier und Komposition studierte Lang auch Philosophie und so bilden philosophische Überlegungen oft den Grundstein für musikalische Werke. Drei der Werke des Komponisten, der nun den outständig artist award 2014 in der Sparte Musik erhielt, sind im music austria Notenshop erhältlich.
Der 1957 geborene Linzer verfasst seine Kompositionen in kontinuierlicher Fortentwicklung einer Idee und schafft so Werke, bei denen ein ähnlicher konzeptioneller Hintergrund zu sehr unterschiedlichen klanglichen Ausprägungen führen kann. Deutlich wird dies etwa am Zyklus Differenz/Wiederholung (DW): Die Lektüre von Gilles Deleuzes Oeuvre Differenz und Wiederholung ermutigte den Komponisten dazu, sich der Repetition zu widmen – und sich damit dem von Theodor W. Adorno aufgestellten Wiederholungsverbot zu widersetzen, das Lang zunächst als Einschränkung empfand.
Fortan setzte Lang die Wiederholung gezielt in unterschiedlichsten Ausprägungen ein: Abschnitte, die in gleicher Form repetiert werden oder Motive, deren Gestalt sich bei jeder Wiederholung leicht verändert; maschinelle Repetitionen resultieren aus diesem Vorgehen ebenso wie kontinuierliche Entwicklungen oder abrupte Wechsel. Dabei bewegt sich die Wiederholung auf dem schmalen Grad zwischen Sinnlichkeit und Penetranz. Denn während Tanz oder Sexualität den repetitiven Bewegungsmustern ihren Reiz abgewinnen, kann ein tropfender Wasserhahn oder maschinelle Wiederholung nervenaufreibend wirken.
Nicht zu trennen ist die Wiederholung von der Differenz, die die andere Seite der Medaille bildet: Hört man nun das Gleiche wie zuvor? Oder hat sich doch etwas verändert? Diese Fragen mag man sich stellen, lauscht man konzentriert einem der stets wiederholten Motive, das unerwartet von einem weiteren repetierten Element abgelöst wird. Doch liegt die Frage nicht nur in der tatsächlichen Wiedergabe. Schon alleine dadurch, dass man ein Motiv mehrmals hört, verändert sich die Wahrnehmung davon. Zweimal exakt das Gleiche zu hören ist schon dadurch nicht möglich. Und so liegt ein Schlüssel zur Bedeutung der Werke in der individuellen Wahrnehmung.
Neben der Bedeutung der Wahrnehmung ist der Zyklus DW von stilistischer Heterogenität geprägt. Denn Lang interessiert sich dabei nicht für den rein elitären Hochgenuss. Mindestens ebenso große Bedeutung haben für ihn populäre Stilrichtungen. So kommen Turntablisten aus der DJ-Szene zu einer Fusion mit dem klassischen Orchesterapparat und Jazz-Elemente finden ebenso Eingang wie Techno oder E-Gitarren. Dies hat zur Folge, dass MusikerInnen unterschiedlicher Stilrichtung miteinander in Kontakt treten, die ansonsten kaum etwas miteinander zu tun haben. Gleiches gilt auch für das Publikum, denn anders als im Jazz-Club oder bei einem Rock-Konzert ist man im klassischen Konzertsaal als Aufführungsort dazu aufgefordert, still und leise dem Geschehen auf der Bühne zu folgen, ohne zu jeder Zeit die Meinung in Form von Klatschen oder anderen Äußerungsformen kund tun zu dürfen – unterschiedliche Formen der Aufführung werden so bewusst miteinander konfrontiert.
Neben der Erprobung der Repetitionsmuster auf der Konzertbühne weitete Lang das Konzept auf das Musiktheater aus. Im „Theater der Wiederholungen“ (2000-02) wurden die Wiederholungsmuster auf die optische Ebene übertragen; in „I Hate Mozart“ (2006) thematisierten Lang und der Librettist Michael Sturminger den Kulturbetrieb, in dem MusikerInnen unzählige Male Mozart interpretieren müssen und ihre liebe Not damit haben. Und auch auf den Bereich Tanz hat Lang die Thematik von Differenz/Wiederholung ausgeweitet. Gemeinsam mit der Choreografin Christine Gaigg und dem Medienkünstler Winfried Ritsch entwickelt er Projekte, bei denen eine oder mehrere TänzerInnen durch ihre repetitiven Bewegungen auf Klangplatten Geräusche auslösen, die mit Lautsprechern abgenommen und (bearbeitet) abgespielt werden. In großer Manier wurde dieses Vorgehen bei Maschinenhalle #1 zur Eröffnung des steirischen herbst 2010 gezeigt: 12 TänzerInnen steuerten auf 12 Klangplatten 12 Klaviere an, die BesucherInnen konnten sich dazwischen frei bewegen. Tanz und Musik sind bei diesem Aufbau keine nebeneinander ablaufenden Sphären, sondern bedingen einander.
Eine neue Ebene in der Auseinandersetzung mit Wiederholungsstrukturen erreicht Lang in seinem 2007 begonnen Zyklus Monadologie – auch hier ist der philosophische Bezug wiederum unverkennbar. Für diese Arbeiten hat Lang ein Computerprogramm entwickelt, mit dem er auf Basis Zellulärer Automaten ein bestehendes Motiv durch die Anwendung bestimmter Regeln immer weiter verändert. Als Ausgangsmaterial, das so der Variation unterworfen wird, verwendet Lang zum einen eigene Werke. Zum anderen bedient er sich aber auch Kompositionen anderer Komponisten wie W. A. Mozart, Richard Strauß, Arnold Schönberg oder Anton Bruckner, um durch diese Art der Variantenbildung den alten Werken neue Aspekte abzugewinnen. Betrachtete Lang im Zyklus DW bereits das Orchester als Klangkörper, der stets auf sein klangliches Archiv referenziert, geht der Komponist hier in den Überlegungen des Archivs noch einen Schritt weiter, denn seine Ansicht zur Verwendung und Veränderung bestehender Werke lautet: „… es wiederholen sowieso alle, nur die einen machen es bewusst, die anderen unbewusst – und ich wiederhole bewusst.“
Doris Weberberger
Foto: Katharina Gossow