„ICH WERDE NIE BANGER PRODUZIEREN” – LEON LEDER (ASFAST) IM MICA-INTERVIEW

LEON LEDER hat mit „Earth Walk With Me“ ein neues Tape veröffentlicht. Als ASFAST gräbt sich der gebürtige Grazer seit Jahren durch dunkle Nischen der Wiener Elektronik-Szene. LEDER brachte Platten auf VENTIL RECORDS und zuletzt auf dem deutschen Düster-Label DENOVALI heraus. „Earth Walk With Me“ fällt als 23-minütiger Koloss nicht aus der Reihe. Statt ins Inferno, blickt man in den Abgrund, wühlt sich durch den Untergrund, spürt die Erde unter den Fingernägeln. Wieso Miley Cyrus bewusst gelauscht gehört, warum Effekthascherei in der Musik in Ordnung ist und wie sich die eigene Stimme anhören kann, erklärt ASFAST im Gespräch mit Christoph Benkeser.

Deine neueste Veröffentlichung heißt „Earth Walk With Me“. Ein Titel, der zwischen Twin Peaks und Klimapolitik viele Assoziationen zulässt. 

Leon Leder: „Fire Walk With Me“ war schon immer ein faszinierender Satz, dabei bin ich gar kein großer Twin-Peaks-Fan. Außerdem hasse ich Hitze. Feuer interessiert mich also überhaupt nicht. Den Satz „Fire Walk With Me“ habe ich trotzdem nie mehr aus meinem Kopf bekommen. Wenn ich mir Titel für Stücke überlege, spiele ich mit Dingen, die ich kenne; tausche Begriffe und Wörter aus; probiere herum. Irgendwann stand die Abwandlung „Earth Walk With Me“ – das passte genau auf meine Musik.

Das Erdige … 

Leon Leder: Genau, Erde bringt etwas Kühles und Mysteriöses mit. Feuer hat auch etwas Magisches an sich. Bei Erde ist es allerdings etwas subtil Magisches, nicht so offensichtlich Romantisches. Das deckt sich mit meiner Musik. Außerdem gefällt mir die Mehrdeutigkeit des Satzes. Ich verstehe ihn als Einladung an die Welt, um mir auf diesem meditativen Trip zu folgen.

Erde nimmt man im Vergleich zu Feuer oft nicht wahr, obwohl sie uns permanent umgibt.  

Leon Leder: Man muss in Erde wühlen, wenn man etwas darin finden will. Feuer kommt zu dir – zumindest potentiell. Die Eigenschaft der Erde lässt sich viel besser auf meine Musik umlegen.

Es ist Wühl-Musik. 

Leon Leder: Zumindest das neue Tape, ja! Es wird dich nicht sofort und in Art eines Songs catchen, sondern eher auf eine stimmungshafte Weise. Wie bei all meinen Stücken muss man aber einen Teil dazu selbst beitragen und von sich aus investieren, wenn man daraus etwas mitnehmen will. „Earth Walk With Me“ ist keine Musik, die man nebenbei hört.

„WENN ICH NICHT BEWUSST HINHÖRE, IST MIR MUSIK EGAL.“

Man muss sich einlassen wollen. 

Leon Leder: Ich konsumiere Musik fast nur so. Klar, wenn Freunde bei mir vorbeischauen, schalt ich was im Hintergrund ein. In solchen Situationen interessiert mich aber wenig, was es ist. Wenn ich nicht bewusst hinhöre, ist mir Musik egal. Deshalb, ja: Ich höre bewusst. Sogar Popmusik. Ob ich die neue Miley-Cyrus-Single oder ein Colin-Stetson-Album höre, ist dabei nicht entscheidend, solang es bewusst passiert.

Das bewusste Musikhören könnte man inzwischen fast schon verlernt haben. 

Leon Leder: Produziere ich Musik, geh ich von mir und meiner Art des Hörens aus – bewusst hinhörend.

Das ist das Gegenteil von Gebrauchsmusik, die als Ambient-Gedudel im Hintergrund läuft. Damit mein ich gar nicht den Brian-Eno-Wartezimmer-Ambient, sondern Musik, die als Background-Noise immer und überall da ist.  

Leon Leder: Man könnte sogar sagen, dass jede zweite Popnummer, die im Radio läuft, ein Ambient-Track ist – weil eh niemand hinhört.

Popmusik als eigentliche Ambient-Musik.  

Leon Leder: Sie soll gar nicht zu sehr auffallen und eher im Hintergrund bleiben.

Deshalb gibt es immer noch Firmen, die Supermärkte mit Musik beliefern. Individualisierte Musik, die das Kaufverhalten steuern soll. Das mag ein bisschen pessimistisch klingen, aber: Niemand nimmt sich mehr Zeit für Musik. 

Leon Leder: Um sie zu machen oder zu hören?

Zu hören, würde ich sagen. „Earth Walk With Me“ ist mit über 23 Minuten auch ein Commitment. Das hört man nicht aus Zufall. 

Leon Leder: Politisch gesehen stellt sich mein Zugang des genauen Hinhörens gegen andere Zugänge. Dahinter steht kein Konzept. Es hat so einfach am meisten Sinn gemacht.

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Wann stellt sich dieser Punkt des Sinnhaften bei dir ein? 

Leon Leder: In Wahrheit sind es vier bis sechs Skizzen. Ich komponiere oft so, dass ich das Mikro einschalte, eine Aufnahme starte und mit Synthesizern oder Blasinstrumenten herumspiele. 90 Prozent davon verwende ich nie. Trotzdem sammelt sich Sound-Material an. Beginne ich unterschiedliche Teile davon zu layern, ergeben sich Wege, an denen ich mich weiterhanteln kann. Unterschiedliche Synthesizer-Spuren lassen sich mit Drum-Spuren aus anderen Quellen verbinden. Das Tape ist quasi eine Aufnahme eines Live-Sets. Ein Album, das als Ganzes funktioniert, aber durch unterschiedliche Titel unterbrochen wäre, hätte für mich keinen Reiz. Selbst mit Streaminganbietern hat man immer kurze Unterbrechungen zwischen den Stücken. Das wollte ich nicht.

In einer Zeit, in der Stücke der Streaming-Ökonomie wegen immer kürzer werden, ist das die Gegenströmung. 

Leon Leder: Es gefällt mir aber. Bei meinem letzten Album „The Prime Same“ hätte ich damit schon beginnen können. Für kommende Platten werde ich das Konzept weiterführen und einzelne Nummern zusammenschieben. Das ist ein guter Kompromiss für meine Musik. Die Stille verliert sich.

Sie verliert sich? 

Leon Leder: Ich finde Stille schon schön – auch innerhalb eines Tracks. In meinen Live-Sets kam sie bisher aber öfter vor als auf meinen Alben.

Stille erzeugt für mich einen Bruch, der etwas Antizipierendes in sich trägt und gleichzeitig irritiert.  

Leon Leder: Stille hat auch etwas Pragmatisches. Was nach der Stille kommt, hat mehr Druck. Das ist Effekthascherei, zu der ich absolut stehe.

Es muss ja nicht alles so subtil daherkommen. 

Leon Leder: Bei meiner Musik passiert eh schon viel auf subtile Art. Manchmal braucht’s die Sensation.

Bei dir passiert das aber selten! 

Leon Leder: Wenn man spärlich damit umgeht, können die Momente sehr stark sein. Um die 2016er gab es aber in jeden Post-Club-Tracks dieselben Stille-Momente. Und es war so langweilig! Stille als Stilmittel einzusetzen, ist nicht ihr Sinn.

Bild Asfast
Asfast (c) Evelyn Plaschg

Das Post-Club-Etikett hat man eine Zeitlang überall draufgepappt. Ich weiß nicht, ob das der Musik gutgetan hat.

Leon Leder: Ab einen gewissen Punkt war es abschreckend. Ich fand den Begriff nie passend. Musik, die als Post-Club oder Deconstructed bezeichnet wurde, war eigentlich Club-Musik. Wenn sich der Bruch in jedem Takt wiederholt, ist das doch nicht deconstructed! Post-Club ist nach dem Club.

Trotzdem bedingt es die Referenz auf den Club.  

Leon Leder: Genau, Sound und Atmosphäre kommen aus dem Club! So gesehen passt der Begriff auf meine Musik.

Darin findet man mehr Dekonstruktion als im kompletten 2016er-Jahrgang. Das Phänomen des Post-Clubs ist aber wieder verschwunden, nicht? 

Leon Leder: Man könnte es auch umgekehrt betrachten: Das Deconstructed-Ding ist in den Mainstream gerutscht. Platten von Sophie oder Charlie XCX haben Millionen Klicks. Andererseits gab es den Sound schon immer. Ich habe mich vor Kurzem wieder mal mit M.I.A. beschäftigt – sie hat Post-Club-Musik produziert, bevor jemand Post-Club überhaut geschrien hat.

Es war also schon immer da. In anderen Auslegungen. 

Leon Leder: Ja, das Neue an der Post-Club-Bezeichnung war das Politische. Im Vergleich zu Dubstep- oder Drum’n’Bass-Partys gab es einen stärkeren Diversity-Bezug. Post-Club war bewusst integrativ angelegt.

So habe ich darüber noch nicht nachgedacht. Aber du hast Recht: Post-Club war ein Zwischenschritt zur Öffnung des Clubs für diese Themen.

Leon Leder: Es löste Diskussionen aus, die mittlerweile mitgedacht werden. Man muss nicht mehr Post-Club-Acts buchen, um Diversity zum Thema zu machen.

Post-Club als Gate-Opener.

Leon Leder: Wir sprechen trotzdem von einer Nische. Die Theorie hat sich zwar weiterentwickelt, aber die Praxis hinkt nach: Es gab vor Ausbruch der Pandemie immer noch zu viel sexualisierten Gewalt in Clubs.

Das ist einer der Problembereiche, die die neue DJ-Gewerkschaft in Wien angehen möchte. Mit dir würde ich thematisch aber nicht zu weit abdriften und weiter über dich sprechen. Spätestens mit dem Signing auf dem deutschen Label Denovali hast du nämlich einen Schritt weg von dem gemacht, was als Post-Club bezeichnet wurde.  

Leon Leder: Man könnte einen Bogen spannen von der Split-EP mit Peter Kutin, die 2015 auf Ventil erschien, zu heute. Der Approach war gleich – die Instrumentierung und das Arrangement haben sich geändert. Zu Beginn habe ich noch im Takt-Schema gearbeitet, mich davon aber immer weiter entfernt. Das hat mich aus dem Club-Bereich hinauskatapultiert. Was die Atmosphäre betrifft, hat sich aber nicht so viel verändert.

„ES WAREN KEINE BANGER IM KLASSISCHEN SINN.“

Die war immer schon mehr Abgrund als Blumenpflücken! Das Loslassen vom Takt geht aber mit einer Auflösung der Begrenzung einher, oder? 

Leon Leder: Ich komm ursprünglich aus dem Metal-Bereich, elektronisch bin ich aber von der Noise- und Breakcore-Szene gestartet. Damals verwendete ich weirde Taktarten wie 7/8 oder 7/4 … Das hat mir als Schlagzeuger Spaß gemacht. Außerdem hatte ich noch die Vorstellung, dass sich der Club in einer Art verändert, bis man so langsame Club-Musik spielen könnte. Jedenfalls war das der Hintergedanke, um am Takt festzuhalten. Mit „Altar“, das 2018 erschien, habe ich zum letzten Mal frontal auf die Kacke gehaut. Danach sind die geraden Takte aus meiner Musik verschwunden.

Weil der Club nicht mehr so relevant war? 

Leon Leder: Die Tracks auf „Altar“ sollten noch in Post-Club-Sets funktionieren. Interessanterweise verwendete man sie trotzdem meistens als Intro oder Outro. Es waren also keine Banger im klassischen Sinn.

Du hast nie den Peaktime-Abriss produziert. 

Leon Leder: Ich werde nie herkömmliche Banger produzieren. Das ist nicht mein Ding, das machen andere. Bis mir war es immer entschleunigter, vor allem in Bezug auf die Atmosphäre.

Die auch immer schon verrauscht und noisig war.

Leon Leder: Ich sing auf „Earth Walk With Me“ aber zum ersten Mal. Ist dir aufgefallen, dass es in der Mitte einen Gesangspart gibt?

Nein, gar nicht.  

Leon Leder: Das ist noch niemandem aufgefallen. Während alle, die früher Noise gemacht haben, zu singen anfangen, habe ich es auf meine Art eingebaut. Nicht so wie Arca oder Visionist, sondern Asfast-Style.

Leon steht auf, um das Stück vorzuspielen. 

Jetzt, wo du’s sagst, hör ich es natürlich! 

Leon Leder: Ja, es hat wieder was, oder? Ich orientier mich mit der Stimme an keiner Tonleiter, sondern versuche Töne zu singen, die gar nicht zusammenpassen – und deshalb doch wieder passen.

Sie kämpfen gegen den Rest der Instrumentierung an. 

Leon Leder: Na ja, sie miteinander harmonieren zu lassen, ist mein Ziel. Man kann fünf Töne à la Stockhausen spielen, die offensichtlich nicht zusammenpassen. Man kann aber auch fünf Töne spielen, die nicht zusammenpassen, sie aber so spielen, dass es insgesamt harmoniert. Den Dingen freien Lauf zu lassen, darum geht’s mir.

Der freie Lauf kommt aus der Stimme?

Leon Leder: Die Percussions des Stücks nahm ich in meinem Zimmer auf – auf Kindertrommeln, mit extremer Kompression und den Gitarreneffekten am ganzen Boden verstreut. Ich habe mit Händen und Füßen gejammt und währenddessen dazu gesummt. Die Kompression war so stark, dass die Mikros das Summen aufgenommen haben.

Der akustische Fehler als Harmonie des freien Laufs quasi. 

Leon Leder: Es entstand aus der Not heraus. Ich wollte zu diesen weirden Sounds gleichzeitig eine Melodie. Deshalb habe ich gesungen.

Und deshalb fügt sich deine Stimme so unscheinbar ein. 

Leon Leder: Disharmonie harmonieren zu lassen, interessiert mich gerade am Meisten in meiner Produktion. Mit dem Tape bin ich richtig zufrieden. Es ist fast frei: kein Takt, keine bestimmte Tonart … aber es harmoniert.

Bild Asfast
Asfast (c) Evelyn Plaschg

Du schneidest die Sicherheitsnetze der Komposition durch und fällst trotzdem sicher. 

Leon Leder: Ich wollte ja nie punkig gegen irgendein Konzept sein, sondern das Ziel verfolgen, dass es innerhalb der disharmonischen Antithese ästhetisch klingt. Wenn ich den Takt, die Tonart und Harmonie auflösen will, möchte ich gleichzeitig, dass es einen mitnimmt und umarmt. Von anderen Musikprojekten kenne ich das kaum, bei „Earth Walk With Me“ ist es mir gelungen.

Das ist die Spannung zwischen Bewegung und Nicht-Bewegung. Man kann sich ihr klanglich nähern. Es macht aber auch Spaß, darin theoretische Tiefe zu suchen. 

Leon Leder: Das ist vielen wichtig, aber darauf habe ich nie geachtet. Trotzdem kenne ich es von anderen Ebenen: Wenn ich auf einer Ausstellung Leinwände oder Skulpturen sehe, gibt es mir oft mehr, wenn mir die Künstlerin oder der Künstler kurz erklärt, was sie oder er sich dabei gedacht hat.

Ein Kunstwerk spricht selten für sich selbst. Die Art, wie man es betrachtet und liest, lässt seine Bedeutung nicht nur erst zu, sondern konstruiert sie mit.  

Leon Leder: Obwohl ich immer wollte, dass die Musik komplett unverkopft funktionieren kann. Dass sie in ihrer Art der Nische einen anderen Zugang braucht, realisiere ich immer mehr. Schließlich will ich nicht, dass meine Musik unzugänglich ist. Sie soll gehört werden. Deshalb entferne ich mich immer weiter von dem Gedanken, dass meine Musik so wahrgenommen werden muss, wie ich sie gedacht habe. Das ist eine Illusion.

Vielleicht sogar unmöglich.

Leon Leder: Die Art, wie ich einen Miley-Cyrus-Song höre, ist ja auch anders. Den hört niemand so wie ich.

Trotzdem singt Miley Cyrus, vermittelt also einen allgemein verständlichen Inhalt und nimmt eine Subjektposition ein – auch wenn ich nicht behaupte, dass es in ihren Songs um den Text geht.

Leon Leder: Die Sache mit dem fehlenden Subjekt … das ist das Feedback, das ich von meinen Live-Shows höre. Es ist zwar nicht egal, ob ich auf der Bühne stehe oder nicht. Aber was ich oben mache, ist völlig egal. Bei einer Stimme wäre das ganz anders. Die Leute interagieren anders mit ihr. Deshalb überlege ich, zukünftig Blas-Instrumente in meinen Performances zu spielen.

Das ist ein Schritt hin zum Publikum.

Leon Leder: Auf dem Album „The Prime Same“ habe ich bereits mit Oskar May zusammengearbeitet. Ein bisschen weg von der Elektronik und hin zu analogen Instrumenten zu kommen, wäre trotzdem eine Challenge für mich. Deshalb hört man vielleicht bald ein Waldhorn in meinen Tracks. Momentan ist das aber noch Zukunftsmusik.

Die reinen Laptop-Acts verschwinden auch wieder …

Leon Leder: Ja, ich sehe schon einen Trend hin zum Akustischen, auch wenn ich ihm nicht nachlaufe. Der stärkere Fokus auf akustische Klangquellen ist einfach die logische Konsequenz meiner letzten Jahre.

Danke für das Gespräch!

Christoph Benkeser

 

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