„Ich suche die künstlerische Begegnung mit dem Tragischen“ – RICHARD DÜNSER in mica-Interview

Richard Dünser ist dem musikinteressierten Publikum bestens bekannt. Der gebürtige Vorarlberger lebt seit Jahren in der Steiermark und unterrichtet an der Grazer Musikuniversität. Erst kürzlich brachte der Klarinettist Martin Schelling das Werk „Canti notturni“ zur Uraufführung, das ihm der befreundete Komponist auf den Leib geschrieben hat. Kürzlich wurde die „Radek-Sinfonie“ nach der gleichnamigen Oper „RADEK“ im Wiener Musikverein präsentiert, anschließend wird beim Vorarlberger Label VMS eine CD produziert.

Dünsers Werke werden bei vier Verlagen – der Edition Peters, bei der Universal Edition, der Edition Gravis sowie bei Doblinger – publiziert, allein diese Tatsache zeugt von der Qualität der Kompositionen. Gerne und oft arbeitet Richard Dünser mit renommierten MusikerInnen zusammen, aktuell komponiert er für Natalia und Alex Ladstätter. Im Juni spielt Matthias Schorn im Rahmen der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern die Uraufführung des Werkes „Solitudes für Klarinette“. In  der kommenden Saison das Symphonieorchester Vorarlberg die Süsskind-Szenen „Ich var uf der Toren vart“ sowie die „Canti Notturni“ in Orchesterbesetzung präsentieren. Im Gespräch mit Silvia Thurner erzählt Richard Dünser von seinen künstlerischen Wurzeln, berichtet über die Entstehungsgeschichte der „Canti notturni“ und spricht über das theatralische Moment seiner Musik.

Deine Werkliste weist zahlreiche Kompositionen auf, in denen du Werke von Berg, Schönberg, Zemlinsky, Schubert und nun auch Scarlatti für dich nutzbar machst. Du vergleichst diese Bearbeitungen mit Übersetzungen oder Nachdichtungen. Nach welchen Gesichtspunkten suchst du die Werke aus, die du bearbeitest?
In der Auswahl spiegelt sich meine künstlerische Verwurzelung wider, also beispielsweise die intensive Befassung mit der Wiener Schule. Hier gibt es Schätze, die ich heben durfte, etwa die Kammerorchesterfassung von Schönbergs „Buch der hängenden Gärten“. Gerade bei diesen ‚Wiener Schule – Bearbeitungen’ handelt es sich um Werke, die vor ungefähr hundert Jahren komponiert wurden, aber jetzt erst allgemein rezipiert werden, die Instrumentationen erleichtern dies durch Farbenreichtum und bessere Programmierbarkeit. Die Ensembles und Veranstalter und auch die Verlage wollen sie von mir haben und ich mache sie gerne, es ist für mich eine „Erholungsarbeit“.

Welchen Stellenwert nimmt dabei dein persönlicher Standpunkt ein?

Mein Standpunkt bei Bearbeitungen ist fast immer ein komplett subjektiver. Ich bearbeite das Werk so, als ob es von mir wäre, das heißt unphilologisch und ich mache Dinge, die ein Bearbeiter sich nicht erlauben dürfte. Zum Beispiel habe ich den Beginn der „Hängenden Gärten“ mit Gongs und Glocken und Harfe und Klavier instrumentiert, wie es Schönberg nie gemacht hätte, wie es aber eine überzeugende Klanglichkeit des 21. Jahrhunderts ergibt. Im Übrigen muss eine geglückte Bearbeitung besser sein als das Original, sonst kann man sie getrost vergessen und diesem Schicksal wird sie andernfalls dann auch anheimfallen.

– Individueller Weg –

Der Komponist Alfred Schnittke ist für dein musikalisches Schaffen wichtig. Kannst du gemeinsame künstlerische Wesenszüge benennen?
Schnittkes Werk hat mich immer wieder bestärkt, um meinen Weg des Nonkonformismus, der kompromisslosen Suche und Findung meiner eigenen kompositorischen Sprache, zu gehen. Er hat damals bestehende Tabus gebrochen und darauf gepfiffen, ob irgendwelche Musiktheoretiker das für in Ordnung befunden haben oder nicht. Das Vorhandensein des gesamten musikalischen Materials und dessen sinnvollen Einbau in Strukturen und auch die unmittelbare atmosphärische Wirkung vieler seiner Stücke, das ‚In-die–Tiefe-Gehen’, das hat mich sehr beeindruckt.

Metaphern von literarischen Vorlagen oder Gemälden bilden in zahlreichen Werken Ausgangspunkte für die kompositorische Ideenfindung. Oft sind es abgründige Inhalte vom Tod und den dunklen Seiten des Lebens, die dich ansprechen. Welche Gedanken leiten dich, wenn du nach Autoren und deren Texten suchst?
Bei meiner künstlerischen Arbeit werden Saiten zum Erklingen gebracht, die tief im Unter- und Unbewussten versteckt sind, Schichten einer Persönlichkeit, die im sonstigen Alltag verborgen bleiben und auch verborgen bleiben sollen. Andererseits bietet sich mir hier die Möglichkeit, vieles abzuarbeiten, was mich sonst wahrscheinlich belasten würde. Außerdem suche ich bewusst die  künstlerische Begegnung mit dem Tragischen.

– Künstlerfreundschaft –

In enger Zusammenarbeit mit dem Klarinettisten Martin Schelling ist das Werk „Canti notturni“ entstanden. In welcher Form hat dich seine Spielart bei der Komposition dieses Werkes geleitet?
Während des Komponierens habe ich mir immer vorgestellt, wie Martin das spielen würde und das hat sich auf die Gestik und die Sprachlichkeit der Musik sicher ausgewirkt. Außerdem hat er mir eine CD mit allen Tönen des Bassetthorns und auch Multiphonics eingespielt. Diese Klänge zur Anregung zur Verfügung zu haben, war sehr wichtig und ist ebenfalls ins Werk eingeflossen.

– Imaginiertes Theater –

Deine Musik, auch die „Canti notturni“, zielen auf theatralische und szenische Darstellungsformen ab. Was macht diesen Charakter deiner Meinung aus?
Vor allem die Möglichkeit des sofortigen Übergangs und Umkippens zwischen allen kompositorischen „Zuständen“, und wenn es die „dramatische“ Situation erfordert, auch der Einsatz aller erdenklichen Entwicklungen, Schnittstellen und Metamorphosen. Die Dramaturgie steuert den Verlauf der Musik, wie die Handlung ein Theaterstück.

Ist die Oper eine logische Fortschreibung deiner innermusikalischen Welt?
Das könnte man durchaus so formulieren. Dramaturgie und Dramatik sind zwei wesentliche Elemente auch in meiner nicht für eine reale Bühne konzipierten Musik. Das Schöne bei Musiktheater ist auch, dass man den öden Schemata mancher Konzertveranstalter – besonders im Bereich Neue Musik – entkommen kann. Theaterleute sind offener, denken nicht so sehr in Ideologien, entweder ist ein Stück bühnenwirksam oder nicht.

– Unterschiedliches schaffen

Schreibst du inzwischen ausschließlich Auftragskompositionen oder findest du auch noch Zeit für andere Arbeiten?
Die letzten Jahre habe ich sehr viele Aufträge geschrieben, aber ich schaue dann immer wieder, dass ich auch für Dinge, die ich ohne speziellen äußeren Anlass gerne machen möchte, auch Aufträge bekomme. Vor allem ist mir wichtig, nicht immer dasselbe zu machen, also Oper nach Oper oder Orchesterstück nach Orchesterstück.

– Rückhalt für den Weg hinaus –

Ab August 2013 erhält das Symphonieorchester Vorarlberg einen neuen Geschäftsführer. Welche Erwartungen knüpfst du an diese Funktion?
Die Beziehungen zu Vorarlberg waren und sind für mich ganz wichtig. Meine wesentlichen Werke sind alle hier erklungen, auch mit dem Symphonieorchester Vorarlberg konnte ich wesentliche künstlerische Projekte realisieren. Ohne diesen Rückhalt in Vorarlberg hätte ich meinen Weg in die Welt hinaus in der Weise sicher nicht machen können. Es sollte weiterhin so sein, dass bei der Programmierung die wichtigsten Vorarlberger Komponisten eine starke und regelmäßige Rolle spielen. Dies müsste, ganz besonders, wenn der neue Geschäftsführer von außen kommt, vom Vorstand des Orchesters und auch von der Politik unbedingt eingefordert werden.

Danke für das Gespräch.

Dieses Interview ist zuerst in der Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft im März 2013 erschienen.

Aufführungen

19. 6. 2013 Festspiele Mecklenburg-Vorpommern (D) 
Solitudes für Klarinette in A – Uraufführung 
Matthias Schorn, Klarinette 
Link

21. Oktober 2013, Wien, Musikverein, Brahmssaal
 Zemlinsky / Dünser: Kammersymphonie für 14 Soloinstrumente (UA) 
Ensemble Kontrapunkte
 – Dir. Peter Keuschnig

23. Oktober 2013, Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Musiksammlung 
Portraitkonzert mit: 
Fantasie, Intermezzo und Nachtmusik für Violine und Klavier;
…aus blauen Fernen… für Violine solo und 
Erinnerung – Monument – Nachtgesang für Klavier
 – Doris Adam, Klavier; Karin Adam, Violine

26. Oktober 2013, Weiz
, 3. November 2013, Wien, Musikverein 
Scarlatti / Dünser:
 Suite für Streichorchester
 – Wiener Concert Verein
 – Dir. Johannes Steinwender

9. November 2013, Dornbirn, ORF Landesstudio
, Canti Notturni III – Uraufführung
 Martin Schelling, Bassetthorn
 Symphonieorchester Vorarlberg – Dir. Ingo Ingensand