„Ich spiele gerne mit verbotenen Sachen.” – LIENER IM MICA-INTERVIEW

Matthias LIENER kommt aus einer klassischen Musiktradition der Wiener Sängerknaben. Die Musik die er jetzt macht, lässt Gender-Grenzen verschwimmen und spart nicht mit Kritik an der guten Sitte. Warum Wien fast zu clean ist, und warum es in der Pandemie sogar noch cleaner wurde, erzählt Matthias LIENER im Mica-Interview mit Dominik Beyer. 

Hatte Klaus Nomi Einfluss auf deine Musik? 

LIENER: War das ein Countertenor aus den 80ern? Ist mir nur peripher ein Begriff.

Deine Musik klingt nach einem spannenden Crossover. Du bist im Internat der renommierten Wiener Sängerknaben schon früh mit professioneller Musik aufgewachsen. Was hat dich zur Popmusik gebracht? 

LIENER: Wenn man bei den Sängerknaben ist, wird man ja nicht isoliert nur mit klassischer Musik konfrontiert. Sozialisiert bin ich natürlich auch mit Popmusik. Zuerst mit alten Schlagern und Operetten, die ich über meine Mutter mitbekommen habe. Die habe ich immer sehr gemocht. Schon zu der Zeit, als ich es coolerweise noch nicht zugegeben hätte. Bei den Sängerknaben gab es natürlich sehr viel Kontakt zu jeder Menge Kunstmusik, die natürlich seinen Eindruck hinterlässt. Daneben haben wir dort aber mindestens genauso viel Popmusik konsumiert. Der einschneidendste Kontakt, der sich bestimmt auch in meiner Musik widerspiegelt, war der Kontakt mit Queen. Mit zwölf habe ich über einen Freund ‘A Night at the Opera’ auf Vinyl in die Hände bekommen. Bis dahin kannte ich den Song ‘Bohemian Rhapsody’ nicht, und Queen war für mich nur ‘We will rock you’ und ‘We are the Champions’. Chorische Musik mit rauem Ton der 70er. Das war für mich eine neue Welt. Und natürlich vieles an deutschsprachiger Musik. Falco, Supermax, Minisex, DÖF

Wenn man Musik studiert, so wie du, beherrscht man ja sein Handwerk schon zu Beginn recht ambitioniert. Inwiefern hast du daraus für LIENER profitieren können?  

Bild Liener
LIENER (c) Pressebild

LIENER: Ich bin ja immer noch aktiv im Masterstudiengang eingeschrieben [lacht]. Natürlich eignet man sich neben dem Studium autodidaktisch viele Dinge an, für die man keinen Schein bekommt. Ich möchte die Zeit an der Uni wirklich nicht missen. Man lernt so viele Menschen kennen und kann sich seinen Stundenplan sehr interessant gestalten. Ich habe auch Vorlesungen besucht, die ich für meinen Abschluss nicht gebraucht hätte. Zum Beispiel Kompositionstechniken im 20. Jahrhundert. Auf deine Frage bezogen, kann ich im Einzelnen nicht genau sagen, was ich wirklich gebraucht habe. Ich finde es jedenfalls unglaublich wertvoll, von den unterschiedlichsten Sachen gehört zu haben und demzufolge auch irgendwie beeinflusst worden zu sein.

In deiner Musik, vor allem in deinen Videos, verschwimmen die traditionellen Geschlechterrollen. Entstehen durch binäre Gender-Unterscheidung Clichés, die dich stören?

LIENER: Ich werde ja beispielsweise oft auf meinen Kleidungsstil angesprochen. Vielleicht, weil er ein wenig mehr Farbe beinhaltet. Ab und an finde ich ein fetziges Kleidungsstück in der Damenabteilung. Die sind sicher auch etwas skurriler geschnitten für einen Herren. So muss man dann auch keine Unmengen für Designermode ausgeben. Denn lustigerweise fällt man so auch im 21. Jahrhundert immer noch ein wenig aus der Reihe. Ich spiele natürlich gerne mit so etwas. Ich finde das immer sehr interessant, wie wirkungsvoll so scheinbar banale Äußerlichkeiten sein können. Das macht Spass, und das soll auch die Hauptintention in den Videos sein.

Sehr ähnlich ging es bei dem Vorgängerprojekt Moté auch zu. Was gab Anlass für die Veränderung? 

LIENER: Moté war für mich erstmal der Name für ein neues Projekt, das ich mit meinem Kollegen Max zusammen gegründet hab. Eine künstlerische Spielwiese, um neue Sachen im elektronischen Bereich auszuprobieren. Wichtig war mir dabei, die Ideen schnell umzusetzen, ohne im Zuge einer langen Produktion den Faden der Idee zu verlieren. Als sich Lukas Popp angeboten hat, das Ganze mit einer Live Band auf eine nächste Ebene zu bringen, wurde LIENER daraus. 

Du wirkst, mit Verlaub, nicht wie jemand, der Stimulanz durch gewissen Substanzen nötig hätte, um ausgeflippte Musik zu machen. Dennoch gibt es zahlreiche Drogen Anspielungen. Möchtest du darüber sprechen? 

LIENER: Ja, das ist richtig. Ich spiele gerne mit verbotenen Sachen. Nicht prinzipiell. Vor allem nicht, wenn andere dadurch zu Schaden kommen. Aber Geisteserweiterung durch gewisse Substanzen ist ja ein Kult, den der Mensch seit jeher betrieben hat. Mittlerweile ist vieles davon verboten. Wenn auch nicht alles. Denn dem Alkohol frönen wir Gott sei Dank noch immer frohlockend und himmelhochjauchzend. Ich mag das Abgründige. Das ist ein spannender Nährboden für schöne Lyrik. Auch weit abseits der 1960er/1970iger Rockmusik, wo bekanntlich sehr offen damit umgegangen worden ist.  Sehr spannend ist für mich die Wiener Gesellschaft im Fin de Siècle. Da war der Gebrauch von gewissen Sachen in Apotheken frei erhältlich als Schmerzmittel oder gegen Husten. Sicher nicht ohne Einfluss auf viele Dinge in der Kunst und Literatur

„WIE KLEINKARIERT, BÜRGERLICH UND SPIEßIG WIR JETZT DENKEN … MÜSSEN”

Steht bei dir zuerst der Text oder die Musik? 

LIENER: Das war zwar nicht immer so, aber mittlerweile ist mir die Aussage des Textes wichtiger, und kommt demnach zuerst. Danach wird quasi vertont.

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Auf einer Skala von 1-10. Wie extrovertiert findest du die österreichische Musikszene? 

LIENER: Ich finde 7. Es gibt ja echt geilen Scheiß. Das muss man schonmal sagen. Aber bei sehr vielen Sachen, die handwerklich fein und makellos sind, denke ich mir, da könnte man schon noch mehr aufdrehen. Und dann wäre es vielleicht noch geiler. Aber wer weiß. Dreh ich selbst genug auf? Das ist selber schwer zu beurteilen. Aber am Ende macht man das, was einem liegt. Man soll sich ja nicht verstellen.

„Der sprichwörtlich erhobene Zeigefinger wurde also nochmal höher gehalten […]”

Wird die Musikszene eher konservativer?

LIENER: Meine aktuelle Single ist „Ganz Wien ist clean“. Abgesehen von dem Falco-Zitat gibt es da eine ganz offensichtliche Aussage diesbezüglich. Jedenfalls ist die Nummer noch vor der Pandemie entstanden. Und die Frage, ob man seinen Beitrag zur Gesellschaft leistet, ob man eh brav, wichtig und systemrelevant ist, und ob man es vertreten kann, Freunde zu treffen, ist notwendigerweise sehr zentral geworden. Ich möchte keine Haltung vermitteln. Aber ich habe das Gefühl, dass wir seit der Pandemie in ein noch gemäßigteres Klima gekommen sind. Wie kleinkariert, bürgerlich und spießig wir jetzt denken … müssen. Aber das war vorher auch schon bemerkbar. Deshalb habe ich den Song geschrieben. Das war mein Ventil. Darum sag ich: „Ganz Wien ist clean”. Somit ist das auch positiv verpackt.
Für meinen Geschmack ist es zu clean. Die Drogen eignen sich natürlich hervorragend als Symbolik. Und mit der Pandemie hat der Song noch mehr Richtigkeit bekommen für mich. Jetzt kommen die Club-Öffnungen und man darf wieder etwas, was vorher ganz selbstverständlich war. Jeder von uns hat sich bestimmt mit einem aus dem Freundeskreis wegen einer zu brav oder leger interpretierten „Coronaö-Sitte“ in die Haare bekommen. Der sprichwörtlich erhobene Zeigefinger wurde also nochmal höher gehalten, als es davor schon der Fall war. Ich freue mich also wirklich jetzt auf diesen Song.

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Was hast du alles verschoben wegen der Pandemie? 

LIENER: Jetzt ist mal die dritte Single veröffentlicht. Die Möglichkeiten, auf einer Bühne zu stehen, sind sehr rar im Moment. Es gibt auch eine Menge Bands. Ein Streaming-Konzert kann sehr charmant sein. Ist aber nicht für jedes Genre geeignet. Der Radiokulturhaus-Stream war für uns eine tolle Chance. Er ist wirklich gelungen. Das war unser erstes Konzert. Aber ein Live-Konzert ersetzt es natürlich nicht. Und ich hoffe sehr, dass wir bald darüber lachen können und sowas nicht mehr brauchen. Ich bin halt ein Performer. Ich brauch den Vortrag. Den Moment der Entladung. Das ist der Moment! Was in weiterer Folge kommt, ist noch offen. Es gibt genug Material.

Herzlichen Dank für das Gespräch

Dominik Beyer

 

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