Der Komponist, Dirigent und Elektronikmusiker BRUNO STROBL feiert am 26. Februar 2019 seinen 70. Geburtstag. Neben seiner Arbeit als Komponist hat er sich über viele Jahre auch für die Anliegen seiner Zunft als Präsident der INTERNATIONALEN GESELLSCHAFT FÜR NEUE MUSIK (IGNM) eingesetzt. Michael Franz Woels traf den agilen Wahlwiener im TANZQUARTIER WIEN für ein bewegtes Gespräch über Schlammbäder, Klang-Dreiräder und Neue Musik für Ukulele.
Ihr Ensemble MusikFabrikSüd wird in Bälde in Ensemble NeuRaum umbenannt, es wird eine CD mit „Composers in Residence“ veröffentlicht werden. Beginnen wir also kurz mit dem Thema Musik und Raum …
Bruno Strobl: Der tatsächliche, realistische Raum spielt immer eine Rolle. Man komponiert aber natürlich meist auch, ohne zu wissen, wo ein Stück später aufgeführt wird, und stellt dementsprechende Überlegungen an, wie mit dem Material umzugehen ist oder welches Material überhaupt zu verwenden ist. Dann gibt es auch den Denkraum beim Komponieren, der über das Zweidimensionale des Blattes, auf dem dann die Komposition steht, weit hinausgeht, und zwar ins Mehrdimensionale, zu mehreren Ebenen hintereinander, die sich auch verbinden lassen. Man kann von einer Ebene zur anderen Ebene springen. Diese gedanklichen Raumgefüge sind ganz wichtig für mich.
Versuchen Sie zum Teil auch, viel Zeit in Räumen zu verbringen, für die Sie später komponieren? Wie verstehen und erkunden Sie akustische Räume?
Bruno Strobl: Manchmal ist das notwendig, ja. Wenn ich elektronische Stücke mache, zum Beispiel für das Akusmonium, dann ist es schon ganz gut zu wissen, nicht nur wie viele Lautsprechen im Raum verteilt sind, sondern wie der Raum „reagiert“. Es ist wichtig, genügend Zeit zu haben, um auszuprobieren, „was der Raum macht“. Beim Proben mit meinem Ensemble NeuRaum merke ich oft, dass die Vorstellungen von Komponistinnen und Komponisten und ob diese sich entwickeln, sehr stark vom Raum abhängen. Wenn Instrumente Obertöne oder Schwebungen erzeugen sollen, dann muss „der Raum auch mitspielen“.
Ein Beispiel für ein Projekt im Freien: Ich hatte 1992 in Salzburg eine Anfrage für ein 6-Kanal-Stück für den öffentlichen Raum. Das Stück „Klangquadrat plus“ wurde damals noch auf sechs DAT-Rekordern mit sechs weit verteilten Lautsprechern abgespielt und auf Handzeichen gestartet. Zwei Lautsprecher befanden sich auf der einen Seite der Salzach, zwei auf der anderen Seite – mitten in der Stadt unter dem Makartsteg. Auf der Salzach war noch ein Floß mit zwei Lautsprechern und der Sopranistin Elisabeth Kainz. Wir sind damals mit einem „Lautsprecher-Freak“ irgendwo weit aufs Land hinausgefahren. Er hat dort seine Kisten aufgestellt und wir sind Hunderte Meter gegangen, um zu hören, wie weit der Sound noch wahrnehmbar ist.
Eine fast schon obligatorische Frage an Komponistinnen und Komponisten betrifft das Verhältnis von Komposition und Improvisation. Das ist natürlich sehr unterschiedlich ausgeprägt. Wie ist es bei Ihnen?
Bruno Strobl: Ich höre gerne Live-Elektronik-Impro-Konzerte. Konzerte und Festivals dieser Art, würde ich sagen, haben einen gewissen Einfluss auf mein Komponieren und Notenschreiben. Ich stelle mir dadurch vermehrt die Frage: „Wie kann ich interessante klangliche Entwicklungen mit Instrumenten hervorbringen?“ Durch solche Konzerte bekomme ich Ideen, wo ich ansetzen könnte. In den 1980er-Jahren habe ich neben dem Lehrberuf Komposition studiert. Damals habe ich meine Stücke ziemlich streng angelegt. Und das ist zum Teil auch geblieben. Da haben sich Ideen entwickelt, wie ich mit der Struktur der Teiltonreihe komponieren, wie ich eine dichtere Struktur, mehr Klangmassen und mehr sogenannte Dissonanzen erzeugen kann. Für mich war lange Zeit interessant zu sehen, was man alles integrieren kann, Töne eines Volksliedes etwa, oder ob man komplizierte Strukturen herunterbrechen kann auf einfachere Strukturen, die auch für gute Amateurinnen und Amateure ausführbar sind. Ich spiele da jetzt speziell auf meine „Kärntenlieder“ an, die ich geschrieben habe. Ich habe mir damals gedacht, die Entwicklung des Kärntnerliedes gehe überhaupt nicht weiter. Durch ein Projekt der Brüder Baumgarten lernte ich das Männer-Ensemble Schnittpunkt Vokal kennen. Sie waren von einem Lied von mir recht begeistert und ich habe ihnen dann 16 solcher Lieder geschrieben – auch für Oberchor oder gemischten Chor. Das wurde dann 1996 eingespielt und beim Label „Extraplatte“ veröffentlicht. Das war eben mein Versuch, in einem Bereich etwas weiterzubringen, in dem sich nichts mehr bewegt hat.
Live-Elektronik ist zurzeit ein Gebiet, das Sie intensiver beschäftigt?
Bruno Strobl: Ja, ich hatte schon in den 1980er-Jahren ein analoges Studio, wo ich herumgebastelt und Stücke produziert habe. Es wird im Herbst eine CD herauskommen, die eine Stückauswahl analoger und digitaler elektronischer Kompositionen aus den letzten drei Jahrzehnten beinhaltet. Auch alte Stücke, reine Tonbandstücke. Die CD wird noch heuer, am 9. Oktober, in der Alten Schmiede präsentiert werden.
Mit meiner Frau Nina Polaschegg hatte ich 2012 eine „Residency“ in Visby, im Visby International Center for Composers in Gotland. Dort haben wir vier Wochen lang gearbeitet und Aufnahmen in Studios gemacht. Sie sind die Basis meiner jetzigen elektronischen Stücke. Ich habe dort auch – nur mit den Kontrabass-Klängen von Nina – das Stück „Visby 01“ produziert. Alle anderen Stücke, die danach entstanden sind, auch für das Akusmonium im letzten Jahr, sind ebenfalls auf der Grundlage solcher Klänge entstanden. Wobei man das beim Hören größtenteils gar nicht vermuten würde, weil diese Files bearbeitet sind. Aber wenn ich nun mit Nina live mit Elektronik spiele, hört man quasi zwei Kontrabässe, da meine Sounds auf ihren Kontrabass-Samples beruhen.
„In meinem Alter muss ich nun schauen, dass ich wieder mehr zu mir komme […]“
Sie können auf mehrere Jahrzehnte Komponistendasein zurückblicken. Was waren persönliche Schritte, die sich im Nachhinein als sehr wichtig oder prägend herausgestellt haben?
Bruno Strobl: Auf der einen Seite bin ich ein Pädagoge, das steckt einfach drinnen in mir. Die IGNM Kärnten leite ich jetzt schon mehr als vierzig Jahre. Ich habe schon auch versucht, jemanden zu finden, der mir das abnimmt, aber das war leider bis jetzt noch nicht möglich. In Wien habe ich dann die IGNM Österreich zehn Jahre lang geleitet. In meinem Alter muss ich nun schauen, dass ich mehr zu mir komme und etwas für mich machen kann.
In der ersten Hälfte der 1980er-Jahre hatte ich eine sogenannte Sinn- bzw. Kompositionskrise, weil das Unterrichten und das Komponieren parallel schwierig waren. Ich habe mehr oder weniger für mich komponiert. Da habe ich dann den Entschluss gefasst zu komponieren, ganz egal ob jemand das einmal hören will oder nicht. Das war dann der Punkt, ab dem es immer gut weitergegangen ist, es hat sich dann immer irgendetwas angeboten. Aber klar bemüht man sich auch selbst mal um Projekte, das geht so in der Szene. Es war immer Bewegung da und es gab immer andere Anforderungen – Anfragen von Instrumentalistinnen und Instrumentalisten, Ensembles oder Veranstalterinnen und Veranstaltern. Es gab dann immer eine Möglichkeit, das kompositorische Denken, das mich beschäftigt, in Bahnen und Projekte zu lenken.
Und ich habe schon in meiner Jugend komponiert. Das gibt es alles noch, aber das waren natürlich lächerliche Sachen, die kann ich niemandem zeigen. Später am Konservatorium konnten wir Studierende in Harmonielehre, auch anfangen zu komponieren, weil wir mit dem Stoff so schnell durch waren. So wurden experimentelle, auch grafisch notierte Stücke von mir damals von Studierenden am Konservatorium aufgeführt und ich konnte einen Eindruck gewinnen, wie sie klingen. Aber mir fehlte damals die Perspektive zum Komponisten und deshalb bin ich zunächst Lehrer geworden. Ich wollte eigentlich Dirigent werden, aber das konnte ich nicht, weil ich bis dahin nicht Klavier spielen gelernt hatte. Das habe ich erst in Form eines Nebenfaches nachholen können. Es hat sich dann später die Möglichkeit ergeben, bei Dieter Kaufmann in Klagenfurt am Kärntner Landeskonservatorium Komposition zu studieren. Davor hatte ich Privatunterricht in Komposition bei Nikolaus Fheodoroff – Kontrapunkt und Fugen noch und nöcher. Das war eine wertvolle Zeit.
Was würden Sie als Pädagoge nachrückenden Komponistinnen und Komponisten für Ratschläge geben?
Bruno Strobl: Nur keine Empfehlungen!
„Ich habe es immer auch spannend gefunden, für Instrumente zu komponieren, die ich nicht selbst spiele.”
Ab welchem Zeitpunkt haben Sie Ihre Kompositionen als ausgereift, als einem öffentlichen Publikum vorstellbar empfunden?
Bruno Strobl: Ich habe dann für mich beschlossen, die Kompositionen ab 1984 zu akzeptieren, obwohl sie in einer Ästhetik sind, die ich heute so gar nicht mehr vertrete. Aber es waren damals für mich ganz wichtige Stücke, die quasi aus einer Urzelle entwickelt wurden.
Kehren wir wieder zurück in die Jetztzeit und zu Ihrem aktuellen Projekt, dem Duo espresso&mud. Was verbirgt sich hinter diesem ominösen Namen?
Bruno Strobl: Das ist eine lustige Geschichte. Nina und ich waren ja wie erwähnt 2012 in Visby, um Material zu sammeln, mit dem wir dann gemeinsam spielen können. Dann hat mich die Vorbereitung des Festivals ISCM World New Music Days 2013 als künstlerischer Leiter und Organisator so gefangen genommen, dass ich nebenbei nichts anderes tun konnte. Danach haben Nina und ich beschlossen, noch einmal ein paar Wochen irgendwo zu verbringen, um unser gemeinsames Projekt, das wir in Visby begonnen hatten, zu finalisieren. Wir haben eine Residenz in einem alten Kurort, in Druskininkai in Litauen, bekommen. Man hat uns dort dringend empfohlen, Schlammbäder zu nehmen. Und wir sind beide passionierte Kaffeetrinker – nicht viel, aber guten und starken! Und es war nicht so einfach, dort einen solchen zu bekommen … Diese Erinnerungen von unserer Residenz haben wir mitgenommen: Espresso und mud [engl. Schlamm; Anm.]. Das erste Konzert, das wir am Ende der Residenz in Druskininkai gespielt haben, bestand auch aus zwei Stücken, die wir „espresso“ und „mud“ genannt haben.
Neben dem Duo espresso&mud, Ihrer Elektronik-CD und den Dirigaten für Ihr Ensemble NeuRaum, welche weiteren zukünftigen Projekte schweben Ihnen vor?
Bruno Strobl: Musiktheater und Oper interessieren mich sehr, obwohl es eine sehr harte Arbeit ist, ein Jahr lang oder länger an einem Stück zu sitzen und zu schauen, dass man in der Zeit fertig wird, dass man sich nicht überarbeitet. Ich mag es gerne, wenn man sich mit der Textautorin bzw. dem Textautor oder eventuell auch schon mit der Regisseurin bzw. dem Regisseur vorher überlegt, wie das Ganze werden soll, damit es dann keine unangenehmen Überraschungen gibt.
Wie sehen Ihre privaten Hörgewohnheiten aus?
Bruno Strobl: Wenn ich Musik höre, dann live, denn dann kann ich parallel nichts anderes machen. Zu Hause höre ich wenig bis keine Musik, am ehesten dann, wenn mir Nina Musik vorspielt. An meinem Arbeitsplatz – auch bei Büroarbeiten – herrscht Ruhe.
Gab es ungewöhnliche Kompositionsaufträge in letzter Zeit?
Bruno Strobl: Die ausgebildete Gitarristin Elisabeth Pfeiffer aus Bayern kam zu mir, die weltweit Ukulele-Konzerte gibt. Sie wollte zeitgenössische Stücke für Ukulele haben. Ich habe ein kurzes Stück für sie geschrieben – sie will drei- bis fünfminütige Stücke – und ihr auch andere Komponistinnen und Komponisten vermittelt. Bei diesem Stück für die Ukulele habe ich etwas übertragen, was ich ursprünglich für ein Zitherstück verwendet habe. 2014 habe ich „PAW“ für Zither – damals Martin Mallaun – und Kammerorchester für die Klangspuren Schwaz komponiert. Übertragen habe ich die Idee, dass der Bottleneck nicht parallel zu den Bünden über die Saiten gezogen wird, sondern genau nach Notation in einer ganz bestimmen Schräglage. So entstehen mikrotonale Akkorde.
Welches Stück von Ihnen ist am weitesten gereist, welche Veranstaltung hat sie am weitesten reisen lassen?
Bruno Strobl: Ein Stück, das sehr weit gereist ist, war das Stück „Klangquadrat plus“, das in Salzburg über der Salzach gespielt wurde. Dieses Stück ist vom oenm, dem Österreichischen Ensemble für Neue Musik, 1998 in Seoul mit Klang-Dreirädern im öffentlichen Raum im Rahmen des Weltmusikfestes noch einmal aufgeführt worden. Ich selbst war 2010 beim Weltmusikfest in Sydney. Das war, glaube ich, meine weiteste Reise als Musiker, besser gesagt, damals als Präsident der IGNM.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Michael Franz Woels
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Bruno Strobl (Website)