"Ich möchte Raum-Klang wie Licht steuern." – WERNER JAUK im mica-Interview

Am Grazer Springfestival stellte Werner Jauk mit “PARA-SONIC 3.0” eine Erlebniswelt der sinnlichen Wahrnehmung vor, im Herbst wird der Tausendsassa unter “Going Pop” den Music-Day der Ars Electronica 2014 in Linz gestalten. Mit Lucia Laggner spricht der Musikwissenschaftler und Computermusik-Pionier über Klang als Stimmungsregulativ, den Anspruch seine Arbeit von den Bühnen der Avantgarde in den Alltag der Menschen zu verfrachten und eine Musikwissenschaft, die sich rückbesinnt und Sound nicht als ‘Nichtmusik’ ausgrenzt.

Ein Stimmungsregulativ für die eigenen vier Wände

Sie haben am diesjährigen Springfestival in Graz ihr Projekt “PARA-SONIC 3.0” präsentiert, das avantgardistische Arbeit in den Erfahrungsbereich der hedonistischen Festivalbesucher transferiert. Was hat sie dazu bewegt, diesen Schritt zu gehen und wie sind ihre bisherigen Erfahrungen mit diesem Projekt?

Werner Jauk: Das Projekt, wie es am Springfestival zu erleben war, ist einen Tag vor dem Festival fertig geworden. An der Idee der “Körper-Klang-Koppelung”, die Körperbewegungen als Klanggeneratoren darstellt, arbeite ich schon seit Mitte der 1980er Jahre. Damals haben sich Fachleute darüber gewundert, wie Bewegung Klang erzeugen kann. Was heute als Alltagsdenken (siehe Spielkonsole WII) gilt und sich leicht erklären lässt, war damals Avantgarde. Ich habe versucht, expressives Verhalten auch in der Interaktion mit anderen Menschen zu nutzen und mit nonverbalen, emotionalen Gestaltungsprozesse zu arbeiten. Mein großes Anliegen ist es, diese Arbeit von den Bühnen der Avantgarde in den Alltag zu bringen. Parasonic lässt sich als “neben dem Klang” übersetzen. Die Körper-Klang- Koppelung als emotionale Kommunikationsform soll nicht nur den Klang auf Grund von Bewegungen erzeugen, sondern auch andere Stimulanzien, die körperlich wirken, einbinden, wie etwa Licht. Die dritte Ebene basiert auf der Annahme, dass Schall ja nichts anderes ist, als Bewegung von Luft. Hoher Schalldruck ist körperlich spürbar. Das weiß jeder/e, der/die schon einmal vor einer Bassbox gestanden ist. Wir wollten Schall nicht nur über Lautsprecher in Luftbewegungen umwandeln, sondern auch durch Ventilatoren erzeugte Luftbewegungen zu Schall machen. Natürlich wäre es wunderschön, wenn nicht nur zwei, sondern eine ganze Wand voll Ventilatoren vor den Tanzenden stünden. Das wird allerdings auf der Ars Electronica 2014 passieren.

Was haben sie sich erwartet? Hat sie etwas überrascht?

Werner Jauk: Ich hatte und habe das Gefühl, dass die Zeit reif ist, mit Bewegungen seine Umwelt gestalten zu wollen. Interessant war die Rückmeldung einer Partizipientin, die mir gesagt hat, sie hätte so eine “Maschine” gerne zu Hause. Genau das ist meine Idee: eine interaktiv adaptive Umgebung, in den eigenen vier Wänden. Dieser Raum sollte in der Lage sein, anhand von Stimmungsmanagement mit dir zu interagieren; und zwar auf Grund deiner Körperbewegungen. Die Maschine sollte erkennen, wie es dir geht und dich aufbauen oder beruhigen. Wenn du im Übermaß erregt, etwa verärgert bist, dann bremst dich der Stimulus (durch Sound, Licht und Luftbewegung) und wenn du wenig erregt, etwa gelangweilt bist, dann pusht er dich. Man könnte es als Regulativ, als Mood Management, bezeichnen. Anhand unseres Umgangs mit Licht lässt sich meine Motivation sehr gut veranschaulichen. Wenn es am Abend dunkel wird, dann geben wir uns nicht damit zufrieden, uns bei Dämmerung ins Bett zu legen, sondern gestalten seit Jahrhunderten die abendlichen Stunden physikalisch, aber auch emotional mit Licht. Warum gehen wir mit Klang nicht ähnlich um? An der TU habe ich mit meine Studenten Systeme entwickelt, die es ermöglichen, den Raum als Klangraum zu gestalten. Der Raum kann erregend, laut sein. So als wäre ein helles Licht angedreht. Der Klang kann aber auch akustisch verkleinert werden. Wenn ich mich bspw. auf meinen Couchsessel zurückziehe und nur eine kleine Stehlampe anschalte, um zu lesen, dann sollte ich auch akustisch die Möglichkeit haben, den Raum weicher und ruhiger zu gestalten. Technisch ist das möglich und ich wünsche mir, dass es sich bis in den Gemeindebau ausbreitet.

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“Ich spreche lieber von ‘Popmusizieren'”

Im Zuge des 20-jährigen Bestehens widmet sich die Redaktion des Mica unter anderem der Annahme “Musik braucht Raum”. Welchen Raum braucht es? Ist er vorhanden, wird er genutzt, sind Räume verschlossen?

Werner Jauk: Für mich ist dieser Raum der Alltag. Ich habe gerade einen Artikel für den Musikverein geschrieben. Anfang des 19. Jhdt. war es die Idee des Musikvereins, sich einen eigenen kulturellen Raum zu bauen (Konzerthäuser), um sich kulturell hochzuheben, im Sinne der Hochkultur (Klassische Musik usw.). Ich denke, dass ein derartiges Verhalten, nämlich sich hochzuheben, in einer Zeit der hochgradigen Vernetzung nicht mehr adäquat erscheint. Meine Vorstellung ist es, dass Musik Sache der Öffentlichkeit ist. Sie entspringt einem unmittelbaren körperlichen Ausdruck. Die Literatur braucht ein Zeichensystem, das nur wenige Leute verstehen können. Daher gilt Musik ja auch als Sprache der Welt, die über die Grenzen verstanden werden kann. Auch wenn das eine triviale und wissenschaftlich nicht haltbare Formulierung ist, kann man Musik als basale, elementare Ausdrucksform bezeichnen. Daher würde ich im Kontext von Popmusik lieber vom Popmusizieren sprechen. Popmusik hat einen Werkcharakter, wenn die Nummer irgendwann und klanglich auf Platte gepresst wird. Ich empfinde den Umgang mit Pop allerdings eher als zeitlich gedehnt. Irgendwann wird das Werk Platte reininterpretiert oder remixt. Verfügbare Technologien ermöglicht dies Jedermann. Playlists sind individuelles Djing, digitale Netzwerke erlauben Kollektive bzw. kollektivierende Gestaltung, mobile Devices ermöglichen diese Klanggestaltung unmittelbar mit körperlicher Bewegung im hier und jetzt in sozialer Interaktion. Raum für Musik ist für mich das hier und jetzt von Menschen im Alltag.

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Jede Sache ist es wert, untersucht zu werden


Seit vielen Jahrzehnten widmen Sie einen großen Teil ihrer Zeit der Forschung und die meisten Jahre haben sie in der Musikwissenschaft in Graz verbracht. Was ist das spannende an dieser Welt? Wie sind sie dorthin gelangt? 

Werner Jauk: In einer kurzen Vorstellung meiner Person, sage ich meist, dass ich promovierter Experimentalpsychologe, Psychotherapeut, habilitierter Musikwissenschafter, praktizierender “Electric Guitarist” und Medienkünstler bin. Der zentrale Punkt all dieser Bereiche ist die Wahrnehmung. Mich interessiert, wie wir wahrnehmen und was wir wahrnehmen. Auf Basis des Hörens. Denn hören ist spüren. Das Ohr ist nichts anderes als ein Stück Haut, das auf den Schall reagiert und mitschwingt. Rückblickend ist das mein Zugang zur Musikwissenschaft. Wichtiger für meine Entwicklung in der Musikwissenschaft waren meine musikalischen Vorlieben. Ich habe schon in meiner Jugend Popmusik gespielt und gehörte zur ersten oder zweiten Generation an Protagonisten dieser Szene in Österreich. In den späten 1960ern hatte ich mir als Gitarrist lokalen Starruhm erarbeitet. Als ich dann als Quereinsteiger in die Musikwissenschaft gekommen bin, musste ich erkennen, dass ich mit meiner Pop-Affinität alleine dastand. Es wurde Hochkultur-, Volkskultur- und Kirchenmusikforschung betrieben, aber Popforschung gab es nicht. Ich war und bin der Überzeugung, dass Universität uns allen gehört und die Aufgabe hat, das gelebte Leben zu erforschen. Niemand sollte sich anmaßen zu behaupten, eine Sache sei wertvoller untersucht zu werden als die andere. Gemeinsam mit Harald Huber aus Wien war ich der erste in Österreich, der begonnen hat, an Popmusik und Popkultur zu forschen und eine Institution aufzubauen. Mit der Zeit wurde meine Tätigkeit Teil des Studienplans und Menschen, die sich in ihrer Freizeit mit Popmusik beschäftigten, sind auf die Idee gekommen, das auch zu studieren. Leider ist es bei der One-Man-Show geblieben und es wurde kein zweiter Lehrstuhl, keine zweite Fixstelle für Popforschung geöffnet. Das wird sich auch nicht ändern. Die Musikwissenschaft hat wenig Interesse an alltagskulturellen Formen. Vieles von dem, was wir hier behandelt und erforscht haben, wird von diesem Lager nicht als Musik gewertet. Viele MusikwissenschafterInnen setzen die Wissenschaft der Popmusik mit der Populärwissenschaft gleich – eine ignorante Fehleinschätzung, die aber viel über die geliebte Musikwissenschaft aussagt.


Vom Aussterben einer Alltagskulturforschung

Könnte sich ein Studium, ein Institut entwickeln, das wieder Raum für Forschung und Lehre dieser Form von Musik(Wissenschaft) bietet?

Werner Jauk: Ich habe lange versucht eine derartige Institution hier aufzubauen. Durch interne Machtstreitereien ist sie immer kleiner geworden und wird, wenn ich in etwa fünf Jahren in Pension gehe, aus dem universitären Kontext verschwinden. Man meint, dass man mit Pop- und Jazzforschung auskommen würde. Nichts gegen meine Kollegen, die das betreiben. Ihre Herangehensweise ist einfach eine andere. Der Ansatz, dass Jazz und Pop einer performativen Klanginteraktion entsprechen, ist dieser Forschung meiner Kollegen einfach fremd. Das Umgehen mit Klang jeglicher Form wird mit Transkription einfach nicht funktionieren. Es ist vermutlich besser den performenden Körper zu filmen und zu analysieren.

Wie die Schwammerln wachsen Mischungen aus Popmedia und Soundstudies aus dem Boden. Die Musikwissenschaft ist in ihrer eigenen bürgertümlichen Etablierung gefangen. Für mich persönlich bedeutet es das Absterben einer Alltagskulturforschung.
 Auf der Metaebene gibt es ein weiteres Problem, dass die Universität in den Griff bekommen muss. FH’s bieten eine hochspezialisierte, praxisbezogene Ausbildung auf wissenschaftlicher Basis. Es ist nicht ihr Ziel Wissenschafterinnen auszubilden. Die Universität hingegen belügt die Leute, indem sie vermittelt, dass das Studium zur WissenschafterIn ausbildet. Das stimmt allerdings nicht. Wir sind eine wissenschaftliche Ausbildung. Wir lehren wissenschaftliches Denken. Nicht nur im Bezug auf die Musikwissenschaft, sondern für alle möglichen Bereiche und Probleme. Nur im Doktoratsstudium bilden wir WissenschafterInnen aus. Bachelor und Masterabsolventen bekommen von uns ein wissenschaftliches Denken für den Alltag vermittelt.

 

Text: Lucia Laggner

Foto: Doris Jauk-Hinz (Grelle Musik)
Die Diskussions- und Vortragsreihe mica focus wird unterstützt durch die Abteilung für Wissenschafts- und Forschungsförderung der MA7 Wien.

http://www.uni-graz.at/werner.jauk/site.php?show=1