„ICH HABE MICH UMGESEHEN AUF MEINER HARD DISK – UND PLÖTZLICH WAREN DA 3 ALBEN“ – CURD DUCA IM MICA-INTERVIEW

Aufgewachsen ist der Elektronikmusiker CURD DUCA in der Steiermark, seine musikalischen Wege haben ihn über Wien bis New York, Los Angeles und seine zeitweilige Wahlheimat Miami, Florida geführt. Nach fast zwanzig Jahren musikalischer Pause veröffentlicht CURD DUCA wieder ein neues Album, den ersten Teil einer Trilogie namens “waves”. Im Gespräch mit Jürgen Plank erzählt DUCA, was sich in seinem Musikmachen verändert hat, wie er die 1990er-Jahre in Miami und New York erlebt und auf welche Weise er sich mit Neuer Musik beschäftigt hat.

Was hat sich in deinem Musikmachen heute im Vergleich zu den 1990er bzw. 2000er Jahren geändert?

Curd Duca: Manches ist gleichgeblieben: die experimentelle Herangehensweise, gewisse Soundvorstellungen. Was sich geändert hat, sind die Methoden und die technischen Grundlagen, aber auch erweiterte Erfahrungen. Als ich mir Anfang der 1990er-Jahren einen Computer gekauft habe, hatte ich vage Vorstellungen davon, Musik und Klänge zu zerschneiden, quasi mikroskopisch in den Klang einzudringen, und natürlich Loops zu machen, was eine der großen Errungenschaften jener Zeit war. Es gab ein weites Spektrum an Musik, die mich inspiriert hat, jedoch waren es oft bloß einzelne Detailaspekte, wie zum Beispiel ein Ton, eine bestimmte Klangfarbe, jedoch nicht das ganze Stück, die Melodien oder der Gestus. Der Kontext, das Narrativ mussten erst geschaffen werden.

Was hat diese Suche nach Klängen ausgemacht?

Curd Duca: Durch die Entwicklung der digitalen Technik wurde es erstmals möglich, als Besitzer eines Samplers oder eines Computers ein theoretisch unendliches Reservoir an Klängen zur Verfügung zu haben. Für mich bedeutete das, in Miami, wo ich damals gelebt hatte, alle thrift stores abzuklappern, wo man massenweise alte Schallplatten aus den 1950er und 1960er Jahren kaufen konnte, zu 50 Cent das Stück. Dort war ich regelmäßig unterwegs als Jäger und Sammler, auf der Suche nach Klängen aller Art, und habe einen Instinkt entwickelt für Verwertbares, von Pop über Jazz und Salonorchester bis zu früher Elektronik, Sprechplatten oder Soundeffekten. Ich habe alles Mögliche verwendet und verfremdet und kombiniert, von einzelnen Takten oder Tönen bis zum Knistern der Auslaufrille.
Ich habe immer versucht, zu spüren: was wollen diese Klänge von mir? So bin ich tief eingetaucht und ließ mich überraschen, wo ich wieder herauskam. Der Weg führte über zum Teil kleinste Schnitte, Transponierungen, bewegliche Loops, digitales Processing, bis die Originale nicht mehr erkennbar waren. Diese Transformationen und Formfindungen haben mich fasziniert. Dazu passten sehr gut digitale Synthesizer, manchmal auch analoge. Die Ergebnisse waren manchmal ähnlich beschwingt und leichtfüßig wie das Ausgangsmaterial, manchmal aber auch melancholisch und düster, auf jeden Fall überraschend.

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„Ich entdecke zum Beispiel im Internet seltsame Musik oder einen neuen digitalen Synthesizer, lade ihn herunter und spiele damit herum.“

Was hat dich an der Digitalisierung fasziniert?

Cover Waves
Cover “waves”

Curd Duca: Die Klarheit, die Reinheit, die vollkommene Stille zwischen den Tracks. Zugleich wurde aber auch das Rauschen zu einem Stilmittel, das man sich durch die Samples in die Musik zurückgeholt hat. Auch heute mache ich Musik mit dem, was gerade kommt, und ich lasse mich dabei von den Klängen selbst anregen. Ich entdecke zum Beispiel im Internet seltsame Musik oder einen neuen digitalen Synthesizer, lade ihn herunter und spiele damit herum. Auf einem der “waves” Alben gibt es zum Beispiel einen Klang, der an eine riesige Metallplatte erinnert, in meiner Vorstellung vielleicht zwei Mal drei Meter groß, und diese riesige Platte wird mit einem riesigen Schlegel angeschlagen. In Wirklichkeit ist es aber ein Synthesizer, den ich auf einem kleinen Keyboard spiele, in einer mikrotonalen Skala. Von diesen Klängen lasse ich mich berauschen und in der Improvisation weiterführen. Aus solchen improvisierten Sessions editiere und bastle ich meine Stücke.

Haben derart konkrete Bilder und Vorstellungen zu den Klängen – etwa von einer riesigen Metallplatte – Rückwirkungen auf die daraus entstehende Musik?

Curd Duca: Das sinnliche Faktum des Klanges: ja, das treibt die Sache voran, die Bilder kommen meist im Nachhinein, wenn ich die Musik jemandem vorspiele. Manche Menschen haben cineastische Assoziationen, bei mir ist das eher abstrakt, kinetisch, haptisch. Etwa glatte oder raue Oberflächen, oder Räume und Objekte, die sich drehen und formen.

Die Titel der Stücke auf dem neuen Album – „Gong“, „Berg“, „Liquid“ – das sind plastische Titel, entstehen sie aufgrund der Assoziationen, die die Klänge hervorrufen?

Curd Duca: Oft sind es spontane Arbeitstitel, manchmal deskriptiv oder assoziativ, manchmal ironisch. Sie bilden eine parallele, poetische Ebene, die im Idealfall die Wahrnehmung der Musik bereichert.

Früher warst du sehr aktiv, nun hast du uns sehr lange auf ein neues Album warten lassen – woran liegt das?

Curd Duca: Teilweise daran, dass ich diese Begeisterung, diesen Fokus nicht mehr aufrechterhalten konnte. Es war, als wäre im Rahmen meiner Möglichkeiten alles gesagt. Zum anderen gab eine ganze Reihe anderer Dinge, die nun Vorrang hatten. Vor allem gab es eine Hinwendung zum Schreiben, das war das neue Faszinosum. Dazwischen habe ich wohl immer wieder mal das eine oder andere Musikstück gemacht und herumexperimentiert. Aber diese richtige Obsession, die einen tage- und wochenlang an den Computer fesseln kann, richtete sich jetzt auf die Texte. Ich habe inzwischen ein Buch daraus gemacht mit dem Titel „Worten”, ein zweites ist beinahe fertig. Die Texte sind philosophisch und unterhaltsam, lyrisch und aphoristisch. Ich nenne meinen Stil ‘rhythmische Prosa’. Mein Schreiben ist im Grunde ähnlich wie meine Musik.

„Ich mag frei fließende, pulsierende und atmendeRhythmen und nicht so sehr das Metronomische.“ 

Was interessiert dich in Bezug auf Rhythmus?

Curd Duca: Ich mag frei fließende, pulsierende und „atmende” Rhythmen und nicht so sehr das Metronomische. In letzter Zeit experimentiere ich damit, dass ich die Musik quasi frei zeichne, aus der Bewegung heraus, aus einer Gestik, oder aus algorithmischen Zufälligkeiten. Ich durchschaue das Ganze oft selbst nicht, weil diese Rhythmen irregulär sind, und nur intuitiv nachvollziehbar.

Ein Stück auf dem neuen Album heißt „Birds“, verwendest du dabei Feldaufnahmen von Vogelgezwitscher oder kommen die Klänge aus dem Computer?

Curd Duca: Das sind zum Teil Samples von echten Vögeln, die ich schneide, transformiere und mit einer Art von digitalem Scratching abtaste. Und da sind die Vögel aus dem Synthesizer, und oft kann man sie kaum unterscheiden.

Ich habe einmal ein Album eines Elektronikmusikers gehört, das ebenfalls Vogelstimmen als Basis verwendet hat. Was macht die Faszination von Tierstimmen für dich aus?

Curd Duca: Sie haben unter anderem diese vorhin erwähnte freie Rhythmik, ohne sich an Takte zu halten. Und eine melodische Stimmigkeit, jenseits von Dur und Moll. Ich finde es manchmal anregend, die herkömmlichen Tonleitern zu verlassen.

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Du wurdest 2016 zu den Musiktagen Donaueschingen eingeladen, was ist daraus entstanden?

Curd Duca: Als mich Björn Gottstein, der Kurator, eingeladen hatte, war das eine Fügung zur rechten Zeit. Ich war gerade dabei, mich selbst musikalisch wieder zu finden. In diesem Moment war das ein höchst willkommener Energieschub für mich. Das ist schließlich ein legendäres Avantgarde-Festival, und das Thema war: Schnittstellen zwischen Pop und Avantgarde. In diesem Grenzbereich habe ich mich schließlich all die Jahre bewegt.
Der Auftritt in Donaueschingen hat mir neuen Anstoß und viel frischen Wind gegeben, und danach habe ich verstärkt begonnen, zu experimentieren, mit großer Freude, und die alte Obsession stellte sich wieder ein. Seither habe ich viele neue Sounds gefunden, habe auf Samplern und Synthesizern improvisiert, mit neuen digitalen tools gespielt. Auf diese Weise hat sich nach und nach viel neues Material angesammelt, das ich editiert und auf verschiedenste Arten weiterverarbeitet habe. Nach einiger Zeit habe ich mich umgesehen auf meiner hard disk, und plötzlich waren da 3 Alben.

„Ich wollte Techno machen, aber die Musik kam ganz anders heraus.“ 

Was hat deinen musikalischen Werdegang geprägt?

Curd Duca: Eine Vielfalt von Einflüssen. In den 1990ern hat mich die beginnende Techno-Musik fasziniert. Ich suchte die Befreiung aus den bisherigen Genres und war auf einigen dieser ersten illegalen Techno-Parties am Stadtrand von Wien, in aufgelassenen Fabriken und finsteren Kellern. Die Musik war zu jener Zeit wild und experimentell und für mich mind-blowing. Ich habe gar nicht verstanden, dass in meinem Umfeld nur ganz wenige Techno geschätzt haben und fand mich plötzlich unter Leuten, die alle mindestens 10 Jahre jünger waren.

Hast du auch selbst Techno gemacht?

Bild Curd Duca
Curd Duca (c) Robert Rainer

Curd Duca: Ursprünglich wollte ich das, aber meine Musik kam ganz anders heraus, teils zu weich und teils zu “E-musikalisch”. Ich war zunächst irritiert, habe aber bald aus der Not eine Tugend gemacht und meiner ersten CD-Serie den ironischen Titel „Easy Listening“ gegeben, auch um etwaiger Kritik zuvor zu kommen. Dann aber kam die große Easy Listening-Welle, und ich war ganz vorne drauf, ohne dass ich das wirklich erwartet hätte. Ich hätte mich nicht so trendy eingeschätzt, aber ich hatte offenbar die Nase im Wind gehabt. 

Wie sehen deine nächsten Pläne aus?

Curd Duca: Ich habe mich im Zuge von Donaueschingen eingehender mit Neuer Musik beschäftigt und habe versucht, meine Bildungslücken zu verringern. Es gibt da wirklich tolle Sachen, mit vielen schönen bzw interessanten Passagen, und solchen, die mir weniger liegen. So habe ich begonnen, so wie ich es ja bei meiner eigenen Musik mache, in die Werke einzugreifen und sie zu editieren und zu verändern, zunächst schüchtern, dann etwas drastischer. Und statt ein schlechtes Gewissen zu haben, habe ich mir, halb im Scherz, vorgestellt, wie etwa Luigi Nono oder Stockhausen auf diese Unverschämtheiten reagieren würden: „Lieber Curd, wir waren zuerst schockiert, aber im Rückblick müssen wir sagen: du hattest recht.”

Samples kann man auf diese Weise natürlich auch ziehen.

Curd Duca: Ja, stimmt. Daraus ist inzwischen ein DJ-Set mit Klassikern der Neuen Musik geworden. Darüber hinaus habe ich einige ausgewählte Stücke noch weitergehend umgestaltet. Zum Beispiel habe ich eine Symphonie von George Antheil komplett neu interpretiert, und auch Stücke von Berg, Liszt und Nono und anderen. Mit Wagner hatte ich das ja schon mal vor ein paar Jahren gemacht. Was meine Texte betrifft, bin ich gerade dabei, ihre rhythmischen, klanglichen und theatralischen Möglichkeiten auszuschöpfen. Stichwort: “Expressionistische Kampflyrik”.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Jürgen Plank

 

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Curd Duca