„ICH HABE KEINE ANGST VOR DER DUNKELHEIT“ – CHRISTIAN SUNDL IM MICA-INTERVIEW

Mit „Sundl“ veröffentlicht CHRISTIAN SUNDL sein Solo-Debüt. Der Gründer von WILHLEM SHOW ME THE MAJOR LABEL und Schlagzeuger von LADY LYNCH macht dafür gemeinsame Sache mit den Labelfreund*innen von CUT SURFACE. Über acht Tracks schießt „Sundl“ die Sonne ab, quetscht die letzten Strahlen aus und vierteilt das Monstrum, um an seiner Stelle ein schwarzes Loch aufzuhängen. Wer genug hat von lebensaffirmativen Shopping-Schrott in vorweihnachtlichen Corona-Höllen, findet mit „Sundl“ einen düsteren Heiland. Über das Nachtprogramm im Fernsehen, selbstzerstörende Kunstwerke und die Frage, warum sich im monotonen Gestampfe alles verschieben kann, hat CHRISTIAN SUNDL mit Christoph Benkeser gesprochen.

Wie war dein Tag bisher? 

Christian Sundl: Na ja, ich habe eigentlich noch nicht viel gemacht. Vor zwölf Uhr passiert bei mir wenig.

Dann ist es um die Jahreszeit bald wieder dunkel. 

Christian Sundl: Jetzt ist es gerade gefährlich. Wenn man sich vertut und zu lange schläft, bleibt nur ein oder zwei Stunden Helligkeit. Damit komme ich aber gut zurecht.

Man bezeichnet dich als „Max Schreck des Wiener Nachtlebens“. 

Christian Sundl: Ja, genau.

Was liegt dir an der Nacht? 

Christian Sundl: Ich arbeite viel in der Nacht, weil es ruhiger ist. Ich kann alleine sein, mich besser konzentrieren. Es gibt sonst nichts zu tun. Alle Geschäfte haben zu und das Fernsehprogramm ist besser.

Was läuft in der Nacht? 

Christian Sundl: Wenn Horrorfilme laufen, dann laufen sie in der Nacht.

Dich interessiert der Horror? 

Christian Sundl: Ich arbeite ja auch beim Slash Filmfestival. 

Was interessiert dich daran? 

Christian Sundl: Keine Ahnung, oder … doch: als Kind habe ich viele Science-Fiction-Filme gesehen. Auch so trashige Filme. In der Jugend waren aber Horrorfilme interessant.

Welche Filme waren das? 

Christian Sundl: „Nosferatu“ von Murnau ist meine erste Erinnerung an einen Horrorfilm. Mein Vater hat den Film gesehen, ich durfte mitschauen. Da war ich zwölf Jahre alt.

Ganz schön früh für den Film. Was hat er in dir ausgelöst? 

Christian Sundl: Ich weiß gar nicht mehr, ob ich davon Albträume bekommen hab, aber der Film ist hängengeblieben und begleitet mich seither – im positiven Sinn.

Wie das? 

Christian Sundl: Ich habe keine Angst vor der Dunkelheit.

„MIR HAT NOCH NIEMAND EINEN TRAP-SONG GESCHICKT.“

Deine künstlerische Arbeit hat davor auch keine Angst. 

Christian Sundl: Das hat sich aus dem Umfeld ergeben, in dem ich mich bewege. 2006 begannen wir als Lady Lynch zu spielen. Wir fingen mit minimalen Post Punk an, es entwickelte sich aber bald in die Goth-Richtung. Auch weil wir uns selber beeinflusst haben. Welche Freunde man in seiner Jugend hat, ist entscheidend, weil du mit denen Musik hörst und das prägt dich. Bei mir kam damals noch die Videothek dazu, wo wir uns Horrofilme ausgeliehen haben. Außerdem betreue ich ein Label, das düstere Sachen veröffentlicht. Die Bands, die sich bei mir melden, um ihre Musik rauszubringen, hören sich davor unsere Veröffentlichungen an. Die wissen, was wir machen. Mir hat noch niemand einen Trap-Song geschickt.

Du bist in Graz aufgewachsen, oder? 

Christian Sundl: Nein, in Knittelfeld.

Schon in den 90ern keine progressive Hochburg. 

Christian Sundl: Bei uns gab es Nazis und Skater. Zwischendrin waren ein paar, die nicht genau wussten, wo sie hingehören und was sie tun sollen – so wie ich.

Du bist später nach Graz geflüchtet, um Kunstgeschichte zu studieren. Hast du das fertig gemacht? 

Christian Sundl: Ich habe zwar mit der Diplomarbeit begonnen, aber aufgehört, weil ich schon Jobs im Kunstbereich gefunden hatte. Nur für den Titel wollt ich mir das nicht antun.

Über was wolltest du deine Diplomarbeit schreiben? 

Christian Sundl: Destruktionskunst. Es geht dabei um den künstlerischen Prozess als Zerstörung. Ein Bildhauer zerstört einen Marmorblock und erschafft ein Kunstwerk. Wenn man aber ein Auto in die Luft sprengt und das Wrack als Skulptur ausstellt, wird es gesellschaftlich als Zerstörung wahrgenommen. Kunstwerke, die sich selbst zerstören, fallen übrigens auch in diesen Bereich. Zum Beispiel Skulpturen, die so dünn gebaut sind, dass sie verrosten und langsam verschwinden.

Mir fallt „Disintegration Loops“ von William Basinski ein. Ein Musikstück auf Band, das sich langsam auflöst. 

Albumcover Sundl
Albumcover “Sundl”

 

Christian Sundl: Ja, das geht in die Richtung. Man hört, wie sich das Band auflöst und sich dadurch die Musik verändert.

So wie der letzte Song auf „Sundl“.

Christian Sundl: „sh101“ hebt sich stark von den restlichen Nummern auf dem Album ab. Man hört einen Loop, der sich nie verändert, und trotzdem immer anders klingt, weil ich mit der Noise-Modulation des Synthesizers arbeite, die ich so lange ansteigen lasse, bis sich das Stück auflöst. Es sollte das Abschlussstück sein, weil ich das Album ursprünglich als Live-Projekt geplant habe und die Stücke im Live-Kontext funktionieren sollten. Ich beende mein Set nicht mit monotonen Bassdrums, sondern sorge für eine Auflösung.

Eine Auflösung der Monotonie? 

Christian Sundl: Das Monotone interessiert mich in der Musik. Bei Lady Lynch spiele ich am Schlagzeug meistens einen Beat durch. Es gibt keine Änderungen. Wie es ist, wenn ich einen Beat drei oder vier Minuten durchspiele, interessiert mich.

Möchtest du wie Jaki Liebezeit zur Maschine werden und wie eine spielen? 

Christian Sundl: Wie genau ich den Beat spiele, ist mir egal. Interessanter ist es, wie sich Beats, die immer gleich sind, verändern können und sich im Kopf hin- und herschieben. Der Anfang der Takte verrutscht, wenn man lang genug denselben Beat spielt.

Wie zeigt sich das? 

Christian Sundl: Ob man am Schlagzeug spielt oder wie bei meiner Solo-Arbeit einen Drum-Computer programmiert, macht natürlich einen Unterschied. Am Schlagzeug kann’s dir passieren, dass man die Verschiebung am Körper wahrnimmt und plötzlich auf Bewegungen draufkommt, die einem davor nie bewusst waren. Bei den Beats, die ich am Drum-Computer einspiele, gibt es eine andere Körperlichkeit – abgesehen von der Tatsache, dass die Beats unterschiedlich sind.

Im welchem Sinn? 

Christian Sundl: Mit dem Drum-Computer versuche ich die Beats einfacher zu halten, weil es nicht schwierig wäre, einen weirden, außergewöhnlichen Beat zu programmieren. Am Schlagzeug muss man sich einen schwierigen Beat erst erarbeiten. Bei Lady Lynch wäre mir nie eingefallen, einen 4-to-the-floor-Takt zu spielen. Wenn ich am Schlagzeug sitze, interessiert mich das nicht. Umgekehrt habe ich kein Interesse, schwierige Beats am Drum-Computer einzuspielen, weil ich weiß, dass er damit keine Probleme hätte. 

„ES GIBT NICHT SO VIELE LEUTE, DIE SUNDL HEISSEN.“

Das hört man auf dem „Sundl“-Tape. Übrigens: Wieso eigentlich dein Name für das Tape-Debüt? 

Christian Sundl: Ich wollte keinen Projektnamen erfinden, weil die meisten Leute, die mich kennen, meinen Namen kennen. Außerdem gibt es nicht so viele Personen, die Sundl heißen. Wenn es heißt, „das Sundl-Tape ist draußen“, wissen die Leute, dass ich damit gemeint bin.

Wann hast du eigentlich ein Interesse für elektronische Musik entwickelt? 

Christian Sundl: Die Idee für ein Solo-Projekt gab es schon länger, der Plan für „Sundl“ seit eineinhalb Jahren. Das erste Konzert im Frühjahr hat der Lockdown verhindert. Dadurch ist die Idee entstanden, das Live-Projekt auf Kassette aufzunehmen. Der Workflow, der dazu geführt hat, war wichtig. Es hat lange gedauert, ein Studio aufzubauen, mit dem ich in der Lage bin, in kurzer Zeit von der Idee zum Spielen zu kommen. Der Computer fällt für mich dabei weg.

Was hast du gegen Computer?

Christian Sundl: Am Computer schnell etwas einzuspielen, von der Idee zum Sound zu kommen, funktioniert für mich nicht. Ich brauche die Möglichkeit, am Synthesizer rumzuschrauben, weil ich gerne unterschiedliche Dinge ausprobiere. Wie kann was mit welchem Effekt zusammengehen? Das muss ich sehen und be-greifen können – auch um den Zufall zu provozieren.

Den Zufall provozierst du inzwischen in deinem eigenen Home-Studio, oder? 

Christian Sundl: Ja, ich habe es ganz simpel eingerichtet. Es gibt nur zwei Instrumente, die Töne erzeugen: ein Drum-Computer und ein Roland SH-101-Synthesizer. Alles andere funktioniert über Effekt-Geräte und Sampler, um die Aufnahmequalität zu verzerren und zum Beispiel auf „Lo-fi“ zu ändern.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Die Lo-fi-Ästhetik begleitet deine Arbeit schon länger. Was interessiert dich daran? 

Christian Sundl: Es ergeben sich Momente, die man im Vorhinein nicht abschätzen kann. Gerade beim „Sundl“-Tape verwende ich Sounds, die ich extra stark verzerre. Ich überspiele sie auf Kassette, schleife sie durch Sampler. Einfach um zu schauen, was mit ihnen passiert und wie sie mit den anderen Elementen klingen.

Das fällt vor allem bei den Samples auf, die du verwendest. Soundfetzen von André Breton, X-Files oder zu Grace Jones findet man auf „Sundl“. Deckt das dein Universum ab? 

Christian Sundl: Für das Breton-Sample habe ich zur Inspiration bewusst nach surrealistischen Gedichten gesucht. Alle anderen Samples, die man auf dem Tape hört, kreuzten zufällig meinen Weg.

Auch Scully von den X-Files? 

Christian Sundl: Das habe ich im Fernsehen gesehen.

Lass mich raten: In der Nacht? 

Christian Sundl: Ja, genau!

Und was war mit der Inspiration, die du in surrealistischen Gedichten gefunden hast?

Christian Sundl: Die lässt viel zu. Bei Lady Lynch schreibt zwar Theresa [Adamski; Anm.] die Texte, die Herangehensweise bei „Sundl“ ist aber oft dieselbe.

Ich sag so: Bei Lady Lynch ging es mir bisher weniger um den Inhalt und mehr um den Sprachrhythmus. 

Christian Sundl: Ja, bei Sundl funktioniert es genauso. Ich schneide die Samples aus ihrem Kontext und verwende sie in einem ganz anderen. Wenn ich aus einem surrealen Gedicht drei Worte rausschneide und neu verwende, ergibt das danach nicht mehr Sinn.

Trotzdem oder gerade deswegen veröffentlichst du das Tape auf deinem eigenen Label gemeinsam mit Cut Surface. Die erste gemeinsame Veröffentlichung? 

Christian Sundl: Wart, lass mich kurz zu meinen Kassetten rüberschauen … also Wilhelm Show Me The Major Label ist ja ein Sub-Label des Grazer Labels KIM. Vor ein paar Jahren haben wir mit Cut Surface die Lonesome Hot Dudes auf einer 7-inch veröffentlicht.

Gibt’s das KIM noch? 

Christian Sundl: Ja, ich habe es die letzten Jahre betreut, mittlerweile habe ich die Verantwortung wieder zurück nach Graz gegeben.

Du bist vor einigen Jahren nach Wien gezogen. Warum? 

Christian Sundl: Weil mir Graz zu klein geworden ist.

Sag, bist du immer so mitteilsam? 

Christian Sundl: Ja, schon.

Das habe ich mir schon gedacht. 

Christian Sundl: Ich weiß ja gar nicht, was ich über mich sagen soll.

Was dich nach Wien gezogen hat, zum Beispiel. 

Christian Sundl: Ein Großteil meiner Freunde und Bekannten leben in Wien. Auch wenn es in Graz einige coole Einrichtungen wie das SUB oder Festivals wie Elevate gibt, passiert oft wochenlang nichts. Das ist in Wien anders.

Momentan tut sich auch nicht viel.

Christian Sundl: Immerhin zeigt sich medial langsam ein Licht am Ende des Tunnels. Viele Leute haben mittlerweile die Vorstellung, dass es zum frühen Sommer besser werden wird.

Bild Sundl
Sundl (c) Tina Bauer

 

Dein Tape ist so etwas wie das Licht, das vom entgegenkommenden Zug ausgeht. 

Christian Sundl: Wie düster der Sound wirklich ist, kann ich schwer interpretieren. Das mit der Monotonie habe ich bereits einige Male gehört. Mir war das zu Beginn gar nicht bewusst. Es wird mir aber immer klarer.

Eh gut, wenn du das retrospektiv reflektieren kannst. 

Christian Sundl: Ich mach ja als Musiker nicht meine eigenen Interpretationen. Mein Zugang zu den Nummern ist ganz anders als der des Publikums, weil ich auf andere Sachen höre.

Auf welche Sachen? 

Christian Sundl: Ich hör die Nummern nur, wenn ich sie live spiele. Dabei hör ich drauf, wie sich der Sound durch verschiedene Effekte verändert, sodass man sich wieder neu mit ihm beschäftigen muss. Außerdem spiele ich die Samples live ein. Ich muss also auf den Takt achten.

Zum Abschluss frage ich Leute gerne, was sie sich selbst gerne fragen würden. Also: Was würdest du dich selber gerne fragen.

Christian Sundl: Ich lass die Sachen gerne auf mich zukommen und schau dann, wie es sich ergibt – ohne, dass ich großartig über sie nachdenke. Insofern wüsste ich jetzt nicht, was ich mich fragen wollen würde.

Wir werden uns wieder einmal gegenübersitzen. Dann werde ich schon mehr aus dir herausbekommen.

Christian Sundl: Ja, sicher. Die Musik wird sich für mich verändern, sobald ich sie live spielen kann. Dann kann ich auch mehr erzählen.

Dabei hast du zuletzt auf Twitch ein Live-Set gespielt. 

Christian Sundl: Ich habe mit Tapes live aufgelegt und später mein Album vorgestellt. Wenn man schon streamt, muss man sich’s daheim gemütlich machen. Es sollte mehr sein als 30 Minuten Krach aus dem Wohnzimmer. Außerdem interessiert Streaming nur, wenn es live passiert.

Es wird viel ausprobiert. 

Christian Sundl: Wie macht man einen Streaming charmant? Das ist eine Frage, die wir nicht kennen und jetzt ausloten. Allein mit einem Chat lässt sich ein sozialer Aspekt in ein Streaming-Konzert bringen. Er ermöglicht Interaktion – und ich hab nicht mehr das Gefühl, alleine im Zimmer zu sitzen.

Herzlichen Dank für das Gespräch! 

Christoph Benkeser

+++

Links:
„Sundl“ (Cut Surface)
Cut Surface (Homepage)
Cut Surface (Facebook)
Wilhelm Show Me The Major Label (Homepage)
Wilhelm Show Me The Major Label (Facebook)