„Ich habe Avril Lavigne geliebt, das erste Album“ – SOPHIE LINDINGER (MY UGLY CLEMENTINE, LEYYA) im mica-Interview

MY UGLY CLEMENTINE kam aus dem Nichts. „Never Be Yours“ hatte Dringlichkeit, es hatte Eleganz, Groove und einen Refrain zum Mitheulen. Die handelnden Personen – MIRA LU KOVACS, BARBARA JUNGREITHMEIER, KATHRIN KOLLERITSCH und SOPHIE LINDINGER – waren schon durch andere Bands und Projekte aufgefallen. Beim ersten Konzert im Wiener RHIZ, das in Windeseile ausverkauft war, sangen tatsächlich alle vier, die Stimmung war euphorisch bis höchst euphorisch.

Manche finden es vielleicht bemerkenswert, dass bei MY UGLY CLEMENTINE ausschließlich Frauen spielen. Deutlich bemerkenswerter ist allerdings, wie diese Songs entstanden sind. SOPHIE LINDINGER war dafür ganz allein verantwortlich. Sie wurde lange schon als Sängerin von LEYYA unterschätzt. In Wirklichkeit bestimmt sie dort ausgewogen mit MARCO KLEEBAUER, was passiert. Nun hat sie für MY UGLY CLEMENTINE alle Fäden gezogen, hat geschrieben, komponiert, eingespielt und obendrauf Regie beim Video zu „Never Be Yours“ geführt. Stefan Niederwieser traf die Musikerin zu einem ausführlichen Interview.

 

Du schreibst alles, nimmst auf und produzierst bei My Ugly Clementine. Das ist ungewöhnlich, oder?

Sophie Lindinger: Ich wollte lange etwas machen, was roher ist, weniger elektronisch als Leyya. Nach der intensiven Arbeit an „Sauna“ hatte ich Lust auf etwas anderes und habe mich daher eine Woche im Studio eingesperrt und zum Spaß Instrumente – noch ohne Stimme – aufgenommen. Marco [Kleebauer, Anm.] hat mir Drafts am Schlagzeug eingespielt, auf dieser Basis habe ich weitergearbeitet. Ein halbes Jahr später habe ich die Regrettes entdeckt, das war der Anstoß, die Songs fertig zu machen. Ich habe Melodien und Texte geschrieben, eingesungen und bemerkt, dass meine Stimme nicht dazu passt. Da ich mehr Energie haben wollte, habe ich einsingen lassen, bis mir Babs [Barbara Jungreithmeier, Anm.] eingefallen ist. Mit ihr bin ich aufgewachsen, wir waren als Kinder gemeinsam beim Ballett und kennen uns schon ewig, das hat sich schnell eingerastet. Mira bewundere ich schon lange und Kathrin habe ich über Instagram für den Drum-Part angeschrieben.

„Ich hatte eine Vision und mit anderen wäre es ein Kompromiss geworden.“

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Alles selbst zu machen muss man durchziehen wollen.

Sophie Lindinger: Ich wollte wissen, wie ich allein klinge, wollte nicht erklären, wie ich es haben will. Ich hatte eine Vision und mit anderen wäre es ein Kompromiss geworden. Man lernt so viel über sich selbst. Beim End-Mix habe ich Marco um Rat gefragt, ihn drüberhören und finalisieren lassen, denn bei ihm weiß ich, wie er arbeitet.

Hast du deine Gesangsmelodien für Barbara Jungreithmeier angepasst?

Sophie Lindinger: Die hatte ich schon für mich perfektioniert, ich war da eher strikt. Live ist das allerdings total in Ordnung, wenn Babs ausbricht. Ich habe früher mit ihr Musik gemacht. Sie hatte damals schon mit so bluesigen Ausschmückungen gesungen, was sehr untypisch war.

Wie funktioniert das Songwriting für eine Band?

Sophie Lindinger: Beispielsweise habe ich Akkorde, dazu summe ich etwas, überlege das richtige Tempo, lasse mich inspirieren, probiere Drum-Sounds, habe eine Spur, spiele dazu Gitarre, überlege mir einen Bass, der als Basis meistens mit der Kick zusammen spielt. Dann verfeinerst du, lässt die Gitarre mal weg und probierst Sachen am Computer aus. Eine Mischung aus analogen und digitalen Ideen.

Live fangt ihr mit dem Song „Playground“ an, der noch nicht erschienen ist. Eine Zeile lautet: „Just cause my playground wasn’t surrounded by men.”

Sophie Lindinger: Ich meine das als Metapher. Mir passiert es oft, dass ich als Frau unterschätzt werde, gerade in der Musikszene. Nur weil ich nicht im Umfeld von Männern aufgewachsen bin, weil ich kein Mann bin, bin ich nicht gut genug? Das Thema ist schwierig, man versteht es leicht falsch. Ich meine damit nämlich nicht, dass „Männer die Welt regieren“ und alle Männer böse sind. Ich möchte in dem, was ich tue, einfach ernst genommen werden.

„Ich bin Feministin. Ich will aber keine Band machen, die sich nur auf das bezieht […]“

My Ugly Clementine (c) Mani Froh

„The work I do runs on passion, and that is, I suppose, the qualification“ und „Because I have small hands, doesn’t mean I can’t do what my male friends can“ – diese Zeilen sind als Message gar nicht so radikal.

Sophie Lindinger: Das ist ein Thema, das mir wichtig ist. Es geht darum, dass jeder Mensch dieselbe Arbeit machen kann, wenn die Leidenschaft stimmt. Es soll ein sanftes, entkrampftes Statement sein. Ich bin Feministin. Ich will aber keine Band machen, die sich nur auf das bezieht, sondern eine, die Spaß macht, die Energie hat, Leute zum Tanzen oder Lachen bringt, aber gleichzeitig nicht nur von Luft und Liebe singt.

Hattest du viele Textentwürfe?

Sophie Lindinger: Hier ist es extrem schnell gegangen. Ich schreibe eher defensiv, wenn ich Aussagen mache, denn ich will, dass Leute sie auch verstehen und sagen: „Sie hat recht.“ Es gibt Themen, die ich mit Leichtigkeit behandeln möchte. Ich will niemandem etwas aufdrücken und erwarte nicht, dass jemand das genauso sieht. Allerdings verstehe ich nicht, warum man sich so versperrt und annimmt, dass ein Mensch, nur weil er auf eine bestimmte Weise aussieht, etwas nicht können soll.

Wenn Frauen die letzten hundert Jahre so agiert hätten, hätte sie sich vielleicht weniger Rechte erkämpft.

Sophie Lindinger: Absolut. Das betrifft viele Dinge, nicht nur im Feminismus. Man muss offensiv sein, protestieren, teilweise radikal und laut sein. In meiner Musik möchte ich das aber nicht so haben, für mich ist sie eine Insel, ich kann abschalten, sie berührt mich. Das möchte ich mir behalten.

Wie oft wird man „Powerfrauen“ über euch lesen?

Sophie Lindinger: Sehr oft. Zum Glück hat noch niemand „Girl Group“ geschrieben. Wir sind aber schon „die neue female Supergroup“. Wenn sich ein paar Männer zusammentun, heißt es auch nicht: „Die neue male Supergroup“, sondern nur: „Die Supergroup“. So etwas wie My Ugly Clementine ist nicht gang und gäbe, es ist immer noch eine Sensation. Das sollte es eigentlich nicht sein.

Sophie Lindinger (c) Max Hartmann

Die klassische Rockband ist noch immer eine Bastion von Jungs.

Sophie Lindinger: Das verstehe ich, gleichzeitig ist es traurig. Meine Vorbilder mit ungefähr 15 waren Paramore und Avril Lavigne.

Die Avril Lavigne?

Sophie Lindinger: Ich habe Avril Lavigne geliebt, das erste Album. Sie hat ihre Songs selbst geschrieben, Gitarre gespielt. Das hat mich als junges Mädchen sehr geprägt und motiviert.

Christina Stürmer auch?

Sophie Lindinger: Jein, als Person, weniger ihre Musik. Natürlich haben alle „Ich lebe“ gehört, mir hat das auch gefallen. Einmal hat sie ein Konzert in Eferding gegeben, das sie abbrechen musste, weil zu viele Leute dort waren.

Die zweite Single „The Good The Bad The Ugly“ hat Grunge-Harmonien.

Sophie Lindinger: Ich habe viel Nirvana gehört. Mir gefallen düstere Gitarren, wie sie sich ein bisschen drüberwurschteln. Kann sein, dass die Harmonien anders sind wie bei Leyya, hier war es keine Absicht, ich mache das nicht bewusst. Ich schreibe auch die Refrains so, wie sie rauskommen.

Du hast bei beiden Videos von My Ugly Clementine Regie geführt. Machst du Styling, Schnitt, einfach alles? Ist das eine Obsession?

Sophie Lindinger: Irgendwie schon. Ich habe ein Bild im Kopf und weiß, was es auslösen soll. Die Konzepte kommen von mir. Ich suche mir Leute, die darauf eingehen und das auch genauso umsetzen. Ich habe auch schon Live-Videos von Leyya geschnitten, aber mein Rechner hat zu wenig Schub, um das ordentlich selbst machen zu können.

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Hast du dir Regie und Schnitt bei anderen abgeschaut? Zwei-, dreimal dabei sein, dann selbst machen?

Sophie Lindinger: Ja, genauso. Irgendwann entwickelt es sich dahin, dass ich es selbst umsetzen kann.

Was müsste passieren, damit ihr kommenden Sommer große Festivals spielt?

Sophie Lindinger: Wir wurden schon auf das Reeperbahn Festival eingeladen. Da hilft es, dass man unsere anderen Projekte kennt und wir mit denen auf vielen Festivals gespielt haben. Man muss mit den richtigen Leuten zusammenarbeiten, muss Leute kennen, viel touren, viel Arbeit reinstecken, sich nicht für alles und überall hergeben. Ich kenne den einen „richtigen“ Weg aber auch nicht. Es hängt auch vom Genre ab, wie du dich inszenieren kannst. Mavi Phoenix macht gute Musik in einem Genre, in dem es nicht normal ist, als Frau eine Message zu haben. HVOB haben mit Stimme und melancholischem Techno eine gute Nische gefunden.

Wirst du auch dein eigenes Label gründen?

Sophie Lindinger: Nein. Man ist zwar unabhängiger, es bleibt dir mehr Geld übrig, aber du hast auch viel mehr Arbeit, brauchst vorher ein Team. Ich habe so viel zu tun, ich suche mir lieber ein Label.

Du müsstest andere Tätigkeiten einschränken, Regie, Fotografie, Auflegen, Gastsingen …  

Sophie Lindinger: Mir macht das Spaß. Ein Label zu gründen macht keinen Spaß. Auch selbst zu veranstalten wäre mir zu stressig. Bands einladen, die ich toll finde, kann ich mir vorstellen. Das müsste jemand anders umsetzen, ich könnte gegenüber Managerinnen und Managern nicht offensiv genug sein.

War das eine Bewerbung als Kuratorin beim Popfest?

Sophie Lindinger [lacht]: Nein.

Wie sicher fühlt ihr euch live?

Sophie Lindinger: Wir haben letztens das Kompliment bekommen, dass wir spielen, als würden wir ewig schon live spielen. Wir fühlen uns sehr sicher, haben lange geprobt, bei den Gigs hat sich das bestätigt.

Und wann kommt mehr?

Sophie Lindinger: Das Album kommt nächstes Jahr, es ist fast fertig. Bis dahin werden noch ein, zwei Songs veröffentlicht. Ich möchte nach wie vor alles selbst schreiben. Und zumindest beim ersten Album möchte ich die Hand drüber haben, es hat so angefangen, so möchte ich es abschließen. Aber bin natürlich für Ideen der anderen offen, wir haben uns mit diesem Sound gefunden.

„Ist das wirklich das Time Magazine?“

Leyya (c) Ella Kronberger

Wie koordinierst du die Arbeit mit Leyya?

Sophie Lindinger: Tageweise blocke ich mir Zeit. Wir haben einen gemeinsamen Kalender, da sehen wir, wer was macht, ich weiß dann beispielsweise, wann Marco zwei Wochen Bilderbuch produziert. Früher hatte ich den Drang, Musik zu machen, ich wollte schreiben. Wenn es zum Beruf wird, gibt es den Drang oft nicht mehr, weil man dauernd Musik macht. Kreativität kann man nicht erzwingen, aber man kann sich hinsetzen, den Kopf dorthin bewegen und machen, und da hilft es, sich bewusst Zeit zu nehmen.

Mal zu Leyya. Wie habt ihr erfahren, dass ihr den UK Music Video Price in der Kategorie „Best Pop Newcomer“ gewonnen habt?

Sophie Lindinger: Man muss einreichen und wird ausgewählt. Der Regisseur Rupert Höller war sehr dahinter. Wir haben an diesem Tag gespielt, er hat uns gleich geschrieben.

Wie kam es, dass euch das Time Magazine neben Drake und Sting empfohlen hat?

Sophie Lindinger: Wir hätten das alle fast übersehen. Eines Tages hat das ein Bekannter auf Twitter gepostet und uns verlinkt. Ich habe weitergescrollt und mir dann gedacht: „Warte mal! Was? Ist das wirklich das Time Magazine?“ Ich klickte drauf, habe es gleich der Agentur geschickt. Wir haben ein Label in Amerika, ich nehme an, die Aufmerksamkeit wurde über die Leute vom Label auf den Song gelenkt, aber initiiert haben sie das auch nicht. Wahrscheinlich haben wir einfach Glück gehabt.

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Warum war die Single „Wannabe“ nicht auf dem Album?

Sophie Lindinger: Nach einem Album fällt man oft in ein Loch, hat jede Energie und jede Idee da hineingesteckt. Wir wollten uns nicht diesem Blues hingeben, da ist „Wannabe“ entstanden. Wir wussten, dass wir in einem Jahr vermutlich andere Musik machen würden und dieser Song nicht mehr dazupassen würde. Retrospektiv ist das auch so.

Weißt du, woher die Klicks bei Leyya kommen?

Sophie Lindinger: Mich interessiert das nicht sonderlich, ich mache lieber neue Musik. Wir haben ab und zu Meetings mit dem Label, da wird das erwähnt. Als wir „Superego“ veröffentlicht haben, kamen durch Blogs innerhalb von einem Tag Tausende Klicks rein, das habe ich in meiner Arbeit intensiv verfolgt. Aber seither nicht mehr.

Du machst neben Regie, Schnitt und Produktion auch Fotografie?

Sophie Lindinger: Ich würde mich nie als Fotografin bezeichnen, kenne mich mit Kameras nicht aus, weiß aber, wie sie funktionieren, und habe ein Auge für Winkel oder Arrangements. Und ich produziere die Band Don’t Go. Ich habe Nina Jukic kennengelernt, meinte zu ihr, dass ich das machen möchte. Ich bin nicht ins Songwriting involviert, sondern nur Produzentin. Demnächst bringen sie ihre erste Single raus, das Album werden wir gemeinsam machen. Ich lerne sehr viel darüber, wie der Zugang von anderen Leuten zur Musik ist.

Würdest du einen Remix machen?

Sophie Lindinger: Würde ich gerne ausprobieren.

Du leihst deine Stimme anderen Songs.

Sophie Lindinger: Ja, mit Motsa gibt es einen und auch mit anderen Bands. Aber ich reduziere das, möchte nicht nur fürs Singen bekannt sein.

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Und auflegen?

Sophie Lindinger: Ich habe das einmal gemacht, glaube aber, dass das nichts für mich ist. Ich lege nämlich nur auf, was mir wirklich gefällt, und das kommt wahrscheinlich nicht so gut an.

„Ich würde gerne einen Workshop für Musikproduktion anbieten, das steht auf meiner Liste weit oben.“

Gibt es weitere Talente, von denen wir noch nichts wissen, ASMR-Videos drehen, schnitzen, Aquarelle malen? 

Sophie Lindinger: Bleistiftzeichnungen beruhigen mich, die zeige ich aber nicht her. Die Artworks von Leyya kommen von mir. Ich würde gerne einen Workshop für Musikproduktion anbieten, das steht auf meiner Liste weit oben. Auf der Intertonale in Scheibbs habe ich das letztes Jahr schon einmal mit einer Gruppe von Frauen gemacht, die meinten, dass sie sich eher trauen, zu so einem Workshop zu gehen, wenn ihn eine Frau leitet. Ich würde natürlich jede und jeden nehmen, möchte niemanden ausschließen. Aber ich fände es wichtig, mehr Frauen zum Produzieren zu bringen.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Stefan Niederwieser

Termine:
26. Juli My Ugly Clementine, Popfest Prechtlsaal Wien
09 Aug My Ugly Clementine, picture on festival, Unterbildein
14 Sep My Ugly Clementine, Take the A-Train Jazzit, Salzburg
21 Sep My Ugly Clementine, Reeperbahn Festival, Hamburg (DE)
01 Nov My Ugly Clementine, Ahoi! Pop, Posthof – Zeitkultur am Hafen, Linz

Links:
Leyya (Website)
Leyya (Facebook)
My Ugly Clementine (Website)