„HOFPALAVER“ (VÖ: 09.05.2025) ist ein vielschichtiges Album, in dem Cécile Nordegg musikalische Neugier und emotionale Tiefe vereint. Zwischen Jazz, Chanson, elektronischem Pop, klassischen Elementen und Einflüssen unterschiedlichster Musiktraditionen entsteht ein eigenständiger, oft wienerisch gefärbter Sound. Die experimentierfreudige Künstlerin nutzt Sprache als ausdrucksstarkes musikalisches Element und verbindet kulturelle Vielfalt mit persönlicher Note. Das Ergebnis ist ein atmosphärisches, genreübergreifendes Hörerlebnis, das sowohl emotional berührt als auch stilistisch überrascht. Im Interview mit Michael Ternai spricht Cécile Nordegg über die Schönheit, die in der musikalischen Vielfalt liegt, was es für sie bedeutet, erstmals auf Wienerisch zu singen, und warum sich das neue Album wie eine Art Heimkommen anfühlt.
Hört man sich dein neues Album „HOFPALAVER“ an, wird schnell klar, dass es eines von großer musikalischer Vielfalt ist. Es scheint, als hättest du in stilistischer Hinsicht dieses Mal wirklich alle Zügel losgelassen und musikalisch alles zugelassen.
Cécile Nordegg: Das ist im Grunde das, was ich immer will. Du hast eine wahnsinnige Struktur – und du brauchst auch eine Struktur –, aber für mich ist sie da, um gebrochen zu werden. Und ich hoffe, dass sich das auch auf dem Album widerspiegelt. Was mir wichtig ist: Kulturen so stark wie möglich zu mischen. Das ist für mich der größte Reichtum in der Musik. Musik ist schließlich die Sprache, die wirklich jede und jeder versteht.
Das kann man bei diesem Album wirklich unterschreiben.
Cécile Nordegg: Es ist lustig, weil gerade die Promotion für das Album läuft – aber gedanklich bin ich eigentlich schon wieder einen Schritt weiter. Ich komme gerade aus Afrika zurück: Wir waren zur DMX – der Dakar Music Expo – eingeladen und haben dort Konzerte gespielt. Bei mir ist es so, dass ich, sobald ich irgendwo mehr als ein Konzert spiele, immer Musiker:innen aus dem jeweiligen Land einbinde und gemeinsam mit ihnen musiziere. Für mich ist jede und jeder, der in der Band mitspielt, ein Solist. In meinen Projekten gibt es niemanden, der nicht Solist ist – wir sind es alle. Und wir begegnen uns auf einer gemeinsamen musikalischen Reise. In Dakar waren wir zu viert mit meiner Band, und vier Musiker aus dem Senegal sind dazugekommen. Gemeinsam sind wir ganz spontan ins Studio gegangen und haben einige Stücke live eingespielt – darunter sogar ein paar Wiener Sachen. Das war eine großartige Erfahrung. Je mehr du mischst und miteinander ins Gespräch kommst – denn Musik ist ja nichts anderes als ein musikalisches Gespräch – desto mehr wunderbare Dinge entstehen.
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Besonders macht dieses Album auch, dass du erstmals auf Wienerisch singst.
Cécile Nordegg: Französisch ist eigentlich meine Hauptsprache in der Musik – weil sie zugleich sehr weich und sehr hart klingen kann. Diese klangliche Spannbreite fasziniert mich, und genau damit spiele ich. Darüber hinaus ist für mich die Stimme selbst ein unglaublich vielseitiges Instrument. Sie kann weit mehr als nur Worte transportieren – Klangfarben, Emotionen, Rhythmen. Und auf all diesen Ebenen mache ich Musik: mit der Sprache, aber vor allem mit der Stimme.
Im Wienerischen gibt es ja erstaunlich viele französische Wörter. Und in zwei Liedern haben wir uns den Spaß gemacht, genau damit zu spielen – aus diesem Spiel ist schließlich eine Hommage an das Wienerlied entstanden. Aber interkulturell gedacht, mit Einflüssen aus allen möglichen Richtungen – offen für jede Musik, die sich dazugesellen will. Vom Klezmer bis was auch immer.
Interessant ist ja, dass ich vor allem für Österreicher:innen – weniger für Menschen aus anderen Ländern –scheinbar vom Chanson komme. Das ist aber relativ. Denn was hier oft als Chanson verstanden wird, ist eigentlich das Chanson populaire, also französische Populärmusik. Die meisten verbinden damit Edith Piaf – das ist wunderbar und traumhaft, aber nicht das, was ich mache. Ich nutze lediglich das französische Storytelling, weil ich mich in dieser Sprache am wohlsten fühle. Das Lustige ist: Ich habe zu Hause nie Wienerisch gesprochen. Meine Eltern waren am Burgtheater – bei uns wurde Hochdeutsch gesprochen. Das war für mich ganz normal.
Ich musste also erst einmal in die Welt des Wienerischen eintauchen. Dabei hat mir vor allem Anneliese Dirnbauer geholfen, die mich langsam eingeführt hat. Sie hat mit mir die Texte geschrieben und auch übersetzt – es waren ja auch ein paar französische dabei. Und plötzlich wurde das zu einem Zuhause. Du lebst ja die Stadt und hörst sie. Das hat mich einfach emotional ergriffen. Es ist richtig in die Tiefe gegangen. Daher wurden aus den anfangs zwei Lieder insgesamt 18 Tracks.
Das heißt, der Grund dafür, dass du auf Wienerisch singst, ist eigentlich aus einem Spaß heraus entstanden und war gar nicht wirklich geplant.
Cécile Nordegg: Das hat sich einfach so ehrlich angefühlt, wie kaum was.
Hattest du nicht auch ein wenig Respekt davor, ob du es authentisch rüberbringen kannst?
Cécile Nordegg: Natürlich. Und genau deshalb habe ich mich an Anneliese Dirnbauer gewandt. Sie hat mir unglaublich geholfen und mich begleitet – sie ist den Weg mit mir gemeinsam gegangen. Und plötzlich habe ich mich zu Hause gefühlt, in jener Sprache, die auch mein Bruderherz (Thomas Nordegg, einst Gitarrentechniker von legendären Größen wie Frank Zappa und Steve Vai; Anm.) und seine Haberer damals gesprochen haben. Diese Sprache wurde auf einmal zu meiner eigenen. das war eine wirklich schöne Reise.
Du hast in den Liedern alle möglichen musikalischen Grenzen überschritten, unterschiedlichstes miteinander verbunden und zum ersten Mal auf Wienerisch gesungen. Kann man sagen, dass du dich kreativ gesehen diesmal so frei wie noch nie zuvor gefühlt hast?
Cécile Nordegg: Da ist ganz sicher ein Klick passiert – das steht außer Frage. Wenn du so viel mischst, überlegst du dir natürlich manchmal, was für das Publikum überhaupt noch verdaubar ist. Es sind ja keine kleinen Sprünge, die ich den Leuten zumute – das ist eine echte Herausforderung. Aber darüber habe ich mir diesmal keine Gedanken gemacht.
Ich habe gerade in Guatemala und Senegal eine Tour gespielt und in beiden Ländern quasi spontan jeweils ein Album aufgenommen. Wir sind einfach ins Studio und haben drauf losgespielt.
Mit während dieser sind auch zwei neue Alben entstanden. Man kann sagen, die sind einfach passiert. Das sind die Dinge, die für mich musik ausmachen. Und ich habe dieses Gefühl des Loslassens, das ich bei „HOFPALAVER“ erstmals wirklich empfunden habe, sich jetzt weiterspinnt.
Auf dem Album finden sich insgesamt 18 Lieder – alle sehr unterschiedlich. Es gibt keine Wiederholungen. Bei so einer großen Vielfalt läuft man leicht Gefahr, sich darin zu verlieren. Bei „HOFPALAVER” ist das nicht der Fall. Was hat für dich als eine Art rote Linie gedient?
Cécile Nordegg: Ich würde nicht sagen, dass man sich in so großer Vielfalt verliert – man findet sich. Das, glaube ich, ist ein ganz, ganz wichtiger Punkt. Ja, es muss eine gewisse Struktur geben, damit ich sie brechen kann. Aber ich breche nicht einfach sofort los. Das ist auch ein bisschen der Werdegang meiner Musik. Es gibt diese gewisse Struktur – und dann kommen wir alle aus unseren verschiedenen Ecken zusammen. Meine Ecken sind natürlich Mittelamerika, Afrika und Los Angeles, wo ich oft bei meinem Bruder war und über ihn Frank Zappa kennengelernt habe. Und wenn ich dann auf Musiker:innen treffe, die aus ganz anderen Richtungen kommen, brechen wir gemeinsam die Strukturen auf und lassen es einfach fließen. Und genau das spürt auch das Publikum.
In den Liedern passiert, wie schon erwähnt, sehr viel Unterschiedliches – sie gehen in Stimmung und Stil oft in ganz verschiedene Richtungen. Aber wann entscheidet sich, wohin die Reise geht? Und wann ist für dich ein Lied eigentlich fertig?
Cécile Nordegg: Ich glaube, ein Lied darf eigentlich nie wirklich fertig sein. Wir haben zum Beispiel in Dakar ein Lied vom Wiener Album ins Programm aufgenommen und es einmal live gespielt. Danach sind wir ins Studio gegangen und haben es aufgenommen. Und weil sich niemand eingeschränkt hat und alle den Dingen freien Lauf ließen, ist plötzlich etwas völlig Neues entstanden.
Das heißt, Improvisation ist ebenfalls ein wichtiger Faktor der Musik.
Cécile Nordegg: Immer. Und das hat man jetzt auf der Tour auch gesehen. In Afrika hatte ich vier großartige Musiker an meiner Seite, in Guatemala drei. Dort war auch ein Marimbaspieler dabei, der dann sogar ein Solo gespielt hat. Und plötzlich wurde aus einer Drei-Minuten-Nummer ein zehnminütiges Stück. Irgendwann schaut man sich an – und man weiß, dass man jetzt selbst übernimmt. Auch mit der Stimme.
Für mich ist die Stimme ein Instrument. In dieser Formation bin ich also genauso Musikerin wie alle anderen. Ich habe stimmliches Glück – ich komme aus der Klassik und vom Schauspiel. Das heißt, ich habe das Storytelling bereits in meinem Repertoire, das ich einsetzen darf. Und ich muss mir keine Gedanken machen, was geht und was nicht – das Instrument spielt einfach. Und das ist wunderschön, weil man die Emotion wirklich ausdrücken kann. Ich liebe es auch, wenn die Stimme mal bricht, weil es einfach drinnen ist. Ich muss nicht schön singen.
Worum geh es in deinen Liedern? Worüber singst du?
Cécile Nordegg: Es geht ums Leben. Und in diesem kommt alles vor – die Freude, die Traurigkeit, die Liebe. Das ist das Leben, das wir jeden Tag leben. Und genau das versuche ich in meinen Liedern auszudrücken.
Wir Musiker:innen haben alle eine Gabe mitbekommen – und mit ihr auch eine gewisse Demut und die Verpflichtung, etwas zu bewirken. Wenn ich auf der Bühne stehe und singe und es mir gelingt, Menschen im Publikum auch nur für zwei Sekunden aus ihren Gedanken zu reißen – oder sie dazu zu bringen, ihren eigenen Gedanken Raum zu geben –, dann hat Musik ihren Sinn erfüllt. Das ist der Grund, warum ich das mache.
Was machst du eigentlich lieber, auf der Bühne stehen und performen oder an den Liedern zu schreiben und sie aufzunehmen?
Cécile Nordegg: Ich liebe die Bühne über alles – ich bin ein Bühnenmensch. Aber auch die Vorarbeit hat etwas Wunderschönes. Im Grunde ist es so, dass wir bei den meisten Stücken versuchen, sie schon vor der Studioaufnahme live zu spielen – denn so beginnen sie bereits zu leben.
Gerade bei den aktuellen Live-Projekten ist es überhaupt so, dass wir uns im Studio nicht einfach hinsetzen und einen Track nach dem anderen aufnehmen. Stattdessen spielen wir alles am Stück durch – wie eine Performance. Und das ist mir wichtig, weil die Musik dadurch eine Seele bekommt. Man kann heute alles schneiden – so schlecht kannst du gar nicht sein, dass es am Ende nicht gut klingt. Das ist leider so. Aber das Einzige, was man nicht künstlich erzeugen kann – und das mag naiv klingen – ist, glaube ich, die echte Emotion.
Vielen Dank für das Interview.
Michael Ternai
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