„Ich glaub daran, dass Kunst ihr Eigenleben hat, wenn sie entsteht“ – NIKOTIN IM MICA-INTERVIEW

Nach „1010“ kam „KAISER VON ÖSTERREICH“. Dazu Videos, die schlichtweg cineastische Meisterwerke sind. NIKOTIN ist Musiker mit Leib und Seele und vergleicht das Musikgeschäft mit Roulette. Als er von Falcos ehemaligem Manager Horst Bork kontaktiert wurde, hielt er es für Bullshit. Was sich geändert hat, seit er bei einem Major-Label unter Vertrag ist und welche Pläne er hat, erzählt er im Interview mit Sophia Olesko.

Ich freue mich, dass du dir heute Zeit genommen hast.

NIKOTIN: Freut mich auch.

Ich war bei deinem Showcase-Konzert im Loft Mitte März. Wie war es für dich und deine Band?

NIKOTIN: Für die Band war es mega, für mich war es gemischt, weil ich krank war. Ich habe Fieber gehabt. Ich habe versucht, alles zu geben, aber mich trotzdem zurückzuhalten, weil mein Körper so kaputt war. Alles in allem war die Resonanz gut, hat gepasst, geht sich aus. Ich freue mich auf das nächste Konzert.

Zu deiner Band. Ich weiß, dass Mario Fartacek (Mynth, Good Wilson, Bon Jour) dabei ist. Wer ist noch in deiner Band?

NIKOTIN:  Mario ist in persönlicher und professioneller Hinsicht eine große Bereicherung für die Band, er produziert auch Sachen von mir. Alex, Ferdi und Jo sind auch fantastische Musiker. Ich hätte aber auch wahnsinnig gerne Frauen in der Band, da sind wir dran. Dann wird es ein zweites Set-Up geben, das rein elektronisch ist, wo wir nur zu dritt sind. Sollte ich mal wieder Zeit haben, schaue ich, dass ich ein paar Songs selber mit der Loop-Station performen kann. Für den Fall, dass jemand sagt: “Hey, komm vorbei, aber wir haben nicht viel Budget“.

„Es sind 40 Songs fertig, jetzt kommt jeden Monat ein Song raus. Vielleicht kommt eine Nummer, die echt was anrichtet“

Mario Fartacek hat mit dir „Space Up“ produziert. Produziert er deine aktuellen Songs?

NIKOTIN: Ich schreibe das Zeug, mach ein Demo, und dann ruf ich die passende Person an, wo ich das Gefühl habe, dass es passt. Bei „Space Up“ war es so, dass wir in Marios Studio in Wien waren. Ich habe die Nummer gehabt, wir haben uns nicht viel dabei gedacht, und das miteinander produziert. „Space Up“ wird aber über mein neues Label erst zu einem späteren Zeitpunkt released. Die nächsten Singles werden „Goldener Traum“ (April) und „Tokio“ (Mai) sein und meine erste Single „1010“ ist grad re-released worden. Ich arbeite auch mit einem Schweden und einem Münchner.  Ich war mit Rob Bolland schon aufnehmen. Vor allem mach ich auch wahnsinnig viel alleine. Ich schaue, dass ich mir die besten Leute hole für den Sound oder je nachdem, was mir fehlt als Ergänzung. Weil am Ende ist es scheißegal, wie der Song zustande gekommen ist. Hauptsache, das Endprodukt ist gut. Wenn ich es mir nicht anhören kann, und ich nicht am meisten feiere, dann ist es schwierig für mich. Wenn es dann draußen ist, dann kann ich es eh nicht mehr hören. Aber das ist so der Prozess. Wenn der Song sagt, bitte steck mich heute in ein wunderschönes Sommerkleid, dann hat er´s an. Dann sagt der Song, nein, das Kleid passt nicht. Ich brauch eine schwarze Hose und ein weißes Sakko. Und manchmal sagt der Song: „Das ist die Kleidung, die ich brauch“, und manchmal weiß er´s nicht. Und er verändert sich, bis er irgendwann die passende Kleidung hat. Man muss auch so frei sein es einem Song zu überlassen, wie er geschrieben werden will. Das ist ein bisschen esoterisch, aber ich glaub daran, dass Kunst ihr Eigenleben hat, wenn sie entsteht.

Das klingt so, als hättest du dann auch eine Beziehung zum Song.

NIKOTIN: Ja klar, weil es mein Leben ist.

Nikotin © Christian Maislinger

Aber wenn er dann draußen ist, lässt du ihn los?

NIKOTIN: Genau, weil dann gehört er nicht mehr mir, dann gehört er allen, und ich muss ihn loslassen. So ist das eben in der Musik. Es ist schwierig, aber gut so.

Nochmal zum Konzert, es waren viele bekannte Gesichter da, auch Dominik Heinzl (ATV). Generell gibt es schon viel Berichterstattung über NIKOTIN. Wie würdest du diesen Hype erklären?

NIKOTIN: Vielleicht, weil ich hin und wieder die Klappe weiter offen habe wie die anderen. Weil meine Perücke so gut sitzt und meine Brille so dunkel ist. Ich weiß es nicht. At the end of the day geht´s um die Musik, und anscheinend wird das für gut befunden. Das finde ich cool. Ich glaube aber, der Hype kommt erst richtig. Es sind 40 Songs fertig, jetzt kommt jeden Monat ein Song raus. Vielleicht kommt eine Nummer, die echt was anrichtet. Darauf bin ich gespannt. Ich fiebere darauf hin, ob das passiert. Wenn es nicht passiert, dann nicht. Es ist ein bisschen wie Roulette spielen. Setzte ich heute auf schwarz oder auf Rot. Man setzt eh 99 Prozent der Zeit auf Schwarz, und Rot gewinnt. Aber vielleicht treffe ich einmal.

„Ich sitze auch wie ein Besessener an den Nummern, bis ich jemandem mal etwas vorspiele“

Horst Bork ist dein Manager. Er hat sich bei dir gemeldet, nachdem er „Space Up“ gehört hat. Wie war das für dich?

NIKOTIN: Ich habe mir am Anfang gedacht, es ist Bullshit. Ich habe mir gedacht: „Was will der jetzt? Der soll sich doch jemanden suchen, der viel fetter im Game ist.“ Der hat das ernst gemeint. Mittlerweile ist es so, dass wir Freunde sind, wir verstehen uns echt sehr gut. Was bei ihm krass ist, dass er das Game ein paar Mal durchgespielt hat. Die Musikindustrie, habe ich das Gefühl, funktioniert so: Entweder jemand veröffentlicht irgendwas, und es geht einmal durch die Decke. Dann wird der Sound ein Sound-Trend, und es explodiert über TikTok und Insta. Oder es ist ein total strategisches Schach-Game. Und das ist halt verrückt, weil er hat das international schon gespielt, und er weiß auch, wie das in Amerika ist. Es ist schon spannend, was man da so hört. Ob es heute noch so ist wie in den 80ern bezweifle ich, eh klar. Aber er hat einen Plan, er weiß, was er tut, er ist richtig gut. Und er ist sau nett.

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Er wirkt sehr witzig. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen euch?

NIKOTIN: Die Tina [Ruprechter; Anm.], ist auch im Management. Beide haben krasse Kontakte. Wir haben das Glück, dass die Medien Bock haben, dass ich komme. Es ist ein ganzes Team dahinter. Ich bin nicht alleine und versuche das nicht irgendwie, sondern bin in einem großen Team mit Majorlabel und fetter Booking-Agentur. Wenn am Ende des Tages ein Song nicht explodiert, heißt das alles eh nichts. Aber wenn etwas funktioniert, dann ist es halt cool, die Maschine zu haben. Es sind so viele Komponenten: Horst, Tina, Label, Booking-Agentur, Promoter, Video-Leute, Fotografen, Meinungsbildner. Es sind die Freunde, die Familie, die ganze Band. Es sind total viele Leute und am Ende ist die Musik das Produkt. Die kann nicht sprechen, also muss ich für sie sprechen, und ich versuche das so gut es mir gelingt. Manchmal ist es besser, manchmal schlechter, aber ohne die alle wäre genau gar nichts, das ist halt die Realität.

Mischt sich das Management in die Musik ein?

NIKOTIN: Ja, die mischen sich alle ein, aber positiv. Ich habe schon, und das weiß auch jeder, ein bisschen ein Ego, was die Musik betrifft. Es kommen halt Sachen wie, dass sie die Vocals nicht verstehen, weil sie zu leise sind. Ich würde am liebsten die Vocals so leise wie möglich haben und mit vielen Effekten. Das geht aber nicht, und das ist auch okay. Es kommt selten etwas Schlechtes, auch nicht vom Label. Ich sitze auch wie ein Besessener an den Nummern, bis ich jemandem mal etwas vorspiele. Mein Gefühl ist hin und wieder ganz gut, und das wird mir dann auch reflektiert.

Zu deiner Musik. Du bedienst dich verschiedener Genres. Austropop, Indierock bis hin zu „Bohemian Punk“. Wie ist es zu dieser vielfältigen Genremischung gekommen?

NIKOTIN: In dem, dass ich in mir Punk bin und das Gefühl hab alles muss rough und dirty und wild sein. Dann kommt aber der Perfektionist dazu der sagt nein, es braucht auch den Glanz und den Hochglanz, dass es kompatibel für Radios ist. Irgendwie ist mir das wichtig. Wenn ich mir große Produktionen anhöre, dann sind die auch perfekt. Ich glaube es ist einfach ein Machen und Versuchen, ein Fehlschlagen und wieder Machen. Das ist auch meine Lebensgeschichte irgendwie, das ist mein Naturell, glaub ich.

„Ganz im Ernst, es gibt viel geilere Frauenbands als Männerbands“

Wann war so der Moment wo du gesagt hast okay, jetzt bin ich NIKOTIN.

NIKOTIN: In dem, dass ich mich in den Spiegel geschaut habe, mir eine Zigarette angezündet habe und das Gefühl gehabt habe, dass das das Projekt ist. Da gibt es keine große Geschichte.

Apropos Tschick. Ich habe irgendwo gelesen, dass du eine Packung pro Tag rauchst. Am Text für „Kaiser von Österreich“ hast du drei Wochen lang gefeilt. Drei Wochen sind umgerechnet 420 Tschick. Mich würde interessieren, an welchen Stellen du länger herumgefeilt hast.

NIKOTIN: Der Einstiegsatz hat mir viel Zeit gekostet. Ich habe ein paar Ideen gehabt, aber das war alles zu patriarchisch, zu Österreich. Der Chorus ging recht schnell. Das blaue Blut für die Republik, das war zach. Die Lipizzaner waren zach. Ich habe textlich vier, fünf Optionen gehabt bei dem Ganzen Song. Ich habe anfangs eine ganz andere Gesangslinie gehabt, alles war schon aufgenommen. Dann habe ich das alles gekickt und nochmal neu angefangen zu schreiben. Die erste Version hat drei, vier Tage gebraucht.

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Das heißt normalerweise schreibst du die Texte einfach runter.

NIKOTIN: Ja, das passiert zur Musik und ich denk mir auch irgendwie gar nichts. Aber da muss man sich halt was denken, sonst kann man so einen Track nicht bringen.

Dass dir die Sichtbarkeit von Frauen wichtig ist, merkt man auch ein bisschen an diesem Text, da stellst du die Mütter den Vätern und die Töchter den Söhnen voran.

NIKOTIN: Ja sicher. Das ist eine Katastrophe in Österreich. Ganz im Ernst, es gibt viel geilere Frauenbands als Männerbands. Die haben alle im Verhältnis wenig Exposure. Sie gehören supportet. Ich frage mich, warum die riesigen Acts, die Männerbands sind, auch wieder Männerbands mitnehmen. Das Ganze beginnt bei den Musikern und bei den Bands selber.

Auf einer Skala von null bis zehn, wenn null das Geringste ist und zehn das Höchste, wie wenig Bock hast du über Falco zu reden?

NIKOTIN: Null.

Gibt es irgendwas, was bei Fragen zu Falco immer ausgelassen wird, was du unbedingt mal sagen möchtest?

NIKOTIN: Die sollen alle den Hans mal im Grab lassen. Und nicht jedes Mal mit aller Gewalt daran festhalten, dass man den nicht angreift. Man greift ihn eh nicht an, man tut ihm eh nichts. Er ist eh unsterblich durch die Musik. Also dieses „Wir müssen das Kulturgut wahren“ ist ur ätzend. Ich hätte gern mal einen Abend mit ihm gehabt, ich glaube, das wäre spannend gewesen. Aber ich glaube, er hätte mich dann irgendwann rausgeschmissen von daheim.

Wie oft passiert es dir, dass dir Leute erzählen, dass sie ihn kannten?

NIKOTIN: Jeden Tag und das ist wahnsinnig nervig. Ich bin nicht Falco, und ich will auch nicht der Falco sein. Das Thema wird sich von alleine lösen, wenn mehr Musik da ist.

Nikotin © Christian Maislinger

Nächster Halt, laut Horst Bork: Zehn Millionen Views, Downloads und Views, hat er im Interview mit Die Salzburgerin erzählt. Was sind so die Pläne um das zu erreichen?

NIKOTIN: Ich weiß nicht, was er da gesagt hat, aber wir werden jetzt Song für Song releasen, spielen, schauen, was geht. Und wenn das eintritt, ist das cool. Und wenn nicht, dann passt das auch.

Ihr habt vor eine Tour zu machen durch Deutschland, Österreich, England und die USA. Ist das am werden?

NIKOTIN: Für die USA muss noch mehr passieren. Österreich, Deutschland und die Schweiz, ja sicher. UK wird sicher passieren. Jetzt ist erst einmal echt die Frage, welche Nummer explodiert und wann. Dann schaut man weiter.

Wann findet die Tour statt?

NIKOTIN: Im Herbst.

„Man versucht sich, man probiert, wächst und macht“

Apropos Klicks. Deine Musikvideos kommen gut an, wie kommt es zu den Ideen?

NIKOTIN: Ich weiß sehr genau, was da visuell passieren muss. Ich schreibe die Nummer und dann sehe ich das Video. Dann teile ich meine Idee mit ein, zwei Leuten, und wir bauen das fertig.

Du möchtest nach Tokyo, eine unveröffentlichte Nummer heißt auch so. Woher kommt diese Sehnsucht?

NIKOTIN: Ich weiß nicht, die ist einfach da. Ich habe irgendwie ein Faible für fettes Neonlicht.

Mich würde ein Vorher-Nachher Vergleich-interessieren. Du bist jetzt bei einem Majorlabel und trittst als Vorband von Robbie Williams auf. Was ist jetzt anders in deinem Leben?

NIKOTIN: Dass ich mit Leuten auf einen Kaffee sitze, die mir Fragen stellen und alles wissen wollen. An manchen Punkten, wenn ich Fragen kriege, stehe ich einfach auf und gehe, wenn es mir zu viel wird. Das habe ich vorher nicht gehabt. Ansonsten scheppert mein Handy permanent. Ich traue mich kaum, mein Instagram zu öffnen. Ich habe ein schlechtes Gewissen, wenn ich den Leuten nicht antworte. Ich muss mental immer stark sein. Musik ist Beruf, Songwriting ist das Wichtigste, der Spaß ist weg. Es ist purer Ernst.

Nikotin © Christian Maislinger

Sind Leute jetzt anders zu dir?

NIKOTIN: Ja, sicher. Leute glauben, dass ich ihnen vielleicht irgendwas bringen könnte. Aber ich bringe ihnen genau Garnichts, ich bringe ihnen noch weniger als ich jemals jemandem gebracht habe. Das ist das Eine, und das Andere ist, dass noch mehr Leute möchten, dass ich mit ihnen trinken gehe und Musik mache. Und ich will eigentlich meine Ruhe und Songs schreiben, fertig.

Was waren bis jetzt deine besten Momente mit NIKOTIN?

NIKOTIN: Es ist fast jeder Moment gut. Der beste Moment ist immer, wenn Nummern fertig werden.

Du malst und zeichnest, hast eine fotografische Ausbildung gemacht und bist ein sehr visueller Mensch. Woher kommt deine Leidenschaft für Kunst?

NIKOTIN: Die ist schon immer da gewesen, schon immer in mir drinnen. Man versucht sich, man probiert, wächst und macht.

Danke für das Gespräch!

Sophia Olesko

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