„Ich finde es schön, eine Spinnerin von vielen zu sein.“ – JULIA LACHERSTORFER im mica-Interview

Die Geigerin, Sängerin und Komponistin JULIA LACHERSTORFER, die seit Jahren mit ihrer Band ALMA für Furore sorgt, veröffentlichte mit „Spinnerin [a female narrative]” (Lotus Records) Mitte Oktober ihr Solodebüt. Die gebürtige Oberösterreicherin bringt auf dem Album etwas zu Gehör, das es bis dato quasi gar nicht gab. Zumindest nicht in den heimischen Regionen. Volkslieder, die ihre Geschichten aus der weiblichen Perspektive erzählen. Die mit dem HUBERT VON GOISERN KULTURPREIS ausgezeichnete Künstlerin besuchte Frauen der älteren Generation, lauschte ihren Lebensgeschichten und übertrug diese in Lieder, die in eindringlicher Form und kunstvollem Klang zu einem echten Hörerlebnis erwachsen. Im Interview mit Michael Ternai erzählte JULIA LACHERSTORFER über die Entstehung dieses ganz besonderen Albums, ihre Zweifel, die sie bei der Entstehung begleitet haben, und das Erlebnis, einmal solo agiert zu haben.

Das Album ist in zweierlei Hinsicht interessant. Zum einen ist es dein erstes Soloalbum und zum anderen näherst du dich dem Thema „Volkslied“ aus einer Perspektive, die hierzulande bislang kaum bis gar existent zu sein schien. Und zwar aus der weiblichen Perspektive. Was hat dich dazu bewogen, dies zum bestimmenden Inhalt deines Albums zu machen?

Julia Lacherstorfer: Ich habe in den letzten Jahren – speziell seitdem ich begonnen habe, mich beruflich dieser Musik zuzuwenden – immer wieder nach den Volkliedern in ihrer traditionellen und reinen Form gesucht. Ich wollte sie in meine Musik einfließen lassen und sie mit meinen Kompositionen verbinden. Aus diesem Grund habe ich auch verstärkt damit begonnen, heimische Liederbücher nach Stücken zu durchforsten, mit denen ich mich als weibliche Person auf der Bühne inhaltlich identifizieren kann, und ich habe vereinzelt ein paar sehr schöne gefunden! Die Sache war aber die, ich musste wirklich intensiv und lange suchen.
Vor zwei Jahren habe ich dann plötzlich verstanden, warum das so ist, warum es mir schwerfällt, eben solche geeigneten Lieder für mich zu finden. Ich bin draufgekommen, dass es vor allem die inhaltliche Komponente der Lieder ist, an der ich mich störe. Ein Lied kann sehr schön sein, nur kann ich es oft nicht verwenden, weil es für mich einfach keinen Sinn macht. Es passt einfach nicht, wenn ich singe, dass ich jetzt auf die Alm gehe und dort mein Dirndl auf mich wartet.
Diese Art von Text entspricht nicht meiner Lebensrealität. Solche Lieder transportieren ein Rollenklischee und erzählen eine männliche Geschichte. Und es gibt unendlich viele solcher Lieder. Solche, die aus einer weiblichen Sicht erzählen und nicht nur ein Klischee bedienen, findet man nur ganz wenig. Diese Tatsache hat dann quasi das Thema für mein Soloprojekt vorgegeben.

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„Ich habe mich immer gefragt, warum es nicht ganze Liederbuchreihen zu diesem Thema gibt.“

Warst du nach deiner Recherche überrascht davon, dass es wirklich nur so wenig Volkslieder aus der Perspektive von Frauen gibt? Und wie erklärst du dir, dass das so ist? 

Julia Lacherstorfer: Aus ethnomusikologischer Sicht kann ich das jetzt nicht hinreichend beantworten. Ich kann nur sagen, was ich glaube. Es gibt zum Beispiel ein ganz schönes Lied, in dem es darum geht, dass eine Frau jeden Tag zum Brunnen geht, um zu schauen, ob ihr Liebster aus dem Krieg zurückgekehrt ist. Dieses Lied habe ich durch meinen Vater kennengelernt und ich habe es mit Ramsch & Rosen auch für die erste CD aufgenommen. Die Thematik dieses Liedes berührt mich extrem, weil sie eine so aufwühlende Situation beschreibt. Ich habe mich immer gefragt, warum es nicht ganze Liederbuchreihen zu diesem Thema gibt.
Ich kann mir vorstellen, dass es damit zusammenhängt, dass – als diese Volksmusikforschung in Österreich begonnen hat – die meisten der Forscher Männer waren und die Gewährspersonen, die sie besucht und interviewt haben, wahrscheinlich aus dem eigenen Geschlecht stammten. Zudem war das Frauenbild vor 60 bis 100 Jahren halt noch ein gänzlich anderes. Wir wissen, dass damals Frauen generell noch nicht so viel zugetraut wurde oder zum Beispiel auch in der Psychoanalyse nach Freud ein Bild von ihnen gezeichnet wurde, wo man sich heute die Haare rauft. Als wäre es ein wissenschaftliches Faktum, dass Frauen ein weniger ausgeprägtes Gehirn haben.
Solche Thesen halten sich sehr lange und spielen irgendwie immer hinein. Und ich glaube, dass die Forscher von damals sich auch deswegen nicht wirklich dazu veranlasst sahen, Frauen zu fragen, was sie zu diesem Thema zu sagen haben. Aber wie gesagt, das ist nur eine Vermutung.

Für dein Album bist du auf die Suche nach Geschichten von Frauen gegangen und hast dabei auch mit einigen Frauen der älteren Generation Interviews geführt. Was hast du von diesen Gesprächen mitgenommen?

Bild Julia Lacherstorfer
Julia Lacherstorfer (c) Julia Geiter

Julia Lacherstorfer: Ich empfand diese Interviews sehr inspirierend und berührend.  Ich habe die Frauen in den Gesprächen nie nach etwas Bestimmtem gefragt, sondern sie einfach ihre Lebensgeschichte erzählen lassen. Ich war zum Beispiel bei Maria Salomon, einer 92-jährigen Frau mit der ich mich sicher drei Stunden unterhalten habe. Das Lied „Königin Salomon“ basiert auf ihrer Geschichte.
Sie erzählte mir, wie sie aufgewachsen ist, dass sie ihre Eltern sehr bald im Krieg verloren hat und wo sie dann hingekommen ist. Es war so spannend, weil sie in keinster Weise irgendeinem Rollenbild oder einem Frauenklischee entspricht. Sie hat nie geheiratet, weil die paar Männer, die für sie infrage gekommen wären, alle im Krieg gestorben sind. Danach hat sie einfach niemanden mehr getroffen, der für sie infrage gekommen wäre. Frau Salomon ist total gebildet und ist total viel gereist, sie ist eine leidenschaftliche Ö1-Hörerin, ist extrem selbstständig und aufgeschlossen und lebt nach wie vor alleine. Eine einfach extrem coole Frau.
Was ich an unserem Gespräch wirklich unglaublich spannend gefunden habe, war, dass sie es eigentlich immer – auch schon als Kind – unfair empfunden hat, dass sie, nur weil sie ein Mädchen war, immer die Schuhe vom Vater putzen musste.
Oder dass der Vater das Essen immer als Erster serviert bekommen hat.  Oder dass der Vater das Herz, wenn es mal eines zu essen gegeben hat, bekommen hat, obwohl es ihr so gut schmeckte. Sie bekam es nur, wenn es der Vater nicht wollte. Die Mutter selber hätte es ihr nie gegeben. Die Geschichten sind ein Ausdruck der Geringschätzung des weiblichen Geschlechts auch innerhalb einer Familie.
Das aus dem Mund einer heute 92-jährigen zu hören bekommen, war irrsinnig erfrischend, weil man solche Dinge ganz oft so gerechtfertigt bekommt, dass es eben so war und die Männer es eh nicht so gemeint hätten. Diese Art von Reflexion hat mich sehr fasziniert.

„Ich habe einfach versucht, mich in die Sprache von Frauen dieser Generation reinzuversetzen.“

Wie sehr war es eine Herausforderung, die Geschichten dieser Frauen in deine eigenen Worte zu übersetzen und das authentisch klingen zu lassen?  

Julia Lacherstorfer: Bei den Liedern, die auf den Interviews basieren, war es für mich schwer, aus einem zweistündigen Gespräch, eine Minute Essenz herauszufiltern. Das habe ich quasi meiner Produzentin Caitlin Smith übergeben, weil sie einen Abstand zu den Interviews und damit einen viel differenzierteren Blick hatte. Bei den Liedern mit Texten von mir hat es mir hat mir irrsinnig geholfen, dass ich am Land und mit Dialekt aufgewachsen bin und ich immer noch im Ohr habe, wie meine Großeltern gesprochen haben. Das erste Lied des Albums ist auch im Gedanken an meine Oma entstanden. Ich habe mir einfach vorgestellt, wie sie das, was ich fühle, sagen würde, einfach in ganz simplen Sätzen, überhaupt nicht schwulstig. Ich habe einfach versucht, mich in die Sprache von Frauen dieser Generation reinzuversetzen.

Wie bist du auf den Titel „Spinnerin“ gekommen? Was sagt der aus? Irgendwie denke ich bei diesem Wort an Märchen.

Julia Lacherstorfer: Ich bin ja ganz stark mit alpenländischen Märchen aufgewachsen. Sie haben mich durch meine Kindheit begleitet, auch deswegen, weil meine Eltern früher ganz viel mit dem oberösterreichischen Märchenerzähler Helmut Wittmann gespielt haben. Und wir waren als Kinder immer mit dabei. Während meines Studiums an der Anton Bruckner Privatuniversität in Linz habe ich dann eine Bachelorarbeit geschrieben, in der ich alpenländische Märchen hinsichtlich ihrer Symbolik untersucht habe. Die Spinnerin steht oft für ein Symbol der Entscheidungen des Schicksals. Etwa zwischen Leben und Tod. Sie spinnt den Lebensfaden und wenn der reißt, stirbt auch eine Person. Der Lebensfaden liegt quasi in ihrer Hand. Ich habe dieses Bild als ein sehr schönes empfunden.
Zugleich ist Spinnerin auch ein Wort, das oft schon auch abwertend verwendet wird. Bezeichnet man eine Frau als Spinnerin, ist das oft nicht unbedingt positiv gemeint, sondern man kreidet ihr zum Beispiel an, dass sie unangepasst lebt.
Was ich wirklich schön empfinde, ist, dass sich durch diese Interviews, durch meine Treffen mit diesen Frauen, durch ihre Erzählungen, durch meine Recherche, dadurch, dass ich das alles weiterverarbeitet habe und sich die Frauen einander kennengelernt haben, sich ein narratives Netz zwischen allen an diesem Projekt Beteiligten gesponnen hat. Ich finde es schön, eine Spinnerin von vielen zu sein.

„Ich habe einfach nur auf mein eigenes Gefühl vertraut und die Dinge so gesagt, wie ich sie sagen wollte.“

Wie anders war es für dich, bei diesem Album einmal solo zu agieren?

Bild Julia Lacherstorfer
Julia Lacherstorfer (c) Julia Geiter

Julia Lacherstorfer: Der kreative Prozess am Anfang hat mich extrem erfüllt. In meinen Spirit zu gehen, mich inspirieren zu lassen, zu Hause alles vorzuproduzieren, diese Texte zu schreiben und dabei nicht vom Urteil von Anderer abhängig zu sein, das war eine wirklich befriedigende Erfahrung. Ich habe einfach nur auf mein eigenes Gefühl vertraut und die Dinge so gesagt, wie ich sie sagen wollte.
Als es dann aber darum ging, eine Co-Produzentin zu finden und ihr die Sachen zu zeigen, musste ich mich schon etwas überwinden. Weil letztendlich die Lieder wirklich zu hundert Prozent mein Ausdruck sind und ich mich damit auch sehr verletzlich mache, mich darin zu zeigen. Meine Produzentin Caitlin Smith ist noch dazu auch Kanadierin, das heißt, bei ihr konnte ich nicht voraussetzen, dass sie einen Bezug zu meiner Herkunft und meinem kulturellen Background hat.
Und schließlich dann ins Studio zu gehen und quasi alles alleine einzuspielen, das war dann noch einmal ein riesiger und von vielen Selbstzweifeln begleiteter Schritt. Ich habe immer wieder während des Prozesses das Gefühl gehabt, dass ich es einfach lassen sollte, weil ich dachte, dass ich einfach nicht gut dafür bin.
Da war es cool, mit Simon [Zöchbauer; Anm.] einen Partner zu haben, der ein Jahr davor ein Soloalbum aufgenommen hatte und ähnliche Erfahrungen gemacht hatte. Er hat mir von Anfang an gesagt, dass das einfach dazu gehört und man nur wächst, wenn man es trotz aller Zweifel trotzdem macht. Man wird immer anfangs Angst haben und sich ein wenig unwohl fühlen, das ist ganz normal.

Deine Lieder durchzieht auch vom Klang her eine sehr lyrische Komponente, ein ruhiger und sanfter Ton. War das deine Vorstellung als du die Musik aufgenommen hast?

Julia Lacherstorfer: Ich glaube, diesen Klang hat sicher zum Teil die Thematik mit sich gebracht. Ich bin jetzt persönlich auch keine Musikerin, die ein Album nur zur Unterhaltung produzieren kann. Daraus beziehe ich auch keine Inspiration. Es macht mir zwar auch Spaß, energetischen und lebendigen Folk zu spielen, aber wenn es darum geht, mich auszudrücken, hat meine Musik dann doch meistens eine eher melancholische Schwingung, weil das einfach zu meiner Persönlichkeit dazugehört und es mich bei anderen Menschen oft dorthin zieht, wo es weh tut.

Man hört den Liedern auch an, dass Caitlin Smith und du in der Produktion sehr in die Tiefe, ins Detail gegangen seid und auch sehr viel experimentiert habt. Stimmt dieser Eindruck?

Julia Lacherstorfer: Ja. Das Sounddesign war bei diesem Album sehr wichtig. Ich habe mir auch das notwendige Equipment gekauft, damit ich schon zu Hause mit Stimme und Sound herumexperimentieren kann. Ganz einfach um zu schauen, wie es den klingen könnte. Mit den vorproduzierten Sachen bin ich dann zu Caitlin gegangen, um gemeinsam ein Konzept zu entwickeln. Dann ist es zu Christoph Burgstaller, bei dem ich bislang fast alles aufgenommen habe, ins Studio gegangen. Dort haben wir uns auch immer viel Zeit genommen, um zu schauen, ob die Lieder wirklich so klingen, wie wir es wollten. Speziell die Sachen, bei denen wir Originaltöne von Interviews verwendet und experimentell verarbeitet haben, haben wir wieder und wieder überarbeitet.
Als es mit den Aufnahmen langsam gegen Ende gegangen ist und dann auch noch die Arbeiten am Booklet dazugekommen sind, habe ich dann manchmal schon das Gefühl bekommen, dass das Album nie fertig wird. Aber mir war wirklich wichtig, dass ich wirklich zufrieden bin. Letztendlich bin ich ganz froh, dass ich am Schluss noch einmal diesen langen Atem aufgebracht habe und die Sachen, von denen ich nicht hundertprozentig überzeugt war, noch ausgebessert habe. Jetzt bin ich wirklich happy.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Michael Ternai

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Julia Lacherstorfer live – Spinnerin | a female narrative
16.10. Café Caspar, Wien
17.10. Heimatmuseum, Bad Hall
20.10. Sargfabrik, Wien – Release-Konzert
05.11. Klang I Film I Theater Schladming

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