„Ich entschloss mich, voll und ganz im Hier und Jetzt zu sein“ – MARTIN KLEIN im mica-Interview

MARTIN KLEINS neues Album „Das Leben hat‘s doch gut mit uns gemeint“ zeigt ihn einmal mehr als Ausnahmekünstler. Allein am Klavier trägt er darauf seine Lieder vor. Direkt und intim. Mit Markus Deisenberger führte er ein Gespräch über das Reduzieren, das Probieren und die Parallelen zwischen FRANZ SCHUBERT und NICK DRAKE.

Erst neulich hatten Sie die Albumpräsentation im Radiokulturhaus, die ich leider versäumt habe. Sie sprechen trotzdem mit mir. Danke dafür. Es gibt allerdings einen Videomitschnitt davon, den jemand auf YouTube gestellt hat. Da sprechen Sie zwischen zwei Nummern die sehr konzentrierte Stimmung des Publikums an. Und tatsächlich ist es mucksmäuschenstill. Man könnte eine Stecknadel fallen hören. Es klingt fast so, als sei Ihnen das ein wenig unangenehm gewesen.

Martin Klein: Nein, gar nicht, die Leute waren einfach extrem aufmerksam. Und ich fand das sehr cool.

Das Album selbst wirkt wie eine Fortsetzung des letzten Albums „Lass uns bleiben“.

Martin Klein: Genau, „Lass uns bleiben“ war mein erstes deutschsprachiges Album, das ich 2011 fertiggestellt habe. Das neue ist sehr ähnlich geworden. Aber dazwischen hab ich etwas ganz anderes gemacht, ein Elektro-Keyboard-Album, das ich selbst rausgebracht habe. Ein Underground-Album. „Tracks for my Keyboard“ hieß das und ging in eine ganz andere Richtung. Da habe ich ganz ohne Texte gearbeitet. Keine Texte, sehr wenig Gesang, sehr groovig.

Und den Weg des deutschsprachigen Singer-Songwriters möchten Sie weitergehen?

Martin Klein: Auf jeden Fall, ja. Ich mache sehr gerne unterschiedliche Sachen. Lieder zu schreiben macht mir sehr viel Spaß, und es ist noch lange nicht ausgereizt. Deshalb möchte ich auf jeden Fall weitermachen, ja.

Schon der Titel „Das Leben hat‘s doch gut mit uns gemeint“ mutet angesichts der weltpolitischen Lage schon fast zynisch an. Die Welt geht aus den Angeln, Flüchtlingsströme, Volksverhetzung … Ist der Titel zynisch gemeint?

Martin Klein: Nein, überhaupt nicht. Ich habe das Album ja auch schon vor fast zwei Jahren aufgenommen. Danach lag es lange in der Schublade. Damals, zum Zeitpunkt der Aufnahme, war die Zeit noch eine ganz andere. Ich freue mich jetzt einfach, dass es fertig und draußen ist. Die Aufnahme-Session war sehr kurz, dauerte nur drei Stunden. Es lief sehr reduziert ab, wir haben einfach nur aufgenommen. Dann habe ich es mal liegen und ruhen lassen. Und dann haben meine Plattenfirma und ich beschlossen, das Album im Herbst rauszubringen.

Wie kamen Sie zu Traumton Records?

Martin Klein: Die haben mich damals über Myspace entdeckt. Ich habe auch immer wieder in Berlin gespielt.

Eine Partnerschaft also, die funktioniert?

Martin Klein: Ja, sehr sogar.

„Ich bin als Mensch einfach ruhiger geworden.“

Ihr Album „Songs from my Piano“ war noch englischsprachig und es war voll instrumentiert. Ein international orientierter Popentwurf mit Band, wobei es aber auch schon auf jenem Album mit „Dawn has broken“ ein auf Stimme und Klavier reduziertes Lied gab. Sie haben sich dann aber von der englischen Sprache ab- und der deutschen Sprache zugewandt. Und gleichzeitig sind Sie den Weg der Reduktion gegangen, weg vom Trio und hin zum Pianisten, der seine eigenen Lieder allein am Klavier vorträgt. Wie kam es dazu? Und fanden die Hinwendung zur deutschen Sprache und die Reduktion gleichzeitig statt?

Martin Klein: Ja, das war schon gleichzeitig. Ich bin als Mensch einfach ruhiger geworden. Und da hat es mich dann interessiert, mal ruhigere Sachen zu machen und allein auf der Bühne zu sein. So ist die Musik einfach ruhiger geworden. Lieder auf Deutsch zu schreiben, fand ich plötzlich interessant, und beides ging Hand in Hand.

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Wenn man international erfolgreich sein will, kann die deutsche Sprache aber auch ein Klotz am Bein sein.

Martin Klein: Ich denke da nicht in einem Erfolgsschema. Ich mache einfach das, was mir am meisten Spaß macht. Ab und zu schreibe ich auch englische Songs. Das meiste ist aber auf Deutsch. Ich schau einfach, was kommt, und mach es dann so, wie es sich für mich am natürlichsten anfühlt. Bei mir war es immer die Herausforderung, verschiedene Sachen auszuprobieren und zu schauen, wie die unterschiedlichsten Sprachen beim Publikum ankommen. Das Album davor war – wie gesagt – etwas völlig anderes. Ich möchte ein Künstler sein, der wie ein Maler – komplett befreit vom ganzen Musikbusiness – das malt, was er will und was sich gut für ihn anfühlt. Wenn das ein Lied auf Deutsch ist, dann ist es gut. Wenn es ein Lied auf Englisch ist, soll es mir auch recht sein. Und wenn es ein Stück zum Tanzen ist, ist es auch gut. Ich sehe mich nicht als Songwriter, sondern als Musiker im Allgemeinen.

Und das Ausblenden des gesamten Business funktioniert? Oder versuchen dann doch immer wieder Kräfte von außen Einfluss zu nehmen, derer man sich erwehren muss?

Martin Klein: Mittlerweile ist das so, wie ich das praktiziere, für mich der beste Weg. Natürlich stehen sich manche auf meine Elektro-Sachen. Dann gibt’s die, die die englischsprachigen Songs mögen. Dann gibt es welche, die mögen die deutschsprachigen. Und dann gibt es die, die mögen gar nichts von mir. Natürlich ist das für das Publikum eine Herausforderung. Aber ich finde das lustig. Ich jedenfalls kann sagen, dass ich immer das gemacht habe, was mir am meisten Spaß gemacht hat. Und so finde ich das am coolsten.

„Es ist extrem lustig, auf die Bühne zu gehen und etwas zu machen, was die Leute zwingt, runterzukommen und leise zu sein.“

In deutscher Sprache, mit intimeren Texten und jedenfalls leiser als früher – wie hat es sich in diese Rolle gefügt? Ist das ein Anzug, der gleich gepasst hat, oder mussten Sie sich erst daran gewöhnen?

Martin Klein: Am Anfang war das auf jeden Fall eine Herausforderung. Umso mehr hat es mich dann aber auch gereizt. Und umso spannender habe ich es gefunden, diese Herausforderung auch anzunehmen. Es ist extrem lustig, auf die Bühne zu gehen und etwas zu machen, was die Leute zwingt, runterzukommen und leise zu sein. Das war im Großen und Ganzen auch der Reiz an der Sache. Sicher wurde es mit der Zeit einfacher.

Ich weiß nicht mehr, wo ich es gelesen habe, aber ich habe gelesen, mit dem neuen Album hätten Sie einmal mehr Ihren Ruf als neuzeitlicher Franz Schubert unter Beweis gestellt.

Martin Klein: Ich glaube, das war Bayern 2. Die haben das schon beim Album „Lass uns bleiben“ in den Raum gestellt. Ich glaube, dabei geht es eher um die Verbindung zwischen Klavier und Gesang. Ich habe mich ja auch immer wieder für klassische Musik begeistern können, nicht mehr und nicht weniger als für Techno, Jazz oder Pop. Erklären kann ich mir den Vergleich deshalb auch nicht ganz.

Ihre Version eines Schubertlieds hat für mich einen äußerst angenehmen unprätentiösen Beigeschmack. Das Schubertlied zu entkrampfen, indem man es vom Podest hebt, aus seinem historischen Kontext herauslöst und so das Historisierende in der Interpretation abstreift, war das Ziel dieser Interpretation?

Martin Klein: Ja, das ist entstanden, wie es entstanden ist. Ich hab mir den Klavierpart nicht ausgecheckt, sondern auf Akkorde reduziert. Es sollte so klingen, als ob man das Lied nach Gehör nachspiele. Alles andere – detailgetreue Interpretation der Noten oder künstlerisch hochwertiger klassischer Gesang – habe ich ausgeblendet. Ich habe es so gespielt, wie ich eine Nummer von Nick Drake auch spielen würde.

„Die Genres und Grenzen, die uns im Kulturbetrieb einengen, sollte man sowieso hinterfragen […]“

Und Ihr ehemaliger Klavierlehrer, hätte Sie der gelyncht für diesen Frevel?

Martin Klein: Das glaube ich gar nicht. Die Genres und Grenzen, die uns im Kulturbetrieb einengen, sollte man sowieso hinterfragen, selbst wenn es um atonale Musik geht. Wenn man kreativ ist und sich für etwas interessiert, sollte man die Möglichkeit haben, das in jede Richtung auszuleben und es einfach zu machen.

Diese Grenzen sind sehr verankert, oder?

Martin Klein: Total. Überall. Man stößt immer wieder an Grenzen. Und jeder braucht eine Schablone, die er über einen darüberstülpt, um einen Künstler beschreiben zu können. Eigentlich gehört das abgeschafft. Einfach ausblenden und machen, auch wenn man nicht perfekt Noten lesen kann.

Wie ein Werner Pirchner, den Sie – wie ich weiß – sehr verehren?

Martin Klein: Ja, der hat zum Beispiel auch ohne Studium für klassische Besetzungen geschrieben. Ich finde es immer sehr interessant, auf Freejazz-Sessions zu gehen. Da gibt es oft den Moment oder besser die Möglichkeit, nach einer Stunde atonaler Musik, die sehr interessant ist und sehr viel Spaß, macht, auch einmal einen simplen Dreiklang zu spielen. Und dann macht sich auch dort jeder in die Hose, weil er glaubt, das nicht machen zu dürfen. Ein Dreiklang wäre viel zu profan. Zu banal. Da geht es aber doch darum, Grenzen zu sprengen. Wenn ich aber die Musik mache, die in meinem Kopf drinnen ist, dann spiele ich auch Dreiklänge.

So frei ist ja auch die improvisierte Musik nicht. Vieles ähnelt sich.

Martin Klein: Auch improvisierte Musik kann nach Schema F funktionieren, ja. Ich habe vor sehr vielen unterschiedlichen Genres Respekt und interessiere mich dafür. Ich mache einfach meine Sachen und versuche, Grenzen auszublenden.

Deutschsprachiger Pop erlebt derzeit einen Höhenflug. Eröffnet das auch für Ihre Art von Musik die Chance, besser wahrgenommen zu werden?

Bild Martin Klein
Martin Klein (c) Martin Klein

Martin Klein: Das glaube ich nicht. Meine ganze Platte ist ohne Klick und ohne Overdubs aufgenommen. Nur Klavier und Gesang. Für regelmäßiges Radio-Airplay ist das uninteressant. Das regelmäßige Metrum ist nur eines von vielen Kriterien, die dieses Album nicht erfüllt. Schlagzeug etwa sollte auch dabei sein. Ich freue mich immer, wenn etwas gespielt wird. Ab und zu laufe ich auf FM4, ab und zu laufe ich in Deutschland.

„Keine Overdubs“ heißt auch eine Nummer auf dem neuen Album. Das ist also programmatisch zu verstehen? Man soll unnötigen Firlefanz weglassen und sich auf das Wesentliche konzentrieren?

Martin Klein: Ja, auf jeden Fall. Der Song entstand, da hatte ich die meisten Lieder schon eingespielt. Ich habe ein wenig herumimprovisiert, wollte die Situation beschreiben, in der ich bin. Die Frage war, ob das alles schon cool war, so wie ich das machte, oder ob ich nicht doch verschiedene Spuren aufnehmen sollte, Overdubs verwenden sollte. Ich entschloss mich, voll und ganz im Hier und Jetzt zu sein. Die CD ist wie ein kleines Solokonzert von mir. Als ob ich live spielen würde.

„Nur einmal“ und „Schachtel aus Papier“ haben Sie für den Film „Das Kind in der Schachtel“ geschrieben. Wie kam es dazu?

Martin Klein: Gloria Dürnberger, eine junge Filmemacherin, ist an mich herangetreten. Sie hat einen Film über ihre psychisch kranke Mutter gedreht. Sie war ein Pflegekind und hat das in einer sehr interessanten und berührenden Dokumentation aufgearbeitet. Der Film hat bei der Diagonale den Publikumspreis gewonnen. Sie hat mich beim Chansonfest Berlin gehört und mich anschließend gefragt, ob ich ihr drei Songs schreiben könnte. Das habe ich sehr gerne getan.

Wäre das etwas, was Sie interessieren würde: Musik für Film zu komponieren?

Martin Klein: Auf jeden Fall. Auch Theatermusik macht mir sehr viel Spaß. Jetzt gerade schreibe ich Musik für ein Tanztheater im Nestroyhof. „Projekt Abblende“ heißt das Konzept eines jungen Choreografen. Das Interessante an solchen Arbeiten ist, auch Input von außen zu bekommen und so inspiriert zu werden.

Den Titelsong des Albums haben Sie während der CD-Präsentation als „mein Lied für diese Stadt“ bezeichnet. Das Lied klingt dann aber nicht so nach reiner Liebe, sondern – wie so oft bei Ihnen – ein wenig melancholisch.

Martin Klein: Ja, aber genau deshalb liebe ich diese Stadt ja auch so. Wien ist echt cool. Mit allen schönen und auch negativen Seiten. Im Großen und Ganzen ist es doch eine tolle Stadt, um hier zu leben und Musik zu machen.

„Die Welt ruht in sich“: Ist das eine tief empfundene Sehnsucht nach Ruhe und einer Ordnung der Natur, die uns Menschen auch zur Ruhe kommen lässt?

Martin Klein: Ja. Wäre schön, wenn man mit dem Album zur Ruhe kommen könnte.
Man muss sich auf jeden Fall Ruhe und Zeit dafür nehmen, weil es auch sehr leise Stellen gibt. Eine Single allein reicht nicht. Wenn jemand wirklich eintauchen will, muss er sich schon das ganze Album in Ruhe anhören.

Vielen Dank für das Gespräch.

Markus Deisenberger

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