Eigentlich hat SARA GLOJNARIĆgerade Urlaub. Die in Stuttgart lebende Komponistin verbringt die Weihnachtsfeiertage bei ihrer Familie in Zagreb. Zum Zoom-Interview erscheint die gebürtige Kroatin trotzdem auf die Minute genau. Sie lacht gerne und viel, derzeit noch öfter – vor wenigen Tagen hat sie einen Anruf aus Wien erhalten. „Ich brauchte zwei Sekunden, um die Umstellung auf den österreichischen Akzent zu realisieren. Dann habe ich verstanden, was mir gerade gesagt wurde.“ SARA GLOJNARIĆ ist Trägerin des Erste Bank Kompositionspreis 2022. Kurze Sprachlosigkeit am Hörer. „Ich wusste nicht, dass ich den Preis überhaupt gewinnen kann.“ Die erneute Bestätigung, ein herzlicher Glückwunsch! „Ich dachte ‚what the fuck‘ – dann wurde es ein richtig guter Tag.“
Sara Glojnarić kommt 1991 in Zagreb zur Welt. In ihrem Elternhaus laufen keine Bach-Sonaten oder Klavierkonzerte von Mozart. „Ich wurde nicht mit klassischer Musik sozialisiert, sondern mit Formen der Popkultur“, sagt Glojnarić und meint: „Ich bin Teil der Popkultur. Das ist meine Vergangenheit, vor der ich nicht wegrennen kann.“ In ihren Jugendjahren stößt sie trotzdem auf die Musik von Dora Pejačević, ist fasziniert von ihren Orchesterwerken – den ersten, die eine Frau in Kroatien schrieb. Langsam wächst der Wunsch, selbst Stücke zu schreiben. Glojnarić studiert Komposition bei Davorin Kempf, einem kroatischen Komponisten, der besonderen Fokus auf die Verschmelzung von neuen und traditionellen Musikstilen legt. Mit 22 Jahren zieht sie nach Stuttgart. In der größten Stadt Baden-Württembergs lernt Glojnarić beim deutschen Komponisten Martin Schüttler. Einer, der sie antreibt, ihre Identität nicht abzustreifen, sondern anzunehmen und in ihre Werke einzubauen.
Inzwischen ist die 30-jährige Komponistin ein gefragter Name in der Neuen Musik. 2020 gewann die Komponistin den Preis der „Neuen Szenen“ der Deutschen Oper Berlin. Sie führte Opern und Ensemblestücken bei Festivals wie den Wittener Tagen für neue Kammermusik und dem Huddersfield Contemporary Music Festival auf. Und kann nun im Rahmen des Erste Bank Kompositionspreises für das Klangforum in Wien die Partituren füllen.
„Ich bin seit jeher von den Fähigkeiten des Klangforums fasziniert. Deshalb reizt mich die Vorstellung, ein Stück für so ein großes Ensemble zu schreiben.“ Für derart viele Menschen etwas Mechanisches auf Papier zu bringen und wie eine Maschine zu synchronisieren, sei schließlich selten umsetzbar. Während des Studiums konnte sich die Komponistin zwar an einem Orchesterstück versuchen. „Aber das war etwas ganz anderes. Mit meinen kompositorischen Gedanken, die ich im Laufe der letzten drei Jahre entwickelt habe, kann ich nun weiterarbeiten und es mit dem Klangforum auf einem anderen Niveau umsetzen.“
Die Tatsache, dass unterschiedliche Formen von Besetzungen unterschiedliche Herangehensweisen in der Komposition bedingen, sei eine wichtige Erkenntnis in der Entwicklung als Komponistin gewesen, sagt Glojnarić. „Vor sechs Jahren hatte ich mich gefragt, warum wir überhaupt ein weiteres Orchesterstück hören sollten.“ Um diese Frage zu beantworten, müsse man nicht nur die handwerklichen Fähigkeiten hinterfragen, sondern auch die eigenen kompositorischen Prozesse reflektieren. Das verlangt Zeit und Erfahrung. „Fünf Jahre kompositorischer Arbeit habe ich allein gebraucht, um zu checken, was ich machen will“, sagt Glojnarić. Im Zentrum stand ein Erlebnis bei einem Improvisations-Workshop in Polen. „Jeden Tag sollten vier Musiker:innen in unterschiedlichen Gruppen ein Stück schreiben, das am selben Abend zur Aufführung kam. Was mich dabei fasziniert hat: Obwohl sich zuvor niemand kannte, hatten alle Stücke einen ähnlichen formalen Ablauf“, so Glojnarić. Für die Komponistin war diese Erfahrung ein Erweckungserlebnis, das zu weiteren Fragen führte. Warum sollte sie ein Stück aufschreiben? Was ist der Mehrwert des Stücks? Und was will es kommunizieren? „Allesamt Fragen, die ich auf eine einzige herunterbrechen musste: Warum schreibe ich Partituren und improvisiere nicht einfach, wenn es letztlich auf dasselbe hinausläuft?“
„DAS IST ES DOCH, WAS DIESE TOLLEN MUSIKER:INNEN KÖNNEN: ZUSAMMENSPIELEN!“
Glojnarić lächelt kurz in ihre Laptop-Kamera, weil sie weiß, dass sie für sich zu einer Antwort gekommen ist. Partituren ermöglichen schließlich die Synchronisierung des Werks. Etwas, das selbst mit den besten Improvisations-Musiker:innen niemals möglich ist. Am Blatt lässt sich eine Verbindung aufbauen zwischen Synchronizität und Zusammenspiel auf hohem Niveau. „Das ist es doch, was diese tollen Musiker:innen können: Zusammenspielen!“, sagt Glojnarić. „Ich meine aber nicht nur das Zusammenspiel im selben Raum und Moment, sondern das tatsächliche Zusammenspielen – auf einer körperlichen Ebene.“
Dieses Zusammenspiel propagiert Glojnarić nicht nur, man kann es in den Aufführungen ihrer Werke sehen. Musiker:innen interpretieren die Stücke, indem sie sich mit ihrem Körper einsetzen, ihn anspannen und sich ruckartig wie Maschinen bewegen – ganz so, als reagierten sie auf die Impulse, die so von den Noten erhalten und an ihre Mitwirkenden aussenden. „Sugarcoating“, eine Werkreihe, dessen Idee während ihres Masters entstand und seither neue Ausformungen erhält, fasst diesen körperlichen Ansatz erstmals ein. Die Premiere fand mit dem Ensemble Musikfabrik statt. „Die waren alle wütend auf mich, weil es mit zwei oder drei Proben nicht getan ist“, so Glojnarić. Es verlange das absolute Zusammenspiel, vollständige Synchronizität und unbedingte Konzentration. „Deshalb gibt es jedes Mal Ärger, wenn ich eine neue Version von „Sugarcoating“ schreibe.“
Die Stücke seien nicht logisch aufgebaut. Man könne die Verhältnisse zwischen den Tempoverhältnissen nicht automatisch finden oder erahnen. Sie seien vielmehr mechanisch gedacht. „Man muss die Tempiwechsel körperlich abspeichern, bis sie internalisiert sind“, so Glojnarić. Sie lächelt und gibt zu, dass man dafür viel Zeit aufwenden müsse, betont aber auch, dass die Musiker:innen davon profitierten. „Sie bekommen einen Spielraum innerhalb der krassen technischen Ansprüche, weil die Stücke die Virtuosität der Synchronisierung feiern.“
Der Hang zum Perfektionismus geht damit einher wie der Anspruch zur Selbstdisziplin. Sara Glojnarić weiß das, weil sie ihn inzwischen von sich selbst verlangt. Seit einigen Monaten trainiert sie mit der Sängerin und Amateur-Triathletin Johanna Zimmer. Im Wasser, auf dem Fahrrad, in Laufschuhen. „Das ist der große Unterschied zu der Zeit vor 2020. Davor habe ich keinen Sport gemacht. Jetzt ist er in meinem Leben und ich kann es allen empfehlen.“ Glojnarić sagt diese Worte wie eine Motivationstrainerin während eines Ganzkörper-Workouts. Fast ist man versucht, sich selbst auf ein Gravelbike schwingen, um sich an die olympische Distanz zu wagen.
Denn Glojnarić verkörpert Enthusiasmus. Man merkt, dass sie etwas gefunden hat, das sie von der kompositorischen Arbeit ablenkt und gleichzeitig ihr Schaffen beeinflusst. Manchmal sagt sie Sätze wie „der Sport war ein klarer Schnitt in meinem Leben“ oder „davor hatte ich ein anderes Leben“ – und man glaubt ihr, weil die angehende Triathletin für etwas brennt, das sie mit ihrem künstlerischen Ansatz verbindet. „Die Idee von Kontinuität ist dabei wichtig“, denn: „Ich habe gemerkt, wie schnell sich mein Körper verändern kann, wenn ich täglich ein bisschen was tue.“ Eine Entdeckung, die auch ihren kompositorischen Ansatz verändert habe. Glojnarić schreibe mittlerweile jeden Tag. „Das beeinflusst die Intensität des Trainings meiner Arbeit.“ Die körperliche Action verbindet ihre Werke, die Rigorosität des Sports überträgt sich auf die Körperlichkeit der Stücke. „Selbst wenn an manchen Tagen nichts funktioniert, führt das Aufschreiben einen Schritt weiter“, so die Komponistin.
Der Neuen Musik entspringen schließlich unendliche Optionen, mit denen man sich in einem offenen Raum bewege, in dem man den richtigen Weg erst finden müsse. Diesen zu finden sei der anstrengende Teil. Denn: „Komponieren dauert. Außerdem habe ich noch nie jemanden kennengelernt, der gesagt hat, dass es einfach sei.“
Christoph Benkeser
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