„ICH BIN STUR UND LASSE MIR VON KEINER GESELLSCHAFT SAGEN, DASS DAS KLEINE ARBEITERKIND DAS NICHT MACHEN KANN” – Yasmin Hafedh (YASMO) im mica-Interview

Zwischen Aufbruch und Sturheit, zwischen Melancholie und Vorfreude, zwischen Wut und Entspanntheit: YASMO & DIE KLANGKANTINE haben mal wieder den richtigen Soundtrack zur Zeit geschrieben und mit „Augen auf und durch“ (VÖ: 7.11.25) ein Album kreiert, das den Winterblues noch ein wenig nach hinten verschiebt. Während sie mit ihrem Vorgänger von 2022 noch mehr im Strudel gestanden sind, reißt die Band – allen voran YASMIN HAFEDH aka YASMO – weit die Augen auf, um dem Abgrund entgegenzusehen. Denn – und das weiß auch YASMO – darauf zu warten, dass die Probleme einfach von selbst verschwinden, hat noch nie besonders gut funktioniert. Im Gespräch mit Ania Gleich erzählt HAFEDH dabei unter anderem von dem Willen zur Selbstständigkeit, von undurchsichtigen Strukturen der Musikindustrie und von der erfüllenden Macht, Banden zu bilden.

Dein letztes Album ist ziemlich genau vor drei Jahren erschienen! Hast du es irgendwie mit den November-Releases?

Yasmin Hafedh: Das ist eine gute Frage. Eigentlich haben wir früher die ersten Alben im Frühjahr rausgebracht. Und dann hat sich das mit 2022 nach Corona eingeschlichen, dass es eher der Herbst wird.

Aber ich finde, dein Album passt ja irgendwie auch genau da rein. Kämpft das schon gegen so eine Wintermelancholie?

Yasmin Hafedh: Ja, ich finde, das hält ganz gut dagegen an. Das ist ein schönes Feedback. 

Vielleicht können wir da anfangen: Was ist in drei Jahren bei dir passiert? 

Yasmin Hafedh: Wir haben uns nach dem letzten Album 2022 überlegt, wie es weitergeht. Damals war Ink Music noch eine Booking-Agentur, aber nach der Pandemie haben sie den Booking-Zweig geschlossen – verständlich, weil Corona natürlich katastrophal fürs Booking war. Ink Music ist weiterhin Label und Verlag, aber eben keine Booking-Agentur mehr. Die Tour damals war aber noch mit ihnen gebucht, das hat alles super funktioniert. Es war eines ihrer letzten Projekte im Booking-Bereich. Und dann standen wir plötzlich da und haben uns gefragt: Wie geht es jetzt weiter? Es haben sich zwar Agenturen gemeldet, aber uns stellte sich die Frage: Müssen wir überhaupt wohin? Es gibt uns ja schon lange, wir sind ein Name, und wir kennen die Veranstalter:innen mittlerweile. Also dachten wir: Okay, wir probieren das jetzt selbst. Und so haben wir Anfang 2023 weitergemacht. Plötzlich hatten wir total viele Shows, weil Reini – Reinhard Hörschläger, unser Drummer – meinte: „Ich book euch jetzt, ihr macht das schon!“ So auf seine ganz pragmatische, innviertlerische Art. Und dann ist es total abgegangen! Ich hatte natürlich ein bisschen Angst: Was ist, wenn die uns nicht mehr kennen oder uns nicht wollen? Aber es hat so gut funktioniert, dass wir dachten: Passt, wir machen alles selbst. Das war ein super schönes Erfolgserlebnis. Und deswegen war klar: Jetzt sollten wir wieder ein neues Album machen. Aber bevor wir das gemacht haben, kam eine alte Erfahrung wieder hoch: Es gibt viele Veranstaltungsorte in Österreich, die uns zwar buchen würden, aber für die große Besetzung einfach keinen Platz haben. Vor allem in Niederösterreich gibt es viele geförderte Häuser, die das Budget hätten aber nicht den Platz für neun Leute auf der Bühne.

Ich dachte kurz, es wäre genau umgekehrt: dass ihr als neunköpfige Gruppe nicht leistbar seid. 

Yasmin: Nein, nein. Natürlich gibt es auch Orte, die sich das finanziell nicht leisten können, aber oft ist es wirklich ein Platzproblem. Und wenn dann nur 20 Leute ins Publikum passen, weil alles umgebaut werden muss, ist das auch mühsam. Also haben wir gesagt: Wir machen endlich diese kleine Besetzung, über die wir schon seit Jahren reden. Die „Klangkantine Light“ – nur die Rhythmusgruppe, damit wir flexibler sind. Letztes Jahr haben wir dann eine kleine Tour mit dieser Besetzung gespielt und das war auch voll cool. Und währenddessen – beziehungsweise auch schon davor, also 2023 – haben wir gesagt: Nach all diesen Entscheidungen müssen wir jetzt auch ein neues Album schreiben. Also kam die Frage: Scheißen wir drauf? Also im Sinne von: Passen wir den Sound an die kleine Besetzung an oder machen wir einfach eine Mischform? Wir hatten alle das Gefühl, dass wir zurück zum Bandsound wollten. Auch ein bisschen als Trotzreaktion. Ich war in den letzten Jahren auch privat auf vielen Festivals, und da ist mir aufgefallen: Es gibt immer weniger Live-Bands. Ist eh logisch mit TikTok und so – du hast du halt eher einen DJ. Aber als ich 2022 beim Primavera war, dachte ich mir zum ersten Mal: Ich geh da nie wieder hin. Da waren so viele Acts mit DJ – aber nicht mal mit Instrumentals, sondern einfach nur der Track, und die Leute haben dazu Lip-Sync gemacht. Natürlich sollen sie machen, wie sie wollen, aber ich dachte nur: Was passiert hier? Und deswegen haben wir gesagt: Wir wollen zurück zu diesem Band-Sound, den wir haben. Klar, bei mir war der Bandsound nie im klassischen Sinn da, aber es war immer pompös, groß. Wir waren eh schon immer eine Art Rebellion gegen das individualistische DJ-Ding.

„SCHREIBEN DARF AUCH SPAß MACHEN!”

Da gibt es so zwei Lager: Die einen sagen, Bands sterben aus, die anderen: Gerade jetzt gibt es den Back-to-the-Roots-Moment.

Yasmin Hafedh: Ich verstehe es auch: Diese TikTok-Generation – das ist ja genau die Altersgruppe, die in der Pandemie sonst auf Konzerte gegangen wäre. Die haben dieses Live-Erlebnis nie gehabt. Dass man da eher sagt: „Ich spiele halt meinen Track ab und stell mich auf die Bühne“, ist nachvollziehbar. Aber jetzt sind es genau diese Leute, die wieder voll auf Bands abfahren. Es kommt langsam wieder. Alles ist zyklisch.

Ich hatte bei dem neuen Album das Gefühl, es ist fast melancholisch. Vielleicht nicht auf den ersten Sound hin, aber inhaltlich – so etwas Abschließendes, Abrechnendes. Weißt du, was ich meine? 

Yasmin Hafedh: Ich liebe deine Interpretation und was du da rausliest.

Ja? Naja, weil dein letztes Album hatte so eine Energie von: mitten im Strudel. Jetzt fühlt sich das Neue eher wie eine Abrechnung an. Inwiefern spiegelt das deine Gedanken wider?

Yasmin Hafedh: Tolle Frage! Ich teile das total, dass es etwas Abschließendes hat und damit natürlich auch etwas Melancholisches. Weil klar, jeder Abschied bringt ein bisschen Melancholie mit sich. Aber eigentlich ist es auch etwas sehr Freudiges. Ich hoffe, das kommt rüber – sagen wir es so. Was uns aufgefallen ist, auch innerhalb der Band: Die Entwicklung, die wir alle gemacht haben. Eine neunköpfige Band über zehn Jahre lang zu führen, das ist am Ende wie ein Familienfest – manchmal gibt es irgendeinen schwierigen Onkel, es gibt Streitigkeiten, es ist halt einfach Familie. Und manchmal auch ein bisschen dysfunktional, sagen wir so. Aber jetzt – auch beim Schreiben des Albums – hatte ich das Gefühl, es ist bei uns allen viel weitergegangen. Ralph Mothwurf und Tobias Vedoveli, die mit mir die Musik schreiben, haben sich auch enorm entwickelt. Ralph hat ein Orchester gegründet, Stücke geschrieben, tausend Kompositionen. Tobi hat gefühlt 500.000 Projekte und ist eigentlich nur mehr mit seinen Jazz-Sachen auf Welttournee. Und dann dieser Befreiungsschlag: Wir booken uns selbst, wir organisieren uns selbst, wir zahlen uns das Album selbst, wir produzieren selbst. Wir spielen Gigs, damit Geld in die Bandkasse kommt, um die Produktion zahlen zu können – also genau dieses DIY, wo wir ja ursprünglich herkommen. Ich glaube, das hat viel gemacht. Wir pfeifen jetzt auf Vorgaben wie: Ein Song muss so und so lang sein, der Refrain muss am Anfang kommen, und er muss catchy sein. What the fuck? Vorher haben wir auch schon probiert, drauf zu pfeifen, aber das kam eher aus einer defensiven Haltung. Es hat uns niemand gezwungen, aber wenn das Label sagt: „Es bräuchte schon eine Single fürs Radio“, dann bleibt das doch im Kopf. Und dann ist man in dieser Haltung von: „Nein, das wollen wir nicht machen.“ Diesmal war das anders. Diesmal waren wir wirklich frei. Wir haben das alles selbst gemacht. Keine externen Dienstleister:innen, keine Studios, die wir einmalig mieten, keine anonymen Mixer:innen. Sondern: Leute, mit denen wir seit Jahren zusammenarbeiten. Alle, die am Album beteiligt sind, sind Teil unserer Geschichte. Das war neu.

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Das kann ich total nachvollziehen. Wie war das eigentlich für dich – du hast ja erzählt, ihr habt die Besetzung runtergeschraubt und gleichzeitig gesagt, ihr seid wie eine große Familie geworden. War das nicht auch schwierig, sich da zu verabschieden?

Yasmin Hafedh: Nein, gar nicht. Uns gibt es ja nach wie vor in voller Besetzung. Die Bläser haben das total wohlwollend aufgenommen. Das war nie so ein „Wir hauen euch raus für zwei Monate“. Wir haben das gemeinsam besprochen, und alle waren sich einig: Wenn’s räumlich oder organisatorisch nicht geht, ist das halt so. Gerade in kleinen Venues – vier Bläser, wenig Platz, schwieriger Sound. Das ist einfach nicht praktikabel. Und niemand war böse deswegen. Es wäre ja auch wirklich schade gewesen, wenn wir uns durch so etwas was entgehen lassen würden. Wir haben auch ganz klar gesagt: Alles, was über die reguläre Gage hinausgeht, geht in die Bandkasse für neue Produktionen. Ich glaube, in der Wirtschaft nennt man das Umwegrentabilität, also: neue Produktion, neue Tour, und so weiter. Ich habe das Wort auch erst heute gelernt! 

Wenn man jetzt vom Sound weggeht – was ist mit deiner Textarbeit? Hat sich da was verändert? Dein Zugang, wie du schreibst? 

Yasmin Hafedh: Ja, voll. Die erste Nummer, die wir für das Album geschrieben haben, war “Das gute Leben”. Ich war gerade von Triest zurück, da gibt es bei der Strandpromenade diese eine Bar – die beste Bar der Welt. Sonnenuntergang, Aperol Spritz in der Hand, überall Traumfänger und schräge Rumhänger, aber auf die beste Art. Zwei Tage später saß ich bei Tobi, und wir haben “Das gute Leben” geschrieben. Der Song war fast fertig nach einem Nachmittag – alles ist einfach geflossen. Ich war noch total im Urlaubsmodus, Tobi war auch gut gelaunt, wir hatten einfach eine gute Zeit miteinander. Und das war dann auch so ein Learning: Schreiben darf auch Spaß machen. Das war in der Phase, wo wir uns eh gerade gefragt haben, wie es weitergehen soll und wir dachten: Wir wollen einfach wieder Freude daran haben. Die Texte sind nicht alle lustig, aber das Schreiben selbst hat durchgehend Spaß gemacht. Ich glaube, dass alle Songs, die es aufs Album geschafft haben, in diesem Geist entstanden sind. Manche haben länger gedauert, klar, aber jeder Text war ein Vergnügen zu schreiben.

Ich habe jetzt erst gecheckt – obwohl ich es sicher schon fünfzehn Mal gelesen habe –, dass dein Album ja “Augen auf und durch” heißt. Ich hatte immer “Augen zu und durch” im Kopf. War das geplant?

Yasmin Hafedh: Ja, das war Absicht. Du bist auch nicht die Erste, der das aufgefallen ist – also alles gut! Wir haben ja immer diese Und-Titel. Das erste Album war self-titled, “Yasmo und die Klangkantine” dann “Prekariat und Karat, dann “Laut und Lost”. Und irgendwann dachten wir: Bleiben wir bei diesem Konzept? Ursprünglich wollte ich das neue Album “Das gute Leben” nennen. Aber dann meinten wir: Nein, wir haben dieses Konzept seit Jahren, das ist uns zu kostbar, um es zu brechen. Und so kam der Titel “Augen auf und durch” zustande – das kommt ja auch in “Das gute Leben” vor: „Augen auf und durch das gute Leben“. Und ich mag den Titel total. Es ist dieses: „Ja, ist eh alles gut wie scheiße.“ Wir müssen sowieso durch, aber halt mit offenen Augen, statt sie zuzumachen. Wir kommen da nicht raus – sei es Klimakrise, Wettbewerbsdruck, Kriege, alles was passiert.

Gab es auch einen Song, der dir besonders schwer gefallen ist? Oder irgendeinen Moment im Produktionsprozess, wo es gehakt hat? Oder ging das alles ganz locker-flockig a lá „augen auf und durch“?

Yasmin Hafedh: Also vom kreativen Prozess her ging wirklich alles total easy. Es ist super gelaufen. Aber die Produktion? Das war… puh. Wir scherzen bis heute darüber. Auf Produktionsseite ist wirklich so viel schief gegangen wie noch nie. Zum Beispiel mussten wir das Masterabgabedatum ewig verschieben. Und dann war da dieser Song – “Bildet Banden” – bei dem ich im Text ursprünglich drin hatte: „96 ist eine Jahreszahl und kein Paragraph.“ Damit meinte ich natürlich den §96 aus dem Strafgesetzbuch, also die Duldung von Abtreibung und dass der raus muss. Weil: Abtreibung ist für mich ein Menschenrecht und gehört legalisiert. Aber wenn du das so hörst – „96 ist eine Jahreszahl und kein Paragraph, Menschenrechte werden gewahrt“ – dann klingt das, als wäre ich gegen Abtreibung. Und wir haben schon gescherzt: „Oh, die Yasmin ist jetzt konservativ geworden.“ Und ich so: „Nein, never!“ Das mussten wir also ändern. Noch mal ins Studio, obwohl wir eigentlich schon durch waren. Ich höre dann nochmal die Platte, überprüfe die Lyrics, und plötzlich steht im Word-Dokument was anderes als auf der Aufnahme. Und ich dachte mir nur: Scheiße, da ist immer noch die falsche Zeile! Dann ging es weiter: Das Presswerk hatte eigentlich alles, wir kriegen die Testpressung, und alles passt – große Freude. Und dann, Ende August oder Anfang September, fragen wir mal nach: „Wann kommen denn die Platten?“ Weil, jetzt wird es langsam eng. Und dann sagt das Presswerk: „Sobald wir die Druckdaten haben, geht es los.“ Normalerweise presst man null und schickt dann irgendwann mal die Druckdaten nach, weil Papier ja schneller geht. Also haben wir den Grafiker angerufen und gemeint, dass wir doch bisschen Stress haben. Ergebnis: Die Platten sind jetzt diese Woche erst angekommen. Und im Vertrieb sind sie noch nicht mal, weil alles viel zu spät geliefert wurde. Also: Kreativ war alles super. Produktionsseitig war alles diesmal etwas auf Umwegen.

„DAS PARTRIACHAT IST INHALTLICH SCHWACHSINN – ABER STRUKTURELL EINFACH VERDAMMT GUT GEBAUT”

Vielleicht ist das so ein Equilibrium – wenn etwas gut läuft, muss etwas anderes besonders schiefgehen. Aber besser so als andersrum.

Yasmin Hafedh: Voll! Sehe ich auch so!

Weil du “Bildet Banden” schon erwähnt hast – das kommt mir vor wie ein Slogan dieses Jahres. Möchtest du erzählen, was dein persönlicher Hintergrund dazu ist? 

Yasmin Hafedh: Es ist einfach eine alte Kulturtechnik, die wahnsinnig gut funktioniert. Und ich finde: Man kann von Dingen, die schon mal gut funktioniert haben, lernen und sie wiederholen. Ich bin ja in der Poetry-Slam-Szene sozialisiert worden. Und die ist super solidarisch – ein totales Gegenteil zur Musikindustrie, zumindest in Österreich. Dort funktioniert das echt gut. Da ist eine Bande entstanden, eine echte Gemeinschaft. Und wenn man sich zusammenschließt, kann man im Kleinen wie im Großen viel mehr erreichen, als wenn man immer auf eigene Faust kämpft. Wir leben in einer Zeit, in der alle super individuell sind. Und dabei sind wir alle gleich in unserer Individualität, aber isoliert, weil wir sie am Handy ausleben und nicht in der Realität. Und dann gibt es eben diese Klassiker wie: “Bildet Banden, bringt Snacks mit“, jemand bringt Grissinis, ein anderer den Hummus. Das ist doch etwas total Kollektives und Schönes. Und genau das wollte ich mit dem Song sagen und in die Welt tragen.

Das gilt auch für die Familienebene. Dieses Kernfamilien-Ideal ist noch immer extrem präsent. Sobald Kinder da sind, kommt es zu einer zusätzlichen Vereinzelung, gerade von Frauen. Gerade auch deswegen versuche ich meine FLINTA*-Freundschaften mehr denn je zu priorisieren. 

Yasmin Hafedh: Ja, voll. Das Patriarchat ist inhaltlich Schwachsinn – aber strukturell einfach verdammt gut gebaut. Da kann man nichts sagen. Auch das mit deinen FLINTA*-Freundschaften: Ich finde, eine Bande kann auch einfach aus Leuten bestehen, die Magic-Karten spielen. Es geht um Gemeinschaft, um ein Gefühl von Zugehörigkeit. Ich schaue auch, dass ich meine Freundschaften so gut es geht pflege. Ich bin selbstständige Künstlerin – das heißt, es gibt Monate, da gelingt es besser, und Monate, da bin ich einfach weg. Aber meine Freund:innen wissen das und respektieren es. Ich finde, FLINTA*-Abende oder solche Aktivitäten tun so gut! Wenn ich mit meinen FLINTA*-Friends unterwegs bin, denke ich mir am Tag danach: Wow, ich kann wieder voll durchatmen. Aber: Man muss sie sich auch bewusst suchen und aktiv pflegen. Es ist nicht einfach so: Ich habe meine Freund:innen und nehme sie als gegeben. Es ist wirklich auch Arbeit – vielleicht nicht im Sinne von „Care-Arbeit“ im großen Stil, aber man muss schon etwas dafür tun.

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Apropos Bande: In dem Musikvideo zu “Geh ma net” sieht man ja auch eine Gruppe von Menschen, die aus deinem Umfeld kommt. Wie bist du zu dieser Bande gekommen?

Yasmin Hafedh: Die Gang habe ich mir tatsächlich einfach selbst zusammengesucht. Wir hatten kaum Budget fürs Musikvideo. Paul Schütz – mein Nachbar und ein wunderbarer Mensch – meinte: „Schreib doch einfach Leute an, die du kennst. Vielleicht kriegst du so eine bekannte Wiener Gang zusammen.“  Also habe ich alle angeschrieben, die mir eingefallen sind. Und die, die Zeit hatten, sind gekommen. Ich habe mich riesig gefreut. Ich liebe ja solche Cameo-Geschichten – auch als Zuschauerin. Man kann davon halten, was man will, aber ich finde es einfach großartig. Und dann waren sie alle da und haben ihre Texte eingesprochen. Max Gaier war auch dabei und meinte: „Wenn man da jetzt nicht die ganze Zeit ‚Geh ma net am Oasch’ sagt, ist das schon ziemlich heilend.“ Das war so süß. 

Und der Track bleibt auch echt hängen – wir hatten es ja vorher schon mit Hooks, die catchy sein müssen: Das ist definitiv so ein Song mit Ohrwurm-Charakter.

Yasmin Hafedh: Ja, voll wienerisch auch, oder? Wir haben neulich in die Spotify-Statistiken geschaut – da sieht man ja, welche Geschlechter einen hören. Normalerweise haben wir mehr Hörerinnen und diverse Personen als Männer. Aber bei “Geh ma net” waren plötzlich zwei Drittel Männer! Ich war so: Hä, haben wir jetzt auf einmal männliche Fans? Und Reini, also Reinhard Hörschläger meinte nur: „Na eh klar – wenn du fünfmal ‚Geh ma net am Oasch singst, dann hören sich das die Typen auch an.“ 

Vielleicht, weil es um Wut geht? Wut ist auf der einen Seite sehr männlich konnotiert – wenn man auf die negativen Aspekte schaut, wie Gewalt, Aggression, etc. Auf der anderen Seite ist Wut aber eigentlich auch eine produktive Emotion – wenn man sie richtig kanalisieren kann. Nur ist sie eben bei Männern stark stigmatisiert, weil sie sofort mit Gewalt assoziiert wird. Und dann kommt ein Song wie „Geh ma net am Oasch“, und plötzlich ist es irgendwie okay, das rauszulassen. 

Yasmin Hafedh: Ja, voll! Lustig ist: Eine Künstlerin, die früher selbst Musik gemacht hat, hat den Song gepostet und dann in der Caption ganz lang geschrieben: „Bitte sprecht mir meine Wut nicht ab.“ Sie meinte, als Frau wurde ihr ihre Wut immer wieder abgesprochen. Weil: Frauen dürfen ja nicht wütend sein, sie sollen mitfühlend sein, ruhig bleiben, bla bla. Das fand ich auch spannend. 

Frauen wird die Wut anders abgesprochen als Männern. Bei Frauen ist es eher das Gegenteil: Da heißt es gleich, „sei nicht hysterisch“, „reg dich nicht auf“, „bleib still“.

Yasmin Hafedh: Genau. Es ist wie so ein doppelter Mechanismus – beide Seiten werden nicht ernst genommen. Und dabei ist Wut ja einfach ein menschliches Gefühl. Sie gehört dazu.

„DIE STRUKTUREN SIND NICHT SO LEICHT ZU DURCHBLICKEN”

Was gibt dir im Moment die Energie, dranzubleiben? Nicht nur beim Album, sondern generell. Es gäbe ja viele Gründe, alles hinzuschmeißen.

Yasmin Hafedh: Ich bin einfach extrem stur. Wirklich. Und das hat mir, glaube ich, immer geholfen. Lange war es so: Ich will Kunst machen und muss halt schauen, welchen Nebenjob ich mache, damit ich es mir leisten kann. In meinen frühen Zwanzigern dachte ich: „Okay, vielleicht kann ich das mal probieren und irgendwann davon leben.“ Und jetzt mache ich das seit zehn Jahren. Ich bin seit zehn Jahren selbstständig als Künstlerin. Das ist mein Beruf. Und das realisiere ich erst seit Kurzem so richtig. Ich bin jetzt Mitte dreißig, also in der Zeit, wo andere Karrieren erst richtig losgehen und es klappt. Also ja: Ich bin stur und lasse mir von keiner Gesellschaft sagen, dass das kleine Arbeiterkind das nicht machen kann.

Damit hast du mir eigentlich meine letzten Fragen schon beantwortet.

Yasmin Hafedh: Was mir auch aufgefallen ist: Nach zehn Jahren Yasmo & die Klangkantine kam schon die Frage auf – sind wir nicht zu alt für das alles? Und meine Antwort ist: Nein! Großes Nein. Ich bin eh auf Kriegsfuß mit der Musikindustrie, weil sie so viele junge Menschen verbrät. In den ersten Jahren meiner Karriere habe ich immer andere Acts gesehen, die gerade der heiße Scheiß waren und gedacht: „Boah, wir sind das nicht mehr.“ Aber viele von denen gibt es heute gar nicht mehr. Und das nervt mich. Diese Major-Strukturen spielen mit den Träumen von jungen Menschen und die geben alles, nur um dann nach zwei Jahren ersetzt zu werden. In der Pandemie habe ich viele Acts gesehen, mit denen ich mal in Kontakt war – die gibt es nicht mehr. Alle zwei Jahre kommt was Neues und verschwindet dann wieder. Und das ist so schade. 

Bild Yasmo & Die Klangkantine
Yasmo & Die Klangkantine © Anna-Sophia Russmann // Kilian Immervoll

Was ich aber auch sehe: Gerade bei jungen Leuten gibt es eine Mentalität von: „Ich mache alles selbst, ich brauche kein Label.“ Und ich finde das super. Weniger Abhängigkeit, mehr Eigenständigkeit.

Yasmin Hafedh: Bravo! Ich bin da auch total dafür. Und es wäre so wichtig, dass alle wissen, dass es zum Beispiel Mica gibt. Davon wissen viele einfach nicht. Mica ist super. Wir haben da schon Rechtsberatung in Anspruch genommen, mega hilfreich. Ich nenne das immer Mica spielen“: Manchmal treffe ich mich mit jungen Musiker:innen auf einen Kaffee und erkläre ihnen, wie das alles funktioniert – wie man Anträge stellt, was man beantragen kann, an wen man sich wenden kann. Und ich sage immer: Wenn ihr glaubt, jemand kann euch helfen – schreibt ihnen einfach. Das Schlimmste ist, dass niemand antwortet. Und Mica sollte eigentlich Standardwissen sein. Gerade, wenn man neu in der Branche ist. Aber eben: Die Strukturen sind nicht so leicht zu durchblicken.

Glaubst du, die Musikindustrie bewertet Alter oft falsch? So als würde man mit 25 schon zum alten Eisen gehören – obwohl man da vielleicht erst anfängt, wirklich etwas zu sagen zu haben?

Yasmin Hafedh: Junge Leute sollen natürlich Musik machen – klar! Aber warum sagt die Industrie, mit 25 ist man zu alt? Das ist totaler Blödsinn. Es geht nicht darum, wie alt du bist, sondern ob du was zu sagen hast.

Und es gibt genug Beispiele von Acts, die erst spät durchgestartet sind, weil sie nie aufgegeben haben. Siehe Chappel Roan, perfektes Beispiel!

Yasmin Hafedh: Absolut! Am wichtigsten ist, sich treu bleiben. Wenn man merkt: „Das will ich so nicht machen“, dann macht man es halt nicht. Punkt.

Hey, danke für das Gespräch. Es war richtig erfüllend.

Yasmin Hafedh: Right back at you! Es hat echt Spaß gemacht. Danke für die tollen Fragen – und deine schöne Interpretation.

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Ania Gleich 

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