„Ich bin in die Bezeichnung ‚Wienerlied‘ hineingekippt […]“ – MARTIN SPENGLER im mica-Interview

Studiert hat er Jazz, seine erste Band hieß RUMBLE FISH, benannt nach dem gleichnamigen Film von Francis Ford Coppola aus den 1980er-Jahren, und seine bis dato letzte Rockband war GUY MONTAG. Vor rund sieben Jahren hat der Gitarrist MARTIN SPENGLER begonnen, Texte im Dialekt zu schreiben und zu vertonen, und sich in weiterer Folge dem Wienerlied zugewandt. Dazwischen hat MARTIN SPENGLER auch in Big Bands und außer Reggae fast alle musikalischen Richtungen gespielt: Nur in englischer Sprache möchte er nicht mehr singen, wie er Jürgen Plank im mica-Interview erzählte.

Wie kam es dazu, dass Sie Ihre eigene Spielart des Wienerliedes entwickelt haben?

Martin Spengler: Den genauen Punkt weiß ich nicht mehr, aber ich habe vor ungefähr sieben Jahren begonnen, Lieder in der Sprache zu schreiben, die ich spreche. Das ist eine Mischung aus Oberösterreichisch und Wienerisch. In Wahrheit mehr Oberösterreichisch, ich nenne es aber Wienerisch. Ich habe geschrieben, ohne an eine Verwertung zu denken, und mir ist – warum auch immer – der Sound des Wienerliedes mit der Knopf- bzw. Ziehharmonika ins Blut geschossen. Die Idee, etwas mit Ziehharmonika zu machen, gab es schon ziemlich lange und auch die Idee der Reduktion auf das Wesentliche.

Was ist das Wesentliche für Sie?

Martin Spengler: Akustische Instrumente und keine Gitarrenverstärker oder Ähnliches. Es lief über die Instrumentierung und ich habe ein bisschen hineingehört bei Bands wie den Strottern, und das hat bei mir einen Nerv getroffen. Mir ist aufgefallen, dass die Harmonik, mit der ich vom Jazz so voll war, dem Wienerlied eigentlich ganz nahe ist. Man braucht immer nur ein bisschen anders abzubiegen und es klingt wienerisch oder jazzig. Darum kann man einen Jazzstandard so leicht „verwienerlieden“ und umgekehrt, und das ist sich für mein Songwriting gut ausgegangen. Ich bin in die Bezeichnung „Wienerlied“ hineingekippt. Ich weiß gar nicht warum, aber es hat sich richtig angefühlt.

Sehen Sie sich einer Wienerlied-Tradition, die bis auf die Volkssänger des 19. Jahrhunderts in Wien zurückgeht, oder ist das zu weit gedacht?

Martin Spengler: Sich in einer Tradition zu sehen, finde ich etwas großspurig. Das traue ich mich nicht zu sagen. Das ist eine Zuschreibungssache, die man nicht selbst machen sollte und kann.

Traditionen entwickeln sich ja immer weiter.

Martin Spengler: Ja, im Sinne des Singens von Liedern, die eine gewisse Relevanz aus der Zeit heraus haben und, wenn man ein wenig Glück hat, die Zeit auch ein wenig überdauern. Lieder, die in Spurenelementen, wie es auf der neuen Platte auch ist, zeitkritisch sind. Ohne diese Weinerlichkeit und ohne Retro-Gedanke, der dem Wienerlied schon immer innewohnt.

Dann sehe ich mich in einer Tradition, die weit größer ist, nämlicher in der aller Sängerinnen und Sänger dieser Welt, die ihre Lieder singen, und das können Volkslieder sein. Ob Wienerlied, Fado oder Blues: Die Geschichten haben alle die gleichen Themen, nämlich Liebe, Angst vorm Sterben, Trennung und Zusammenbleiben, Ferne, Nähe, Angst vorm Krieg. Das sind ja die Geschichten der Welt überhaupt und da ist man dann weder zeitlich noch regional gebunden. Da kann man dann zwischen Schubert, Robert Johnson und Ali Farka Touré Linien ziehen und es geht sich alles aus. Das gefällt mir.

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Oder man beschäftigt sich wie Sie auf der neuen Platte „Ummi zu dia“ mit sozialen Medien. Im Lied Odraht“ stellen Sie die Hass-Postings der sozialen Medien dem analogen Leben gegenüber. Wie kam es zu diesem Lied?

Martin Spengler: Ganz konkret durch dieses furchtbare Video, das zeigte, wie Flüchtlinge zwei Stunden lang von einem Mob daran gehindert wurden, aus einem Bus auszusteigen. Es kam zu einem Radau, Hass wurde ausgeschüttet und die verschreckten Mütter und Kinder wussten nicht, wie ihnen geschah. Das war der konkrete Anlass und dazu das Gefühl: Ich will das jetzt abdrehen.

Ist das überhaupt ein Thema dieser Platte, dieser Wechsel zwischen Privatem und Öffentlichem?

Martin Spengler: Das ist natürlich Eskapismus. Ein Thema, das mich bei dieser Platte immer wieder beschäftigt hat, ist die Zerrissenheit zwischen Biedermeier, Eskapismus und dem Sichbeschäftigen, Sicheinmischen und Sich-immer-wieder-Befassen mit Themen. Liebeslieder schreiben? Ja. Aber sich dann gleichzeitig fragen: „Darf ich das jetzt überhaupt, während die Welt rundherum explodiert?“

„Die Welt ist vielleicht nicht schlechter geworden, wir kriegen aber jeden Tag alles von der Welt mit.“

Wie sehen Sie die Welt, in der wir gerade leben?

Martin Spengler: Ich habe so das Gefühl, wir leben in einer Art Vormärz-Zeit. Wir haben das Gefühl, wir leben in einer vorrevolutionären Zeit, wissen aber auch gar nicht, ob das gut ist oder schlecht. Denn in Wahrheit sind wir wahrscheinlich, wenn die Revolution losgeht, auf der Seite derer, die gefressen werden, weil wir auf der reicheren Seite sind. Die Welt ist vielleicht nicht schlechter geworden, wir kriegen aber jeden Tag alles von der Welt mit. Sollen wir uns dem aussetzen? Ich weiß es nicht. Es geht wirklich ganz konkret um die Tendenz, einmal abzudrehen, wie es im Lied „Odraht“ heißt. Und es geht auch um die Sehnsucht, dass man einfach irgendwo da ist. Im Sinne: Ich bin jetzt nur bei dir und nicht gleichzeitig am Handy und in drei anderen virtuellen Räumen. Sondern ich bin jetzt einfach da.

 

Bild Martin Spengler und die foischn Wiener
Bild (c) Stephan Mussil

Sie arbeiten oft mit sarkastischem Humor. Ist Humor ein guter Transporteur für Inhalte?

Martin Spengler: Ja, sicher. Absolut. Die Leute rennen ja nicht los und kaufen sich irgendwelche schweren philosophischen Abhandlungen oder irgendwelche depressiven Sachen. Natürlich ist Musik in letzter Instanz immer auch Dienstleistung. Musik ist Unterhaltung, ich bin aber niemand, der Humor produzieren kann. Ich wüsste jetzt nicht, wie ich ein Kabarettprogramm schreiben sollte, das lustig ist. Wenn ich beim Lied „Ummi zu dia“ singe: „Das Herz von einem Walfisch ist größer wie ein VW-Golf“, dann ist das lustigerweise ein Lacher, den ich aber nicht als Lacher geplant habe.

„Ich möchte ja immer weg vom Wienerlied und es fängt mich dann doch wieder.“

Sie haben beim Musikalischen Adventkalender 2016 gemeinsam mit Gottfried Gfrerer gespielt. Gfrerer ist ein Slide-Gitarrist, der von sich selbst sagt, dass er Folkmusiker ist. Welche musikalischen Anknüpfungspunkte gab es da für Sie?

Martin Spengler: Ich möchte ja immer weg vom Wienerlied und es fängt mich dann doch wieder. Ich würde auch gerne sagen, dass ich Folksänger bin. Ich war zwar noch nie in Amerika, aber man sucht immer weiter zurück und ich bin ein großer Bob-Dylan-Fan. Je älter ich werde, desto mehr interessiere ich mich für Leute wie Woody Guthrie. Und mich interessieren die Bluesgitarristen aus den 1920er-, 1930er- und 1940er-Jahren wie Blind Lemon Jefferson. In meiner Straße wohnt mit Gottfried Gfrerer derjenige, der das in Wien und darüber hinaus am besten kann und weiß. Ich habe es endlich geschafft, mich mit Gottfried auf ein Packerl zu hauen, und das ist einfach so schön, denn das funktioniert. Ich habe in den letzten Jahren auch immer wieder Lieder geschrieben, die mit dem Wienerischen nichts zu tun haben, sondern in Richtung Country gehen, und die spiele ich jetzt mit dem Gottfried.

Sehen Sie sich als Teil eines Trends bzw. vielleicht sogar als Trendsetter dahingehend, Musik in deutscher Sprache zu singen?

Martin Spengler: Ich muss ganz ehrlich sagen, ich habe das niemandem nachgemacht. Den Nino gab es in seinen Anfängen und die 5/8erln und den Harry Ahamer, der macht super Lieder. Aber es war plötzlich da, dass ich das für mich machen wollte, und zwei, drei Jahre später haben wirklich alle angefangen, in Mundart zu singen. Ich bin kein Trendsetter, aber ich glaube, dass das insgesamt auch wieder aufhören wird. Wir haben aber kaum etwas Genuineres als unsere bluesige Sprache und die Sprache ist mir am allerwichtigsten. Die Qualität der Texte ist mir sehr wichtig und es ist mir ein Anliegen, dass sie bei mir nicht in eine Wirthauslustigkeit abdriften, sondern eher in Richtung H.C. Artmann verweisen. Eines weiß ich ganz genau: Ich möchte nie Englisch singen. Weil ich in der englischen Sprache zu begrenzt bin, als dass ich etwas Sinnvolles sagen könnte.

Danke für das Gespräch.

Jürgen Plank

Martin Spengler & Die foischn Wiener live
16.2. ORF Radiokulturhaus, Wien
17.2. Tischlerei, Melk
18.2 Die Bühne, Purkersdorf
24.2. Altes Depot, Mistelbach
10.3. Remise, Bludenz
11.3. Kunstbox, Seekirchen
31.3. Forum, Neuhofen
21.4. Wean hean Eröffnung Altes AKH, Wien
28.4 Schneiderei, Leithaprodersdorf
29.4. Konzerthaus, Wien
28.6. Theater am Spittelberg, Wien

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