"Ich bin immer gerne bereit in irgendwelche exotischen Länder zu kommen" – mica-Interview mit Ripoff Raskolnikov

Nächste Woche spielt Ripoff Raskolnikov zwei Mal in Wien: Er ist einer der authentischsten Vertreter der heimischen Bluesszene. Benannt hat sich Raskolnikov nach einer Figur aus dem Dostojewski-Roman „Schuld und Sühne“. Im mica-Interview mit Jürgen Plank stellt er Überlegungen dazu an, warum es in Liedern eigentlich um Selbsterlebtes gehen muss.

Wie ist Ihr musikalischer Werdegang?
Ripoff Raskolnikov: Begonnen hat es relativ prosaisch, ich habe als Teenager angefangen Gitarre zu spielen. Das war die Zeit von Woodstock und ich habe die damalige Rock- und Popmusik gehört. Popmusik hat damals noch etwas anderes bedeutet als heute. Ich bin dann relativ bald zum Blues gekommen, als Konsument und Musikhörer und diese alten Bluessänger aus den 1930er-Jahren haben eine Faszination auf mich ausgeübt.

Wen haben Sie da gehört?
Ripoff Raskolnikov: Robert Johnson, Skip James, Blind Willie McTell. Da gibt es eh nicht mehr allzu viele, eigentlich ist das ein relativ begrenzter Kreis von Leuten, die auf Tonträger verewigt sind und die man heute noch hören kann. Gleichzeitig war ich sehr begeistert und inspiriert von Songwritern wie Bob Dylan. Im Prinzip sind das zwei Schienen, die ich mein Leben lang verfolgt habe, einerseits die Affinität zur Bluesgitarre und andererseits das englischsprachige Songschreiben.

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Pro Jahr: 60 bis 70 Konzerte


Ich kenne Sie namentlich noch aus den späten 1980er-Jahren, seit damals – also seit mehr als zwei Jahrzehnten – sind Sie als umtriebiger Musiker unterwegs. Wie muss man sich ein Musikerleben wie Ihres vorstellen?

Ripoff Raskolnikov: Erstens, dass ich nicht so viel unterwegs bin und nicht so viel live spiele, wie ich gerne würde. Ich komme im Jahr auf zirka 60 bis 70 Konzerte, 70 ist eher schon viel. Im Prinzip kommt man als Live-Musiker in Europa – und das ist wahrscheinlich schon der Normalfall – auf seine monatlich sechs, sieben oder acht Gigs im Durchschnitt und hat demzufolge viel Freizeit. Ich stelle auch fest, dass im Laufe der Jahre die ökonomische Situation immer schwieriger geworden ist und es deswegen immer schwieriger geworden ist zu Live-Gigs zu kommen. Man muss immer mehr tun und muss immer besser werden muss, um am gleichen Level von bezahlten Gigs zu bleiben. Wenn man das aufrechnet, muss ich pro Gig immer mehr Kilometer fahren.

Wie sieht das konkret aus?
Ripoff Raskolnikov: Inzwischen ist es nicht mehr ungewöhnlich, wenn man für einen Gig nach Berlin fährt und man muss froh sein, wenn man unterwegs vielleicht in Nürnberg noch irgendwo spielen kann. Früher war das doch noch leichter seine paar Gigs im Monat in Graz zu spielen und dann mal nach Bruck an der Mur oder nach Leibnitz zu kommen. Das wird immer schwieriger, kommt mir vor. Weil die Kulturinitiativen in Bruck, Leibnitz oder in Wiener Neustadt alle keine Subventionen mehr kriegen und weil es sie nicht mehr gibt.

„Ich bin immer gerne bereit in irgendwelche exotischen Länder zu kommen, ohne genau zu wissen, was mich dort erwartet.“

Wenn Sie auf Tour sind: Wo kommen Sie überall hin?
Ripoff Raskolnikov: Ungarn ist im Laufe der Zeit für mich zu meiner Wahl-Zweitheimat geworden. Übers Jahr spiele ich in Ungarn gleich viele Gigs wie in Österreich. Ich habe in Budapest einen Booker, der mit einer gewissen Regelmäßigkeit immer wieder Gigs für mich organisiert. Durch diese Schiene komme ich zwischendurch auch in andere Ost-Länder, etwa nach Serbien oder nach Kroatien. Auch in Litauen war ich ein paar Mal. Ich bin immer gerne bereit in irgendwelche exotischen Länder zu kommen, ohne genau zu wissen, was mich dort erwartet. (lacht) Das ist schon ganz nett, wenn das zwischendurch passiert.

In Ihren Liedern – zum Beispiel im Stück „Early Days“ – kommt auch manchmal ein „2.2“ genanntes Fahrzeug vor. Geht es da auch um das On-The-Road-Gefühl?
Ripoff Raskolnikov: Ja, schon. Diese Wortkreation hat sich einfach so ergeben. Ich habe mal einen Country-Blues-Song geschrieben, namens „2 point 2“, in dem es darum geht, dass ich mit meinem Mazda-Bus 2200 herumfahre und irgendwie klingt das jetzt nicht nach viel, aber es hat sich für mich als gute Wortkreation etabliert und inzwischen gibt es fünf bis sechs andere Lieder, in denen das auftaucht. Das ist so eine Art repetitiver Humor, der vielleicht nicht jeden anspricht. Das ist so ungefähr wie bei Asterix: Die Piraten, die dann irgendwann mit den Trümmern ihres Schiffes im Meer schwimmen. (lacht)

Erfundene Charaktere und Denkweisen

Wenn man sich Ihre Lieder anhört, hat man den Verdacht, dass darin viele selbst erlebte, wahre Geschichten vorkommen. Ist das so, oder sind das doch abstrakte, erfundene Geschichten?
Ripoff Raskolnikov: Eigentlich beides. Das, was unter Songwritern – eher pejorativ – als diary-writing bezeichnet wird, ist schon viel bei meinen Liedern dabei. Aber es gibt auch völlig fiktive Songs, in denen man sich auf ähnliche Weise einem Thema nähert, wie jemand, der ein Buch schreibt. Man erfindet verschiedene Charaktere und Denkweisen und legt den Figuren Aussagen in den Mund, die letztlich irgendwann die eigenen sein haben müssen – sonst könnte man sie ja nicht zu Papier bringen. Man konstruiert eine fiktive Situation, der Eigenerlebtes zugrunde liegt, denn Gedanken, die man nicht gehabt hat, kann man nicht zu Papier bringen oder ins Mikrofon grölen.

Welche Entwicklung würden Sie sich für die österreichische Musikszene wünschen, in Bezug auf Möglichkeiten und Strukturen?
Ripoff Raskolnikov: Die Situation ist leider so, dass die Leute in der Minderzahl sind, die einem Lied die Chance geben, es auf sich wirken lassen und nach dem Zuhören zu beurteilen, ob das Lied gut oder schlecht ist. Die meisten Leute haben einen ganz anderen Zugang.

„Es ist inzwischen ein totales Glück, wenn in einem Lokal keine Musik läuft.“

Hat sich das Ihrer Meinung nach in den letzten zehn Jahren geändert, durch das Internet, durch MP3-Player am Handy, durch Musik im Kaufhaus als Hintergrundberieselung?
Ripoff Raskolnikov: Ich glaube, da ist weniger das Internet schuld, sondern die Musik als Berieselung hat sicher zugenommen. Die Leute sehen Musik eher nicht als etwas, was für sich selbst steht und wert ist, für sich selbst akzeptiert und wertgeschätzt zu werden. Musik ist einfach etwas, was im Hintergrund da sein soll. Es ist inzwischen ein totales Glück, wenn in einem Lokal keine Musik läuft. Das gibt es kaum noch. Niemand hört hin, aber die Idee ist, dass die Musik einfach da sein muss. Ich weiß nicht, was die Wirte befürchten, was in ihrem Lokal ohne Musik wäre.
Warum in irgendeinem normalen Café oder Restaurant Musik laufen muss, verstehe ich nicht. Aber das ist symptomatisch für die Art von Musikempfinden, die zurzeit herrscht und die über die letzten Jahrzehnte entstanden ist.

Jürgen Plank

live:
Do 24.07.2014, WUK, Währinger Str. 59, 1090 Wien, 20:30h
Fr 25.07.2014, Heureka, Skodagasse 17/1, 1080 Wien, 20h

http://www.ripoffraskolnikov.com
https://soundcloud.com/mica/ripoff-raskolnikov-early-days