„Ich bin die Summe aller Künstler*innen, die ich gehört habe“ – ÄNN im mica-Interview

Die Tiroler Sängerin ÄNN klingt ein bisschen nach BOY, ein wenig nach OH WONDER und kann Emotionen mindestens so gut einfangen wie OSKA. Durch ihre tiefgründigen Texte und ihre sanfte Stimme schafft es ÄNN nichtsdestotrotz, ihren ganz eigenen Stil zu entwickeln. Davon konnte man sich in den letzten Jahren auf mehreren Single-Releases überzeugen. Im Mai 2021 erscheint ihr Debütalbum, was Itta Francesca Ivellio-Vellin zum Anlass nahm, mit ÄNN über die Albumproduktion, Rassismus-Erfahrungen und vieles mehr zu sprechen.

Cover Mother
Cover “Mother”

Deine neue Single „Mother“ kommt am 26.02.2021 raus, ein echt sensationelles Lied.

ÄNN: Danke! Ja, meine Mutter hat weinen müssen – ich krieg sehr viel Rückmeldung, dass es zu schwer und traurig ist, schauen wir mal!

Ich freue mich auf jeden Fall auch schon sehr auf dein Album, das ja im Mai erscheint!

ÄNN: Ja, ich mich auch. Es ist mittlerweile schon ein bisschen eine Last – es hätte nämlich schon längst draußen sein sollen.

Was ist passiert?

ÄNN: Naja, letztes Jahr war eben „the big C“, weshalb nicht viel Studiozeit drin war. Die Idee war, den Release zu verschieben, damit dann vielleicht doch eine kleine Tour möglich ist, aber naja. Das hat sich jetzt sowieso erledigt. Mein Wunsch war eigentlich, dass es schon 2019 rauskommt, aber es hat nicht sein sollen. Es sind in den letzten Monaten auch noch ein paar Songs dazu gekommen und jetzt passt es gut.

Wie bist du zum Musik machen gekommen?

ÄNN: Richtig ernst genommen habe ich mein Singen erst vor 4 Jahren. Ich habe schon immer gesungen und Songs geschrieben, auch Klavier gelernt. Ich war dann auch in der musischen Oberstufe und hatte als Hauptfach klassischen Gesang, eigentlich nur, weil ich Schauspiel machen wollte und da Stimmbildung ja wichtig ist. Aber Musik war dann doch immer die Hauptleidenschaft und ich habe immer mehr gesungen. Bis ich nach Wien gekommen bin und mein Studium begonnen habe, habe ich mich eigentlich nicht als Sängerin gesehen. Das hat sich geändert, als ich das erste Mal im Studio war und mit Thomas Mora ein Demo von „Vienna“ aufgenommen habe. Der hat gemeint, dass das eigentlich gut ist und gefragt, ob wir nicht gemeinsam etwas machen wollen. Bevor ich allerdings auf der Bühne gestanden bin, war ich im Radio – das war eigenartig. Deshalb habe ich fast keine Bühnenerfahrung.

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Wo bist du in die Oberstufe gegangen?

ÄNN: In Tirol, auch wenn man es nicht hört. Seit 2015 bin ich in Wien.

Wann ist „Vienna“ entstanden?

ÄNN: Das habe ich in dem Jahr geschrieben, in dem ich nach Wien gezogen bin. Wien hat mich sehr geprägt und eigentlich sehr gut aufgenommen.

In den Videos deiner Debüt-Single „Painted Floors“ und von „Vienna“ bist du sehr stark im Fokus. Bei „String Lights“ sieht das aber anders aus. In dem Song geht es ja um Freundschaft, und im Video stehen auch deine Freundinnen und Freunde im Fokus.

ÄNN: Ja, „String Lights“ habe ich nur mit der Hilfe von zwei Freunden gemacht. Da haben wir letzten Sommer auf dem Dach eines Kollegen einfach einen wunderschönen Tag miteinander verbracht und einfach alles die ganze Zeit gefilmt. Am Schluss hatte ich so 25 GB Footage, die ich dann geschnitten habe. Das hat Spaß gemacht. Das erste Video, „Painted Floors“ hat sich spontan ergeben. Ich hatte eigentlich ganz andere Pläne, aber dann waren wir in dieser Lagerhalle und da gab es dieses rote Licht, und nach 5 Stunden voll anderer Aufnahmen haben wir schlussendlich einen One-Take vor der mit Licht angestrahlten Wand gemacht, und das wars! Das Video zu „Vienna“ war auch eine sehr spontane Sache. Da bin ich stundenlang in diesem alten Jaguar und einem Fahrer durch Wien gefahren, das war cool. Der Jaguar ist allerdings sehr oft auf der Straße hängengeblieben, und wir sind ja am Ring gefahren – die Leute hinter uns fanden das nicht so toll.

Besonders schön ist ja an diesem Video, dass sich Wien, also die Ringstraße, im Auto spiegelt, das sieht echt toll aus – vor allem in Schwarz-Weiß. Mein Wiener Herz lacht! Es herrscht allerdings schon eine gewisse Ähnlichkeit zu Duffys Video von „Warkwick Avenue“.

ÄNN: Ja, ich hatte das überhaupt nicht im Kopf. Das hat im Nachhinein jemand unters Video kommentiert oder so. Ich hatte das leider völlig verdrängt! Das Lied fand ich schon immer großartig. Als ich das Video von Duffy dann noch einmal gesehen habe, habe ich mich eh gefragt, wie ich das nicht früher checken konnte!

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Naja, ein paar Unterschiede gibt es schon, so ist es ja nicht. Und es gibt bestimmt auch noch viel mehr Musikvideos, in denen Menschen in Autos singen! Unter „String Lights“ hat auf jeden Fall jemand geschrieben, dass der Song an die wundervolle Band BOY erinnert. Ich muss zugeben, das find ich auch!

ÄNN: Ja! Das hat mich so gefreut! Ich freu mich immer, wenn ich solche Vergleiche lese.

Es gibt ja auch Künstlerinnen und Künstler, die sagen, dass sie solche Vergleiche voll nervig finden, weil sie ihr eigenes Ding machen wollen, abseits von Schubladen. Für dich ist es aber eher ein Kompliment.

Bild ÄNN
ÄNN (c) Tim Primbs

ÄNN: Ja, ich bin ja schließlich die Summe aller Künstlerinnen und Künstler, die ich gehört habe. Natürlich haben die mich sehr beeinflusst, deshalb freue ich mich, wenn da Leute Verbindungen sehen. Bisher wurde ich auch ausschließlich mit Artists verglichen, die ich auch tatsächlich höre, deshalb macht es für mich auch Sinn.

In deinem Song „When I‘m with you” singst du: „I don’t like myself when I’m with you”. Ziemlich hart.

ÄNN: Ja, ich weiß [lacht]. Es ging da nicht unbedingt um eine romantische Beziehung. Manchmal passiert es einfach in Freundschaften, dass es nicht mehr ganz funktioniert. Man wächst einfach auseinander, und deshalb ist dieses Lied entstanden. Es kommt aber auch „I hold my breath to keep these words from you” – also quasi „ich möchte es nicht sagen, aber eigentlich g’spür i mi nimma mit dir“.

Bei fast all deinen Songs hast du eigentlich dieses wiederkehrende Thema von „pretending“ und eine andere Person zu spielen, als man ist. Wie hat sich das entwickelt? Ist das auf dem Album auch Thema?

ÄNN: Ja, es ist das Thema des ganzen Albums. Ich habe sehr viel Zeit damit verbracht, herauszufinden, wer ich sein will. Die Sachen, die in „Mother“ vorkommen, sind eben der ausschlaggebende Grund gewesen, warum ich versucht habe, mich anzupassen. Es war schon von Kindesalter bis etwas vor 3 Jahren, dass ich das Gefühl hatte, nicht zu wissen, wer ich bin und wer ich sein will. Das verarbeite ich auch mit diesem Album. Es geht auf jeden Fall viel um pretending und trying to find myself.

Es ist zwar immer ein Prozess, aber bist du jetzt die Person, die du gerne sein möchtest?

ÄNN: Ich denke schon. Ja, ich bin zufrieden. Wien war da auch ausschlaggebend, weil ich da einfach eine neue Umgebung, neue Leute und auch Gleichgesinnte kennengelernt habe. Ich habe erkannt, dass ich Musik machen konnte, was ja etwas war, was ich schon immer machen wollte, aber nie dachte, dass ich gut genug dafür bin. Ich habe hier ein bisschen mein Zuhause gefunden. Auch wenn die ersten zwei Jahre hart waren.

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Ja, Wien ist nicht immer einfach.

ÄNN: Nö. Aber einfacher als Kitzbühel. Also, no offense an alle Tirolerinnen und Tiroler out there. Ich mag meine Heimatstadt sehr gerne, aber die Entscheidung, nach Wien zu gehen, war die richtige für mich.

Fühlst du dich von Nendas „Mixed Feelings“ repräsentiert? Sie ist ja auch aus Tirol.

ÄNN: Ja, klar. Momentan findet auch ein bissl mehr Konversation diesbezüglich statt, habe ich das Gefühl. Gestern war auch auf FM4 das Special mit Österreichischen BIPOC-Musikerinnen und Musikern. Letztes Jahr allerdings, als Black Lives Matter so viel durch die Medien ging, hat eine Freundin meiner Mutter sie gefragt, ob wir auch dieses Problem mit Rassismus haben. Meine Mutter hat geantwortet, ja klar. Daraufhin ihre Freundin: „Warum denn? Deine Kinder sind doch eh recht hübsch!“

Ich bin sprach- und fassungslos. In „Mother“ sagt ja deine Mutter „different is good“. Wie stehst du jetzt dazu?

ÄNN: Heute kann ich mehr damit anfangen. Ich wollte halt nicht auffallen, als Kind und Teenager, sondern Teil des Ganzen sein. Meine Mama ist aus Brasilien, und das haben einige Eltern und Großeltern nicht so ganz akzeptieren können, dass ich mit ihren Kindern und Enkelkindern in der Klasse bin. Interessant ist auch, dass meine ältere Schwester in derselben Schule wie ich war, aber kaum Probleme mit Rassismus hatte. Ich allerdings schon. Deshalb war es immer wichtig für mich, angepasst zu sein – wie gesagt, das ist auch alles zentrales Thema am Album!

Vielen Dank für das schöne Gespräch!

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