„Ich beobachte, wie mein Hören geprägt ist" – CLEMENS GADENSTÄTTER im mica-Porträt

Unser akustisches Umfeld ist von Klängen geprägt, die vielfach einen kommunikativen oder anzeigenden Zweck erfüllen. Das Klingeln des Weckers bedeutet uns aufzustehen, das Drücken von Tasten und Knöpfen wird zur Vereinfachung der Handhabung mit Tönen versehen und Sirenen machen uns auf Gefahren aufmerksam und mahnen uns zur Vorsicht. All diese Geräusche dienen im Alltag der Orientierung, werden in ihrem gewohnten Zusammenhang jedoch nicht als Musik aufgefasst. Sie sind die Voraussetzungen des Komponierens für CLEMENS GADENSTÄTTER: „Ich beobachte, wie mein Hören geprägt ist, wie rund um mich Akustisches eingesetzt wird, welche Äußerungsformen die Gesellschaft findet, um ihre Notwendigkeiten, Repressionsmechanismen, Befreiungsversuche etc. in Hörbarem auszudrücken.“

Anschließend überführt er diese funktionalen Klänge aus unserer alltäglichen Umwelt in das musikalische Geschehen. Trillerpfeifen werden zu rhythmisch eingesetzten Instrumenten, akustische Instrumente wiederum ahmen mit Glissandi Sirenen nach oder erinnern in ihren Quint- oder Quartfolgen an die Signale von Einsatzfahrzeugen. Und so manche Tonfolge könnte auch an einen Klingelton denken lassen. Mit diesem Umstand spielt Gadenstätter und fügt diese klanglichen Muster in seine Kompositionen ein, variiert sie, setzt sie in einen neuen Kontext und lässt so aus den ansonsten bar jeder Ästhetik gebrauchten Signalen Musik erstehen. Dahinter verbirgt sich die Affinität des Komponisten zur Sensibilisierung und Veränderung der Wahrnehmung seiner RezipientInnen, denn indem sie in neuem Zusammenhang mit Gewohntem konfrontiert werden, ändert sich auch der Blick auf diese ansonsten so selbstverständlich hingenommenen Gegebenheiten.

Die Grenzen der Klanglichkeit sprengen

Diese Vorgangsweise verfolgt er etwa in „Variationen und alte Themen“, „Semantical Investigations“ und in „Comic Sense“. Im letzteren, 2003 komponierten Werk entfacht er aus ursprünglich relativ einfachem Material ein musikalisch vielschichtiges Funkensprühen – kleingliedrige Elemente ganz unterschiedlicher Klanglichkeit verbinden sich zu einem dynamischen Geschehen. Dem nur scheinbar solistisch eingesetzten Klavier stellt er Keyboards mit Samples und ein Akkordeon mit elektronischen Devices zur Seite und sprengt damit innerhalb der dreiteilig angelegten Komposition die gängigen Grenzen der Klanglichkeit, die zwischen traditionell und künstlich bzw. modern changieren.

Der Titel lässt an witzige Musik denken. Doch dies war nicht die Intention des Komponisten, vielmehr geht es um die Bewusstwerdung des Common Sense. Denn über die Bedeutung der Klänge ist man sich im Großen und Ganzen einig. Diese Bedeutung jedoch wird in den Werken Gadenstätters unterwandert – wie auch so viele andere Assoziationen und Konnotationen. Einen Bezug zu älteren Formen etwa stellt er durch die Titel der einzelnen Teile wie Grande Scherzo Concertante oder Dance Mimétique her, wie auch durch die Konstellation, die auf den ersten Blick einem Instrumentalkonzert gleicht.

Doch wie so vieles im Schaffen Gadenstätters sind auch diese Titel nicht wörtlich zu nehmen, ebenso wenig, wie die Widmungen an seine Lebensgefährtin Lisa Spalt oder dem unter dem Spitznamen Simba Al’aqwani geehrten Freund (wie er Lothar Knessl einmal erzählte) eine eindeutige Erklärung für denjenigen bedeuten, der sich auf die Suche nach den verborgenen Geheimnissen seiner Werke macht. Denn einerseits verweist er damit direkt auf wichtige Einflüsse und Bezüge, doch so einfach wie zunächst vermutet sind diese nicht zu entschlüsseln. Wie auch im Klanglichen bleiben die Antworten auf die Fragen den Hörenden und ihren Assoziationen überlassen.

Neue Sichtweisen auf Altbekanntes

Nicht nur das. Titel wie „Songbook“ (2001/02) führen nahezu in die Irre. Denn weder handelt es sich dabei um gesungene Lieder noch um einfache Strukturen. In seinen eigenen Worten: „Work-Song, Love-Song, Rock-Song, eine Ballade, ein Punk-Song und einige mehr. Songs, im Prozess ihrer Entstehung beobachtet, diese Beobachtung zu musikalischen Abläufen gestaltet. Das Ganze respektlos, teilweise rotzig, zeitweise extrem laut, hochvirtuos …“ Und so zeigt sich auch in der Besetzung für Saxophon, Schlagzeug, Klavier und variable elektronische Verstärkung/Verzerrung wieder ein Umgang mit Traditionellem, der neue Sichtweisen auf Altbekanntes gewährt.

Bedient sich Gadenstätter in jüngeren Werken vielzähligen Materialien, waren seine früheren Kompositionen von der Entwicklung eines beschränkten Ausgangspunktes geprägt, wie etwa in „Versprachlichung“ (1992-94) oder in „Polyskopie“ (2000/01). Doch auch hier zeigt sich bereits das Interesse am Umgang mit dem Klang und seinen Konnotationen. Und auch der Hang zu langen Werken. Denn an Einfällen mangelt es dem vielschreibenden Komponisten nicht, und so darf man auch weiterhin mit vielgestaltigen Umdeutungen unserer akustischen Umwelt rechnen.
Doris Weberberger

Clemens Gadenstätter © Stanislav Jenis

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