„ICH ARBEITE SEHR RÄUMLICH MIT DEM KLANG“ – MICA-INTERVIEW MIT MICHAEL FISCHER

Michael Fischer ist Gründer des Vienna Improvisers Orchestra, mit dem ‘Feedback-Saxophon’ hat er ein eigenes Instrument entwickelt. Er arbeitet unter anderem mit den Musikern Marcos Baggiani (Bagg*Fish), Didi Kern (M.A.D.) oder Franciszek Araszkiewicz (fluctuations) und mit zahlreichen SchriftstellerInnen experimenteller Textformen zusammen. Jürgen Plank hat mit Michael Fischer, der in den 1990er-Jahren auch in New York gelebt hat, über die frei improvisierende Szene in Österreich und die Textur von Klängen gesprochen.

Wie hast du die Entwicklungen der Jazz- bzw. Impro-Szene in Österreich in den letzten 20 bis 30 Jahren beobachtet?

Michael Fischer: Anfang der 1990er war die Jazz-Szene ziemlich klein; Mitte der ’90er Jahre, und dann auch unter anderem durch die Einführung des Hans Koller-Preises, hat sich die Szene massiv vitalisiert. Für Freejazz und freie Improvisation gab es in den ’90er-Jahren, auch noch in den anfänglichen ’00er Jahren hingegen praktisch keine Szene, so gut wie keine daily-live Infrastruktur, kaum Vernetzungsmöglichkeiten. Vor allem ab Ende der ’00er Jahre scheint mir eine Beschleunigung der Veränderungen, aus unterschiedlichsten Gründen, in Gang gekommen zu sein. Jetzt ist die Szene ja fantastisch vielfältig, mit vielen Leuten, die unabhängiger vom Jazz-Kanon arbeiten, mit einer quasi handwerklich guten Ausbildung, und die Leute werden mehr unterstützt, ihre individuellen musikalischen Wege zu gehen.

Welche Geschichte fällt dir aus den 1990er-Jahren dazu ein?

Michael Fischer: Da es Mitte der ’90er Jahre im Bereich Freejazz und frei improvisierte Musik kaum Aktivität abseits der Festivals gab, habe ich nach einer lebendigen Community gesucht und bin nach New York gegangen, und einige Zeit geblieben. Ich hab’ dort mit key-figures des afro-american Freejazz gearbeitet, William Parker oder Dennis Charles, das hat mich sehr dazu inspiriert, in dieser musikalischen Welt zu bleiben, davor habe ich auch Musik geschrieben. Als ich wieder in Wien war, habe ich Musikerinnen und Musiker gesucht, mit denen man in diese Richtung arbeiten kann und habe irgendwann Andi Menrath im WUK kennengelernt und vorgeschlagen, dass wir etwas miteinander machen. Wir haben dann Projekte mit z.B. Irene Schweizer, Burton Green oder Mark Dresser realisiert. In dieser Zeit hatte ich auch, der Geschichte John Coltranes folgend, die Idee für ein Doppel-Trio mit 2 Schlagzeugen, 2 Kontrabässen, 2 Saxofonen und Keyboard, zweiter Schlagzeuger war damals Gerhard Hermann. 1998 wurde das CD-Präsentationskonzert dieses Septetts dann als erster live-stream aus dem WUK übertragen – und wir sind am Jazzfest Wiesen aufgetreten.

Ab 2004: Vienna Improvisers Orchestra

Wie war dein musikalischer Werdegang bis hin zur Improvisation?

Michael Fischer: Ich habe mit 5 Jahren begonnen Klavierspielen zu lernen, etwa 10 Jahre lang, hatte meine erste Band im Alter von 13 Jahren und mit 17 eine erste Jazz-Rock-Band. Mit 19 habe ich begonnen, Saxofon zu spielen und erst mit 22 Jahren, zu studieren. Bis kurz nach dem Studienabschluss war ich in vielen Ensembles im Bereich Contemporary Jazz aktiv. Ab Mitte der ’90er Jahre habe ich mich dem Freejazz zugewandt und dann, 1997, der frei improvisierten Musik. In dieser Zeit waren die Möglichkeitsräume und Hörgewohnheiten deutlich schmäler als heute; ich bin z.B. damals hier, im Unterschied zu New York, immer wieder, auch von Kollegen (damals fast nur Männer) gefragt worden, warum ich so ‘out’ oder ‘schräg’, ‘falsch’ spiele. 1999/2000 habe ich dann begonnen, mit dem Feedback zu experimentieren und es zunehmend in meine Arbeit am Tenorsaxofon zu integrieren. Ein London-Aufenthalt mit einem Konzert mit dem London Improvisers Orchestra war dann einer von mehreren Gründen, hier 2004 das Vienna Improvisers Orchestra zu lancieren. Nachdem ich ungefähr zur selben Zeit die Arbeit mit Schriftstellerinnen und Schriftstellernder experimentellen Literatur begonnen hatte, hat mich auch der Kontext Literatur – Improvisationsorchester und dessen spezielle potenziale Sprach-Klang-Verbindungen sehr interessiert; wir haben im Vienna Improvisers Orchestra daher sehr früh und ausführlich mit Schriftstellerinnen und Schriftstellern an dieser Materie gearbeitet.

Michael Fischer (c) Jürgen Plank

Was ist für dich das Spannende an der improvisierten Musik?

Michael Fischer: Das überlege ich permanent, es wandelt sich, aber präzisiert sich immer mehr. Es ist auch ein Unterschied in den Begriffen improvisierte und frei improvisierte Musik. Ich habe den Eindruck, dass in der Klassischen oder vielleicht besser: „interpretierenden“ Musik und im – ich sage der Einfachheit halber – „normalen“ Jazz tendenziell mehr wiegt, den Ton nach einem gewissen Kanon zu formen. Ernsthaftigkeit und Präzision in der Klanggenerierung sind jedenfalls ohnehin selbstverständlich. Mir geht es zumindest nicht so sehr um mich als Produzierenden des Klanges, sondern vielmehr darum, den Klang als temporäre Entität ins Zentrum zu stellen und den Dialog mit dem Klang. Das kostet Energie – man setzt einen Ton in die Welt und fragt z.B. Was braucht dieser Klang in diesem Kontext? Welche Textur braucht es, um dem Ton möglichst transparent und konsistent und in der Blüte des Lebens die größtmögliche Ausformulierungsoption zu geben.

„Das Spannende am Feedback-Saxofon ist, dass der ganze Raum zum Instrument wird“

Mit deinem so genannten Feedback-Saxofon arbeitest du bei einer Performance intensiv mit dem Ton, mit Rückkoppelungen und du beziehst auch den Konzertraum mit ein.

Michael Fischer: Ich arbeite prinzipiell sehr räumlich mit dem Klang. Viele orientieren sich vorrangig am Monitoring, ich arbeite mehr mit dem Raumklang, egal wie groß der Raum ist. Das ist ganz allgemein ein wesentlicher Aspekt – wenn der Konzertraum wirklich als Klangraum gedacht wird, wird die Musik eine andere sein. Wenn ich mit dem Feedback arbeite, wird der ganze Raum zum Instrument. Durch die langjährige Erfahrung mit dem Verhalten des Feedback am Saxofon weiß ich mittlerweile ziemlich gut, in welche Richtung sich Feedbacks entwickeln, welche Optionen sich auftun, und kann daher gut mit den Klängen interagieren.

Klang als Lebewesen

Wie nimmst du einen Klang wahr?

Michael Fischer: Klänge sind für mich wie temporäre Lebewesen, mit denen ich mich freue, zu kommunizieren. Den Klang so zu sehen und das eigene Arbeiten dialogisch, mit dem Klang, zu verstehen, ist für mich Grundlage des Musizierens, dadurch bekommt der Klang eine besondere Konsistenz und Klarheit. Die Klänge der Mitmusikerinnen und Mitmusiker, im Ensembleklang, verstehe ich genau so.

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Ich habe dich vor kurzem bei einer Performance im Echoraum gesehen, gemeinsam mit dem polnischen Musiker Franciszek Araszkiewicz. Wie ist eure Zusammenarbeit entstanden und was macht ihr?

Michael Fischer: Kennengelernt habe ich Franciszek Araszkiewicz über Kulturkontakt Austria, über seine Residency hier. Christoph Amann, der mit Kulturkontakt zusammengearbeitet hat, hat dann eigentlich die Kooperation initiiert. Wir arbeiten beide mit Feedbacks, Franciszek Araszkiewicz mit einem brainwave-scanner, der Daten für die Klanggeneration mittels eines Max/MSP patches liefert, ich mit dem analogen Feedback. So haben wir 2016 begonnen, miteinander zu spielen (‘fluctuations’). Franciszek ist Komponist und entwickelt sein Instrumentarium für live-performances ständig weiter. Im Herbst werden wir beim Ad Libitum Festival in Warschau zu Gast sein. Im Echoraum war ja auch Josef Ka involviert, deren präzise, ideenreiche, stringente Performances ich sehr schätze. Die Arbeit mit ihr und Franciszek hat mich sehr an Zusammenarbeiten mit Tänzerinnen und Tänzern und Performerinnen und Performern im Bimhuis und an Amsterdamer off-spaces erinnert.

Damit zu deinem Instrument, dem so genannten Feedback-Saxofon. Wie funktioniert das?

Michael Fischer: Für das Set-up verwende ich zwei Mikrophone, eines außerhalb des Saxofons (meist eine Sure SM 57) und eines im Saxophon, das mit einer Schnur in der Mitte des Saxofons positioniert wird. Der Vorverstärker des Innen-Mikrophons geht in ein Mischpult, das auf der Bühne steht, damit beeinflusse ich die Klangmöglichkeiten. Das Mikrophon verwende ich prinzipiell wie ein zusätzliches Instrument. Hand in Hand damit entwickelten sich neue Techniken, z.B. setze ich Sprache und Stimme als Manipulationstool der Feedback-Texturen ein oder verwende das Tenorsaxophon als Perkussionsinstrument. Dadurch haben sich wiederum neue musikalische Möglichkeiten eröffnet.
Was klanglich möglich ist, weiß ich erst vor Ort, denn jeder Raum klingt und verhält sich zu bestimmten Frequenzen anders: ein Holzboden wirkt anders als ein Steinboden, eine Glaswand anders als ein Vorhang, Tonanlagen klingen unterschiedlich. Marcos Baggiani, argentinischer Schlagzeuger, der in Amsterdam lebt, und ich, haben am intensivsten mit dem Feedback gearbeitet, in vielen Tanzperformances in den Niederlanden, und mit unserem Duo Bagg*Fish auch im Rahmen von Festivals, in den USA und Kanada, Polen, und zuletzt mit Vini Cajado beim Artacts– und Zajkert-Festival.

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Du hast in New York City gearbeitet und gelebt und warst in Japan auf Tour, wo es eine experimentierfreudige Musikszene gibt. Wie hast du Japan im Kontext mit improvisierter Musik erlebt?

Michael Fischer: Ich war 2007 und 2010 jeweils für eine Tour von 3 Wochen auf Honshu unterwegs. In Japan auf die Bühne zu gehen, das ist ein bisschen wie in der Popkultur, du bist eine Bühnenfigur; man tritt nicht so stark als Individuum hervor und lässt mehr dem Medium den Vortritt. Dadurch ist viel Freiheit möglich, die es ansonsten im Sozialen vielleicht nicht so gibt. Die freie improvisierte Szene war unglaublich erfindungsreich. Mich hat fasziniert, wie das Analoge und das Digitale miteinander verbunden werden, das ist mir noch gut in Erinnerung.

Aktuell: Musik für Experimentalfilm und andere Projekte

Wie geht es bei dir weiter? Woran arbeitest du gerade?

Michael Fischer (c) Jürgen Plank

Michael Fischer: Vor kurzem haben wir mit dem Filmemacher Mersolis Schöne, der mit seiner Filmproduktionsfirma ‘Moving Thought’ viel zu Nietzsche gearbeitet hat, einen sehr schönen Film von einem Konzert des Vienna Improvisers Orchestra im Odeon-Theater herausgebracht – präzise, ohne Kameraschwenks und gleichzeitig sehr poetisch ist da ein 48-minütiges Stück Momentmusik des VIO und die sehr konzentrierte Atmosphäre eingefangen worden. Im Moment sind wir gerade dabei, für das österreichische Kulturinstitut in Neu-Delhi einen Kurzfilm fertigzustellen. Es geht um die Ausgestaltung von Bewegungen und um den Ort, an dem Bewegungen stattfinden; ich gestalte den 15-minütigen soundtrack. Der Film wird am Kulturinstitut Neu-Delhi gezeigt und soll anschließend auf Festivalreise geschickt werden.

Während des ersten Lockdowns habe ich mit einer drum machine und no-input-mixer Aufnahmen gemacht, die in der Edition Schumann 01 letztes Jahr erschienen sind. Es wird irgendwann in absehbarer Zeit wieder eine CD-Veröffentlichung mit Marcos Baggiani geben, die Ende Oktober 2021 aufgenommen wurde, mit Vinicius Cajado am Kontrabass. Und sehr wahrscheinlich wird es dieses Jahr noch eine Veröffentlichung mit M.A.D. geben, mit Alessandro Vicard am Kontrabass und Didi Kern am Schlagzeug. Mit dem VIO sind Konzerte in Planung und ich arbeite mit Albert Mayer gerade an NEON, einem Klanginstallationsprojekt. Am 25. 2. wird ein Konzert mit John Edwards (Kontrabass), mit dem ich immer wieder gearbeitet habe, im Spitzer/Odeon stattfinden, bei dem auch Valentin Duit am Schlagzeug im zweiten Set mitspielen wird.

Herzlichen Dank für das Interview.

Jürgen Plank

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