“Haydn bricht auf” mit diabolischer Musik von Bernhard Lang und dem Kabinetttheater in der Hölle im Theater an der Wien

“Sieben Tage, die die Welt verändern” hat Joseph Haydn in seiner “Schöpfung” musikalisch unübertrefflich geschildert. Aber dem Teufel gefällt die Handlung nicht. Van Swieten hat im Libretto die Vorlage John Miltons, wo er sehr wohl vorkommt (“Lost Paradise”) seiner (und unserer Meinung nach zu Recht) nicht berücksichtigt. Also mischt er sich ein wenig ein. Das Kabinetttheater erzählt die große Oper mit seinen Mitteln. Noch zu sehen 19., 20. und 22. März 2009, 20 Uhr” in der “Hölle” im Souterrain des Theater an der Wien.

 
Das Ensemble von Christopher Widauer und Julia Reichert regiert mit der Miniaturoper “Haydn bricht auf” auf das Haydn Gedenkjahr 2009 – der Auftrag erging vom Theater an der Wien. Man sollte sich diese auf allen Linien geglückte Produktion unbedingt ansehen! Bernhard Langs Musik ist grandios und versucht erst gar nicht, die Haydns ja ohnehin geniale Vertonung der gefälligen, Gott preisenden und bejubelnden Passagen des Textes (Chorstellen) durch Haydn zu persiflieren. Aber den Text selber schon, die werden höchst komisch “rezitiert” – durcheinander auch und mit Langschen “Loop”-Effekten, am besten dirigiert sie einmal der Teufel selbst und äußert danach befriedigt: “Na, jetzt geht’s ja”.Komplex ist Langs Musik vor allem für die durchwegs tollen Solisten: voran Anna Hauf (Mezzosopran und Tim Severloh (Countertenor). Die Leitung hat Simeon Pironkoff, das formidable “Orchester” besteht aus Sylvie Lacroix (Flöte),
Christoph Walder (Horn), Michael Moser (Cello) und Krassimir Sterev (Akkordeon). Als “Chorsprecher” – dargestellt auf der Puppenbühne von Pappköpfen in Reih’ und Glied, fungieren Sandra Schennach, Michaela Mahrhauser, Martin Kerschbaumer auch die Puppenspieler und Ausstatter selbst müssen präzise arbeiten und sprechen (Julia Reichert, Christopher Widauer, Jennifer Podehl, Thomas Kasebacher, Lukas Lauermann).

Thomas Reichert schrieb das witzige Libretto und führte klug Regie. Das etwa eineinhalbstündige Geschehen ist so anspruchsvoll und anstrengend für alle Protagonisten, vor allem die Sänger, dass man auf eine Generalprobe am selben Tag der Premiere verzichten musste. Erst bei dieser (vergangenen Samstagabend, 14.3.) konnten alle Protagonisten selber erleben, wie alles geworden ist. – Sehr, sehr gut, bravo, setzen! Das müsste sogar der Teufel ehrlich sagen.

Bernhard Lang im Interview mit Monika Mertl für das Theater an der Wien.

Dass “die Zwiespältigkeit des Schöpfungsmythos” mit seinen negativen Aspekten von Versuchung, Sündenfall und Vertreibung aus dem Paradies in Haydns populärem Oratorium ausgeblendet bleibt, dass hier alles “so gut und schön” ist und in einer heute schwer verdaulichen Idylle endet, hat Bernhard Lang herausgefordert. In seiner “Übermalung” der Schöpfung auf ein Libretto von Kabinetttheater-Regisseur Thomas Reichert soll der Teufel wenigstens ansatzweise die ihm gebührende Gegenposition einnehmen und für ein Spannungsfeld sorgen, das eine zeitgemäße Perspektive auf Haydns heile Welt ermöglicht – die allerdings gleich wieder gebrochen wird, denn: “Es ist Puppentheatermusik”, sagt Lang. “Es ist auf dieses Format hin komponiert. Es ist minimalistisch und humorvoll. Die Puppen dürfen alles tun und alles sagen, und sie sagen alles genauer.”

Der Teufel erscheint in diesem Spiel als komplexes hermaphroditisches Wesen, das gleichsam mit doppelter Zunge – mit Mezzosopran und Countertenor – spricht. Im Kontrast zu seiner “diabolischen Virtuosität” agiert der Chor der Puppenspieler mit seinem charakteristischen kunstlosen Kunstgesang. Den Charme dieser Stimmen “im Zwischenbereich” hat Lang als besonderes Stilmittel eingesetzt und den Akteuren dabei eine Menge zugemutet. Dem Chor der Puppenspieler sind auch die spärlichen Haydn-Zitate anvertraut, die in der Komposition figurieren.

 
“Am deutlichsten wird Haydn im Text”, betont Bernhard Lang. “In der Musik ist alles maskiert und fragmentiert, da habe ich mit der Vorlage gespielt.” Seine bewährten Techniken von “Differenz und Wiederholung” habe er dabei auf neue Weise erprobt, vor allem, um dem “Taschenformat” des Unternehmens gerecht zu werden, das mit vier Instrumentalisten auskommt. “Das war eine andere Form des Jonglierens”, erläutert er. Dass der feixende Teufel als “Geist, der stets verneint” zuweilen in der Wiederholungsschleife hängen bleibt, sorgt ebenso für subtile Komik wie instrumentale “Verfremdungseffekte” mit dem Akkordeon oder das Rückwärtssingen bestimmter Phrasen “wie in alten Hexenbeschwörungen”.

Die ironische Grundhaltung wird gleich am Beginn eingeführt, wenn in Entsprechung zu Haydns einleitender “Vorstellung des Chaos” vom Band das Klanggewirr eines Orchesters beim Einstimmen erklingt. Die berühmte Stelle “Es werde Licht” konterkariert Bernhard Lang auf diabolische Art: mit dem Countdown zu einem Atomtest, der in variierter Form am Schluss nochmals erscheint und in einem einsamen Piepston ausrinnt. “Das ist die Inversion des Schöpfungsakts, die Zerstörung der Welt”, gibt der Komponist sich konsequent. “Es ist ein ,schwarzes’ Stück. Aber im Spiel der Puppen heben sich diese Ernsthaftigkeiten vielleicht wieder auf .” (Monika Mertl, Pressetext zur Verfügung gestellt vom Theater an der Wien)

Was das Kabinetttheater sonst so alles macht

Julia Reichert und Christopher Widauer haben das Kabinetttheater 1989 in Graz gegründet. “Heute umfaßt das Repertoire über 40 Minidramen, viele davon Uraufführungen, auch in unserem Auftrag geschrieben von Autoren wie Wolfgang Bauer, Franz Josef Czernin, Gundi Feyrer, anselm glück, Werner Kofler oder Gerhard Rühm; ebenso viel bedeutet die Zusammenarbeit mit Künstlern anderer Sparten wie der Komponistin Olga Neuwirth, die für das Kabinetttheater unter anderem H. C. Artmanns “Punch und Judy” in eine halbstündige Mikro-Oper verwandelt hat, dem Performer und Komponisten Wolfgang Mitterer oder dem Geiger Ernst Kovacic.” Und jetzt kam Bernard Lang an die Reihe.

Das Kabinetttheater (Sitz: Porzellangasse) spielt im gesamten deutschen Sprachraum, gastiert auch bei wichtigen internationalen Festivals und tourt auch sehr viel. “Die Mittel des Figurentheaters mit anderen Theaterformen zu verbinden, dort ihre spezifischen Qualitäten zu finden, beschäftigt uns schon sehr lang. Unsere erste Koproduktion mit einer großen Bühne haben wir 1993 beim steirischen herbst in Graz gezeigt: In der Uraufführung von Urs Widmers “Sommernachtswut” (mit Wolfram Berger); 1994 brachten wir gemeinsam mit “Cantus” Menottis Madrigaloper “The Unicorn”; und 1998 folgte Edvard de Veres (Shake-speares) “Hamlet” mit Helmut Wiesner im Theater Gruppe 80. Im Sommer 2000 haben wir am Semmering gemeinsam mit Hans Gratzer “Die letzten Tage der Menschheit” von Karl Kraus herausgebracht.

Im Mai 2001 hatte Manuel de Fallas “El retablo de Maese Pedro” – gemeinsam mit dem Geiger Ernst Kovacic – im Wiener Schauspielhaus Première. 2002 folgte ein Abend mit dem Wiener Klangforum: “an diesen sonnigen tagen” von Jost Meier auf Texte von Ernst Jandl, den wir inzwischen in Basel, Berlin, im Wiener Konzerthaus, zu Hause und in Neuberg an der Mürz gespielt haben. Am 21. November 2004 spielten wir das erste Konzert einer Serie mit den Wiener Symphonikern im Großen Saal des Konzerthauses, im Frühjahr 2005 brahcten wir Milhauds “Le Boeuf sur le toit” nach Cocteau, verzahnt mit “Kuchinska Revue” von Martinu, gemeinsam mit Ernst Kovacic heraus.

2004 erhielt das Kabinetttheater den wichtigsten österreichischen Theaterpreis “Nestroy”. Ein wichtiger Schwerpunkt der Arbeit des Kabinetttheaters liegt auf der ersten Avantgarde des 20. Jahrhunderts mit Texten von Hugo Ball, Daniil Charms, Konstanty Ildefons Galczynski, Max Hermann-Neiße, Paul Scheerbart, Kurt Schwitters oder der italienischen Futuristen. Am 21. November 2004 begann eine Serie von Konzerten mit den Wiener Symphonikern im Großen Saal des Konzerthauses”, die inzwischen als “Das andere Konzert” bekannt gewordene Serie, die äußerst erfolgreich ist.

 
“Im Oktober 2005 brachten wir unter dem Titel “The Nothing Doing Bar” Darius Milhauds “Le Boeuf sur le toit” (nach Cocteau) in einem Abend mit “Kuchinska Revue” von Bohuslav Martinu – gemeinsam mit Ernst Kovacic – heraus. Im Frühjahr 2006 hatte eine neue Produktion für Kinder Premiere: “Karneval der Tiere” nach einem Buch von Martin Amanshauser mit Musik von Camille Saint-Saens; im Sommer spielten wir eine Neufassung unserer Produktion von Manuel de Fallas Puppenoper “El retablo de Maese Pedro” bei der styriarte in Graz, und im Herbst 2006 brachten wir unser nächstes Musiktheater heraus: “La terribile e spaventosa storia del principe di Venosa e la bella Maria” von Salvatore Sciarrino.” Auch Wolfgang Mitterer fungiert als ständiger Mitarbeiter und Berater. Verstärkt wendet man sich Neuer und aktueller Musik zu.).

Im August 2008 war man im Theater an der Wien zu Gast und spielte “Nachtflug mit 2 Puppen”:  Futuristische Manifeste und Minidramen von Filippo Tommaso Marinetti, Giacomo Balla, Carlo Scarpa, Luigi Russolo. Mit Texten von Konrad Bayer/Oswald Wiener, Gert Jonke, H.C. Artmann – und: “Der Tod und das Mädchen” Spiel Christopher Widauer, Figuren Julia Reichert und Kabinetttheater, Live-Elektronik & präpariertes Klavier Wolfgang Mitterer.

“Im erfundenen Ballon schweben Beethoven und Schindler, beobachten durch ihre Perspektive fasziniert die Folgen geistiger Ausschweifungen und hören durch ihre Schalltrichter verblüfft: 10 Sekunden Plätschern, 1 Sekunde Knistern, 8 Sekunden Plätschern, 1 Sekunde Knistern. 9 Sekunden Gesang der Amsel. Und für Mitterers brandneuen Beethoven-Remix braucht nicht mal Ludwig van ein Hörrohr! Der Abend ist in mehrere Stationen aufgeteilt. Das Publikum bewegt sich auch räumlich mit Christopher Widauer und seinen Puppen und hat somit die Möglichkeit, die Perspektive zu verändern.” (Texte: Website Kabinetttheater).

Kabinetttheater aktuell:

“Elendes Krokodil, ohne zu wissen, hast du mir die Morgenröte geschenkt” – in Graz spielte man im Literaturhaus im Februar drei Theaterminiaturen von Helmut Eisendle, dazu Minidramen von Freunden von Autorinnen und Autoren, die Eisendle besonders geschätzt hat und im Stefaniensaal zu  Camille Saint-Saens’ “Karneval der Tiere” (Recreation Großes Orchester Graz). Jetzt läuft noch “Haydn bricht auf” in der Hölle, im April gastiert das Kabinetttheater in Tel Aviv.
Am 5. Mai haben “Neue Minidramen” Premiere im Kabinetttheater (Porzellangasse 49, 1090 Wien):Theaterminiaturen von Wolfgang Bauer, Daniil Charms, Hans Eichhorn, Gustav Ernst, Antonio Fian, Max Gad, Konstanty Ildefons Galczinsky, Franz Hohler, Gert Jonke, Rosa Pock/Peter Ahorner, Alexander Vvedenksky, Javier Tomeo, Herbert Wimmer; darunter viele Ur- und Erstaufführungen (Vorstellungen 5. bis 9. und 13. bis 15. Mai 2009, 20 Uhr). “Das andere Konzert” läuft natürlich mit den Wiener Symphonikern im Konzerthaus weiter.

Nächster Premierentermin ist der 20. Juli 2009 im Semperdepot: Peter Maxwell Davies “Eight Songs for a Mad King” und Salvatore Sciarrino: “Infinito nero”; nach Wien kommt das formidable Österreichische Ensemble für neue Musik (OENM) unter der Leitung von Johannes Johannes Kalitzke und mit Thomas Bauer (Gesang). (Vorstellungen vom 22., 24., 27. und 29. Juli 2009, 21 Uhr)

Im Konzerthaus Berlin spielt man im September 2009 Dmitri Schostakowitsch: “Das Märchen vom Popen und seinem Knecht Balda”.

Hölle im Theater an der Wien

Vorstellungen 15., 19., 20. und 22. März 20 Uhr

Haydn bricht auf. Sieben Tage, die die Welt verändern
Libretto von Thomas Reichert mit diabolischer Musik von  Bernhard Lang für das Kabinetttheater im Auftrag des Theaters an der Wien

Kabinetttheater: Julia Reichert, Christopher Widauer, Jennifer Podehl, Thomas Kasebacher, Lukas Lauermann,
Sandra Schennach, Michaela Mahrhauser, Martin Kerschbaumer
Thomas Reichert Regie
Anna Hauf Mezzo
Tim Severloh Countertenor
Sylvie Lacroix Flöte
Christoph Walder Horn
Michael Moser Cello
Krassimir Sterev Akkordeon
Simeon Pironkoff Leitung