Am 17. Dezember jährte sich Ludwig van Beethovens Tauftag zum 250. Mal. Anlass genug, in der neu gestalteten Musikdatenbank von mica – music austria für zeitgenössische Musik in Österreich zu stöbern und einige Werke vorzustellen, die sich mit dem Jubilar auseinandersetzen. Hier der dritte und letzte Teil dieser Serie.
Bezüge zu Beethovens Symphonien
Bekanntlich komponierte Ludwig van Beethoven zwischen 1799 und 1824 neun Symphonien. In der Musikdatenbank von mica – music austria zur zeitgenössischen Musik in Österreich finden sich einige Kompositionen, die sich auf dieses fantastische symphonische Werk bezieht. Wie schon Gerald Resch und Helmut Schmidinger wurden beispielsweise auch Friedrich Cerha (* 1926) sowie Johannes Maria Staud (* 1974) von Auftraggebern für ein Beethoven-Konzert um eine zeitgenössische musikalische Resonanz, eine persönliche Auseinandersetzung mit einem Werk von Beethoven gebeten. In diesen beiden Fällen waren es die Symphonien, die auf dem Konzertprogramm standen und die in Kombination mit einem „Beethoven im Gewande des 21. Jahrhundert“, mit der speziellen Klangsprache des angefragten Komponisten zum klingen gebracht wurden. Cerha setzte sich deshalb im Jahr 2010 mit dem Anfang der 9. Symphonie op. 125 aus dem Jahr 1824 variierend und Staud 2011 mit Bewegungsmuster der 1. Symphonie op. 21 aus dem Jahr 1799 fortspinnend auseinander.
Neben Beethovens Klaviersonate op. 106, dem Klavierkonzert Nr. 3 c-Moll, op. 37 („Monadologie XXXIV … for Ludvik“ 2016) ist es die 7. Symphonie op. 92 aus den Jahren 1811 bis 1812, die Bernhard Lang in seiner „Monadologie“-Serie recycelnd verarbeitete. Weiters finden sich in der Musikdatenbank drei Werke von Peter Ablinger (* 1959), Alexander J. Eberhard (* 1970) und Wolfgang Mitterer (* 1958), die gleich alle neun Symphonien reduzierend bearbeiten. Sie werden gefaltet, um ein Rauschen zu erhalten. Es wird mit Hilfe der Verdoppelung des Tempos reduziert. Oder die Themen der Symphonien werden durch den Reißwolf gedreht.
Variieren
9. Symphonie op. 125 | Friedrich Cerha: „Paraphrase über den Anfang der 9. Symphonie von Beethoven für Orchester“
Im Jahr 2010 war es das Gewandhausorchester Leipzig, das bei Friedrich Cerha für eine Komposition anfragte, die vor Beethovens 9. Symphonie op. 125 gespielt werden könnte und einen Bezug mit zeitgenössischer Stilistik herstellen würde. Cerhas erste Reaktion war Ablehnung. Den weiteren Prozess, der schließlich zum 14-minütige Werk „Paraphrase über den Anfang der 9. Symphonie von Beethoven für Orchester“ führte, beschreibt der Komponist folgendermaßen: „Gegen meinen Willen aber spukte in den folgenden Tagen der Anfang der Symphonie in meinem Kopf herum und ich konnte ihn nicht loswerden. Er hat mich, seit ich als Kind das Werk zum ersten Mal hörte, ganz besonders fasziniert: die geheimnisvollen Quinten und Quartfälle über dem Tremolo bis hin zur machtvollen Entschiedenheit der kadenzierenden Endfloskel. Dieses Material begann sich in meinem Kopf umzubilden und zu wuchern wie ein Myzel. Die Elemente variierten immer mehr bis zur Unkenntlichkeit ihres Ursprungs. Langsam schälte sich aus den nebulosen Vorstellungen meiner Phantasie die Dramaturgie eines Stücks heraus – ohne dass ich eine Note aufschrieb. Schließlich nahm ich den Auftrag an.“ Cerhas Komposition wurde am 6. Oktober 2011 in Leipzig vom Gewandhausorchester unter der Leitung von Riccardo Chailly uraufgeführt. Bereits am 21. Oktober 2011 war das Programm im Großen Saal des Wiener Musikvereins zu hören. Gavin Dixon schreibt am 13. September 2014 im „Bachtrack“ über das auf Beethovens Kompositionstechnik beruhende Stück des Doyens der österreichischen Neuen Musik: „Es ist einfach strukturiert und erreicht vermittels Verdichtung und accellerando nach etwa zehn Minuten einen Höhepunkt. Ihm folgt ein langes, ruhiges Nachspiel aus klagenden Holzbläser-Soli und Perkussionseffekten auf einem pianissimo-Bett der Streicher. Dieses Werk ernährt sich gewissermaßen auf clevere Art und Weise von der Beethoven-Symphonie. Für sich alleine könnte es in einem Programm nicht stehen, doch die symbolische Beziehung mit der Symphonie bereichtert [sic] beide Werke.“ Friedrich Cerhas „Paraphrase“, die bei der Universal Edition verlegt ist, kann auf der CD-Edition „Gewandhausorchester Vol. 4“ nachgehört werden.
Fortspinnen
1. Symphonie op. 21 | Johannes Maria Staud: „Maniai“
Für die persönliche Auseinandersetzung Johannes Maria Stauds mit Beethovens 1. Symphonie op. 21 regte ihn das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks an. Im Jahr 2011 entstand das Orchesterwerk „Maniai“, welches zum ersten Mal am 9. Februar 2012 im Herkulessaal der Residenz München vom Auftraggeber unter der Leitung von Mariss Jansons vor Publikum gespielt wurde. Staud, der ohne die Kenntnis der Musik Beethovens vermutlich einer anderen Berufung gefolgt wäre, schreibt zu seinem Werk: „Mich hat für diese Arbeit besonders der Finalsatz fasziniert, diese mitreißende und hemmungslos impulsive Musik, die aus der anfangs zögerlichen aufsteigenden Bewegung so schlüssig und spannend entwickelt wird. Wie sich Beethoven dabei auf ganz wenige Motive konzentriert, diese beständig in höchstem Tempo aufeinanderprallen lässt und so eine unglaubliche Sogwirkung erzeugt, ist immer wieder faszinierend.“ Er war von den Bewegungsmuster in Beethovens Werk aus dem Jahr 1799 inspiriert und spann diese unter einem mikrotonalen Netz immer weiter fort. Es entstand das zehnminütige, zweiteilige Werk. Der erste, etwas längere Teil ist sehr schnell angelegt. Hingegen kehrt im kurzen zweiten Satz langsam Ruhe ein. Es ist der unruhige, hektische schnelle Abschnitt, weshalb Johannes Maria Staud den Titel „Maniai“ wählte – das griechische Wort für die drei Furien. Hier versucht der Beethoven-Kenner wie sein Vorbild „absolute Zartheit neben absoluter Wildheit koexistieren zu lassen, Brüche nicht zu kaschieren, sondern sie ganz im Gegenteil noch zu betonen, ja geradezu herauszumeißeln, ohne den formalen Zusammenhang zu zerstören, […].“ Die österreichische Erstaufführung des bei der Universal Edition verlegtem und auf der BR-Klassik-CD-Reihe erschienenen Werk „Maniai“ fand am 13. September 2012 im Rahmen des Eröffnungskonzertes des Festivals Klangspuren Schwarz statt. Es spielte das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck unter der Leitung von Wen-Pin Chien.
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Recyclen
7. Symphonie op. 92 | Bernhard Lang: „Monadologie XXVIII ‚Seven‘“ & „Monadologie XXVIII ‚Seven-Two‘ für Armin Köhler“
Im Jahr 2013 schrieb Bernhard Lang mit „Seven“ die Nummer 28 des Werkzyklus’ „Monadologie“, in dem er mittels computergenerierter Verfahren Filter- und Mutationsprozessen Musik alter Meister recycelt. Es ist Beethovens 7. Symphonie op. 92, die hier für Flöte, Violine, Cello, Keyboard und Klavier verarbeitet wurde. Das 24-minütige Werk „Monadologie XXVIII ‚Seven‘“ wurde am 23. Oktober 2016 in Berlin vom Ensemble Peärls Before Swïne Experience in der Konzertreihe „Kontraklang“ aufgeführt. Im Jahr 2015 widmete er „Monadologie XXVIII ‚Seven-Two‘“ für Streichquintett, Harfe und Gitarre dem verstorbenem Festivalleiter der Donaueschinger Musiktagen Armin Köhler (1952–2014).
Reduzieren
9 Symphonien op. 21, op. 36 , op. 55, op. 60, op. 67 , op. 68, op. 92, op. 93 und op. 125
Will man sich alle neun Symphonien des großen Meisters hintereinander anhören, so benötigt man beinahe sechs Stunden. Schneller geht’s – wenn auch mit einem anderen Klangbild –, wenn man sich die Werke von Peter Ablinger (*1959), Alexander J. Eberhard (*1970) oder Wolfgang Mitterer (*1958) zu Gemüte führt, die in der Musikdatenbank von mica – music austria für zeitgenössische Musik in Österreich auffindbar sind. Frei nach dem Motto: Kurz und g’schwind, anders klingt!
Symponie-Reduktion I: Rauschende Faltung
Peter Ablinger: „Weiss/Weisslich 22“
Im Zyklus „Weiss/Weisslich“ von Peter Ablinger, welcher instrumentale Kompositionen, Installationen, elektroakustische Stücke, Prosa- und Hinweisstücke enthält, kondensiert er bei Nr. 22 zuerst Beethovens Symphonien auf 40 Sekunden (1986), um anschließend die Symphonien Haydns, Mozarts, Schuberts, Bruckners sowie Mahlers zu Rauschen zu verarbeiten. Zu dieser Verdichtung der Werke schreibt Ablinger: „Das Resultat ist so, als hätte man alle Sinfonien eines Meisters in 40 Sekunden lange Abschnitte zerschnitten und dann übereinander gelegt; eine Art (Zusammen-)Faltung auf 40 Sekunden; tatsächlich ist Sekunde 1 bis 2 (der ersten Sinfonie Beethovens) immer gleichzeitig mit den Sekunden 41 bis 42, 81 bis 82 etc. derselben Sinfonie …“. Hierfür verwendete der Komponist ein eigens dafür entwickeltes Computerprogramm von Robert Höldrich. Christian Scheib schreibt dazu: „Das resultiert in gefärbtem und in sich changierendem Rauschen; die Information aber, die dieses Rauschen über Eigenart und Charakteristik des jeweiligen Komponisten enthält, ist für jeden, der die Musik dieser Komponisten kennt, unüberhörbar und in anderen Konstellationen zumindest nicht in vierzig Sekunden derart mitteilbar. Dieser Aspekt des Informierens mag einer der weniger wichtigen dieser Arbeit sein, da dieses Stück Entscheidenderes vermittelt über das Verhältnis von einem darzustellenden Allem zu einem dargestellten Kondensat, letztlich von Repräsentanz zu Präsenz.“ Ablingers Werk „Weiss/Weislich 22“ bezieht sich auf eine Antwort von John Cage bei einem Interview. Dieser wolle alle Symphonien von Beethoven gleichzeitig dirigieren. Verschiedene Versionen können auf Ablingers Website nachgehört werden.
Symponie-Reduktion II: Tempo-Verdoppelung
Alexander J. Eberhard: „9xBeethoven10 für analoges Tonband“
Nur 23 Sekunden braucht es, wenn man „9xBeethoven10 für analoges Tonband“ von Alexander J. Eberhard anhört. Der Komponist berichtet darüber in seinem mica-Interview, das Sylvia Wendrock in diesem Jahr mit ihm geführt hat: „Das ist mein kürzestes Stück. Ich habe da aus allen Beethoven-Sinfonien Ein-Sekunden-Stücke gemacht, indem ich sie mit einer analogen Tonbandmaschine – in doppeltem Tempo abgespielt – aufgenommen habe, bis sie nur noch eine Sekunde lang waren. Das war 1994 mein Abschlussstück des Universitätslehrgangs Elektroakustische und experimentelle Musik. Jede Sinfonie hat lustigerweise eine andere Struktur. Begonnen mit einem Beethoven-Zitat, damit man versteht, wo man jetzt daheim ist, dauert das Stück insgesamt 23 Sekunden. Vor zwei Jahren habe ich beim Komponistenforum Mittersill die Videokünstlerin Claudia Larcher kennengelernt. Sie hat spontan mit ihrem Videomaterial auf dieses Beethovenstück geantwortet. Wir nannten es ‚9xBeethoven10 reloaded‘.“ (Link: https://www.musicaustria.at/die-wortlose-kommunikation-ist-mir-am-liebsten-alexander-j-eberhard-im-mica-interview/) Es wurde im Porgy & Bess uraufgeführt.
Symponie-Reduktion III: Reißwolftechnik
Wolfgang Mitterer: „Nine In One“
Wolfgang Mitterer kürzte schließlich im Jahr 2018 alle Themen der neun Beethoven-Symphonien in „Nine In One“ auf 56 Minuten 25 Sekunden zusammen und ergänzte das ganze mit Elektronik. Eine Art Orchesterklang bietet diese Reduktion dennoch, das Ausgangsmaterial die Einspielung des Haydn Orchesters von Bozen und Trient unter der Leitung von Gustav Kuhn. Diese wird mit Klängen im weitesten Sinne ergänzt. Es sind Geräusche des Alltags bis hin zu jazzartigen Einwürfen. Dirk Wieschollek schreibt darüber in der Neuen Musik Zeitung : „Ein ‚Beethoven-Remix‘ der besonderen Art, welcher selbstverständlich in neun Sätzen stattfindet, die die sinfonischen Allgemeinplätze mal mehr, mal weniger spannend durch den Reißwolf drehen. Am besten gelingt das immer dann, wenn Mitterer das Vorhandene mit untrüglichem Gespür fürs Abgründige elektronisch weiterdenkt und mit harten Schnitten, gezielten Übertreibungen oder dunklen Abwegen erst recht interessant macht.“ Nachzuhören ist der komprimierte Beethoven mit der bei col legno erschienenen CD „Nine In One“.
Nicola Benz
Links:
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Happy Baptism Day, Ludwig! – TEIL 2: Beethoven-Bezüge ohne Jubiläen
Happy Baptism Day, Ludwig! – TEIL 1