Grundrecht auf Sampling? Welche Erkenntnisse bringt das Verfahren MOSES PELHAM gegen KRAFTWERK wirklich?

MOSES PELHAM gegen KRAFTWERK – das ist Brutalität, könnte man frei nach Qualtinger sagen. Denn auch nach jahrelangem Rechtsstreit, der zweimaligen Befassung des Bundesgerichtshofes und zuletzt auch der Verfassungshöchstrichter gibt es immer noch keine klare Lösung, ob die Verwendung eines KRAFTWERK-Samples in einem Song von SABRINA SETLUR nun rechtens war oder nicht. Aber hat der streitbare Rapper nun tatsächlich einen „Etappensieg in puncto Kunstfreiheit“ errungen, wie das aktuelle Urteil des deutschen Verfassungsgerichts von den Medien teilweise interpretiert wurde? Die kritische Würdigung eines interessanten Falles.

Der Stein des Anstoßes: das auf dem Album „Die neue S-Klasse“ (März 1997) enthaltene Lied „Nur mir“ von der deutschen Rapperin Sabrina Setlur. Der Hip-Hop-Titel wurde mit der Dauerschleife eines zweisekündigen Samplings des Kraftwerk-Songs „Metall auf Metall“ von der 1977 erschienenen LP „Trans Europa Express“ unterlegt. Zwei Musiker von Kraftwerk sahen darin eine Urheberrechtsverletzung und klagten bei den Hamburger Gerichten erfolgreich auf Unterlassung. Das heißt, in den ersten beiden Instanzen wurde den Musikern von Kraftwerk recht, ihrer Klage stattgegeben.

In weiterer Folge hob der BGH (vergleichbar mit dem Obersten Gerichtshof in Österreich) das Urteil des OLG (Oberlandesgerichts) Hamburg im Jahr 2008 aber wegen einer fehlerhaften und unklaren Begründung auf. Die Sache wurde zur neuerlichen Verhandlung an das OLG zurückverwiesen. Zweite Runde: Das OLG bestätigte seinen Spruch (mit neuer, klarer und nicht mehr fehlerhafter Formulierung).

Daraufhin landete die Sache wegen neuerlicher Berufung das zweite Mal beim BGH. In seiner mündlichen Urteilsverkündung stellte der BGH klar, dass grundsätzlich auch kleinste Teile eines Musikstücks urheberrechtlich geschützt sind und deshalb nur mit Zustimmung des Urhebers entnommen werden dürfen. Das entspricht im Wesentlichen der in Österreich vertretenen Rechtsauffassung:

Für die Verwendung von Samples muss man immer die RechteinhaberInnen der Aufnahme um Erlaubnis fragen, ganz egal wie lange das Sample ist. Ob darüber hinaus auch die Rechte der UrheberInnen betroffen sind, hängt davon ab, wie groß der Wiedererkennungswert des verwendeten Werkteils ist. Möchte man also etwa einen einzelnen Keyboard-Ton sampeln, wird das kaum in die Rechte der Komponistin bzw. des Komponisten des Werks eingreifen, aber schon bei einem ganz kurzen Vocal-Sample mit hohem Wiedererkennungswert kann das der Fall sein, vor allem wenn dieses Sample ein prägendes Gestaltungselement des neuen Songs ist.

Dass eine unlizenzierte Sampleverwendung rechtens ist, wenn man beispielweise weniger als vier Sekunden oder nur eine bestimmte Anzahl an Takten einer Aufnahme übernimmt, stimmt so nicht. Leider hat sich dieser Irrglaube in Musikerkreisen bis heute hartnäckig gehalten.

Tatsache ist: Es wird auf den Wiedererkennungswert des Samples abgestellt. Einen allgemeinen Richtwert, ab wann etwas wiedererkennbar ist, gibt es aber nicht. Es bedarf einer genauen Prüfung im Einzelfall. Man nehme etwa das bekannte Keyboard-Intro von Bruce Springsteens „Born in the USA“. Schon nach dem Bruchteil einer Sekunde ist den meisten klar, um welchen Song es sich handelt. Die Wiedererkennbarkeit ist besonders hoch.

Andererseits kann es ganze Melodiefolgen geben, bei denen eine klare Zuordnung nur schwer möglich ist. Siehe etwa die aktuellen Rechtsstreitigkeiten betreffend Led Zeppelins „Stairway to Heaven“. Mit anderen Worten: Eine bestimmte „Chord-Progression“ kann so allgemeingültig sein, dass Kleinigkeiten, d. h. nur geringe Abweichungen darüber entscheiden können, ob dadurch in ein fremdes Recht eingegriffen wird oder nicht. Besonders schwer ist diese Beurteilung etwa auch im Werbebereich, wo simple Dreiklänge als Unternehmens-Branding (mit teils enorm hohen finanziellen Bewertungen) verwendet werden. Gemeingut und Unverwechselbarkeit können hier im Einzelfall sehr nahe beieinanderliegen.

Zurück zur Urteilsbegründung: Der BGH führte des Weiteren aus, dass derjenige, der die Klänge für eigene Zwecke verwenden möchte, und „befähigt und befugt ist, diese selbst einzuspielen“, sie nicht im Wege des Samplings übernehmen darf. Umgekehrt bedeutet das, dass eine Musikerin bzw. ein Musiker Tonsequenzen aus anderen Stücken dann entnehmen darf, wenn sie wegen ihrer besonderen Eigenart nicht einfach nachgespielt werden könnten (Urteil vom 13. 12. 2012 – I ZR 182/11, Entscheidungsstichwort „Metall auf Metall II“).

Das heißt also: Wenn jemand ein fremdes Sample essenziell für seine Komposition hält, dieses Teilstück, weil es so komplex oder produktionstechnisch so besonders ist, nicht selbst nachspielen oder nachspielen lassen kann, darf er es verwenden. Um das kulturelle Schaffen nicht zu behindern, wird der Eingriff in das fremde Recht toleriert. Das ist deshalb bemerkenswert, weil dem kulturellen Schaffen des Samplenden dadurch im Einzelfall ein höherer Stellenwert eingeräumt wird als dem des Gesampelten.

Im konkreten Fall hatte Moses Pelham (als Produzent von Sabrina Setlur) eine zwei Sekunden dauernde zweitaktige Rhythmussequenz aus Kraftwerks „Metall auf Metall“ entnommen und in fortlaufender Wiederholung ihrem Titel „Nur mir“ unterlegt. Der BGH gelangte zur Auffassung, dass es möglich gewesen war, die übernommene Rhythmussequenz selbst einzuspielen, sodass die Rechte von Kraftwerk verletzt wurden. Das Recht zur freien Benutzung nach § 24 Abs. 1 UrhG stehe nur jemandem zu, der eine Tonfolge selbst einspiele.

Einfache Melodien, hochkomplexe Klangbilder

Diese Entscheidung ist allerdings nicht nur juristisch fragwürdig, sie legt der Entscheidung auch eine grundlegend falsche Schlussfolgerung zugrunde, was die Qualität der Musik bzw. ihre produktionstechnische Entstehung anbelangt: Bei Kraftwerk und ihrem Schaffen geht es schlicht und ergreifend nicht um eine simple, einprägsame Tonfolge, die mittels eines bestimmten Synthesizers – analog oder nicht – nachgespielt werden kann, es geht um hochkomplexe Klangbilder. Kraftwerk selbst haben, wie von den Medien auch immer wieder entsprechend transportiert und mystifiziert, mitunter Jahre damit verbracht, bestimmte Klangbilder zu perfektionieren. Sie haben auch Jahre damit verbracht, ihr gesamtes analoges Werk zu digitalisieren. Es geht daher ganz ohne Zweifel um einen sehr hohen Grad des Perfektionsanspruchs und perfektionierte Klangbilder, die eben nicht einfach nachgespielt werden können. Kraftwerks Musik ist, was Eingängigkeit bei gleichzeitiger Komplexität anbelangt, einzigartig. Genau aufgrund dieser Einzigartigkeit wird Kraftwerk auch immer wieder – quer durch die Genres – gerne gesampelt.

Zu diesem Urteil hätte der deutsche BGH auch leicht kommen können, hätte er eine entsprechende, nicht nur juristisch, sondern auch musikalisch fundierte Expertise eingeholt.

Weiter in der Geschichte: Gegen diese Entscheidung nun legte Pelham Verfassungsbeschwerde ein. Der BGH habe in seiner Entscheidung – stark verkürzt wiedergegeben – die Freiheit der Kunst unangemessen berücksichtigt. Das Bundesverfassungsgericht nahm die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und beschäftigte sich damit – laut dem Vorsitzenden des Ersten Senats, Ferdinand Kirchhof – zum ersten Mal in seiner Geschichte mit verfassungsrechtlichen Fragen des Urheberrechts. In seiner aktuellen, am 31. Mai 2016 verkündeten Entscheidung hob das BVerfG die Entscheidung des BGH auf. Dieser habe die Reichweite der Kunstfreiheit verkannt. Der Einsatz von Samples sei eines der stilprägenden Elemente des Hip-Hops. Zudem sei das Kriterium der „Nachspielbarkeit“ untauglich.

Damit wird die Sache zum dritten Mal an den BGH gehen. Darüber hinaus ist nach dem BVerfG aber auch ein Vorabentscheidungsverfahren an den EuGH zur Reichweite des Urheberrechts nicht ausgeschlossen. Das heißt, es kann durchaus sein, dass sich die neuerliche Entscheidung des BGH durch die Anrufung des Europäischen Gerichtshofes verzögern wird. Das nun als Etappensieg von Moses Pelham zu werten, greift allerdings zu hoch.

Bemerkenswert ist, dass das Verfassungsgericht in einer „kunstspezifischen Betrachtung“ festgestellt hat, dass es auf die Nachspielbarkeit, die dann aber wie gesagt im konkreten Fall falsch beurteilt wurde, nicht ankommt. Hier liegt das Verfassungsgericht auch richtig. Denn richtig beurteilt – wenn man also wertgeschätzt hätte, wie hochkomplex und daher kaum in gleicher Qualität nachspielbar die Musik von Kraftwerk tatsächlich ist –, hätte das im Klartext geheißen: Verwendet jemand Jahre darauf, an einem ganz bestimmten Klangbild zu arbeiten, und ist seine Musik deshalb kaum bis nicht nachspielbar – zumindest nicht unter Anwendung durchschnittlicher Kenntnisse – ist die Musik frei sampelbar, weil die Verweigerung die Verhinderung neuer Kunst bedeuten würde. Sie ist also ganz generell weniger schützenswert als ein austauschbarer Teil. Das wäre auch für die bzw. dem Sampling und elektronischer Sample-Kunst gegenüber an sich liberal Eingestellte bzw. Eingestellten doch ein wenig fragwürdig, um es vorsichtig zu formulieren. Denn eine bestimmte Klangästhetik ist sehr wohl schützenswert. Ob weniger schützenswert als die neue Kunstform, die auf der alten aufbaut, muss im Einzelfall entschieden werden. Dazu gleich noch.

Das Höchstgericht hat durch die Absage an das Kriterium der „Nachspielbarkeit“ aber auch den speziellen Eigenschaften der Kunstform Hip-Hop Rechnung getragen. Denn darin geht es ja darum, das Original (in einer ganz bestimmten Klangästhetik) zu verwenden, sich dieser Ästhetik zu bedienen.

Dass das von Pelham verwendete Sample sehr kurz war und Kraftwerk dadurch nach Auffassung der Richter kein Schaden entstanden ist, sodass Pelhams künstlerische Freiheit im konkreten Fall das Verwertungsinteresse von Kraftwerk überwiegt, ist allerdings schlichtweg falsch. Das Sample zieht sich durch den ganzen Song, es ist prominent und stilprägend eingesetzt.

Zumutbarkeit der Rechteeinholung

Es sollte auch (immer noch) darauf abgestellt werden, wie einfach oder schwer die Rechteeinholung ist. In bestimmten Fällen (etwa der Verwendung von mehreren Dutzend verschiedener, im Detail schwer auszuforschender Samples) kann es im Einzelfall schwer bis unmöglich werden, alle Rechte einzuholen. Ein prominentes Beispiel dafür ist das Album „Since I Left You“ der Avalanches, in das nach eigenen Angaben über 3.000 Samples einflossen. Hier wird, schreibt man dem Sampling-Artist vor, dass er alle Rechte einholen muss, so das überhaupt möglich ist, tatsächlich Kunst verhindert.

Das Verfassungsgericht hat jedoch – recht künstlerfreundlich – gesagt, es beschränke Moses Pelham in seiner Kunstfreiheit, wenn er fragen müsste. Und hier liegt das Höchstgericht falsch. Denn im konkreten Fall ging es nur um ein gesampeltes Stück. Die Rechteeinholung wäre Moses Pelham leicht zuzumuten gewesen.

Dass die Gruppe Kraftwerk anderen Künstlerinnen und Künstlern Rechte an ihren Werken bzw. Teilen davon einräumen, beweist eine ganze andere Reihe von Musikstücken, die Teile des Kraftwerk-Oeuvres (offenbar legal, sonst wüsste man von weiteren Klagsführungen) verwendet. Ein Beispiel dafür gibt es auch aus Österreich: Der Track von Joyce Muniz‘ „Back In The Days Feat. Bam“ etwa bediente sich eines Samples aus „It‘s more fun to compute“ aus dem Album „Computerwelt“ – offenbar in einer ästhetisch von den gesampelten Künstlern gutgeheißenen Fassung. Denn nach eigenen Angaben wurden dafür die entsprechenden Rechte erteilt.

Darüber, ob das Stück Setlurs ohne Kraftwerk-Sample tatsächlich schlechter gewesen wäre, kann man geteilter Ansicht sein.

Man kann auch geteilter Auffassung darüber sein, ob es Pelham tatsächlich um die Kunstfreiheit geht. Vor allem die Tatsache, dass Moses Pelhams Firma „DigiProtect“, die 2013 Insolvenz anmeldete, das Geschäftsmodell der Massenabmahnungen für angebliche Urheberrechtsverletzungen bei Internettauschbörsen verfolgte, macht das in hohem Maße zweifelhaft.

Die Entscheidung des deutschen Bundesverfassungsgerichts ist weniger ein Etappensieg für Moses Pelham als vielmehr die eindringliche Mahnung, in der Abwägung, ob neu entstehende Kunst oder bereits bestehende Kunst, derer sich die neue Kunst bedient und deren UrheberInnen sich vielleicht gerade gegen die neue Bearbeitung zur Wehr setzen wollen, schützenswerter ist, wirklich alle (!) Aspekte, auch die verfassungsrechtlichen, zu berücksichtigen.

Jedenfalls aber ist eine Beurteilung im Einzelfall notwendig. Die Nachspielbarkeit kann dabei nur eines von mehreren anzuwendenden Kriterien sein. Es geht auch um die Länge und Wiedererkennbarkeit des Samples, seinen spezifischen Einsatz, seine Dominanz also, um den zeitlichen Horizont (Abstand zwischen Original und Bearbeitung), die Zumutbarkeit der Rechteklärung und das Niveau der Verarbeitung.

Der BGH wird nun unter Berücksichtigung der Erkenntnisse des Bundesverfassungsgerichts neu entscheiden müssen. Es ist dabei durchaus denkbar, dass der BGH seine Entscheidung genau so noch einmal fällt, nicht ohne vorher freilich die verfassungsrechtlich gewährleistete Kunstfreiheit entsprechend gewürdigt, d. h. zwischen Eingriff in ein fremdes Recht und dessen Verletzung einerseits und der Behinderung der Kunstfreiheit andererseits ausreichend abgewogen zu haben. Das wird sicher noch ein paar Jahre dauern. Die neuerliche Entscheidung bleibt mit Spannung abzuwarten.

Markus Deisenberger

Danke

Dieser Beitrag wurde von der Kulturabteilung der Stadt Wien (MA 7) gefördert.