Gibt es eine Musikszene in Salzburg? – Sabina Hank und Wolfgang Niessner

Salzburg definiert sich seit je her als Kultur- und Musikstadt. Zu Recht?  Die Jazzerin Sabina Hank und der Komponist Wolfgang Niessner über die Rahmenbedingungen für MusikerInnen in Salzburg, die Dominanz der Salzburger Festspiele im Kulturgeschehen und die Notwendigkeit eines faireren Umgangs der Veranstalter mit den KünstlerInnen. Das Interview führte Wolfgang Seierl.

Ihr kommt beide aus Salzburg?

Wolfgang Niessner: Ich bin in Salzburg geboren und habe Jahre in der Getreidegasse gelebt.

Sabina Hank: Ich bin in den ersten zwei Jahren auch in der Getreidegasse aufgewachsen.

Wolfgang Niessner: Die war damals völlig anders. Sie war bewohnt, belebt und es hat Nahversorger gegeben. Aber das hat sich dann in den 60ern immer mehr geändert. Ich bin da in die Schule gegangen, wo jetzt die theologische Fakultät angesiedelt ist. Irgendwann bin ich dann halt weg in die Werkschule ins Felbertal.

Sabina Hank: Also die ganze Zeit im Felbertal?

Wolfgang Niessner:
Ja, zuerst in Mittersill und dann in Ebenau. Ich habe mir schon gedacht, dass wir beide gleichermaßen mit der Stadt Salzburg verbunden sind. Bist du auch in Salzburg aufgewachsen?

Sabina Hank:
Ja, ich bin in Salzburg geboren und aufgewachsen.

Wolfgang Niessner: Meine Eltern hatten ein großes Klaviergeschäft. Ich bin das Mannheim-Kind, das es nicht übernehmen wollte, alles verkauft hat und damit auch sehr glücklich ist. Aber ich bin mit Musik aufgewachsen, von ganz klein auf.

Sabina Hank:
Ich auch. Was war dein erstes Instrument, auch Klavier?

Wolfgang Niessner:
Klavier, dann später Schlagzeug, Geige und Gesang.

Sabina Hank: Wirklich? Wow.

Wolfgang Niessner:
Ja, und bis 19 habe ich nur Blues gespielt, was sich dann aber ziemlich aufgehört hat. In ganz schwachen Momenten sage ich immer, im nächsten Leben will ich Bassgitarrist von Jimi Hendrix werden. Gerade habe ich meinem Buben die Autobiografie von ihm geschenkt. Als Hendrix in London war, hat er den Schlagzeuger und den Bassisten gefunden. Der Bassist hat zu ihm so toll gepasst, weil er früher Leadgitarrist war. Er hat Hendrix vorgeschlagen, nur im Trio zu spielen, damit es mehr Raum zu improvisieren gibt. Ich sage allen Jungen immer, hört euch den Bassgitarristen von Jimi Hendrix an. Der spielt wirklich toll, fernab von allen Schemen. Jetzt bin ich aber abgeschweift. Ich habe jedenfalls die Getreidegasse als lebendiges Biotop erlebt. Das war Anfang oder Mitte der 60er-Jahre.

Sabina du?

Sabina Hank:
Ich kann mich nur daran erinnern, dass wir die ersten Jahre in der Getreidegasse in einer kleinen Garconniere gelebt haben. Dann aber hat mein Papa, der am Landestheater 30 Jahre im Chor war, eine der kleinen Theaterwohnungen in Parsch bekommen. Die waren sehr günstig und darum ideal für Jungfamilien. Dort bin ich dann eigentlich groß geworden. Die Getreidegasse war für mich – ich bin 1976 geboren – immer schon Tourismus. Aber heute ist es nur noch gelebter Postkarten-Kapitalismus, wohingegen früher schon noch mehr da war.

“Ich sage sicher nicht: `Nieder mit der Hochkultur`. Aber das Gleichgewicht stimmt eben nicht.” (Sabina Hank)

Was macht das mit einem/einer Musikschaffenden, wenn er oder sie in so einer Stadt lebt? Nach Andy Warhol ist ja das Beste, wenn man aus einer kleinen Stadt kommt, wegzugehen. Salzburg ist eine Stadt, die mit Prädikaten wie Musikstadt, auch die Stadt Karajans, Max Reinhardts und der Festspiele versehen ist. Ist das für einen Musiker oder eine Musikerin etwas Beflügelndes oder kann es auch eine Einschränkung sein?

Sabina Hank:
Sicher ist das etwas Einschränkendes, aber ich sehe prinzipiell solche Spannungsverhältnisse als Herausforderung an. Auf der einen Seite lebt die Stadt von oben genannten Prädikaten und ist deshalb so reich. Ich kann jetzt viel leichter über Salzburg reden als früher. Ich bin in Salzburg geboren und aufgewachsen, bin aber jetzt schon 18 Jahre nicht mehr in Salzburg-Stadt zu Hause. Vielleicht  habe ich deswegen ein viel versöhnlicheres Verhältnis bekommen. Ich hatte wirkliche eine Hass-Liebe zu dieser Stadt, ich habe mir gedacht, man kann sich hier ja nicht entfalten, weil die Energie der Menschen erdrückend ist. Sie ist nicht im Flow und es wird sehr versucht, alles in irgendeiner Form festzuhalten. Das ist zwar sehr verallgemeinernd gesprochen, aber es gibt meiner Meinung nach nicht wirklich ein Gleichgewicht, weil die Tradition und das Alte zu sehr verherrlicht werden.

Wolfgang Niessner:
Einschränkung? Ich ging auch nach Wien studieren und mein erstes großes Opernhaus war Graz. Ich habe dann sehr viel außerhalb gemacht und bin dann über das Landestheater später dann am Mozarteum gelandet. Ich lebe seit 20 Jahren aber auch außerhalb von Salzburg.

Sabina Hank: Mir geht es jetzt viel besser, seit dem ich nicht mehr in der Stadt lebe. Ich kenne sehr viele Künstler, vor allem Komponisten, die es sehr in die Natur und die Stille zieht. Dort ist einfach mehr Raum, um zu atmen, und nicht mehr diese Enge, die meiner Meinung nach nicht nur durch den Tourismus in dieser Stadt verursacht wird, sondern einfach durch dieses Ungleichgewicht zwischen Innovation und Tradition.
Ich finde Hochkultur beflügelnd, ich komme ja selbst aus der Klassik. Viele meiner Kollegen kommen aus einer ganz anderen Ecke, über die Blasmusik oder über den Pop und Rock zum Jazz. Ich bin den Hochkulturweg gegangen, über die Klassik. Ich sage sicher nicht: „Nieder mit der Hochkultur“.
Aber das Gleichgewicht stimmt eben nicht. Und das drückt sich auf allen Ebenen, auch auf der finanziellen aus: Das Geld fließt hauptsächlich in die Hochkultur und das ist schon sehr bedenklich. Wolfgang, du hast ja einen fixen Job am Mozarteum, aber ich bin total freischaffend. Ich habe in Wirklichkeit noch keine Ahnung, wovon genau ich das nächste Jahr überleben soll.“

“Die Enge ist aber, dass alles, was unter Kunst und Tradition läuft, ein unheimliches gutes Vehikel für lukrative Geschäfte ist.” (Wolfgang Niessner)

Was müsste sich denn ändern? Welche Therapie würdet ihr Salzburg verschreiben?

Wolfgang Niessner: Das Konzept ist einfach. Es geht um den Umfang der Förderung. Die Enge ist aber, dass alles, was unter Kunst und Tradition läuft, ein unheimliches gutes Vehikel für lukrative Geschäfte ist. Das ist auch in den Köpfen der kleinsten Leute drinnen. Dieses Denken ist vor allem in den Sommermonaten ganz schlimm ausgeprägt. Dennoch gibt es Lichtblicke. Ich hatte z. B. bei Zeitfluss unvergessliche Erlebnisse. Wie ich in der ersten Ära Markus Hinterhäuser in der Kollegienkirche war, habe ich Sachen gehört, die mich unglaublich geprägt haben. Das war schon etwas, wo sich oben die Spitze der Pyramide neu und fester artikuliert hat. Aber das sind eher Ausnahmen. An der Gesamtsituation wird sich nicht wahnsinnig viel ändern, weil die Hochkultur einfach der Hauptgeschäftsfaktor ist. Von ihr lebt die Stadt.

Sabina Hank: Die Salzburger Festspiele sind eines der drei wichtigsten Festivals der Welt.

Wolfgang Niessner: Es gibt aber noch etwas ganz Spezielles, was auch im Zuge der gesellschaftlichen und universitären Entwicklungen der vielleicht letzten 10 bis 15 Jahre zu bemerken ist. Viele unserer Studenten sind darauf angewiesen, dass sie hier auch ein Einkommen haben, um überhaupt studieren zu können. Sie machen halt sehr viel in der Richtung einer nicht sehr anspruchsvollen Mozartindustrie. Das reicht bis zu den großen Hotels in Kitzbühel und dem ganzen Seengebiet. Was da alles unter Titeln wie „heiterer Mozart“ oder „Dinner-Konzerte“ gemacht wird, kann man sich in einer Stadt, die knapp 150.000 Einwohner hat, gar nicht vorstellen. Das ist nicht nur eine Industrie, das sind gleich mehrere. Da gibt es z. B. die Konzerte im Peterskeller, die ich ja echt schlimm finde.

Sabina Hank: Ich glaube, Elisabeth Kulman hat da mit dieser „Art but fair“ Geschichte ein Riesen-Ding ins Rollen gebracht. Ich weiß nicht, ob ihr die „goldenen Regeln“ gelesen habt, aber das ist, glaube ich, der Schlüssel zum Umdenken: Nicht nur bei den im Kunstbetrieb tätigen Künstlern und Veranstaltern muss das Bewusstsein für den Stellenwert geschaffen werden, sondern generell bei den Menschen.  Ich persönlich habe einmal gesehen, dass wir nicht alleine sind. Es ist für uns Kunstschaffende oftmals so entwürdigend, wie mit uns umgegangen wird. Das hat aber nicht nur damit zu tun, dass die Veranstalter viel Macht haben, sondern auch damit, dass sich das Publikum dessen nicht bewusst ist.
Es geht um gewisse Mindeststandards, Regeln an die sich die Veranstalter halten müssten. Dass zum Beispiel quasi für jedes Engagement im Kunstbetrieb ein Vertrag verpflichtend sein muss. Es ist ja wirklich so, dass ich mindestens 50% der Veranstalter wegen der Verträge nachlaufen muss. Teilweise werden auch völlig unseriöse Verträge abgeschlossen. Diese werden auch noch ständig gebrochen, weil die Veranstalter ja wissen, dass ich wegen 1000 € nicht klagen werde. Wie auch? Es gibt keine vernünftige Rechtsschutzversicherung für MusikerInnen. Wir befinden uns automatisch von Anfang an in einer Position, die ausgenützt werden kann. In Wirklichkeit  spielt jeder Musiker lieber für die Hälfte als gar nicht. Oder er arbeitet oder komponiert. Ich habe gerade einen Kompositionsauftrag erhalten und schreibe einen Monat lang für ganze 500 €. Und es handelt sich hier um einen offiziellen Auftrag. Trotzdem mache ich es, auch weil ich weiß, dass das Werk in einer schönen Location in Salzburg uraufgeführt wird.
Entscheidend ist, dass die die ganze Sache Eingang ins Bewusstsein der Menschen findet. Wir dürfen nicht als abgehobene Künstler wahrgenommen werden. Die Leute müssen sehen, dass das, was wir fordern kein Luxus ist, sondern absolutes Grundbedürfnis.

“Man darf nicht nur Symptombekämpfung betreiben, sondern muss die Ursachen suchen.” (Sabina Hank)

Jetzt soll in den Schulen Musik als Freifach angeboten werden, anstatt wie bisher als Pflichtfach. Da fängt es an. Ich glaube, dass das Bildungssystem das große Stichwort ist. Ich habe vor ein paar Monaten in St. Virgil vor 350 Kindergartenpädagoginnen des Landes Salzburg eine Eröffnungsrede zum Thema „Musik wirkt, Musik bildet“ gehalten. Anschließend habe ich noch einen Workshop gehalten und gemerkt, dass es einfach noch so viel zu tun gibt, dass noch so viel an Bewusstsein zu schaffen ist bzw. Berührungsängste abzubauen sind. Bei dem Workshop hat mich eine Kindergartenpädagogin allen Ernstes gefragt: „Was soll ich denn machen, wenn der kleine Bub im Kindergarten die ganze Zeit auf seinen Trommeln so laut schlagen will, dass er damit die anderen Kinder stört?“

Man darf nicht nur Symptombekämpfung betreiben, sondern muss die Ursachen suchen. Die sind in der Gesellschaft immer auf verschiedenen Feldern zu finden – Bildung ist ein Stichwort, aber nicht das einzige.

Aber gut wäre vielleicht einmal eine gescheite Sozialversicherung, ein Sozialsystem für die Selbständigen. Ich bin jetzt kurz vor der Armutsfalle. Nun hat die SVA Gott sei Dank das erste Mal eine Berufsausfallsversicherung eingeführt. Jetzt bin ich im Krankenstand, zum ersten Mal in meinem ganzen Leben. Ich arbeite 24 Stunden, 7 Tage die Woche. Es gibt also viel zu tun, aber jammern hilft nichts.

Wolfgang Niessner:
Bist du in Karenz oder im Krankenstand?

Sabina Hank: In Karenz war ich nur ein Jahr. Aber weil alleinerziehend, eigentlich nie. Ich habe zwölf Monate lang 1000 € Kinderbetreuungsgeld pro Monat bekommen, aber damit waren noch lange nicht meine Fixkosten gedeckt und deswegen habe ich eigentlich sofort nach der Geburt von Jara wieder gearbeitet – von zu Hause aus – und drei Monate später mein erstes Konzert gegeben. Ich kenne auch Sozialsysteme anderer Länder, wir leben hier eh noch im Paradies. Aber wenn ich daran denke, wie abgesichert Freundinnen von mir sind, die jetzt auch Kinder haben, in Karenz sind und in einem Angestelltenverhältnis!

Wolfgang Niessner: Man kann über das Jahr auch verfolgen, welche Monate völlig ausfallen. Vor allem die im Sommer, Mitte Juni bis Oktober. Das Leben in der Stadt und alles was damit zu tun hat, sind dann ganz anders.

“Es gibt de facto zu wenig Interesse von Seiten der Kulturpolitik…” (Sabina Hank)

Sabina Hank: Stimmt, das erlebe ich auch so. Wobei es gerade in Salzburg ein sensationell tolles Angebot über das Jahr verteilt gibt. Die ganzen tollen Veranstalter – sei es die ARGE-Kultur, das Winterfest etc. – machen ein tolles Programm, müssen aber jeden Cent umdrehen und bangen jedes Jahr, ob sie überhaupt noch weiter existieren können. Und immer wird weiter gekürzt, bis wir alle vielleicht was zahlen müssen, damit wir im Kunstsektor arbeiten dürfen. Das find ich halt schade. Salzburg existiert nicht nur während dieser geballten Festivalwirtschaftszeit.
Ich würde mir wünschen, dass von kulturpolitischer Seite etwas passiert. Aber wo sind die Kulturpolitiker? Was gerade mit dem Jazzherbst Salzburg passiert ist, habe ich aus nächster Nähe mitbekommen, weil ich für die Nachfolgeintendanz von Johannes Kunz im Gespräch war. Gabi Burgstaller hat mich offiziell beauftragt, allerdings ohne einen wirklich konkreten und durchdachten Plan zu haben. Das kann ich so sagen, weil das de facto passiert ist. D. h. sie haben den Jazzherbst nun einfach sterben lassen und als Alibi das regionale Gratis-Wirtshausfestival „Jazz and the City“ mit ein paar Konzerten aufgestockt. Salzburg hat also jetzt offiziell ein „super Gratis-Jazzfest mit 100 Acts in 2 Tagen“- allerdings zu Auftritts-Konditionen für die Künstler, bei denen ich mir denke: Hallo? Da kommt jetzt wieder „Art but fair“ ins Spiel.

Wolfgang Niessner: Hätte es einen Sinn, wenn sich die Veranstalter zusammen tun?

Sabina Hank: Es gibt de facto zu wenig Interesse von Seiten der Kulturpolitik bezüglich eines internationalen Hochkultur-Jazzfestivals. Ich glaube, es muss eine neue Sehnsucht entstehen. Erst dann kommt vielleicht das Commitment. Der Jazz-Herbst war kein unwesentlicher Wirtschaftsfaktor. Es waren auch alle Größen da. Das kann man nicht mit dem regionalen Gratis-Festival vergleichen, das zwar für die Salzburger ist, aber eben nicht international.

Du hast das Wort Bildung betont: in Salzburg gibt es diverse Musikausbildungsstätten wie das Mozarteum, das Musikum und die FH. Profitiert die Musik- oder Kunst-Szene von diesen?

Wolfgang Niessner: Viele Studenten finden es in Salzburg langweilig, andere finden es dagegen ganz toll, weil sie hier intensiv auf ihre Ziele hinarbeiten können. Das ist aber nur ein kleiner Aspekt. Der größere ist, dass wir so international positioniert sind. Es gibt viele Studenten, die zwei, drei Jahre hier sind und auch einige, die bewusst in die Szene gehen, z.B. die Isländer, die eine Jazzformation gegründet haben.

Sabina Hank: Wirklich, welche?

Wolfgang Niessner: Sie haben regelmäßig im Urban-Keller gespielt. Eine Frau war Sängerin, sie hat bei uns studiert, ihr Mann war Bassist und Schlagzeuger. Sie sind seit einem Jahr wieder in Reykjavík. Entscheidender ist, was du über die Erziehung gesagt hast.

Sabina Hank: Ja, das ist auch Thema Nummer Eins bei mir durch meine kleine Tochter.

Weil du von Szene gesprochen hast. Gibt es eine in Salzburg?

Sabina Hank: Ich mache gerade die Karenzvertretung für Benjamin Schmid am Mozarteum und bekomme schon einen Einblick, was sich in der jungen Szene tut. Es ist ein Improvisationsworkshop für Geiger und Gitarristen, Pianisten kommen auch. Was mir auffällt, ist: Die Studenten sind total motiviert. Einer von ihnen geht jeden Dienstag auf die Jazz-Session ins Jazzit. Dort passiert auch viel und ich finde das super. Wobei der Andi Neumayr auch kämpft.
Salzburg ist natürlich nicht so als Studentenstadt erlebbar, hauptsächlich wegen des Tourismus und den internationalen Festivals. Dieses Flair überdeckt alles. Wenn das weg wäre, wäre es eine Studentenstadt wie Graz, allein wie viele Musikstudenten es hier gibt. Sie vernetzen sich auch ganz gut.
Salzburg ist allerdings noch immer das einzige Bundesland in ganz Österreich, in dem man an der Universität nicht Jazz als Hauptfach studieren kann. Brutal eigentlich. Wo kommen wir da hin. Auch ich als Salzburgerin musste weg gehen. Ich habe damals schon mit 17 meinen Ex-Mann kennengelernt und wäre eigentlich gerne hier geblieben, um Jazz zu studieren.
Ich studierte Klassik und dann Jazz und wollte eigentlich dann weiter Konzertfach studieren.
Ich wurde damals von dem Professor, bei dem ich studieren wollte, aus dem Zimmer gejagt, als ich das Wort Jazz in den Mund genommen habe. Er hat gesagt: „Was? Jazz wollen sie studieren? Das verdirbt den Anschlag.“. Im Nachhinein bin ich ihm aber sehr dankbar für diesen Satz.

Wolfgang Niessner: Bist du dann nach Graz gegangen?

Sabina Hank: Nein, ich bin nach Linz gegangen. Das war am nächsten und da gab es noch das gratis Zugticket bis 130 km, d. h. ich bin gependelt. Linz hatte schon damals den Ruf der offenen, innovativen Jazzabteilung, im Gegensatz zur Grazer Uni, die eher für den „klassischen Jazzweg“ bekannt war. Wie auch immer, es gibt viel zu tun.  Wie heißt der neue Rektor des Mozarteums nochmal?

Wolfgang Niessner:
Mauser. Es gab ja auch die Zeit, wo am Mozarteum die Volksmusikabteilung gegründet wurde. Die Motive sind mir noch immer nicht ganz klar, aber natürlich gibt es die Auflage, ein Profil zu erstellen.

Sabina Hank: Wenn ich an meine Lehrer an der Jazzabteilung in Linz denke, waren das eigentlich die ersten Grazstudenten, die dann in Linz angefangen haben zu unterrichten, z. B. Christian Muthspiel. Er war einer meiner wichtigsten Lehrer, wenn nicht der wichtigste. Er hat mich zum Komponieren gebracht. Diese Leute waren selbst nicht nur Lehrer, sondern haben sich draußen im künstlerischen Leben behauptet, was essentiell für Studenten ist, weil ich sonst in der geschützten Werkstätte verharren und nichts vom Leben mitbekommen würde. Vor allem studiere ich dann vier Jahre im Paradies und werde im Anschluss von der Realität erschlagen.
Viele werden dann Lehrer. Es bleiben in Wirklichkeit ganz wenige über, die dann wirklich den langen Atem für diesen Wahnsinn haben. Damals war ein Hochschulabschluss nicht wichtig, der Christian hat bis heute keinen. Er hat Graz abgebrochen und nur mehr Musik gemacht und ist wirklich ein super toller Künstler. Auch ich habe abgebrochen. Bei mir war es in Linz schon so, dass ich nur mehr Musik machen wollte. Heute werden Stellen international ausgeschrieben.

Wolfgang Niessner:
Berufsnachweis ist immer noch das wichtigste. Wenn eine entsprechende Laufbahn da ist, ist das schon entscheidend.

Sabina Hank: Ich habe gedacht, es ist viel bürokratischer geworden.

Wolfgang Niessner:
In der Musiktheorie ist es z. B. extrem bürokratisch, aber das ist ein ganz eigener Bereich.

Das Fehlen der “Kommunikationsplätze”

Welche Bedürfnisse haben die Musikschaffenden heute. Sind sie je nach Genre und Generation unterschiedlich? Gehören dazu öffentliche Förderungen, Räume für Musikformen, die es früher nicht gegeben hat? Fehlt es an Kommunikationsplätzen oder neuen Kommunikationsformen in Salzburg?

Sabina Hank: Ja, es fehlen die Orte, an denen man sich trifft – künstlerische Spielwiesen.

Wolfgang Niessner: Ja, überhaupt Kommunikationsplätze.

Sabina Hank:
In Salzburg ist es insofern schwierig, weil es in Relation zu den 150.000 Einwohnern schon ein großes Angebot gibt. Jeder Veranstalter kämpft um jeden Besucher. Es ist nicht selbstverständlich, dass ich mit dem Willi Resetarits ausverkauft bin. Das Angebot ist so groß ist und die Stadt so klein. Es bringt also nicht viel, wenn jetzt noch 3 ARGEs, noch 3 Odeions etc. eröffnen. Es ist viel wichtiger, dass jeder Veranstalter ein klares Profil hat und trotzdem kooperiert wird, was ja in vielerlei Hinsicht schon passiert.
Es ist schon für die laufenden Betriebe zu wenig Geld da, für gutes Marketing. Die Salzburger Festspiele haben das beste Marketing, das man sich wünschen kann Die haben aber auch die Kohle. Andere haben das nicht und daher gibt es die halb- oder drittelvollen Säle. Salzburg selbst ist eine Marke. Man muss gut kommunizieren, damit es dann wirklich zu brodeln beginnt und die Leute dabei sein wollen. Sonst wird es immer den Beigeschmack des Amateurhaften haben.

Wolfgang Niessner:
D. h. die Einzelnen sollten sich besser profilieren und das Gesamte sollte besser strukturiert sein. Das wäre wirklich eine Aufgabe eines politischen Konzepts.

Sabina Hank: Das Problem ist, dass Salzburg so klein ist, so eine Dichte hat. In Wien kann ich zwei oder drei Mal im Jahr auftreten, in Salzburg schlagen die Veranstalter die Hände über dem Kopf zusammen, wenn ich nach einem halben Jahr wieder hier auftreten will! Aber wovon soll ich leben? Sie können nicht auf Exklusivität bestehen.

Institutionen wie die Szene oder die ARGE, die sich eher der Jugendkultur gewidmet haben, sind später zur Hochkultur aufgestiegen. Die jungen Leute hat das gestört, weil sich damit auch die Bedingungen geändert haben, die Mieten nicht mehr leistbar waren und sie nicht mehr eingeladen wurden.

Sabina Hank:
Mit dem Odeion gibt es jetzt einen guten neuen Platz. Dort findet bald auch meine Uraufführung statt. Ich habe mich mit dem Leiter Reinhold Tritscher getroffen und war schon bei einem Konzert dort. Eine fantastische Akustik. Ein Saal, der alle Stücke spielt.

Wolfgang Niessner: Das bezüglich der Jugendkultur habe ich auch registriert. Nur den Einblick habe ich nicht. Es hat sich einiges geändert, auch beim Österreichischen Ensemble für Neue Musik. Das wurde so hoch positioniert, dass es Auswirkungen für die Komponistenszene gehabt hat. Früher haben wir einfach viel mehr Uraufführungen gemacht. Was können wir also machen? Gerade aus der Sicht der E-Musik gibt es einiges an Aktivitäten für die Jugend. Schüler zum Komponieren anzuregen, finde ich schon toll.

Ihr habt euch hier gerade erst kennengelernt. Gibt es in Salzburg eigentlich Gelegenheiten, wo Künstler einander kennenlernen, treffen, austauschen und Pläne schmieden können?


Sabina Hank:
Bei mir ist der Druck so groß, dass ich so etwas nur noch mache, wenn ich weiß, dass eine Vision dahintersteckt. Einfach des Redens wegen gehe ich nicht zu solchen Veranstaltungen.
Dieses Gespräch hier mache ich, weil ich weiß, es wird publiziert. Ich mag es schon, wenn ich weiß, es bringt meiner Kunst oder meinem Kreativsein etwas und es gibt einen Sprachrohr-Effekt. Ich könnte es mir im Moment gar nicht leisten, einfach einmal zu einem philosophischen Treff zu gehen.
Ich glaube, das hat nicht nur mit uns Künstlern zu tun oder mit Salzburg, das ist ein globales Phänomen. Jeder – egal in welchem Bereich auch immer – müht sich ab und muss doppelt so viel arbeiten, weil einfach Krise ist. Aber es bringt einen auch weiter, weil die Situation einen dazu zwingt, aktiv zu sein. Diese Spielwiesen sind zwar schön und gut, aber wichtiger finde ich die Spielwiesen, aus denen Aktionen hervorgehen. Wir wollen schließlich gehört werden!

Nun bist du eine erfolgreiche Künstlerin, aber wie stellen sich die Chancen in dieser Stadt für die lokale Szene dar? Kann man als Musikschaffender in Salzburg überleben und erfolgreich sein? Und wie schafft man das?

Sabina Hank: Du nennst mich eine erfolgreiche Künstlerin, das ist nett! Es stimmt, medial habe ich eine gewisse Präsenz und auch mein Lebenslauf hat einiges aufzuweisen. Aber in Wirklichkeit muss auch ich schauen, dass ich irgendwie über die Runden komme. Ob jemand überleben kann, der quasi medial gar nicht vorhanden ist? Ich habe keine Ahnung. Der  Dialog „Hey, was machst du?“,  „Musik“, – „Und wovon lebst du?“ ist leider Realität geworden. Zum Glück habe ich verschiedene Standbeine. Ich bin Optimistin und suche immer Lösungen für meine Probleme. Aber das Wichtigste ist: einen ganz langen Atem zu haben. Das ist das, was ich z. B. meinen Studenten am Mozarteum mitgebe. Ein Beispiel aus meiner Klasse am Mozarteum: Viele kommen zwischen 10 und 20 Minuten zu spät. Ich frage dann, was sie glauben, wie es draußen funktionieren wird? Ein Gig und du kommst fünf Minuten zu spät? Dann spielt deinen Gig das nächste Mal ein anderer!

 

Jazzit:Saal © Jazzit Salzburg / Markus Lackinger

 

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