Gegen die Arroganz des Zuhälters – Alexander Stankovski im Gespräch

Er befindet sich im für Komponisten „unangenehmsten“ Alter – Mit seinen 43 Jahren ist Alexander Stankovski zwar in der durchschnittlich besten „Mitte des Lebens“ angelangt. Jedoch: Für einen von allen Seiten geförderten und „gepuschten“ Jungstar ist das viel zu alt, für einen ehrwürdigen, aufgrund jahrzehntelanger Meriten zumindest zu jedem runden Geburtstag Gefeierten viel zu jung. Gedanken, die einem kommen, wenn das Gegenüber auf die übliche unverbindliche Einstiegsfrage „Wie geht’s?“ mit einem völlig unerwarteten und ehrlichen „Schlecht!“ antwortet. Anstelle journalistischer Schönfärberei scheint es viel sinnvoller, diese ehrliche Spontaneität aufzugreifen und davon ausgehend die Situation eines prominenten Künstlers stellvertretend für viele seiner Generation zu beleuchten.

Alexander Stankovski: Das geht es um mehrerlei, vor allem das Funktionieren des Musikbetriebs. Es ist ja heute auch, wenn du nicht gerade Professor an einer Musikuniversität bist, ein Auskommen durch Unterrichten fast unmöglich.

Ein markanter Höhepunkt in der künstlerischen Laufbahn bzw. der Rezeption deiner Arbeit war das Jahr 2000, als du den Erste Bank-Kompositionspreis für Räume I-IV für raumverteiltes Ensemble und Elektronik erhalten hast, das in der Folge bei Wien Modern zur Aufführung gelangte. Unmittelbar danach scheint es still geworden zu sein?
Das war der Einbruch. Irgendetwas ist da passiert. Das betrifft die Präsenz, die Auftragssituation, und lässt sich als objektiver Befund auf die Situation des Komponisten beziehen – persönlich wie im Allgemeinen. Es spiegelt offenbar wie es „Leuten in meinem Alter“ geht.

Hat es irgendwelchen Leuten nicht gefallen oder hängt es eben mit dieser imaginären oder tatsächlichen Altersgrenze zusammen – man ist kein „Jungkomponist“ mehr?

Ein Berliner Kulturwirtschaftsmensch meinte einmal: Wer’s mit 40 Jahren noch nicht geschafft hat, muss mich nicht interessieren. Das ist die Arroganz des Zuhälters gegenüber der Prostituierten, die ihm das Geld ins Börsel zaubert. Ich verachte diese Haltung! – Aber tatsächlich: Offenbar ist die Aufmerksamkeitsspanne des Musikbetriebs für Leute in diesem Alter nicht mehr gegeben.

Es gibt aber auch andere Veranstalter, die durchaus auf die Qualität der Kunst achten und nicht primär auf äußere Merkmale.
Das gibt es heute, gab es früher. Ein schönes Beispiel war Sergej Diaghilev samt seiner Verbindung zu Strawinsky. Diaghilev war ein Ermöglicher. Die gibt es heute auch, aber viele haben heute Angst und machen daher nur das, was sie nicht angreifbar macht.

Ist es nicht so, dass so mancher Veranstalter schlicht aus kommerziellen Gründen zu sehr den Weg des geringsten Risikos geht; ganz nach der Devise: Mir laufen ja schon bei Hindemith die Leut’ davon?
Es gibt zu wenige Leute, die sich ein eigenes Urteil bilden und die den Mut haben, Dinge zu machen, von denen sie überzeugt sind. Ich sage gar nicht, dass mir so ein Ermöglicher fehlt, aber nimm’ zum Beispiel das Ensemble Phace, das im Serapionstheater tolle Projekte macht, wo es aber an einigen wenigen tausend Euro fehlt, um Konzepte umsetzen zu können.

Klammern wir einmal Wiener Staats- und Volksoper aus –
Da scheint sich nach 100.000 Jahren Eiszeit eine Änderung anzubahnen –

Wenn man deine Entwicklung über die Jahre betrachtet, so hat doch alles sehr viel versprechend begonnen.

Mein erster Auftrag war Ende der 1980er-Jahre ein Ballett für das Salzburger Landestheater, gleichzeitig war das mein bislang größter Auftrag. Bis 2000 ging es ganz gut, spezifisch auf nationaler Ebene, außerdem gab es einige gute und wichtige Sachen im Ausland. Dann kam Wien Modern – und seither war nichts.

Das ist eine recht nüchterne Erkenntnis, die aber die Frage nach sich zieht, wie du mit dieser Situation umgehst.
Fehlen tut es niemandem, wenn es da nichts gibt. Aber wenn etwas da ist, findet Kommunikation statt. Ich stelle mir nicht die Frage, was ist passiert, damit diese Situation entstanden ist – die Frage lautet: Was ist nicht passiert? – Natürlich, ja, ich habe durchaus kleinere Projekte realisiert, kleinere Besetzungen.

Durchaus auch respektable Projekte, betrachtet man etwa die erst vor zwei Jahren bei Extraplatte erschienene CD „Landschaft mit Flöte“, die als Gemeinschaftsprojekt mit Sylvie Lacroix und Florian Bogner entstand und mit Mitteln der Elektroakustik und virtuosem Flötenspiel eine Art Kommentar zu Landschaftsbildern und –situationen darstellt.
Ich nehme mir Zeit für Realisierungen, wie z. B. bei „Landschaft mit Flöte“. So etwas wird vom Betrieb nicht angenommen, außer in diesem Fall von Wolfram Schurig bei den Bludenzer Tagen zeitgemäßer Musik. Das war auch so ein Ermöglicher, bis ihm dann die Politik den Geldhahn zugedreht hat. Ein Ermöglicher muss erkennen: Das hat Potential, das glitzert – So wie es bei Lobkowitz und Beethoven war.

Wenn nun ja sehr wohl diverse Arbeiten entstehen konnten, was ist nicht entstanden?
Es sind keine Opern entstanden, keine Orchesterwerke, keine großen Ensemblewerke.

Aber hier eingehakt: Was machst du für dich selbst, um zu zeigen „Ich würde gerne eine Oper schreiben!“?
Zu wenig. Das liegt auch an meiner Persönlichkeitsstruktur, an meinem Hang zur Selbstkritik. Da gibt es Kollegen, bei denen das anders läuft. Die fatalste Mischung ist der unbedingte Glaube an sich selbst, den aber sonst niemand teilt! – Man weiß doch selbst ganz genau, wenn einem etwas gelungen ist.

Sehen wir nach dem, was nicht entstanden ist, doch auch auf das, was entstehen soll, entstehen wird, von dem du möchtest, das es entsteht.
Es gibt ein – eigenes – Opernlibretto, das werde ich auch machen. Es gibt jede Menge Pläne, aber man zieht dann das vor, was der Realisierung näher liegt. Man könnte ein dickes Buch schreiben, über die Dinge, die in der Musikgeschichte nicht geschrieben wurden.

Im Moment ist jedenfalls eine große Flaute. Und es gibt jede Menge „Baustellen“ in meinem Schaffen. Ich habe das Bedürfnis, hinter mir aufzuräumen; die Stücke aufzuarbeiten, ihnen den letzten Schliff zu geben, mit denen ich zum Teil sehr zufrieden bin, wo aber Details nachgearbeitet werden müssen. Das sind 10 bis 15 Stücke, betrifft aber auch Werke, die im embryonalen Zustand sind.

Verfälscht ein solches Nachbearbeiten nicht die eigene Geschichte?
Das hängt von der Person ab – siehe Rihm oder Boulez. Es gibt ja eine Erfahrungszunahme mit dem Alter, Frühfassungen sind oft handwerklich mangelhaft.
Konkret: Es gibt bei mir drei verschiedene „Werkreihen“, die teils überhaupt nicht miteinander kompatibel sind. Die könnten in einer Utopie sogar  von verschiedenen Leuten stammen, denn da gibt es keinen einheitlichen Personalstil. Das eine sind z. B. Naturaufnahmen, die Natur wird „abgepaust“. Da fallen auch Arbeiten mit bildender Kunst wie für die documenta hinein. Das zweite ist das, was ich „Linie“ nenne. Das dritte ist Musik über Musik, das heißt der Umgang mit Stücken aus der Tradition. Das Ganze ist eine Art „inszenierter Schizophrenie“. Auf diesen drei Baustellen muss ich aufräumen. – Vielleicht um es hinter mir zu lassen, vielleicht um die Stränge zu verknüpfen. Es geht ums Weiterbauen.

Das Gespräch führte Christian Heindl