„Für mich wäre es langweilig, nur ein Genre zu bedienen“ – MARCO KLEEBAUER im mica-Interview

Aufgenommen hat MARCO KLEEBAUER sein erstes Soloalbum „Magnolia“ (Minor Changes) unter eigenen Namen teilweise zwischen seiner Arbeit als Produzent für BILDERBUCH und OEHL. Dass er Zeit findet, preisgekrönte Alben zu produzieren und nebenbei noch seine eigenen Träume zu vertonen, zeugt nicht nur von seiner Arbeitswut, sondern auch von seiner schier unerschöpflichen Kreativität. Wie das Konzept eines Traumalbums entstanden ist, warum er das Bedürfnis hatte, unter seinem eigenen Namen zu veröffentlichen und warum Handyaufnahmen oft die besseren sind, erklärte er im Gespräch mit Benji Agostini.

Zu deiner Anfangszeit als Produzent hast du versucht, den Sound von Flying Lotus nachzubauen. Denkst du, dass dein Soloalbum eine Fortsetzung dessen ist?

Marco Kleebauer: Flying Lotus ist auf jeden Fall noch ein Einfluss für mich. Vor allem vor dem Album hatte man das sehr stark gehört und das war auch der Grund, warum ich „Magnolia“ unter meinem Namen gemacht habe. Ich habe das Gefühl, dass ich meine Soundrichtung gefunden habe und niemanden mehr imitiere. Dieses Mal habe ich vorher auch bewusst keine Musik gehört. Das war anfangs schwierig, weil man sich dann schnell selber auf den Nerv gehen kann. Ich habe immer versucht, so weit wie möglich von mir selber wegzukommen und mit „Magnolia” habe ich auch den Gedanken abgelegt, was andere über die Musik denken könnten. Ich habe es letztlich für mich gemacht und gehe nicht davon aus, dass das Millionen von Menschen hören, sondern ich muss sagen können, dass es eine Momentaufnahme von mir ist.

Also war es auch eine Art Befreiung für dich, unter deinem eigenen Namen etwas zu veröffentlichen?

Marco Kleebauer: Genau. Darum bin ich mir auch bis jetzt noch nicht sicher, was es sein sollte.

Muss man das unbedingt benennen?

Marco Kleebauer: Nein, aber wenn man mit anderen darüber reden muss, wird es schräg. Die Produktion selber ist noch nicht so lange her und es ist natürlich viel von mir selber darin. Ich muss selber erst herausfinden, welche Vibes es wirklich ausstrahlt. Ich weiß auf jeden Fall, dass es ich bin, aber was es genau ist, kann ich noch nicht sagen. Wahrscheinlich ist es jeder und jedem selber überlassen, eine eigene Geschichte dazu zu finden.

Vielen Leuten hilft es, Musik in Genres einzuteilen, um sich besser orientieren zu können. Was ist dein Zugang zu Genres und deren Konventionen?

Marco Kleebauer: Grundsätzlich denke ich über so was nicht nach. Genres an sich haben aber Sinn, um sich etwas darunter vorstellen zu können, wenn man darüber spricht. Meine Musik kann man am ehesten als elektronische Musik bezeichnen, aber sie weiter in Sub-Genres einzuteilen geht nicht. Beim Produzieren gehe ich nur meinem Gefühl nach. Ich versuche, alle meine musikalischen Einflüsse zusammenzubringen, aber es wird nie so sein, dass ich bei meiner Musik so viele Elemente eines Genres einbringe, dass man es klar als das benennen kann. Es wäre nicht repräsentativ für meinen Geschmack. Für mich wäre es langweilig, nur ein Genre zu bedienen.

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Ich stelle es mir unter diesen Gesichtspunkten sehr schwer vor, zu sagen, wann ein Song wirklich fertig ist. Wie einfach fällt es dir, an einen Punkt zu kommen, wo du zufrieden mit einem Stück bist?

Marco Kleebauer: Viele Leute sagen mir, dass ich schon sehr schnell bin im Abschließen von Songs. Mein Ziel ist nicht, dass ein Song perfekt klingen muss. Ein Song ist ja meiner Meinung nach nie fertig gemischt. Man hört einfach irgendwann auf. Für mich ist es viel wichtiger, dass der Vibe erhalten bleibt. Je schneller ich mit einem Song fertig bin, desto mehr bleibt davon übrig. Sobald ein Song etwas hat, was mir gefällt, arbeite ich daran gar nicht mehr weiter, und das geht relativ schnell.

„Ich habe keine Lust, Musik zu hören, die zwar technisch aufwendig ist, aber nicht mehr zu bieten hat.“

Du gehst also nicht nach Genre, sondern nach Vibe?

Marco Kleebauer: Auf jeden Fall. Das ist auch der gemeinsame Nenner der Musik, die ich höre. Ich habe keine Lust, Musik zu hören, die zwar technisch aufwendig ist, aber nicht mehr zu bieten hat.

Kannst du den Vibe benennen?

Marco Kleebauer: Es gibt nicht den einen Vibe. Bei Filmen gibt es zum Beispiel oft Kameraeinstellungen, bei denen man sich denkt, man sehe mehr als die Summe seiner Teile. Und bei Musik ist das auch so und es ist Gott sei Dank oft nicht erklärbar. Meine Lieblingsmusik ist meistens sehr simpel, aber irgendetwas daran macht sie speziell. Wenn ich beispielsweise eine schnell hingefetzte Demo aufnehme und beschließe, sie noch mal sauber zu machen, merkt man oft, dass an der Demo etwas Besonderes dran war. Meistens ist das eine Mischung aus Spontaneität und nicht ganz zu Ende gedachten Ideen. Das wird dann zum Vibe.

„Die Menschheit hängt nicht davon ab, ob die Kick auf der Eins oder der Zwei ist.“

Du sagst, dass du beim Produzieren nur deinem Gefühl nachgehst. Wie hältst du dabei fest, ob ein Track wirklich gut ist, und können da auch Selbstzweifel aufkommen?

Marco Kleebauer: Ich mache Musik in erster Linie für mich, auch weil ich früher nicht davon ausgegangen bin, dass sich das jemand anhört. Wenn das etwas wäre, was mir keinen Spaß macht, dann müsste ich mich dazu zwingen. Sobald es Spaß macht, gefällt es mir auch. Ich bin auch relativ gut darin, mich nicht emotional an Ideen zu binden. Ohne dem würde ich Hunderte Stunden an etwas arbeiten und daran verzweifeln. Man darf sich nicht zu sehr reinsteigern. Die besten Sachen passieren sowieso, wenn man nichts erwartet. Ich habe gemerkt, dass mir das auch als Mensch guttut, wenn ich so bin. Und am Ende des Tages ist es nur Musik. Das muss ich mir auch immer wieder vor Augen halten: Die Menschheit hängt nicht davon ab, ob die Kick auf der Eins oder der Zwei ist.

Das Überthema von „Magnolia” sind Träume. Wie kann man sich die Vertonung von Träumen konkret vorstellen?

Marco Kleebauer: Es ist so, dass ich in meinen Träumen nichts höre. Also vielleicht kann ich schon etwas hören, nur erinnere ich mich zumindest nicht daran. Nur ganz spezielle Sounds – wie ein Türknarren zum Beispiel – bleiben mir erhalten. Irgendwann habe ich beim Musikmachen gemerkt, dass etwas gerade so klang wie das, was ich in meinem Traum gesehen hatte. Zum Beispiel habe ich geträumt, dass ich im Bett liege, mich nicht bewegen kann und dabei ein Türknarren höre. Aus den Augenwinkeln habe ich gesehen, wie die Tür aufgeht und in ihr ein schwarzer Schatten steht – also das Klischee von Schlafparalyse –, und ich hatte das Gefühl, dass er näherkommt. Ich wollte mich bewegen, konnte aber nicht und bekam dann natürlich Panik und habe mich wie ein Kaugummi aus dem Traum herausgezogen. Das benötigt sehr viel Energie und in den ersten Sekunden nach dem Aufwachen ist das sehr intensiv, aber zwei Minuten danach muss ich fast lachen. Man kann es sich als Außenstehender auch nicht wirklich vorstellen und das Gefühl davon geht auch immer mehr verloren. Darum klingt auch die Musik oft so, dass man nicht weiß, ob es ernst gemeint oder nicht. Es ist nicht nur düster, es muss immer auch Humor und etwas Positives dabei sein.

Marco Kleebauer (c) Benji Agostini

Wenn du dir die Songs zu einem späteren Zeitpunkt anhörst, kannst du dich noch an den jeweiligen Traum erinnern?

Marco Kleebauer: Ja, auf jeden Fall. Es ist wie ein Foto oder ein bestimmter Geruch. Es war auch ein Gedanke hinter dem Album, ob gewisse Sounds bei mir und vor allem bei jemand anderem etwas triggern können. Ich bin gespannt darauf, ob das auch noch so ist, wenn ich mir die Songs in einem Jahr anhöre. Teilweise kann ich mich jetzt schon nicht mehr daran erinnern, wie ich gewisse Teile aufgenommen habe, weil alles so schnell passiert ist.

Fiel es dir dadurch auch schwerer, die Songs live mit einer Band umzusetzen?

Marco Kleebauer: Es war anfangs ja nicht geplant, dass ich live eine Band dabeihabe. Nur irgendwann wurde mir klar, dass es die einzige Möglichkeit ist, die Musik richtig an das Publikum heranzutragen. Die Rhythmik ist mir sehr wichtig. Ich habe beim Aufnehmen von Percussion-Instrumenten zum Beispiel nicht einfach vier Takte aufgenommen und sie kopiert, sondern ich habe durchgehend aufgenommen. So entstand eine stetige, aber subtile Variation, die bei der Art von Musik unumgänglich ist. Das musste für mich auf der Bühne auch so klingen. Außerdem ist es für die Zuseherinnen und Zuseher wichtig, eine Verbindung zwischen dem, was sie hören, und dem, was sie sehen, zu haben. Es war zwar sehr viel Arbeit, die Songs live umzusetzen, aber es würde sonst viel Potential verloren gehen, wenn die Leute nicht sehen würden, woher die Sounds kommen.

„Wenn bei einem Foto alles scharf gestellt ist, hat man keine Tiefe und so sehe ich das bei meinen Aufnahmen auch.“

Nimmst du für deine Musik alle Samples selbst auf?

Marco Kleebauer: Grundsätzlich nehme ich alles auf. Für mich ist das logischer, als in einer Sample-Library drei Stunden nach einem Sound zu suchen. „Happy End 3″ ist zum Beispiel entstanden, als ich in einem Musikgeschäft ein E-Piano ausprobiert und das Ganze mit meinem Handy aufgenommen habe. Das hatte irgendetwas Spezielles, wahrscheinlich weil die Melodie spontan entstanden ist. Und irgendwann haben Leute hinter mir angefangen, Becken auszuprobieren. Witzigerweise hört man sie auf der Aufnahme immer genau an den richtigen Stellen. Darum ist die erste Hälfte des Tracks ziemlich frei. Die Aufnahme hat dann auch das Arrangement definiert. Bei Handyaufnahmen ist man zwar ziemlich eingeschränkt und es ist schwierig, so etwas gut klingen zu lassen, aber ich habe kein Interesse daran, nur perfekte Sounds zu hören. Wenn man so etwas mit einem gut aufgenommenen Sound kombiniert, kann es zu etwas Speziellem werden. Wenn bei einem Foto alles scharf gestellt ist, hat man keine Tiefe und so sehe ich das bei meinen Aufnahmen auch.

Du hast für das Album nun auch dein eigenes Label „Minor Changes“ gegründet. Hatte das einfach pragmatische Gründe oder wolltest du damit auch das Alleinstellungsmerkmal deines Soloprojektes betonen?

Marco Kleebauer: Für mich war bei dem Album das große Ganze wichtig. Mir war wichtig, dass man sich beim Anhören Zeit nimmt, es im besten Fall ganz durchhört und es unbeeinflusst wahrnimmt. Und ich wollte nicht bei der Musik aufhören. Alles, was auf der Platte draufsteht, sollte jede Voreingenommenheit minimieren. Falls da ein Label draufsteht, hat man gewisse Vorstellungen, wie es klingt, und hört die Musik mit anderen Ohren. Mir war es wichtig, dass man sich zuerst die Musik anhört und dann erst urteilt.

Wenn du den Gedanken konsequent durchgeführt hättest, wäre es dann nicht besser gewesen, es unter einem Pseudonym zu veröffentlichen? Dein Name wird immerhin in bei jeder Gelegenheit mit Bilderbuch, Leyya, Oehl etc. verbunden.

Marco Kleebauer: Das war einmal kurz der Gedanke. Aber trotzdem bin ich es, der die Musik macht, und die Leute sollen das auch wissen. Wenn ich mir ein Pseudonym überlegt hätte, würde das wahrscheinlich auch wieder ein gewisses Genre implizieren. Unter meinem alten Projektnamen Karma Art hätte ich das Album nicht veröffentlichen können, das würde für mich nicht zusammenpassen. Mit meinem eigenen Namen ist das noch eher egal, da geht es mehr um die Musik. Da ist keine Mystik dahinter. Das ist einfach der Typ, der macht die Musik, und darum geht es.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Benji Agostini

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Marco Kleebauer (Facebook)