Die GLORIETTENSTÜRMER sprengen jegliche traditionell männliche Gender-Rollen und vereinen herzzerreißende Texte mit Trap/Hip-Hop-Sounds und scheuen auch nicht vor Formulierungen wie „Lass das Feuer ausgehen, denn die Liebe wird sich wieder aus der Asche erheben“ zurück. Genau das macht ihren hohen Coolness-Faktor aus. Auf dem Anfang März erschienen Debütalbum „808 Herzschmerz“ (Futuresfuture) beweisen sie, wie genial die Kombination von Autotune und Schlager ist. Mit Itta Francesca Ivellio-Vellin haben sie unter anderem über Kanye West und Kitsch gesprochen.
Das Album ist seit wenigen Tagen draußen, wie fühlt ihr euch?
Wanja Bierbaum: Gut! Es ist alles ein wenig surreal, um ehrlich zu sein.
Jonas Haslauer: Ja, also es gibt ja einige Songs vom Album schon seit vielen Jahren und wir haben auch schon vor längerer Zeit angefangen, die Songs zu schreiben und auch immer wieder mit anderen Leuten zu arbeiten. Jetzt endlich haben wir es geschafft, auch mithilfe des Österreichischen Musikfonds, dieses Album rauszubringen. Aber leider ebenso mitten in Corona-Zeiten, ohne Release-Show oder kleiner Party oder so.
Wanja Bierbaum: Fühlt sich ein bisschen an wie ein Soft-Launch. [lacht] Es war halt so ein ganz normaler Abend, ich bin halt irgendwann schlafen gegangen und in der Früh war dann das Album draußen. Grade als Gloriettenstürmer hätte man das wohl anders zelebriert. Aber es ist sehr erleichternd, dass es draußen ist, es war ein sehr langer Prozess.
Wie war so das erste Feedback?
Jonas Haslauer: Überraschend gut! Wir kriegen voll viele Nachrichten, es ist so als hätten wir nie Pause gemacht. Aber es ist schön, dass die Leute sich noch dafür interessieren, obwohl es bei uns schon ein bisschen aus dem Fokus war.
Wann habt ihr euch gegründet?
Wanja Bierbaum: So spaßeshalber im WG-Zimmer 2012, bis es dann ernst wurde war es so 2016. Also, ernst im Sinne, dass wir einen Deal unterschreiben und jetzt Musik machen und nicht nur aus Jux und Tollerei auf Soundcloud etwas hochladen. Auch mit dem Kennenlernen von Futuresfuture und Gerard.
Wie ist eure Beziehung zu Kanye West?
Wanja Bierbaum: Über die Jahre schlechter geworden, aber prinzipiell ganz gut. [lacht]
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Ist euer Album eine Hommage an Kanye?
Wanja Bierbaum: Irgendwie ja. Diese Autotune-Sachen haben mich schon sehr früh gepackt, also sei’s jetzt Kanye oder Drake oder wer auch immer. Das war auch sehr prägend für mich, die Idee, dass man theoretisch nicht singen kann, aber trotzdem eine Melodie herausbekommt. Ich würde nicht sagen, dass ich nur deswegen Autotune gewählt habe, aber es ist wie ein eigenes Instrument, irgendwie. Und da war Kanye natürlich immer ein guter Vergleich. Auch dieser Herzschmerz, aber trotzdem eine moderne Musik-Ästhetik. Und ja, irgendwie sind wir draufgekommen, dass wir quasi dasselbe machen wie er mit „808s & Heartbreak“.
Ich habe „ 808s & Heartbreak“ (2008) damals rauf- und runtergehört, aber tatsächlich nie so richtig mit Herzschmerz in Verbindung gebracht. Ich glaube, das liegt daran, dass es auf Englisch ist.
Jonas Haslauer: Ja, voll.
War das von euch eine bewusste Entscheidung, auf Deutsch zu singen, weil es den Effekt für Deutsch-Muttersprachlerinnen und -sprachler so verstärkt?
Wanja Bierbaum: Es war nie eine bewusste Entscheidung, wir sind da irgendwie reingerutscht. Und irgendwann standen wir vor dem Problem, dass wenn du so eine Musik machen willst, also inklusive Kitsch und ein bisschen dicker auftragen willst, dann ist das heavy auf Deutsch. Der Running Gag bei uns war die Vorstellung, „Ich liebe dich“ auf Deutsch zu singen. Da schaudert’s jeden. Auf Englisch, also „I love you“, kann das aber ein echt guter Song sein.
Jonas Haslauer: Ja, das war auf jeden Fall ein Thema. Wanja ist ja bei uns der Texter. Wir haben uns schon auch gefragt, warum man Schlager denn eigentlich so kitschig findet, und man kommt immer darauf zurück, dass das auf Englisch sicher nicht so schlimm klingen würde. Und es stellt sich ja auch immer die Frage, wie englische Schnulzenlieder für Englisch-Muttersprachlerinnen und -sprachler klingt. Die nehmen das sicher auch anders war.
Wanja Bierbaum: Ich glaube aber, dass die deutsche Sprache direkter ist. Bei uns kommt es irgendwie ungefilterter an, was man sagen will. Würde man manche Gloriettenstürmer-Texte einfach auf Englisch übersetzen, würde einem der Kitsch gar nicht mehr so auffallen. Auf Deutsch kann man das nicht so leicht kaschieren oder „cool“ formulieren, wie im Englischen.
Ich habe aber auch das Gefühl, dass Menschen, die Deutsch sprechen, einen anderen Zugang zu ihren Gefühlen haben, beziehungsweise, über ihre Gefühle zu reden.
Wanja Bierbaum: Ja, auf jeden Fall. Wo wir auch wieder bei „I love you“ sind. Verabschiedungen in den USA, wurscht wer: „I love you“ – wenn ich jetzt aber am Ende dieses Interviews sagen würde „Danke, ich liebe euch“… [lacht]
Fände ich schön, aber vielleicht auch ein wenig merkwürdig. Ich finde aber sowieso, dass Kitsch seinen Platz in der Welt verdient hat. Welchen Platz hat er in eurem Leben?
Jonas Haslauer: Für Kitsch ist auf jeden Fall immer Platz. Es ist schwierig zu beschreiben, weil wir eben vor vielen Jahren begonnen haben, und da waren wir noch viel jünger und da ging’s natürlich viel um Coolness. Unser Ding war es dann irgendwie, Coolness zu erreichen, indem wir sagen, dass uns das egal ist und wir über Kitsch und Liebe singen.
Wanja Bierbaum: Ich würde es vielleicht so beschreiben, dass wir einen Hang dazu hatten, Übertriebenes und jede Art von Grenzüberschreitung spannend zu finden. SO ein bisschen dieses Gefühl wie wenn man alte Bravohits-CDs hört und alle mitschreien. Du würdest es zwar nicht zu deinen Lieblingssongs zählen, aber wenn Backstreet Boys kommen, schreien alle mit. Da sagt auch niemand „Boah, Backstreet Boys sind sooo cool“, sondern kurz legt sich da halt dieser Schalter im Hirn um und wir feiern in dem Moment. Und das find ich so bezeichnend für die Gloriettenstürmer. Viele haben auch gesagt, dass sie damit überhaupt nichts anfangen können, aber wenn sie dann live betrunken in der Menge stehen, auf einmal funktioniert’s. Diese Grenzen zwischen was find ich cool und was funktioniert einfach in dem Moment verschwimmen da einfach. Und so ist es bei Kitsch auch ein bisschen.
Also ist das Ziel im Grunde Backstreet Boy-Fame zu erreichen.
Wanja Bierbaum: [lacht] Also die Backstreet Boys-Doku kann ich auf jeden Fall empfehlen. Das Ziel war bei uns aber eher, einfach mal drauf zu scheißen, was grad die Norm ist und was grade cool ist. Wir brechen einfach mal ein paar Grenzen auf und schauen wie’s funktioniert. Und irgendwie hat’s ein bisschen funktioniert.
Beim Hören des Albums musste ich tatsächlich ein paar Mal stoppen, weil ich so lachen musste. Bei „Carry On“ hat’s mich tatsächlich ein bissl ausghagelt.
Jonas Haslauer: [lacht] Ja, das war von Anfang an auch ein Thema. Wir nehmen uns, glaub ich, nicht ganz so ernst. Wenn man jetzt nicht die ganze Zeit fragen muss, „Ist das gut genug? Find ich das cool? Oder gibt’s wen anderen, der das cooler macht?“, und ein bisschen Selbstironie reinbringt, ist das einfach sehr erleichternd, auch während des kreativen Prozesses.
Wanja Bierbaum: Ja, genau, oder „ist das nicht zu plump?“ Meistens haben wir, wenn wir uns diese Fragen gestellt haben, extra dick aufgetragen [lacht].
Nimmt klarerweise auch viel Druck raus.
Wanja Bierbaum: Extrem! Und deshalb war auch relativ schnell klar, entweder wir machen das so und setzen uns einfach keine Grenzen, oder man probiert gleich, in die Fußstapfen von anderen zu treten und Spotify-Playlist-konforme Musik zu machen. Vielen Künstlerinnen und Künstler aus Österreich ist das gelungen, zum Beispiel Bilderbuch. Die haben Grenzen durchbrochen, und vor allem auch ihre eigenen Grenzen. Also, Maurice hatte es sicher nicht einfach, in den glitzernden Leggins vor den Beatsteaks den Opener zu machen. Aber, ich glaub, diese Momente, in denen Artists Grenzen durchbrechen und ihre eigene Scham zurückstellen und einfach machen, was gerade passiert, kann auch was Magisches produzieren.
Ihr durchbrecht ja auch jegliche Genre-Einordnung, muss man sagen.
Wanja Bierbaum: Ja, deshalb nennen wir es auch „New-Wave-Chanson“, weil immer wieder die Frage kommt: „Was ist es eigentlich?“ Weil Schlager ist es ja in Wahrheit nicht.
Es geht aber schon in die Schlager-Richtung und nimmt damit auch diesen Zeitgeist auf, da Schlager ja in den letzten Jahren wieder salonfähig geworden ist.
Wanja Bierbaum: Ja, stimmt. Im Hip-Hop sieht man das auch ein bisschen, wie sich alles einfach wieder dem Pop anbiedert. Catchy Melodien, Einfachheit, emotionale Texte – jeder Rapper braucht mittlerweile seine Trap-Lade. Find ich super, weil das machen wir halt auch am liebsten.
Wie kam denn jetzt die Idee auf, „New-Wave-Chanson“ zu machen?
Wanja Bierbaum: Wir haben früher zusammen in einer WG bei Schönbrunn gewohnt und schon immer Musik zusammen gemacht. Während unserer Schulzeit in Augsburg waren wir auch in Metal-Bands.
Und auf Metal folgt klarerweise Gloriettenstürmer-Sound.
Jonas Haslauer: Ja, logisch. [lacht]
Wanja Bierbaum: Alles andere wäre ja dumm! [lacht] Wir hatten auf jeden Fall beide die Affinität zu unterschiedlichster Musik. Bei uns lief halt zum Frühstück mal Beatles, mal ein cooles Metalcore-Album, oder irgendein neuartiger Trap. Und so haben wir mal auf blöd eines Abends was aufgenommen, mit Autotune und Quetsche. Jonas kam dann auf den Namen Schönbrunner Gloriettenstürmer, und wir dachten uns „Ja, super, witzig, so ein langer Name, ist eigentlich superdumm“. Und so haben wir’s dann ins Internet gestellt.
Jonas Haslauer: Verglichen mit dem Sound, den wir damals gemacht haben, ist das jetzt aber schon ganz anders. Das war einfach eine Entwicklung, und auch ein bisschen trial and error. Zum ersten Mal aufgenommen haben wir Zuhause, mit einer Kinderziehharmonika und Wanja hatte damals eine Zither. Klang schrecklich. Aber irgendwie kamen wir dann zu Sony. Dann ging’s natürlich in eine sehr poppige Richtung, weil uns gesagt wurde, dass uns ein bisschen professionellerer Sound nicht schaden würde. Das haben wir natürlich eingesehen und alle Ratschläge angenommen. Dann wurde uns aber immer mehr bewusst, dass es so einfach nicht funktioniert, weil Sony versucht hat, uns beim Schlagerpublikum unterzubringen, das hat nicht so geklappt. FM4 wollte uns aber auch nicht spielen, für die war das –
Wanja Bierbaum: zu viel Schlager [lacht]
Jonas Haslauer: Ja! Auf jeden Fall haben wir dann mit den verschiedensten Leuten zusammengearbeitet, haben Naked Cameo kennengelernt, und so. Bis dann Raffi Balboa von OK KID auf uns zukam. Shoutout an der Stelle! Und so wurde der Hip-Hop/Trap-Sound bei uns mehr präsent.
Vielen Dank für das Interview – Ich liebe euch!
Itta Francesca Ivellio-Vellin
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