„Fördert uns! Eine Pflanze, die du regelmäßig gießt, wird blühen!“ – CLARA BLUME im mica- Interview

CLARA BLUME hat sich nicht nur mit THE SINGER SONGWRITER CIRCUS, den sie seit 2011 als Plattform für NachwuchsliedermacherInnen betreibt, einen Namen gemacht: Am 12. Mai präsentiert Frau BLUME ihr Debütalbum „Here Comes Everything“ im WUK. Im Interview spricht sie über gutes Songwriting, das brandneue Album, den SINGER SONGWRITER CIRCUS, Frauenbilder im Pop, den Vorentscheid zum Eurovision Song Contest und das Herumgrundeln in Österreich. Das Interview führte Clara Schmidl.

Ihr Album wurde schon für das Frühjahr 2014 angekündigt – was ist im letzten Jahr passiert?

Clara Blume: Vieles. Ich hab mir zuerst Zeit gelassen, dann wurde ich vom Österreichischen Musikfonds unterstützt. Ab dem Zeitpunkt war klar: Ich muss mir ein Team zusammenstellen, es gibt Deadlines. Es hat sich dann die wunderschöne Zusammenarbeit mit meinem Bruder ergeben, der das Album produzieren wollte. Er hatte eine ganz klare Vision, die irrsinnig aufwendig war: ein ganzes Orchester, Riesenarrangements – von der Minimalversion zur super-über-drüber-aufgepumpten Version, von null auf hundertfünfzig! So haben wir nochmal ein arbeitsreiches Jahr draufgesetzt.

Wie entstehen Ihre Songs?

Clara Blume: Es ist schwierig, zu versprachlichen, weil es doch zunächst ein sehr abstraktes Gefühl ist, das du eher in Form von Bildern und Empfindungen transportiert bekommst als tatsächlich „in Syntax“. Dann übersetze ich das auf mein primäres Instrument, die Stimme. Ein Prozess, der sich schwer auseinanderdividieren lässt: Was war zuerst da: die Hook, der Anfang, die Akkorde? Das Sprachbild oder die Melodie? Da ist jeder Song komplett unterschiedlich.

„Das Pure an der Kunst ist, dass es ein ehrlicher Schaffensdrang ist, der aus den Künstlerinnen und Künstlern hervordringt.“

Was macht einen guten Song aus?

Clara Blume: Ein guter Song ist für mich das Vollkommenheitsgefühl, das du hast, wenn du fertig geworden bist. Das Gefühl, wenn du deine Gedanken in das richtige Kleid gepackt hast, und das für dich stimmig ist.

Was ist Ihr Anspruch an Musik?

Clara Blume: Musik oder Kunst darf keinen Zweck erfüllen. Sie soll sinnvoll sein, sie gehört zu den schönen, sinnvollen Dingen im Leben, die für sich selbst existieren. Natürlich kannst du einen Song mit politischem Inhalt auffüllen oder hast eine Message, die du rüberbringen willst. Es ist auch schön, wenn die Kunst der Gesellschaft dient. Aber das Pure an der Kunst ist, dass es ein ehrlicher Schaffensdrang ist, der aus den Künstlerinnen und Künstlern hervordringt.

Ihre Musik zeichnet sich durch sehr emotionale Texte aus. Wie gehen Sie damit um, wenn Texte mit der Zeit an Aktualität verlieren?

Clara Blume:
Ich wünschte, es wäre öfter so, wie Sie es beschreiben. Meistens aber verfolgen uns die alten Dämonen ein Leben lang. Aber selbst wenn du das Gefühl hast, das Thema für dich verarbeitet oder gelöst zu haben, können Songs ein Identifikationspotenzial für dein Publikum bieten.
Ansonsten sind wir ja auch nur Menschen, stehen authentisch hinter einer Sache, entwickeln uns weiter und ein Jahr später sieht manchmal alles anders aus. Aber im Gegensatz zu anderen Menschen ist es halt dann einfach „draußen“ – das kannst du dann nicht mehr kontrollieren.
Das Schöne daran: Songs sind wie eine Memory-Box, sie bringen dich zurück an einen Moment, den du durch die Interpretation des Songs wiederbelebst. Und auch wenn das schon lang nichts mehr mit deinem gegenwärtigen Selbst zu tun hat, ist es ein „walking down memory lane“.

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Sie stehen oft mit anderen Leuten auf der Bühne. Welche Entscheidung stand dahinter, ein Soloalbum aufzunehmen?

Clara Blume: Eine ganz pragmatische. Eine Band ist ein fragiler Organismus, wenn der Sound durch die einzelnen Mitglieder bedingt wird. Es muss nur eine Person sagen: „Sorry, meine Prioritäten haben sich verschoben.“ Bei einem Soloprojekt bist du unabhängig. Und ich habe wirklich ein gutes Team an meiner Seite: alles Profimusiker, engagiert, auch bereit, für Promokonzerte und Radioauftritte gratis zu spielen. Sie wissen, dass ich die Verantwortung für das Projekt trage und damit auch die Erste bin, die zurücktritt, wenn es sich nicht für alle ausgeht. Das sind die Spielregeln, die jeder akzeptiert. Wir haben aber viel mehr bezahlte als unbezahlte Gigs.

„Wir versuchen, diesem Meer an aufstrebenden Künstlerinnen und Künstlern eine Plattform zu schaffen.“

Worauf darf man beim neuen Album gespannt sein?

Clara Blume: Auf die Bandbreite! Es heißt nicht umsonst „Here Comes Everything“. Es ist ein unglaublich spannendes Album. Jeder Song ist ein Klangerlebnis, es sind unendlich viele Instrumente dabei, fantastisch arrangiert und komponiert. Es ist symphonisch, fühlt sich an wie Filmmusik. Es evoziert ganz starke Bilder, es ist wie Landschaften – in jedem Song eine andere. Das ist kein Eigenlob, sondern ein Ausbruch an Begeisterung meinem Bruder gegenüber!

Der Titel „Love and Starve“ – ein Song übers Musikerleben?

Clara Blume: Eine Liebeserklärung an unser Künstlerdasein. An die Lebenseinstellung, das zu tun, was einen begeistert und was man liebt. Auch wenn das bedeutet, dass es nicht mit Sicherheit, Pensionsvorsorge, dem richtigen Kassenbeitrag, dem Einfamilienhaus mit dem Hund und dem Auto verbunden ist. Es ist für mich bereichernd und inspirierend, wenn es mutige Leute gibt, die es wagen, ihr eigenes Ding zu machen – trotz der Unstetheit unserer Zeit. Allen voran die freischaffenden Künstlerinnen und Künstler, die das bis zur letzten Konsequenz vorleben. Wenn das mehrere täten, wäre das ein Aufbruch in eine neue Welt.

Wie geht es mit dem Singer Songwriter Circus weiter, den Sie 2011 ins Leben gerufen haben?

Clara Blume: Es gibt ihn weiterhin, ich habe das Herbstprogramm gerade fertiggestellt. Der Circus ist mir ein großes Anliegen. Wir verdienen ja nichts daran. Wir versuchen, diesem Meer an aufstrebenden Künstlerinnen und Künstlern eine Plattform zu schaffen. Du musst viel spielen, um gut zu werden. Wenn du diese Möglichkeit nicht hast, drehst du dich im Kreis, kochst im selben Süppchen und kommst nicht weiter. Plattformen sind da die essenzielle, grundlegende Sprungfeder. Ich habe oft genug mit dem Gedanken gespielt, aufzuhören: Streckenweise ist es in Österreich ein Kampf gegen Windmühlen, wenn es darum geht, sich Gehör zu verschaffen und den Leuten klarzumachen, dass Kultur förderungswürdig ist. Manchmal bin ich so ermattet, jeden Monat aufs Neue die Presse anzuschreiben: „Bitte berichtet über uns, versteift euch nicht immer wieder auf dieselben Kandidatinnen und Kandidaten, entdeckt mal wieder was!“

„Wenn du in diesem Konkurrenzverhältnis lebst, perpetuierst du eine Logik, die nicht fruchtbar ist, sondern dich auf ein Produkt reduziert – ein System, das dich auf die Dauer auslaugt.“

Von der Zirkusdirektorin mitten in den Euro-Vision-Vorentscheidungszirkus, wie hat sich das angefühlt?

Clara Blume: Sehr gemischte Gefühle. Zuerst habe ich der Jury eine Auswahl an Circus-Acts empfohlen, und tatsächlich wurden aus meiner Liste drei genommen: DAWA, Renato Unterberg, Lemo. Dann wurde auch ich selbst angefragt. Ich hab mich nach langem Zögern aus einer Art von „Scheißdrauf, hinter mir die Sintflut“ doch darauf eingelassen. Ich war eigentlich immer ein großer Feind von Castingshows. Es ist ein Spiel mit Gewinnerinnen und Gewinnern und Verliererinnen und Verlierern – dazwischen gibt es nichts. Aber, um Nick Cave zu zitieren: „My muse is not a horse“, sie rennt in keinem Pferderennen gegen jemand anderen. Wenn du aber in diesem Konkurrenzverhältnis lebst, perpetuierst du eine Logik, die nicht fruchtbar ist, sondern dich auf ein Produkt reduziert – ein System, das dich auf die Dauer auslaugt.
Was uns allerdings gereizt hat: Wir dachten alle, dass heuer ausschließlich Songwriterinnen und Songwriter dabei sind. Songwriterinnen und Songwriter und Interpretinnen und Interpreten können doch nicht nach gleichen Kriterien beurteilt werden! Der Umstand, dass dann eben doch Interpretinnen und Interpreten eingeladen wurden, hat uns sehr geärgert.
Was man dem ORF aber trotz aller Kritik lassen muss: Er hat zum ersten Mal – in dieser Form – einen Schritt auf die österreichische Musikszene zu gemacht.

Die österreichische Musikszene erfährt gerade relativ große Beachtung im deutschsprachigen Raum: Der Nino aus Wien, Wanda, Bilderbuch, The Makemakes. Wo sind die Frauen?

Clara Blume: Verschollen. Schau‘s dir an beim Amadeus: Selbst der beste weibliche Award ist an eine einzigartige Künstlerin, letztlich aber doch auch an einen Mann gegangen.

Was läuft falsch?

Clara Blume: Ganz klar, zwei Dinge. Es werden nur zwei Frauenbilder toleriert bzw. vermarktet, die sich an zwei extremen Polen herauskristallisieren: die Indie-Szene auf FM4 und die kommerzielle Pop-Szene auf Ö3.
Am einen Ende werden Frauen promotet, die „erdig“ oder halt völlig „arty“ sind. Alles andere gilt als oberflächlich, Mainstream, Plastik! Am anderen Ende haben wir das Barbieschema – entsprechend den „internationalen Regeln des Pop“, die da heißen: Sei schlank, mach kein Bahö, sei ansehnlich und brav und hab im besten Fall eine aalglatte Stimme. Interessante Frauen mit Selbstbewusstsein, die internationalen Pop mit Anspruch machen und die etwas zu sagen haben, haben‘s hier schwer … Das wirkt jetzt so simplifizierend, aber hör mal rein in eine Lylit, die in den Staaten einschlagen wird wie eine Bombe, während sie hier über die Jahre stiefmütterlich behandelt wurde.

„Wir müssen mit unseren stilisierten Ikonen brechen – sowohl auf der Indie- als auch auf der Pop-Seite.“

Eine Lösung?

Clara Blume: Es müsste ein Umdenken passieren. Denn zwischen diesen Extremen gibt es ein unendlich facettenreiches, sehr originelles und wirklich qualitativ hochwertiges Graufeld, das niemanden interessiert. Ein Bereich, der komplett vernachlässigt wurde, wo wir in Österreich einfach durch den Rost fallen. Marina Zettl, Mika Vember, Violetta Parisini, Juliane Blinzer, Sabine Stieger – sie sind ja da! Argumentativ kann ich es nur der Stereotypisierung zuschreiben, dass es so wenig Support gibt. Anscheinend gibt es Bilder, die funktionieren, und Bilder, die nicht funktionieren. Da müssen wir mit unseren stilisierten Ikonen brechen – sowohl auf der Indie- als auch auf der Pop-Seite. Das predigend werde ich mir den Mund fusselig reden.

„Hier ist es immer hopp oder dropp – entweder du kommst ins Radio oder du grundelst unendlich lang von Vorstadtbeisl zu Vorstadtbeisl.“

Stichwort Österreich?

Clara Blume: Ich weiß auch nicht, wie lang ich hierbleiben werde – wenn das hier nichts wird, mir keine Unterstützung widerfährt … Hier ist es immer hopp oder dropp – entweder du kommst ins Radio oder du grundelst unendlich lang von Vorstadtbeisl zu Vorstadtbeisl. Du kannst Jahre zubringen, bis dich jemand erhört. Da spreche ich von Bilderbuch, die es seit zehn Jahren gibt, ähnlich wie 5/8erl in Ehr’n. Wir reden das dann gerne schön, wir und unsere Szene! Dabei sind hier die Totengräber der österreichischen Musikszene am Werk. Jedes Land Europas unterstützt seine heimischen Künstlerinnen und Künstler mehr als dieses. Ich hab fünf Jahre in Spanien gelebt und wurde im Radio gespielt. Es ist für sie selbstverständlich, heimische Künstlerinnen und Künstler zu fördern – weil es eine Quote gibt und weil man’s leiwand findet! Aber hier drehen wir uns im Kreis. Österreich zu knacken – da möchte ich Frank Sinatra zitieren: „If you can make it HERE, you can make it anywhere.“ Auch wenn die Lösung so leicht ist und so auf der Hand liegt: Fördert uns! Eine Pflanze, die du regelmäßig gießt, wird blühen! Das sind die Gesetzmäßigkeiten der Natur.

Danke für das Gespräch.

Clara Schmidl

Foto Clara Blume 1: Pia Clodi
Foto Clara Blume 2: Anna Hawliczek

 

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