Film Musik Gespräche: Didi Bruckmayr und Michael Strohmann

Didi Bruckmayr und Michael Strohmann arbeiten in der Band Fuckhead seit 1992 zusammen. Fuckhead gilt als extremistisch-brachiale Band mit komödiantischem Antlitz, die auf der Bühne die Möglichkeiten des Aktionismus auslotet. Sieht man sich aber etwa die Videoarbeiten Trendfollower, Sinus_passage, collider2 oder Flexible Cities an, so scheinen die Abstraktion und die Eigenlogik mathematischer Berechnung zu herrschen. Ist das ein Widerspruch oder eine mediale Weiterentwicklung der Expressivität des Körpers, mit der Sie auf der Bühne experimentieren? Das Interview führte Thomas Edlinger.

Strohmann (S): Natürlich stellen die digitalen, im Rechner erzeugten Bilder einen Widerspruch zum analogen Kontinuum des Körpers dar. Aber wir waren immer an der Verbindung zwischen diesen Polen interessiert, an einer neuen Form, die sich aus digitalen und analogen Elementen ergibt. Musik ist für mich Abstraktion schlechthin. Ich kenne keine Entsprechung in der Natur – außer Vogel- u. Walgesang vielleicht. Der Körper aber wiederum ist das konkreteste Material, das man zur Verfügung hat. Ich bin auch weniger an der Sprache des Körpers und dessen Semantik interessiert als an Wahrnehmungsfragen wie der Wirkung des Lichts auf der Retina.

Trendfollower oder auch Flexible Cities zerren und rütteln an Raumordnungen – wie Wucherungen, denen ihre Wirkungsstätten zu eng werden. Teilweise erzeugt sich dieser Effekt des Überfließens auch dadurch, dass man glaubt, mit dem Auge zu nahe an einer Mikrostruktur zu sein. Inwieweit kann man solche Arbeiten auch als Wahrnehmungsstudien begreifen?

Bruckmayr (B): Sie sind Wahrnehmungsstudien, die autogenerativ in Echtzeit und in Synchronizität mit der Musik entstehen. In genannten Arbeiten wirken mehrere Gravitationen, virtuelle Kameras ohne Tiefenunschärfen und deterministisches Chaos in Form von Visual Effects-Programmen wie Simplex und Perlin Noise.

Sinus_passage erinnert in seinen von den Tonimpulsen ausgelösten visuellen Formgebungen aus schwarzweißen Linien und Balken teilweise vielleicht an die Raster und Piktogrammen, wie man sie aus der Bildfindungen der klassischen Moderne kennt. In Flexible Cities stammt der Sound aus György Ligetis sphärischem Stück für 16 Solostimmen, Lux Aeterna. In giulina 64:03 ist Antonionis Ill deserto rosso über die rostende Industrielandschaft Ravennas das Ausgangmaterial für Bild und Ton. Welche Rolle spielen der Utopismus der Moderne bzw. deren heutige Ruinenästhetik für Sie?

B: Es handelt sich um sentimentale Formen, die als erste Inspiration dienen. Es scheint der organische, menschliche Bezug dieser Artefakte zu sein, der zumindest bei mir Impulse auslöst. Diese erweitere und manipuliere ich dann beispielsweise mit digitalen Visualisierungen geometrischer Strukturen mittels Superformula oder durch die Raumeffekte von Vertex Noise bis zur völligen Abstraktion. Im Moment interessieren mich die neuen Möglichkeiten und der bewusste Missbrauch der physikalische Prozesse simulierenden Physics-Engines, wie sie aus den Computer Games bekannt sind – Visualisierungstools wie Bullet, Rigid Bodies oder Soft Bodies.

Inwieweit wird in solchen technischen Anwendungen Autorenschaft an die Prozessualität der Maschinen abgegeben?

S: Die von uns verwendeten Programme wie max/msp/jitter, vvvv, kyma oder supercollider sind allesamt High-Level Programmierumgebungen. Die Autorenschaft manifestiert sich in der Programmierung, die dann vom digitalen signal processor, dem DSP als dem eigentlichen Instrument ausgeführt wird. Ein Vorteil der Algorithmisierung ist, dass man sich von Zufallsoperationen oder Feedbackstrukturen überraschen lassen kann. Ein Nachteil ist, dass diese Überraschungen auch eine quälende Häufigkeit erreichen können, die man dann irgendwie bändigen oder aussieben muss.

B: Momentan beschäftigen wir uns damit, Prozesse so zu optimieren, dass komplexe Operationen in hoher Auflösung praktisch in Echtzeit unter Ausnützung aller Möglichkeiten des Zufalls generiert werden können. Ein Video ist dann praktisch nur ein Nebenprodukt, welches idealerweise ohne Postproduktion auskommt. Die Echtzeit-Generierung bietet auch in der Projektion mehr Möglichkeiten: weg vom rechteckigen Screen zu 3D-Projection-Mappings und multiplen Screens.

In Ihren Arbeiten Ich bin traurig und My Personality Hates Me! wie auch im Film giuliana 64:03 von Didi Bruckmayr und Michaela Schwentner gibt das Gesicht die Ausgangslage für diverse Abstraktionen, Überformungen und Überlagerungen vor. Das Gesicht ist das klassische Studienmaterial des individuellen Porträts. Bei euch scheint es aber umgekehrt zu funktionieren: Das individuell kenntliche, humane Gesicht wird verfremdet, unkenntlich und posthuman. Woher stammt dieses Interesse an einer Neudeutung?

S: Das Gesicht ist auf visueller Ebene so wie die Stimme auf akustischer  Ebene der deutlichste Träger der Identität. Als Philip K. Dick-Leser fragt man sich, was es eigentlich heißt, ein Mensch zu sein – und ob man nicht eigentlich ein Simulacrum ist oder wie eine Maschine als künstliche Intelligenz beschreibbar wäre. Es ist die Science Fiction-Frage nach dem Sinn des Lebens: Wer bin ich? Wo will ich hin? Bin ich eine Maschine? Wer hat mich erschaffen? Wozu?

Ich bin traurig verknüpft akustisch das Pathos einer Opernarie mit der kristallinen Härte eines elektronischen Metal-Noise-Stücks, während optisch eine filigrane, die atmosphärischen Brüche der Musik übersetzende Deformation des dargestellten Gesichts zu sehen ist. Wer ist hier traurig – ein realer Mensch? Oder geht es um den kulturellen Code „Traurigkeit“?

S: Alle sind traurig, und die russische Traurigkeit ist am heftigsten. Das Lied ist ja ein russisches Volkslied, und Siegmar Aigner hat den Text übersetzt. In Japan hatte das Publikum Tränen in den Augen. Wir hatten auch einmal vor, den dystopischen Zukunftsroman Wir von Jewgeni Samjatin aus dem Jahr 1920 nach ähnlichem musikalischem Muster zu vertonen.

Trendfollower oder Flexible Cities transformieren aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen in Bilder und Töne: die wirtschaftliche Blasenbildung bzw. die Tendenz zu ephemerer, sich wandelnder Architektur. Was waren hier Ihre konkreten Interessen an diesen Phänomenen?

B: Trendfollower spielte mit dem grotesken Vertrauen in recht simple mathematische, zweidimensionale Modelle einer Wirtschaftswissenschaft, die per se keine exakte Wissenschaft ist. Ich etablierte ein dreidimensionales Modell auf Basis von Simplex Noise, in dem Attraktoren Kapital bewegen, binden und verdichten, bis das letztlich irrationale Verhalten der Marktteilnehmer das Modell kollabieren lässt.

Die Credits zu Ihren gemeinsamen Filmen firmieren unter „audio data“ bzw. „video data“. Das Wort Sound oder Soundtrack wird vermieden. Warum?

B: Das ist ein bissl Koketterie. Fairerweise müssen wir auch Sigi Aigner Credits für seine audio data geben. De facto rechne ich nämlich häufig Audiomaterial als FFT-Daten heraus, um mit diesen Datensätzen weiterzuarbeiten. Ich höre dann beim Rendering gar keine Musik mehr, sondern sehe nur mehr Zahlen, die die unterschiedlichen Prozesse Frame für Frame rechnen.

In welchem hierarchischen Verhältnis stehen Sound und Visuals? Illustriert das Bild den Ton oder orchestriert der Ton das Bild?

S: Flache Hierarchien! Da sich das Politische in das Leben und in die Kunst drängt, können wir hier keine hierarchischen Abstufungen akzeptieren. Unsere Arbeit versteht sich als gegenseitige Inspiration von Ton und Bild auf gleicher Ebene. Leider lassen sich die Freiheiten der Kunst nicht so leicht in die Politik rückführen. Schon in einer so kleinen Gruppe wie einer Band erkennt man, dass eine flache Hierarchie keine effiziente Organisationsform ist. Ich glaube aber trotzdem, dass wir als Menschheit die Effizienz hint anstellen und uns zu Wesen entwickeln sollten, die mit flachen Hierarchien umgehen können.

B: Schön gesagt!

Am Schluss von Trendfollower insistiert der Sänger Didi Bruckmayr mit dem ihm eigenen Bestemm: „We do not offer comfort“. Kann man die Weigerung, Trost zu spenden, als allgemein gültige Programmatik Ihrer gemeinsamen Arbeiten verstehen?

S: Ich möchte keine leichtverdaulichen Trostspender oder Seelenschmierseife produzieren. Eskapismus ist mir suspekt. Ich finde aber, dass das Hören und Sehen von komplexen Strukturen das Gehirn anregt. Man kann sich dabei vielleicht nicht auf die Couch knotzen und wegdröhnen. Wenn wir also Trost spenden, dann eher im existentialistischen Sinn von Camus und Sartre: Du bist für dich selbst verantwortlich, das Leben ist sinnlos, aber wenn du schon mal da bist, mach das beste daraus.

B: Genau!

 

Die Reihe Filmmusikgespräche findet im Rahmen der Kooperation zwischen mica – music austria, sixpackfilm und Diagonale – Festival des österreichischen Films, statt.

Fotos Trendfollowers, Ich bin traurig, Flexible Cities: sixpack film