Festival New Crowned Hope

Das Wiener Festival zum Mozartjahr “New Crowned Hope” startet morgen, Dienstag, den 14. November, mit der Premiere der Oper A Flowering Tree von John Adams. Peter Sellars, der selbst die Opern von John Adams und Kaija Saariaho (La Passion de Simone) inszeniert, beauftragte darüber hinaus Künstler aus fernen Weltgegenden mit neuen Produktionen in den Bereichen Musiktheater und Tanz, Film und bildende Kunst. Eine Konzertschiene präsentiert fünf Konzerte mit dem Kronos Quartet und Auftritte von Maria Schneider und Rokia Troré.

Dort anfangen, wo Mozart aufgehört hat

Mit der Geduld eines Befreiungspriesters wiederholt der Regisseur Peter Sellars in einer Halle der Rosenhügel-Studios mit Sängern und Tänzern aus Java immer wieder eine Szene aus der neuen Oper von John Adams. The Flowering Tree ist die Eröffnungspremiere des von ihm für das Wiener Mozartjahr ausgerichteten Festivals, dessen Titel an Mozarts letzte Freimaurerloge “Zur neugekrönten Hoffnung” anknüpft. Eine Schlüsselszene, in der gezeigt wird, wie zwei Menschen miteinander verschmelzen.

Zum Interview in der Probenpause empfängt Sellars den Interviewer mit einer herzlichen Umarmung wie einen Freund und Komplizen, bedankt sich, dass er den weiten Weg auf sich genommen hat und nimmt sich beim Reden – das Herz auf der Zunge – alle Zeit der Welt. Er argumentiert charismatisch, überzeugend, luzide, ermuntert am Ende, das Formulierte wenn nötig ruhig zu verbessern und –  als der Autor dieses Beitrages am nächsten Tag entsetzt feststellt, dass er beim Überspielen des Audio-Files auf seinen PC dieses irrtümlich gelöscht hat, muss er sich eben – spirituell noch aufgeladen – ohne zur Verfügung stehender Transkription und ohne Notizen an die Arbeit machen. Mithilfe seiner Erinnerung, “by memory” eben, oder im Englischen noch schöner ausgedrückt: “by heart”. Ein Trost: Was Wolfgang Amadé etwa mit Herrn Karl Ludwig Giesecke – um den geht es nämlich gleich – so alles besprochen hat, ist ja auch nicht auf Tonband überliefert.

Bei New Crowned Hope gibt es eigentlich nur eine einzige Produktion, bei der originale Mozart-Musik zur Aufführung kommt (Mark Morris’ bereits in New York gefeierte Choreographie Mozart Dances mit der Camerata Salzburg und dem Pianisten Emanuel Ax). Wie, so lautet daher die Eingangsfrage, will Peter Sellars den Spagat schaffen, den “Geist Mozarts” und das, was diesen in seinem letzten Lebensjahr beschäftigte, ausgerechnet dadurch wiedererwecken zu wollen, dass er überwiegend Künstlerinnen und Künstler aus fernsten Weltgegenden (ein Symphonieorchester aus Venezuela, eine Theatertruppe von der Pazifikinsel Samoa, Sänger, Schauspieler und Tänzer aus Indonesien, Kongo/Kinshasa, Kambodscha, Filmemacher aus Kurdistan, Java, Thailand, Paraguay, dem arabischen Tschad, Taiwan, eine Griot-Sängerin aus Westafrika) versammelt, damit sie sich mit ihren Mitteln 250 Jahre später Themen und Fragen stellen, die Mozart in der Zauberflöte, im Titus, im Requiem beschäftigten?

Mythen und Archetypen

Ja eben, genau, antwortet Peter Sellars. Sie kennen sicher Karl Ludwig Giesecke, den Tänzer, Schauspieler, Dramatiker, Theaterdirektor, Librettisten und Mineralogen, der behauptete, Autor des Librettos der Zauberflöte zu sein, der jedenfalls unter Emanuel Schikaneder als Schauspieler und Bühnenautor am Freihaustheater an der Wieden arbeitete, auch zusammen mit Wolfgang Amadeus Mozart, und der 1791 in der Uraufführung der Zauberflöte den Ersten Sklaven spielte. Später verschwand er aus Wien, machte als Geologe und Mineraloge wissenschaftliche Aufzeichnungen in Grönland und überließ schließlich seine wertvolle Sammlung dem österreichischen Staat als noch heute wesentlichen Grundstock des Museums für Völkerkunde. Von solchem Zuschnitt waren die Intellektuellen, mit denen Mozart sich umgab: eine ganze Gruppe von Naturwissenschaftlern, Humanisten, Mythenforschern, Sammlern anatomischer Modelle, Schädeln, volkskulturellen Masken. Der Prinz der Zauberflöte ist vermutlich ein Prinz aus Java. Lebte Mozart heute, würde er sich wohl brennend für die dortigen Mythen und Archetypen interessieren, über die ältesten Zeremonien der Menschheitskulturen informieren.

The Flowering Tree

Was Peter Sellars in Mozarts Werk – namentlich der Zauberflöte – so fasziniert, ist, dass dieser immer wieder einen Weg fand, widersprüchliche Dinge zu einer Lösung zu bringen. Da treffen Ideen aufeinander, die sich normalerweise ausschließen würden. Und da war Platz für Popkultur, Straßenslang, für gebildete Diskussionen und Geheimzeremonien, für ein harmonisches Zusammenleben zwischen Tier und Mensch. Darum eröffnet er das Mozartjahrfestival eben mit The Flowering Tree, komponiert von John Adams auf eine mehrere tausend Jahre alte südindische Geschichte, die vor 2000 Jahren aufgezeichnet wurde, aus einer Kultur, in der Milch, Honig, Wasserkrüge und Hymnen an die Gottheit Schiwa die “fortgeschrittenste Technologie” darstellten. Sie wird  gespielt von javanischen Sängern und Tänzern und einem Jugendorchester aus Venezuela, das ursprünglich auf ein Programm zurückgeht, in dessen Rahmen Straßenkinder klassische Instrumente in die Hand bekommen haben.

La Passion de Simone

Die mit Spannung erwartete zweite von Peter Sellars selbst in Szene gesetzte Opernpremiere gilt Kaija Saariahos La Passion de Simone nach dem Textbuch des in Paris lebenden libanesischen Schriftstellers Amin Maalouf, mit dem die finnische Komponistin schon zum dritten Mal zusammenarbeitet. In fünfzehn musikalischen Stationen wird – von Dawn Upshaw dargestellt – der Lebensweg der französischen Philosophin Simone Weil nachgespielt. Politisch und sozial engagiert, als Fließbandarbeiterin in einer Renault-Fabrik, dann als Krankenpflegerin im spanischen Bürgerkrieg, starb Simone Weil 1943 in einem Krankenhaus bei London den Hungertod, weil sie sich weigerte, mehr zu essen, als ihre Landsleute in den Todeslagern bekamen. “Wie eine Zeremonie” will Peter Sellars seine Umsetzung gestalten: Nicht als Akt unmittelbarer Trauerarbeit, sondern so, als ob Freunde nach einigen Jahren zusammenkommen, um eine Tote zurückzuholen, zu befragen, mit ihr zu sprechen. Simone Weils  Konzept von Philosophie verdiene Aufmerksamkeit und Bewunderung: Während europäische Philosophie dieser Zeit sich in abstrakte Fragen von Linguistik und Semiotik flüchtete, hätte Weil – auch in ihrem Schreiben – Philosophie als etwas Physisches begriffen, etwas, das in unserem Körper ist. Die Entscheidung eines Menschen, in relativ gesicherten Umständen aus Protest den Tod zu wählen, sei von einer Radikalität, die wir, wenn wir sie schon nicht verstehen könnten, versuchen müssten auszuhalten.

Musiktheater, Tanz, Film

Pamina Devi  (“The Magic Flute Revisited”) ist eine verstörende Interpretation einer der beliebtesten Operngeschichten durch kambodschanische Khmer-Tänzer: Die Bilder, die die Choreographin Sophiline Cheam Shapiro dafür fand, entspringen ihrer Lebensgeschichte: Der Wahn, nur harte Prüfungen könnten die Menschheit vervollkommnen, brachte das Pol Pot-Regime dazu den königlichen Tanz Kambodschas binnen zwei Wochen auszuradieren. Das Thema des Requiem findet sich in der Arbeit von Lemi Ponifasio und der samoanischen Künstlergruppe MAU, die sich wie eine traditionelle Zeremonie der Pazifikinseln entfalten und sowohl Zuschauer als auch Ahnen zur Teilnahme einladen will, oder bei Faustin Linyekula , der 2001 nach Kinshasa zurückkehrte und inmitten von Zusammenbruch und Zerstörung ein Zentrum für Theater und Tanz gründete, weiters auch in dem indonesischen Film Requiem from Java.

Der Film Niwemang/Half Moon, den der kurdische Regisseur Bahman Ghobadi gerade erst an der iranisch-irakischen Grenze fertiggestellt hat, enthält im Soundtrack Musik von Hossein Alizadeh, einem bedeutenden iranischen Komponisten. Live wird diese Musik in einem von fünf Konzerten des Kronos Quartet im Jugendstiltheater und im Rahmen eines Alternative-Radio-Projekts zu hören sein: Im Radio-Kulturhaus analysiert der US-Historiker Howard Zinn die offizielle Geschichtsschreibung, das Quartett reagiert darauf mit dreißig vorbereiteten Stücken zur “Lage der Welt” (18.11.). Das Musikprogramm umfasst auch zwei Abende im Konzerthaus  – mit dem Jazzorchester von Maria Schneider (1.12.) und Auftritten der Afro-Pop-Sängerin Rokia Traoré (3., 4., 5. 12)

Mozarts Aufklärung

An all diesen Orten Welt, mit denen der westliche TV-Konsument landläufig nur mit Notstandssituationen, mit Greuelbildern von Krieg, Vertreibung Völkermord und Hunger konfrontiert werde, gehe es eben nicht nur ums Überleben, sondern auch um den Hunger nach spiritueller Nahrung, um das Bestreben in Würde zu leben, meint Peter Sellars. Und wir alle, die wir T-Shirts mit chinesischen Etiketten tragen und billige Waren konsumieren, die in einer Welt erzeugt werden, in der der Gegensatz zwischen Arm und Reich schreiender denn je auseinanderklafft, sollten sehen, dass wir diese eine Welt mit Menschen teilen, die über ein kulturelles Erbe von einem Reichtum verfügen, das dem unseren ebenbürtig, wenn nicht oft überlegen ist.

Wie in La clemenza di Tito zeigten gerade auch diese vielfältigen künstlerischen Antworten, die den Kreislauf des Tötens durchbrechen wollen, dass Versöhnung, Gnade, Verhandlungsbereitschaft und Phantasie die einzige Chance sind, uns in der nächsten Welt zurechtzufinden. Ein Projekt der Aufklärung heute, im 21. Jahrhundert: Next Europe – aber auch: Next Vienna. Dort anfangen, wo Mozart aufgehört hat.
Heinz Rögl

Termine
New Crowned Hope (14.11.-13.12.)

Musiktheater und Tanz:
A Flowering Tree: 14., 16., 18., 19. 11. 2006 , 20.00 Uhr.  Museumsquartier I Halle E
Lemi Ponifasio I Requiem: 25., 26., 27.11., 20.00 Uhr. Museumsquartier I Halle E
La Passion de Simone:. 26., 28., 30.11., 20.00 Uhr. Jugendstiltheater
Faustin Linyekula: 30.11., 1.,2.,3.12..20.00 Uhr. Museumsquartier I Halle G
Mozart Dances: 7.,8.,9.,10.12., 20.00 Uhr.  Museumsquartier I Halle E

Konzerte
Kronos Quartett: 3 Konzerte im Jugendstiltheater. 15., 16., 17.,11., 20.00 Uhr; Alternative Radio im RadioKulturhaus. 18.11., 15.00 Uhr und 23.00 Uhr
Maria Schneider: 1.12., 19.30 Uhr. Konzerthaus
Rokia Traoré: 3., 4., 5.12., 19.30 Uhr. Konzerthaus

Film im Gartenbaukino
Opera Jawa: 17..11., 20.00 Uhr; Niwemang / Half Moon: 18..11., 20.30 Uhr; Hamaca Paraguaya/Paraguayan Hammock: 19.11.,20.30 Uhr; Sekali le Meokgo / Meoko and the Stickfighter & Daratt / Dry Season: 20.11., 20.30 Uhr; Sang sattawat / Syndromes and a Century: 21.11., 20.30 Uhr; Hei Yan Quan / I don’t want to sleep alone: 20.30 Uhr

Bildende Kunst
Evolution of Fearlessness – Arbeiten von Lynette Wallworth: 17.11. – 13.12., Künstlerhaus

Heinz Rögl (Erstveröffentlichung dieses Texts: BÜHNE, Heft Nr.11/2006 November 2006

 

 

 

Bernhard Lang