„Expressionistisch tue ich mir am leichtesten“ – SOIA im mica-Interview

Nachdem SOIA 2013 mit „Mood Swings“ ein bisschen Soul in die blassen Räumlichkeiten Wiens zaubern und die Hörerschaft von fremden Welten überzeugen konnte, etablierte die Wienerin mit „H.I.O.P“ (Record Breakin‘ Music) 2016 nun endgültig einen für sich stehenden Jazz im Pop-Bereich. Farbenfroh und sehr subtil entführt sie gemeinsam mit Produzent MEZ zu einer Reise, die nun auch der diesjährige AMADEUS antreten wollte. Julia Philomena sprach mit der Künstlerin.

Sie waren heuer zum ersten Mal für den Amadeus Award nominiert. Schmeichelt die Aufmerksamkeit oder überwiegt die Irritation über den sportlichen Charakter solcher Veranstaltungen?

Soia: Die Nominierung für den Amadeus Award in der Kategorie „Best Sound“ kam völlig unerwartet und überraschend. Ich habe zum ersten Mal die Preisverleihung im Wiener Volkstheater besucht und musste sehr lachen über das Sammelsurium an schrägen Österreicherinnen und Österreichern, die sich einen Abend lang unter demselben Dach befanden. Wenn man junge Zillertaler sieht, die fröhlich Alkbottle zuprosten, fühlt man sich ein bisschen wie im Traum. Sehr surreal.

Die Anerkennung hat mich aber trotz des Zirkus sehr gefreut! Es ist schön, wenn ehrliche Arbeit gehört und geschätzt wird. Vor allem bedienen wir nicht den Mainstream. Es ist keine Selbstverständlichkeit, aufmerksam von großen Kritikerinnen und Kritikern beobachtet zu werden. Wir sind keine Rockstars. Natürlich wäre es mein Wunsch, nonstop auf dem qualitativ hochwertigsten Niveau Platten produzieren zu können und viele Konzerte zu spielen. Aber wir sind in einer Nische, die besonders in Österreich auf wenig Nachfrage stößt. Klassischer Jazz geht gut, die neue Hip-Hop-Welle auch, aber bei allem Fächerübergreifenden wird es schwierig.

Insofern ist die Nominierung ein schönes Feedback gewesen. Für den Amadeus arbeiten nur Spezialistinnen und Spezialisten. Wenn sie dich loben, heißt das schon was.

Hat die Nominierung etwas bewirkt?

Soia (c) Levi Thomas

Soia: Die Nominierung war ein guter Ansporn, konsequent weiterzumachen! Seit einem Monat arbeiten mein Produzent Mez und ich an einer neuen EP, bei der sich musikalisch einiges verändern wird. Zum einen haben wir uns gegen eine LP entschieden, um einen langwierigen, endlosen Prozess zu vermeiden und stattdessen den Fokus auf vier, fünf Songs zu richten. Bei weniger Aufnahmen verläuft alles viel schneller, viel fokussierter und der Enthusiasmus geht nicht so leicht verloren. Zum anderen haben wir das neue Motiv, simpler an die Musik heranzugehen und mehr zu reduzieren. Wir wollen eine Balance zwischen Jazz und Pop finden, die für uns selbst, aber auch für die Hörerinnen und Hörer leichter zugänglich ist. Auch wenn ich unsere Musik nicht als hochkomplex beschreiben würde, ist sie trotzdem sehr dicht. Der momentan am häufigsten gesagte Satz im Studio ist: „Nicht zu stark stilisieren!“ Und genau das fällt mir wahnsinnig schwer. Die Schlichtheit mit Gold zu begießen ist eine Herausforderung.

Gibt es dabei generelle Vorbilder?

Soia: Ja – meine Lieblingsband, die Australier Hiatus Kaiyote. Wahrscheinlich hätte mir damals auch das intensivste Lied von ihnen gefallen, aber gepackt haben sie mich mit der einfachsten Nummer, die sie je veröffentlicht haben, nämlich „Nakamarra“.  Das war mein Einstieg, und auf den Rest konnte ich mich dann gut einlassen. So ging es damals vielen. Die Nummer war sehr erfolgreich und wurde 2013 sogar für einen Grammy nominiert. Es ist ihnen gelungen, einen Song zu schreiben, der auf ein Genre verweist, aber gleichzeitig im Radio funktioniert. Wenn dir das gelingt, hast du ein neugieriges Publikum gefunden, dem du ruhig etwas zumuten kannst, weil es sich langsam in deine Welt vortasten möchte.

„Nowadays being yourself already is political.“

Nai Palm gehört als Lead-Sängerin und Gitarristin von Hiatus Kaiyote zu den wenigen Frauen in der Musikbranche. Inwieweit ist die Frauenquote für Sie ein Thema?

Soia: 2013 habe ich Nai Palm in München kennengelernt und sie gefragt, mit welcher Einstellung, mit welchem Bewusstsein sie auf der Bühne steht. Ob das Auftreten in der Öffentlichkeit für sie als Frau in einem politischen Zusammenhangt steht. Daraufhin meinte sie: „Nowadays being yourself already is political.“ Die Aussage kann ich heute nur unterstreichen. Ein starkes Bild braucht keinen Untertitel.

Konkret ist mir im Rahmen der Amadeus-Verleihung die Minderheit der Frauen besonders ins Auge gestochen. Es waren so wenige Frauen nominiert und es haben auch nicht besonders viele gewonnen. Dieses Manko ist ja nach wie vor in allen Sparten der Kunst und Kultur zu beobachten. Leider kann man das selbst nicht ändern, ich bin auch nur ein Mensch.

Aber man kann als Musikerin sehr gut auf Understatement setzen. Wir haben gestern beispielsweise ein neues Lied für die EP aufgenommen, das den Titel „Hoe for love“ tragen wird. Als Frau kann man mit Schimpfwörtern gut spielen. Mir gefällt die Provokation in der Kunst, weil ich privat eigentlich sehr brav bin [lacht]. Ich sexualisiere selten, und wenn, dann subtil. Aufgrund meiner Kleidung könnte ich als Muslima durchgehen. Wenn in meinem eher feministischen Kontext dann Ausdrücke wie eben „hoe“ oder „pussy power“ fallen, empfindet man das hoffentlich nicht als Klischee, sondern als sympathische Angriffshaltung.

Neben dem öffentlich zur Schau gestellten Understatement – welche Funktion hat die Musik für Sie?

Soia: Die Musik ist mein Ventil. Meine Therapie, die ich mir selbst schenken kann. Ich liebe die Mystik von Texten. Ich liebe ihre Auswirkung auf mich und meine Mitmenschen. Man kann sich darin gut verlieren und fallen lassen. Wellenartig transportiert sich ein Gedanke zum nächsten, wenn man sich treiben lässt. Aus dieser Stimmung heraus sind alle meine Songs positiv gefärbt, auch wenn der Inhalt durchaus düster sein kann.

Was dient dabei als Inspiration?

Soia: Heute war ich in der Früh neben dem universitären Chemielabor Kaffee trinken. Dort habe ich eine Amsel beobachtet, die nicht aufgehört hat, zu singen. Das war so schön, dass ich alles andere vergessen habe und meine Aufmerksamkeit ganz dem Tier gewidmet habe. Das sind Momente, in denen ich ganz ruhig werde, ganz entspannt, fokussiert und somit auch inspiriert.

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Um Tiere geht es ja auch im Song „Roaming deer“.

Soia: Die Geschichte zu dem Song gehört zu meinen liebsten! Da hat eins sehr organisch zum anderen geführt. Vor zwei Jahren habe ich geträumt, dass ich ein totes Reh im Wald finde. Ich bin zu einer Flussquelle gelaufen, habe Wasser geholt, dem Reh gebracht und es so gerettet. Man braucht wahrscheinlich nicht die freudsche Traumdeutung bemühen, um analysieren zu können, dass es um die eigene Wiederbelebung geht. Zwei Tage nach dem Traum bin ich ins Waldviertel zu meiner Mutter gefahren. Dort war ich spazieren und bin tatsächlich auf ein Reh gestoßen, allerdings auf ein lebendiges. Das hat sich sehr wie Traum angefühlt, nur friedlicher. Ein paar Tage später haben Hiatus Kaiyote in Wien gespielt. Das war dann der endgültige Auslöser, „Roaming deer“ zu schreiben. Mehr Motivation hätte ich nicht bekommen können.

Das Video zum Song verdanke ich Florian Bayer, den mir meine Freundin, die Schauspielerin Nancy Mensah-Offei, vorgestellt hat. Wir haben uns sofort gut verstanden und gemeinsam das Konzept geschrieben. Um so nahe wie möglich bei dem Traum und der Begebenheit zu bleiben, hat der Dreh auch wirklich bei meiner Mutter im Waldviertel stattgefunden. Narrativ haben wir mit den beiden Darstellern eine symbolische Ebene hinzugefügt: Nancy ist der Traum, dem ich hinterherjage, und der Mann ist die Realität, die hinter mir herläuft. Das theatral brennende Bett im Schnee ist am Ende meine Erlösung. Passend zum Videoausklang haben wir nach dem Drehschluss gemeinsam ein vom dortigen Förster geschossenes Reh gegessen. Somit war das Projekt offiziell beendet.

In Arbeit steht gerade eine andere Visualisierung, nämlich jene Ihres Tracks „Habibi“.

Soia: Den Song habe ich Ende 2015 geschrieben. Auslöser dafür war meine freiwillige Arbeit am Wiener Westbahnhof im Zuge der Flüchtlingsankünfte. Das hat mich und mein Verständnis von Religion stark geprägt. Im Prinzip kann man sagen, dass „Habibi“ als Hippie-Song zu verstehen ist. Es geht um Frieden, um Gleichberechtigung und die Grund-Message, dass Religion Liebe ist. Deswegen auch der arabische Titel „Habibi“, der in dem Kontext mit seiner Übersetzung, nämlich „Geliebter“, ja ganz gut passt.

Akustisch wollte ich mich dem Inhalt anpassen, deswegen hört man zum Beispiel auch kurdische Samples. Die Visualisierung wird eine ähnliche Stimmung weiterführen. Gedreht haben wir lustigerweise in einer der größten Schwulensaunas Österreichs, dem Kaiserbründl. Auf das Video kann man sich freuen [lacht]!

Soia (c) Levi Thomas

 „Wenn ich ins Studio komme, den ersten Beat höre, formen sich meine Gedanken und ganz affektiv Texte, die dann schlussendlich zu Songs wachsen.“

Man kann also sagen, dass Ihre Videos künstlerisch ausgefeilte Fenster zu Ihrem Leben sind. Wie verlaufen die Studioproben und die Aufnahmen selbst?

Soia: Die Synergie aus Privatleben und künstlerischem Werkzeug ergibt nicht nur Videos, sondern auch Musik. Wenn ich ins Studio komme, den ersten Beat höre, formen sich meine Gedanken und ganz affektiv Texte, die dann schlussendlich zu Songs wachsen. Meistens innerhalb von vier, fünf Stunden, in denen wir ohne Pause zusammenarbeiten. Das passiert alles sehr direkt. Wie meine Texte funktionieren, so funktioniert eben auch mein Leben. Mez produziert, ich schreibe, beides quick and dirty. Expressionistisch tue ich mir am leichtesten.

Inwiefern haben sich Ihr musikalischer Ausdruck und Ihr Zugang verglichen mit Ihrem ersten Konzert im Rahmen eines Schulballs in der Arena verändert?

Soia: Ich bin vollkommen unerfahren auf einer Bühne gestanden, nachdem ich drei Monate zuvor zum ersten Mal ein Mikrofon in der Hand gehalten hatte. Noch dazu auf einer großen. Das war schräg. Vor allem die Tatsache, dass meine damalige Band und ich absurder Weise noch im selben Jahr für die World Music Awards im Porgy & Bess gebucht wurden. Das war ein noch sehr undefiniertes Experiment, von dem ich aber immer schon mit Sicherheit sagen konnte, dass es mich erfüllt. Musik hat mir immer Freude gemacht. In der Öffentlichkeit zu stehen war allerdings eine Überwindung. Die ersten Konzerte waren gebrandmarkt von meiner Unsicherheit und als Sängerin habe ich die Musikerinnen und Musiker beneidet. Die können sich festhalten an ihren Akkorden, an ihren Instrumenten. Aber mein Instrument bin ich. Jeder Ton fährt direkt durch die Seele. Jeder Fehler hat mit niemandem außer mir selbst zu tun. Wenn es mir nicht gut geht, kann ich auch nicht gut performen. Das Selbstbewusstsein fällt auf der Bühne leider nicht vom Himmel. Damit bin ich sicher nicht allein. Wahrscheinlich ist jede Künstlerin und jeder Künstler von Zweifeln zerfressen. Das Glück ist ja, dass sich die Musik gerade auch aus den Schwierigkeiten nährt und vor allem aus Erfahrung. Zeit bringt Rat. In meinem Fall zusätzlich auch endlich Zufriedenheit.

Wenn man von Zeit und Erfahrung absieht, wodurch konnten Sie sich weiterentwickeln?

Soia: Dank meiner Freundinnen und Freunde! Es gab nie einen Manager, geschweige denn eine PR-Agentur. Ich habe Freundinnen und Freunde gehabt, die mir Ratschläge gegeben oder leistbare Foto- und Film-Shootings ermöglicht haben. Aufgrund meines künstlerischen Umfelds war das einfach Glück und Learning by Doing. 2013 wurden Mez und ich vom amerikanischen Liebhaber-Label „Record Breaking“ entdeckt und haben mit dessen Hilfe unser erstes Album „Mood Swings“ veröffentlicht.

Ein großer Schritt war aber sicher „H.I.O.P“, das letzte Album. Im Oktober 2016 gab es den Release in Amerika und Japan, am 18. November dann den österreichischen, im ehemaligen Café Leopold in Wien.  Das Album ist gut angekommen und ich habe mich danach erst mal ausgeruht. Erst im Jänner bin ich wieder aktiv geworden und habe mich nachträglich darum bemüht, zu promoten. Im Zuge dessen habe ich dann auch ein neues Video veröffentlicht, das Ende letzten Jahres in New York entstanden ist. Dieses Revitalisierungsprojekt hat gut funktioniert und mir neue Energie geschenkt, die sich momentan auch für die EP-Entstehung als hilfreich erweist!

Ich würde mich sehr freuen, wenn jetzt auch einmal in Österreich jemand anbeißen würde, beispielsweise eine Booking-Agentur, die darauf schaut, dass wir um die Welt kommen!

Vielen Dank für das Gespräch.

Julia Philomena

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