Eva Reiter: Grenzgänge

Mit Eva Reiter (Jahrgang 1976) hat sich in den letzten Jahren eine Interpretin und Komponistin Gehör verschafft, die – ausgehend von der virtuosen Beherrschung der Viola da Gamba und der Blockflöte – in der Verbindung mit Elektronik eine überzeugende zeitgenössische Sprache gefunden hat und die sich jenseits gängiger Stilgrenzen höchst originell immer wieder überraschend mitteilt. Im Rahmen des e_may Festivals am 12. Mai kann sich das Publikum einmal mehr von der Qualität der Musikerin überzeugen.

Dies betrifft nicht nur ihr Trioprojekt Elastic3 (gemein-sam mit Tom Pauwels, elektrische Gitarre; Paolo Pachini, Sound & Live-Elektronik), sondern auch das mit Ludwig Bekic formierte Duo Breitband sowie ambitionierte Soloprogramme, die ihren Hang zu exakt vermessenen Klanglandschaften ebenso dokumentieren wie die Auslotung des bruchlosen Übergangs von akustischem zu elektronischem Material.
Auch als Interpretin im Bereich der Alten Musik verfügt sie zudem über weitreichende Konzert-Erfahrung. Mit dem Wiener Ensemble Mikado gewann sie 2004 den IYAP Wettbewerb in Antwerpen(“The International Young Artist’s Presentation – Early Music”) und wird zudem als freischaffende Musikerin für zahlreiche internationale Projekte – so etwa mit De Nederlandse Bachvereeniging in Holland – engagiert.

Alte und Neue Musik scheinen nur auf den ersten Blick wenig Schnittmengen zu haben. Geht man aber davon aus, dass die Unverwechselbarkeit des Klanges auch in der Renaissance- und Barockzeit eine zentrale Kategorie war, sieht die Sache freilich anders aus. Wie hat denn der Werdegang ausgesehen?

Eva Reiter: Ich habe als Studentin der Blockflöte und Viola da Gamba ausschließlich im Bereich der Alten Musik begonnen. Während meiner Studienjahre in Wien und Amsterdam eignete ich mir dann zunehmend das mittlerweile recht umfangreiche zeitgenössische Blöckflöten-Repertoire an. Gleichzeitig habe ich vor ungefähr zehn Jahren mit beiden Instrumenten begonnen, mich auch in einem improvisatorischen Kontext zu bewegen und auf diese Weise eine ausgedehnte Materialrecherche betrieben. Dann verließ ich dieses Terrain allerdings wieder und bin nun fast ausschließlich bei komponierter Musik gelandet. Der Fokus hat sich auf das Instrument der Viola da Gamba verlagert, und ich zähle zu den äusserst wenigen Gambisten, die sich auf diesem Instrument mit der Entwicklung einer zeitgenössischen Musiksprache und dem Aufbau eines Repertoires befassen.

Wie reagieren die Komponisten, wenn man sie mit dieser Klangwelt konfrontiert?

Eva Reiter: Die Komponisten sind von dem nuancenreichen Klangspektrum beider Instrumente zumeist sehr begeistert. Die Gambe weist durch die sieben Darmsaiten nicht nur einen äusserst großen Tonumfang, sondern auch einen bemerkenwerten klanglichen Unterschied zu den im zeitgenössischen Kontext “bekannten” Streichinstrumenten auf. Die Paetzold-Kontrabassblockflöte, ein von Heinrich Paetzold speziell entworfenes Blockflöten-Modell, übt durch die so eigenartige Bauweise nicht nur optisch, sondern auch durch die sonore Tiefe und klanglichen Möglichkeiten eine große Faszination aus. Selbst auf mich immer noch, obwohl ich mich seit Jahren mit diesem Instrument intensiv auseinandersetze und alle Ecken und Enden “auszuhorchen” versucht habe.

Wie sieht die erste Begegnung in der Regel aus? Ein Prozess des gemeinsamen Entdeckens und der wachsenden Faszination?

Eva Reiter: Absolut. Einige Komponisten gehen zunächst einmal von dem mittlerweile “traditionellen” Repertoire der zeitgenössischen Spieltechniken aus. In der gemeinsamen Arbeit werden diese Techniken erweitert, für die Besonderheiten der Viola da Gamba sozusagen adaptiert. Die Gambe ist ja dem Cello durch Form und Größe und den Gebrauch des Bogens sehr nahe, und andererseits durch die am Griffbrett montierten Bundsaiten auch der Gitarre nicht ganz unähnlich. Durch die Verschiebbarkeit der Bünde ergeben sich auch im mikrotonalen Bereich Variationsmöglichkeiten. In Zusammenarbeit mit Radu Malfatti hatte ich in diesem Zusammenhang einige Experimente erstellt.
Als erste Kontaktaufnahme schicke ich den Komponisten meist eine “Hörprobe” mit gesammeltem Klangmaterial. Auf dieser CD befinden sich einerseits Klänge, die einen möglichst umfangreichen Höreindruck der Instrumente vermitteln sollen, andererseits eine eng fokussierte Auswahl an speziellen Sounds, die ich in meiner kompositorischen Arbeit selbst viel verwende. Bei diesem Material handelt es sich fallweise auch um durch Präparationen am Instrument gewonnenes “rein akustisches” Material, das die Illusion von elektronischer Manipulation erweckt. Diesen akustischen Satzbaukasten hatte ich vor zwei Jahren an Fausto Romitelli geschickt, dessen Arbeit als Komponist mich enorm beeindruckte. Er war sehr begeistert, wir bemerkten sofort eine grundlegende ästehtische Affinität, und eine Neukomposition für E-Gitarre und Viola da Gamba anlässlich eines Portraitkonzertes im Rahmen von Wien Modern 2004 war geplant. Dazu ist es aufgrund seines plötzlichen Todes traurigerweise nicht mehr gekommen.

Wie ist es zur Gründung von Elastic3 gekommen?

Eva Reiter: Das Trio formierte sich anlässlich eben dieses Potraitkonzertes. Statt des geplanten neuen Stückes komponierte Paolo Pachini, ein enger Freund und Kollege Fausto Romitellis, mit Elastically Pink ein Hommage-Stück in der ursprünglich geplanten Besetzung. Das restliche Programm präsentierte weitere Solo- und Kammermusik vorwiegend von Romitelli. Ich spielte zudem Seascape für Subbassblockflöte und Tom Pauwels Trash TV Trance, ein Solostück für E-Gitarre. Wir haben in den gemeinsamen Proben an Elastically Pink schnell festgestellt, welches Potential in dieser Kombination liegt. Die positive Erfahrung unserer Zusammenarbeit sowie die außergewöhnliche Resonanz des Konzertes veranlassten uns, die gemeinsame Arbeit fortzusetzen. Die Kombination von Gambe/Paetzold Bass und E-Gitarre verbunden mit der Möglichkeit eines (live-)elektronischen “Kommentars” erschien uns äusserst reizvoll, zumal auch bisher ungehört.

Wie findet ihr eure Komponisten?

Eva Reiter: Nicht nur musikalisch, sondern auch ästhetisch bildet die Musik Fausto Romitellis den Ausgangspunkt unserer Arbeit und somit auch der Wahl der Komponisten. In seiner Musik verbinden sich in beeindruckend freiem Zugriff doch verschiedene Metiers und Klangbereiche, die weit über den Horizont komponierter Musik hinausgehen. Elemente der Rock- und Popmusik, zu deren schmutziger und teilweise gewaltsamer Klangästhetik Fausto eine gewisse Affinität zeigte, fanden sich in seiner Musik ebenso selbstverständlich wieder, wie Musik der französischen Spektralisten. Er hat dabei allerdings trotz aller Integration genreübergreifender Elemente sein Metier als traditionell zeitgenössischer Komponist nicht verlassen. Die Komponisten, mit denen wir jetzt arbeiten, sind ähnlich. Auch in ihrem Umgang mit Material. Wir kontaktieren Komponisten, deren Musik konzeptuell und klanglich einen ähnlich großen Freiraum und trotzdem eine große Eigenständigkeit aufweisen. Durch die Kompositionen von Agostino di Scipio, Francesco Filidei, Claire-Mélanie Sinnhuber, Paolo und mir hat sich unser Repertoire auf interessante Weise in unterschiedliche Richtungen hin erweitert.

Wie muss man sich den kreativen Prozess vorstellen?

Eva Reiter: Wir sehen uns mit dem Problem oder der Herausforderung konfrontiert, in drei verschiedenen Ländern zu leben. Wir arbeiten dadurch in relativ kurzer Zeit sehr intensiv. Das hat natürlich auch etwas für sich.
Im Grunde wird bei dem ersten Zusammentreffen mit dem Komponisten in einem quasi improvisatorischen Kontext zunächst einmal Material erarbeitet und erforscht. Gerade bei meinem Instrumentarium der Viola da Gamba und der Paetzold-Kontrabassblockflöte muss ich die klanglichen Besonderheiten und möglichen Techniken erst einmal vorstellen. Meist wird in dieser Phase der Kontaktaufnahme sehr schnell klar, in welche Richtung sich die Zusammen-arbeit und das Format der neuen Komposition entwickeln. Paolos elektronischer Part, beispielsweise das Errechnen eines live-elektronischen Settings, kommt dann oft erst hinzu, wenn es schon konkretes Material gibt.

Wie stellt sich der Ausscheidungsprozess des Materialsdar? Unterschiedliche stilistische Zugänge führen ja oft zu einergewissen Beliebigkeit.

Eva Reiter: Wie gesagt, suchen wir dieZusammenarbeit mit Komponisten, die in ihrer Arbeit Eigenständigkeit,Identität und Richtung deutlich erkennen lassen, um dieserweitver-breiteten Beliebigkeit im Umgang mit der Vermischungunterschiedlicher Metiers auszuweichen. Wir bieten eine Palette vonklanglichen Möglichkeiten an, aus denen der Komponist auswählen kann.Material, Form und Struktur bestimmen letztlich er oder sie. Keine derbisherigen Stücke schließen improvisatorische Freiräume mit ein. Sowohlmateriale sowie strukturelle Einzelheiten sind konkretisiert und durchihre Schriftlichkeit eindeutig festgelegt. Das Entwickeln derklanglichen Elemente ist natürlich ein sehr subtiler Prozess, auchzwischenmenschlich. Mit Sicherheit lassen sich die Komponisten von Tomsund meiner jeweiligen, nicht ganz unähnlichen Musikerpersönlichkeit undBühnenpräsenz zu gewissen formalen und klanglichen Konzepteninspirieren.

Inwieweit kommt sich die Komponistin der Interpretin da in die Quere?

Eva Reiter: Das ist natürlich manchmal ein Grenzfall. Ich hatte einerseitsanfänglich manchmal Schwierigkeiten, jenes Klangmaterial, das ich durchspezielle Spieltechniken oder Präparationen entwickelt habe und inmeiner eigenen Arbeit als Komponistin ausformuliert wird, anderenKomponisten als Ausgangsmaterial anzubieten. Natürlich besteht ein Werkandererseits aus wesentlich mehr als bloß dem klanglichen Material. Ichbin dazu übergegangen, all jene Erfahrungen, die sich in dergemeinsamen Arbeit als wichtig erweisen, mitzuteilen und zu zeigen,allerdings nicht von Anfang an alle möglichen Einzelheiten und Detailsvorauszuschicken, nur um ein möglichst flächendeckendes Klangbildabzugeben. Im Optimalfall kommen die Komponisten ohnehin schon mitgewissen materialen und formalen Vorstellungen und Fragen, die es danngilt, gemeinsam fortzuspinnen.
Zudem bin ich in dem Dialog mitanderen Komponisten auch ständig mit eigenen formalen und klanglichenKonzeptideen und Gedanken konfrontiert.

Ist es zunaiv gedacht, wenn man der Welt der Elektronik eine gewisse Härte undAggressivität zu-schreibt, die mit der gleichsam keuschen,verletzlichen Welt der Gambe und Blockflöte in ein Spannungsverhältnistritt?

Eva Reiter: Ich empfinde das nicht so. Ich glaube,dass die Assoziation der Gambe mit Begriffen wie “Verletzlichkeit” und”Intimität” in der Barockmusik durchaus ihre Gültigkeit hat – nichtzufällig ist die Sterbensszene Jesu in Bachs Passionsmusiken mit Violada Gamba besetzt – in der zeitgenössischen Musik aber kaum mehr eineRolle spielt. Durch spezifische Mikrophonierung und Spieltechnik könnenklangliche Details des Instruments quasi vergrößert werden und trotzihrer natürlichen Subtilität eine enorme dynamische Präsenz erreichen.
Auchempfinde ich die Klanglichkeit der Elektronik weniger als aggressiv -zumindest nicht mehr als die des Live-Parts – als vielmehr häufig”kühl” und “distanziert”, vor allem was ihren Gebrauch in meinenStücken anbetrifft.
Ich bewege mich bewußt auf dem schmalen Grad vonakustischer und elektronisch manipulierter Musik. Die Samples, ausdenen das Tape modelliert wird, bestehen oftmals aus Maschinensoundsund Motorenklängen, die gewisse asymmetrische Loopeigenschaftenaufweisen. In der Live-Performance dringt das Instrument in dasvorgebene Klangmaterial ein, färbt und modelliert es, wobei dieMaschinen ihre vormals kühlen, gleichsam rohen Eigenschaften verlierenund im kompositorischen Prozeß wie auch in der jeweiligenAufführungssituation in eine quasi kontrapunktische Situation von Tapeund Live-Sound überführt werden.

Wie sehr unterscheiden sich die Aufführungen voneinander?

Eva Reiter: Das hängt natürlich völlig von der jeweiligen Komposition ab. In vielenFällen sind die Stücke – und das betrifft wiederum meine Kompositionen- äusserst streng konzipiert. Der Interpret wird durch dieerforderliche Präzision und das genaue Timing (zwischen Live-Part undTape) fast schon selbst in einen maschinellen Zustand versetzt. Abernatürlich sind Unterschiede zwischen den einzelnen Aufführungen immerzu erkennen – zum Glück! Ausserdem spielen die akustischenBegebenheiten – Saal und technisches Equipment – auch eine große Rolle.
Inanderen Stücken – dies betrifft bespielsweise Agostino di ScipiosVeille, Surveille für Elastic3 – ist das zeitliche Korsett etwasgelockert und die Re- und Interaktion der Spieler in daskompositorische Konzept integriert. Somit sind die Unterschiede dereinzelnen Aufführungen auch größer.

Neben diesenzeitaufwändigen Projekten gibt es dann aber auch noch dieAlte-Musik-Virtuosin. Sind beide Welten zu vereinen?

Eva Reiter: Ichstellte mir häufig die Frage, ob der Punkt einer Entscheidung durchdenimmer größer werdenden Arbeitsaufwand in beiden Bereichenunausweichlichsei. Ich sehe es aber momentan als sehr wichtigen Aspektmeiner Arbeitan, mich in beiden Welten bewegen zu können. Wenn man inbeiden Metiersbewegt, vergrößert sich natürlich auch derErfahrungshorizont. Ich habesozusagen geschärfte Sinne für diespezifischen Herausforderungen desjeweils anderen Stils, vor allemspieltechnisch. Es ist vielmehr so,dass sich beide Welten komplementärzueinander verhalten und sich nichtblockieren. Momentan lässt es sichalso noch gut vereinbaren, und ichhoffe, dass das auch so bleibt.
Icharbeite derzeit parallel aneinem Soloprogramm für 2007 und überlege,ob ich das ausschließlich miteigenen Stücken bestreiten soll.

Hat es auchPhasen gegeben, an denen Sie sich gefragt haben, ob dieserhohe Einsatzfür zwei Randinstrumente des Repertoires überhaupt lohnt?

Eva Reiter: Natürlichgab es immer wieder schwierige Zeiten, geprägt von Zweifelund eherbasalen Gedanken. Diese Krisen haben auch durchaus ihren Sinn.Sieführen mich immer wieder zu Phasen unglaublicher Energie, umunbedachtund konsequent meinen Weg zu gehen und meiner Inspiration undNeigung zufolgen. Es ist nicht leicht, aber im Grunde sehr einfach.Ich arbeitesehr viel und auch bisweilen mit übergroßer Genauigkeit. Esgibt da einesehr ausgeprägte Kontroll-Instanz in mir, und ichversuche,beispielsweise den Notentext einer Neukomposition so genauwie nurirgend möglich zu realisieren – obwohl jeder Text durchseineBeschränkung auf die reine Schriftlichkeit natürlich auch immernureinen Kompromiss darstellt. Aber die Anforderungen, die ich da anmichselbst stelle, sind schon sehr hoch.
Immer wieder geschehendannjene sehr speziellen Aufführungsmomente, in denen man weiss,allenHerausforderungen spontan gewachsen zu sein, sich selbst nichtmehr imWege zu stehen und sich der Musik hörend und reagierend hingebenzukönnen – ohne Anstrengung und gleichsam ganz “ausser sich”. FürdieseGlücksmomente bereite ich mich schließlich vor, dafür lohnt sichderAufwand.

Interview: Wolfgang Schaufler

Eva Reiter