„Etwas mehr Bereitschaft zur Utopie […] würde der Gesellschaft heutzutage […] guttun“ – FABIAN HOLZINGER (ABBY LEE TEE) im mica-Interview

Als Teil der Hip-Hop-Formation HINTERLAND war er bereits für den AMADEUS AUSTRIAN MUSIC AWARD nominiert. Mittlerweile sich hat der Linzer Musiker und DJ FABIAN HOLZINGER aka ABBY LEE TEE vorwiegend subtileren Sounds zugewandt. Als Ausgangsmaterial dienen dem rastlosen Musiker Field Recordings, die er im urbanen Raum, aber vor allem in der Natur sammelt. Das Taktile, Instinkthafte, das in seinen Sounds schlummert, erzählt von einer ursprünglichen Faszination für das Hören. Der akustische Mikrokosmos, den er beschreibt, oszilliert zwischen Realität und Fantasie. Geheimnisvoll akusmatisch und obskur sind die Klanglandschaften, die sich hier eröffnen. Klänge treten zueinander in Kommunikation, als wären sie Lebewesen. ABBY LEE TEE orientiert sich an der Wirklichkeit, um diese zu verfremden, und eröffnet auf diese Art fiktionale Welten, die uns seltsam vertraut erscheinen. Dass er seinen Recorder „Herbert“ immer dabeihat und neuerdings auch eine utopische Klangkulisse für einen Soundwalk durch Linz entworfen hat, erzählte er im Gespräch mit Shilla Strelka.

„[I]ch möchte keine dieser Facetten missen […]“

Du bist Musiker und DJ. Viele kennen dich vor allem als Producer der Hip-Hop-Formation Hinterland, deren Sound komplett anders ist als der deines Soloprojekts. Als Abby Lee Tee bist du in das Feld der experimentellen Elektronik abgetaucht. Wie geht sich dieser Spagat aus?

Abby Lee Tee: Ja, das ist natürlich durchaus ein Spagat. Für mich fühlt es sich aber recht natürlich an, in vielen verschiedenen Bereichen aktiv zu sein. In der Außenwahrnehmung führt dieses konstante Zwischen-den-Stühlen-Sitzen oder Herumrücken jedoch oft zu Verwirrungen: Die einen glauben immer noch, ich würde primär Hip-Hop-Beats produzieren, während andere annehmen, mich würde sowieso nichts anderes mehr interessieren als „Ambient und komische Geräusche“ [lacht].

Abby Lee Tee (c) System Jaquelinde

Im Grunde genommen gab es eine recht konstante Entwicklung zu immer eklektischeren Ausdrucksformen – ein stetiges Erweitern meines musikalischen Spektrums ohne großen Schnitt: Ich wurde mit Hip-Hop sozialisiert und arbeite bis heute mit Hinterland. 2007/2008 galt mein Interesse vermehrt instrumentaler und diverser elektronischer Musik, allen voran der „Beat Scene“, also Acts von Flying Lotus über Dimlite bis hin zu Dorian Concept und The Loud Minority. Mittlerweile liegt mein Fokus eindeutig auf experimentellerer Musik. Ich habe ein Faible für Field Recordings, aber ich möchte keine dieser Facetten missen und habe nach wie vor Spaß daran, auch längere DJ-Sets in Clubs zu spielen.

„Mit dem Gedanken, dass man mit dem „Beleben“ von Objekten auch Empathie trainiert, kann ich mich ganz gut anfreunden […]“

Dein neuester Release „Imaginary Friends“ (Czaszka Records)  folgt  der Idee, Objekten ein akustisches Zuhause zu geben. Auch habe ich das Gefühl, dass die Sounds in gewisser Hinsicht beseelt werden. Spielt Animismus eine Rolle in deiner musikalischen Auseinandersetzung?

Abby Lee Tee: Ja, das Thema verfolgt mich. Mein voriges Tape „Herbert‘s Archive“, das auf „Dinzu Artefacts“ erschienen ist, hat sich z. B. auf den Namen meines Tascam-Recorders und auch auf diverse Tiere bezogen. Insbesondere Fischotter und deren reale und imaginierte Umgebung tauchen in meinen Arbeiten immer wieder auf, wie z. B. auf „Riverside Burrows“. Hans Zulliger, der neben Jean Piaget den Begriff „Animismus“ im psychologischen Sinne maßgeblich geprägt hat, meinte einmal, man müsse sich von der Vorstellung verabschieden, dass Kinder spielen. Es sei viel eher so, dass Kuscheltiere, Puppen und all die anderen Objekte tatsächlich lebendig sind.

Mit dem Gedanken, dass man mit dem „Beleben“ von Objekten auch Empathie trainiert, kann ich mich ganz gut anfreunden, obwohl das eigentlich auch wieder eine ziemlich rationale Erklärung ist. Viele Leute belächeln das vielleicht, aber ich finde nichts Schlechtes im Kultivieren dieser kindlichen Eigenschaften, im Gegenteil: Ich empfinde das oft als überaus beglückend. Und etwas mehr Bereitschaft zur Utopie – und als nichts anderes empfinde ich diese Form von fantastischem Denken – würde der Gesellschaft heutzutage auch guttun.
Weitaus anerkannter in der Welt der Erwachsenen ist der Umgang mit Haustieren. Da gilt es fast als selbstverständlich, Freundschaften zu pflegen und ihnen Gefühle zuzuschreiben, die mit der Realität vielleicht gar nichts zu tun haben. Unsere Vorstellung der Gefühls- und Gedankenwelt von Tieren ist ja auch nur ein Spiegelbild unserer eigenen. Ihre tatsächlichen Gefühle und Gedanken werden wir vermutlich nie erfassen können.
Im Bezug auf diese leichte Tendenz zum Animismus in der Musik derzeit und bei mir habe ich mich allerdings auch schon gefragt, ob dem nicht bis zu einem gewissen Grad auch etwas Biedermeierhaftes zugrunde liegt. Der Rückzug ins Idyll und in das Reich des Fantastischen in Zeiten zunehmend autoritärer Tendenzen.

 „[Ich möchte] diese erlernte Abgrenzung zwischen Geräusch und Musik aufgeweicht sehen“

Die Tracks auf dem Album nennen sich „Simulacrum I-XIV“. „Simulacrum“ ist ja eigentlich ein Begriff aus der Medientheorie. Bei Roland Barthes heißt es, dass das Simulacrum etwas imitiert, also dekonstruiert und rekonstituiert, um eine dahinterliegende Wahrheit sichtbar zu machen. Würdest du deine Arbeitsweise auch so fassen? Möchtest du die Wirklichkeit anders erfahrbar machen und baust du Sounds auch synthetisch nach?

Abby Lee Tee: Ich interessiere mich bei Field Recordings, aber auch in der Instrumentalmusik für möglichst einzigartige Klangfarben und für nicht ganz zuordenbare Strukturen. Das habe ich als mein Spezialgebiet auserkoren, was natürlich auch gut zu den animistischen Ansätzen passt.
Gerade bei den letzten zwei Tapes habe ich primär versucht, Soundscapes und kleine melodische und rhythmische Figuren zu schaffen, bei denen man sich nie ganz sicher sein kann, welche Elemente nun tatsächliche oder zweckentfremdete Field Recordings oder komplett synthetisch erzeugte Sounds sind. Dieses Annähern und Ausloten der Pole Natur bzw. Geräusch und Musik bzw. Klangsynthese haben mich – in Kombination mit meiner zum Teil auf Aleatorik basierenden Arbeitsweise – auch schon bei meinem Album „by accident“ beschäftigt, wenn auch noch in einem viel klarer definierten musikalischen Kontext, was Instrumentierung und Arrangement betrifft. Aber schon allein das so zu beschreiben, ist irgendwie absurd, weil ich genau diese erlernte Abgrenzung zwischen Geräusch und Musik aufgeweicht sehen möchte.

Viele machen einen Unterschied zwischen Field Recordings und Found Sound. Ist deine Haltung beim Sammeln der Sounds eine eher aktive oder passive oder, anders, lässt du dich gerne überraschen oder gehst du mit einer konkreten Idee auf die Suche? 

Abby Lee Tee: Hm, nein, eigentlich mache ich bei der Definition hier keinen großen Unterschied. Ich wüsste einfach nicht, wo genau ich die Grenze ziehen würde. Natürlich gehe ich, v. a. im Zuge von Reisen und Ausflügen auch gezielter auf die Suche und nehme dementsprechend mehr Equipment mit. Ich trommle gern auf allerlei Dingen herum, aber ich inszeniere jetzt keine klanglichen Begebenheiten oder nehme mir vor, nur bestimmte Sachen aufzunehmen.
Grundsätzlich habe ich Field Recording einfach in meinen Alltag implementiert. Der vorhin erwähnte Tascam-Recorder namens Herbert ist wirklich immer dabei und die allermeisten Aufnahmen, die bei meinen Arbeiten zu hören sind, passieren zufällig, wenngleich ich dabei natürlich auch gern mit den gefundenen Objekten und Begebenheiten spiele. Allein die Auswahl des Equipments verfälscht das aufgenommene Klangereignis ja schon oft erheblich.

Abby Lee Tee (c) Archiv

Viele deiner Sounds spielen mit Ambiguität. Sie klingen z. B. zwar animalisch, aber so sicher ist es dann nicht, weil die Sounds zum Teil auch entfremdet wieder auftauchen. Da geht es stark um Mischverhältnisse. Ich habe mich z. B. an Trevor Wishart erinnert gefühlt, der ja auch von einem Originalklang ausgeht und uns an dem Transformationsprozess aktiv teilhaben lässt. Wie sieht das bei dir aus?

Abby Lee Tee: Grundsätzlich interessiere ich mich bei Musik für das Unerwartete. Nichts ist fader als Tracks, bei denen die Herkunft der verwendeten Sounds sofort klar ist oder ich mir nach drei Sekunden vorstellen kann, wie es weitergeht und sich keine überraschenden Momente mehr auftun. Diese prozesshaften Herangehensweisen wie bei Wishart finde ich zwar ungemein interessant, ich für meinen Teil mag es bei meinen Arbeiten aber gern, die Herkunft der Sounds im Dunkeln zu lassen. Ich habe wohl einen leichten Hang zur Mystifizierung. Wenn es heutzutage schon durchaus schwierig ist, gänzlich neuartige Klänge zu schaffen, so möchte ich die Aufmerksamkeit der Zuhörerinnen und Zuhörer doch zumindest ein wenig auf bisher nicht wahrgenommene Sounds und Kombinationen oder Ähnlichkeiten lenken. Dieses Bestreben hat natürlich schon viel mit Transformationen zu tun, auch wenn das Zurschaustellen des Prozesses oder technische Überlegungen bei mir eher keine Rolle spielen. Grundsätzlich tendiere ich dazu, mit möglichst einfachen Mitteln zu Ergebnissen zu gelangen, auch wenn das oft bedeutet, mehr Zeit mit dem Resamplen, mit simplen Fades oder Lautstärkenverhältnissen zu verbringen.

„Mir wurde da erst so richtig bewusst, in welch wahnwitziger Weise wir Menschen auch außerhalb großer Ballungsräume Unmengen an Lärm erzeugen.“

Abby Lee Tee (c) Frances Cat

Siehst du deine Arbeit eigentlich auch als nachhaltig, da du ja auch deine Umgebung archivierst? „Noise Pollution“, also Klangverschmutzung, ist ja immer wieder großes Thema, wenn es um Field Recordings geht. Wie nimmst du das wahr?

Abby Lee Tee: Natürlich denke ich ab und zu darüber nach, ob z. B. gewisse Tiere in ein paar Jahren überhaupt noch existieren und manche meiner Aufnahmen für Forscherinnen und Forscher dann interessant sein könnten. Andererseits hoffe ich, dass man in Zukunft grundsätzlich wieder mehr hört, wenn Autos und Flugzeuge nur mehr einen Bruchteil unserer Atemwege und Gehörgänge verpesten. Vorletztes Jahr im Spätsommer hatte ich mit System Jaquelinde eine Residency im Nationalpark Seewinkel. Den überfliegen praktisch im Minutentakt die Flugzeuge Richtung Flughafen Wien, während die angrenzenden Weinbäuerinnen und Weinbauern mit Selbstschussanlagen, Alarmanlagen und Pistolen mit Platzpatronen versuchen, Schwärme von Staren zu vertreiben. Mir wurde da erst so richtig bewusst, in welch wahnwitziger Weise wir Menschen auch außerhalb großer Ballungsräume Unmengen an Lärm erzeugen. Entgegen der Beschwichtigungen vieler dort Ansässiger kann ich mir nicht vorstellen, dass dies keine eklatanten Auswirkungen auf die Lebewesen dort hat. Das ist wohl ein Teufelskreis: Während die industrielle Entwicklung die Technik zur Archivierung all der genialen, der Natur entspringenden Sounds überhaupt erst möglich gemacht hat, zerstört sie diese gleichzeitig. Und macht damit wiederum das Verschwindende so interessant im Vergleich zu den unzähligen neuen Sounds der letzten 100 Jahre.

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Aber ja, natürlich denke ich über diese Dinge nach, meine Intention ist aber schon eine ganz klar Künstlerische. Würde ich jetzt einem besonders raren Tier begegnen, dessen Laute auf mich aber nicht interessant wirken würden, würde ich es wahrscheinlich auch nicht aufnehmen.

Viele Musikerinnen und Musiker, die mit Field Recordings arbeiten, haben eine spezielle Art, ihr Soundarchiv zu strukturieren. Wie sieht es bei dir aus?

Abby Lee Tee: Das ist leider viel zu wenig strukturiert [lacht]. Alle Files liegen in einem riesigen Ordner und sind dort mit ein, zwei Wörtern beschrieben und nach dem ungefähren Ort der Aufnahme sortiert. Für Projekte lege ich dann neue Ordner an und suche eine Auswahl passender Sounds aus dieser endlosen Liste zusammen. Ich versuche aber schon immer, alle Aufnahmen nur einmal zu verwenden. Nur ganz wenige und gut formbare Strukturen – wie das Tosen der Lower Yellowstone Falls, also einfach ein schönes Rauschen, benutze ich regelmäßig. Und einige perkussive Sounds, die ich öfter recycle, habe ich natürlich schon auch.

„Die Basis bildet also oft eine aleatorische Grundstruktur.”

Kannst du einen Einblick in deinen Arbeitsprozess geben?

Abby Lee Tee: Die Auswahl an Aufnahmen für ein Projekt lege ich oft einfach mal übereinander. Die Basis bildet also oft eine aleatorische Grundstruktur. Ich baue dann um kurze, zusammenpassende Passagen herum. Meine Arbeitsweise ist wohl etwas heuristisch und hat sich im Laufe der Jahre wenig verändert: ein ewiges Zerschnipseln, Verschieben und Verwurschteln von Audio-Files ohne große technische Raffinesse und mit verschwindend wenigen Plug-ins, also sehr collagenhaft. In Sachen Mischen und Mastern arbeite ich immer schon mit GC [Shash Rec., Lowa, Helahoop, Die Antwort, Markante Handlungen; Anm.] zusammen. Diese Bereiche auszulagern, aber trotzdem dabei sein zu können und viel Erfahrung in der Zusammenarbeit zu haben, ist sehr angenehm, nicht nur weil das sowieso wieder eine ganz eigene Wissenschaft darstellt, sondern auch weil ich sonst viele Dinge mangels Deadline wahrscheinlich nie abschließen könnte.

Wenn es um die Struktur deiner Stücke geht, hast du da eine filmische Szenerie im Hinterkopf? In gewisser Hinsicht habe ich als Hörerin das Bedürfnis, ein Narrativ ausfindig zu machen. Wie gelangst du zu deinen Kompositionen?

Abby Lee Tee: Ich muss gestehen, dass ich beim Produzieren nicht wirklich Bilder im Kopf habe, obwohl ich audiovisuelle Arbeiten ziemlich gern mache. Ich bin da doch ziemlich auf die auditive Ebene fixiert. Aber ja, in Sachen Arrangement zum Beispiel habe ich sicher eine an filmische Spannungsbögen erinnernde Vorliebe für eher kurze, teils ineinanderfließende Segmente. Ich glaube aber, dass das zum Teil auch ein Relikt meiner Sozialisation mit Hip-Hop ist, bei dem Mixtapes eine große Rolle spielten. Bei DJ-Sets und auch meinen Produktionen bin ich ziemlich auf Spannungsbögen fixiert, aber ohne spezifische Intentionen oder Muster dahinter. Das ist eine ziemlich subjektive Sache, die mehr auf Gefühlslagen und abstrakten Narrativen basiert. So sehr ich auch Unerwartetes suche, mag ich zum Beispiel selten jähe Brüche im Aufbau. Kurzum: Wenn man als Hörerin bzw. Hörer eigene, nicht ganz klar vorgegebene Vorstellungen dazu entwickeln kann, entspricht das im Grunde genommen genau meiner Intention.

Du bist derzeit in ein Projekt des Linzer theater.nyx* involviert. „über.morgen“ ist ein Soundwalk, der in ein utopisches Linz anno 2050 entführt. Was können wir uns darunter vorstellen? Und wie geht man an so ein Projekt heran?”

Abby Lee Tee: Via Kopfhörer von einer Stimme geleitet begibt man sich in kleinen Gruppen auf eine 80- bis 90-minütige Wanderung durch Linz. Dabei können die Teilnehmenden eine utopische Welt voller Fahrräder, Sonnensegel, offener Gesellschaften, Grundeinkommen oder auch ein der Menschenrechtserklärung beigefügten Recht auf Nichteffizienz erleben, aber auch Rückblicke auf den steinigen Weg dorthin und Beiträge von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. Die Texte stammen von Claudia Seigmann und Markus Zett – um diese herum habe ich das Sounddesign gebaut. Parallel dazu brauchten wir unzählige Testläufe, um das Timing möglichst genau hinzukriegen. Was natürlich schwierig ist, wenn während der Tests plötzlich Baustellen am Weg auftauchen und es insgesamt doch einige Variablen bei der Geschwindigkeit und den innerstädtischen Begebenheiten gibt. Deshalb war dieser Teil der Arbeit sicher der langwierigste. Das Strukturieren und Mitdenken aller Möglichkeiten gelingt uns mit diesem Erfahrungsschatz mittlerweile sicher schon besser. Die zweite Spielzeit startet übrigens am 5. Juni.

über.morgen (c) Reinhard Winkler

Du bist ja nicht nur als Musiker und Dj, sondern auch als Veranstalter der Reihe „The Future Sound“, die gerade eben ihr neunjähriges Jubiläum gefeiert hat, aktiver Teil der Linzer Kulturszene. Passiert viel in dieser Stadt?

Abby Lee Tee: Für die Größe tut sich hier durchaus viel und viel Verschiedenes, wenn auch natürlich alles in begrenzterem Rahmen als anderswo. Vor allem im Dunstkreis der freien Szene gibt es viele Kulturschaffende aus den verschiedensten Sparten, die sich fast alle kennen, sich gegenseitig beeinflussen und kooperieren. Bei nur einer Handvoll Locations in Sachen Clubkultur und all den Überschneidungen und gemeinsamen Interessen, macht jegliches Konkurrenzdenken auch einfach wenig Sinn, weil die meisten ohnehin gleich viel – also wenig, aber regelmäßig – spielen oder veranstalten und die Zahl der Terminkollisionen auch überschaubar ist. Linz generiert also durchaus viel gute Musik, interessante Veranstaltungen und Professionalität – mangeln tut es nur am Umfang des Publikums und der medialen Aufmerksamkeit.

Und wie sieht es mit den Räumen aus?

Abby Lee Tee: Neben den klassischeren, institutionalisierten Veranstaltungszentren haben wir zwar sehr wenige, aber gut gewachsene und v.a.. mit guten PAs ausgestattete Venues. Die Stadtwerkstatt – in der unsere “The Future Sound”-Veranstaltungsreihe oder auch “turn | table | tennis” beheimatet sind – besteht seit 1979, die Kapu seit 1984. In Sachen Clubkultur stellt auch das Solaris einen Fixpunkt dar, während kleinere Initiativen wie qujOchÖ, Raumschiff, Raumteiler oder BB15 experimentellere Nischen besetzen. Mit dem von Markus Reindl, Clemens Bauder und Julia Ransmayr im Rahmen der „Sinnesrausch“ Ausstellung des OÖ Kulturquartiers initiierten und kuratierten Club Unten wurde die Clubkultur-Landschaft für mich so ziemlich komplettiert. Dieser herausragend gut adaptierte Raum wurde für ein halbes Jahr, also zwischen 2017 und 2018 bespielt und hat so ziemlich all meine Erwartungen an einen Club erfüllt. Auch wenn, oder gerade weil dort nur mehr punktuell Veranstaltungen stattfinden, sollte man sich es nicht entgehen lassen, diesen Ort einmal zu erleben.

In den letzten Jahren hat die Szene ja massive finanzielle Einbußen erlebt, was im Streit um die Finanzierung des Landestheaters kulminiert hat. Wie nimmst du das wahr?

Abby Lee Tee: Ja, bei dieser Geschichte hat sich der Linzer Bürgermeister einmal weniger mit Ruhm bekleckert und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Landestheaters und des Brucknerorchesters zum Spielball eines entbehrlichen Geld- und Machtpokers mit dem Land gemacht. Für die freie Szene sind die finanziellen Einbußen schon länger spürbar: Von 2001 bis 2016 betrug der reale Wertverlust der Förderungen 37%, während die Ausgaben für die freie Szene ohnehin nur 1,1% des Kulturbudgets des Landes ausmachen. Vielen ist auch gar nicht bewusst, wie vielfältig und produktiv die freie Szene ist: diese besteht ja nicht nur aus Nischenprogramm. Auch eine Reihe an Programmkinos, Festivals und unverzichtbare Spielstätten, die sich alle gegenseitig befruchten sind Teil davon. Das wird alles getragen von ehrenamtlicher und prekärer Arbeit. Seitdem Oberösterreich nun schwarz-blau regiert wird, erhöht sich der Druck merklich – viele müssen lange auf bereits zugesagte Förderungen warten, während manchen feministischen Kulturinitiativen mit jahrzehntelanger Expertise die ohnehin dürftigen Förderungen gänzlich gestrichen wurden.

Gibt es in Oberösterreich denn vergleichbare Initiativen wie in Wien, wo die freie Szene eine Initative bzw. eigentlich gleich mehrere Initiativen gestartet hat, um sich zu solidarisieren, auf Missstände aufmerksam zu machen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen?

Ja, neben den vielen Kollaborationen, finde ich, dass die freie Szene in Oberösterreich – vielleicht aus der Not heraus – eine breite Solidarität untereinander auszeichnet. Dies manifestiert sich in Form der KUPF, einem sehr professionell agierenden und von mehr als 150 Vereinen getragenen Dachverband der Kulturinitiativen in Oberösterreich. KUPF betreibt nicht nur wichtige Lobbyarbeit, sondern bietet auch fundierte Beratungstätigkeiten und ein eigens entwickeltes Ticketing-System an.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Shilla Strelka

Termine:
Juni 2019
Mittwoch, 5., und Donnerstag, 6., jeweils 17:00 Uhr
Mittwoch, 12., Donnerstag, 13., Freitag, 14., Samstag, 15., jeweils 17:00 Uhr
Sonntag, 16., 12:00 und 17:00 Uhr
Freitag, 21., und Samstag, 22., jeweils 17:00 Uhr
Sonntag, 23., 12:00 und 17:00 Uhr
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