„ES WÜRDE MICH FREUEN, MEHR FACHLICHE AUFMERKSAMKEIT FÜR MEIN GITARRENSPIEL ZU BEKOMMEN“ – KATIE KERN IM MICA-INTERVIEW

9 deutschsprachige und 9 englischsprachige Lieder: Die Gitarristin und Singer-Songwriterin KATIE KERN veröffentlicht 2023 gleich zwei neue Alben. „Twilight“ und „Zwielicht“ erscheinen digital und auf einem USB-Stick, der in einer kleinen Karton-Schachtel verpackt ist. Jürgen Plank hat mit KATIE KERN über die sozialkritischen Themen in ihren Liedern ebenso gesprochen wie über die Position von Frauen in der österreichischen Musikszene. Kern erzählt zudem von ihrer Zeit in Nashville und von den Unterschieden zwischen der Musikszene hier und dort.

Wie kam es, dass gleichzeitig 2 neue Alben von dir erscheinen?

Katie Kern: Ich habe noch vor der Corona-Krise begonnen, neue Lieder aufzunehmen. Wegen Corona musste ich eine Zeitlang aufhören, Konzerte zu spielen. Ich habe mich aufs Land zurückgezogen und immer wieder neue Lieder geschrieben, die haben wir schrittweise aufgenommen. Bis am Schluss 18 Lieder fertig waren, das waren 9 in deutscher und 9 in englischer Sprache. Ich schreibe in der Sprache, nach der mir gerade ist. Außerdem kommt es immer auch auf das Thema an.

Die beiden Veröffentlichungen heißen „Twilight“ und „Zwielicht“, was steht für dich hinter diesen Titeln? Was ist aktuell im „Zwielicht“?

Katie Kern: Ich glaube, dass nicht nur ich, sondern dass viele Menschen das Gefühl haben, dass wir gerade kulturell und politisch an einem Scheideweg stehen. Es kann in eine gute, utopische Richtung gehen: dank der Automatisierung arbeiten alle weniger und wir haben eine gute Gemeinschaft mit anderen und verbringen mehr Zeit mit unseren Kindern und der Kunst. Oder es geht in eine dystopische Richtung: wir werden von Computern beherrscht und überwacht und haben keine Rechte mehr. Die meisten meiner neuen Lieder behandeln zeitgemäße, auch sozialpolitische Themen. Im Moment sind wir wirklich in einem kulturellen Zwielicht, zwischen Gemeinschaft, Liebe, Güte auf der einen Seite und Kapitalismus, Gier und Neid auf der anderen Seite. Ich glaube, es war noch nie so polarisiert wie jetzt.

Eines deiner deutschsprachigen Lieder behandelt das „Beislsterbm“ und ein weiteres, nämlich „Talent zum Leb’n“, referenziert auch auf das Beisl. Wofür steht das Beisl für dich?

Katie Kern: Wien hat eine Beislkultur, die lange zurück reicht, bis zur Kaffeehaus-Kultur. Alles, was von der Gemeinschaft behandelt werden musste, wurde früher im Kaffeehaus bzw. im Beisl abgehandelt. Deswegen sage ich in einer Liedzeile, dass das Beisl früher der Hauptwohnsitz der Volksdemokratie war. Wir hatten da eine Kultur des Zusammenkommens und des Gesprächs, im Beisl haben wir diskutiert und auch gestritten und sind aber immer wieder zusammengekommen. Das Beisl ist wie ein kleines Rathaus und diese Kultur zu erhalten, ist sehr wichtig.

Mit dem Beisl stirbt – dem folgend – auch ein Teil der Demokratie.

Katie Kern: Ja, denn wo sollten wir denn sonst zusammenkommen? Die Griechen hatten zum Zusammenkommen die Agora, einen Versammlungs- und Marktplatz und das haben wir zurzeit nicht mehr. Das Internet kann das meiner Meinung nach nicht ganz ersetzen.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Auf unserer Website stellen wir aktuell Frauen in der Musikszene und Mütter, die Musik machen, vor. Wie siehst du diesen Themenkomplex? Was wäre wünschenswert für weibliche Musiker:innen?

Katie Kern: Ich finde, dass Mütter in unserer Gesellschaft viel besser behandelt werden sollten, als das aktuell der Fall ist. Kindererziehung ist der wichtigste Job und er wird am wenigsten bezahlt und geehrt. Ich finde es besonders toll, wenn Mütter Musik spielen, weil das Kind dadurch auch eine Prägung bekommt und das sollte gefördert werden. Ich selbst bin keine Mutter, das habe ich wegen der Musik hintangestellt und ich bin nicht nur Singer-Songwriterin, sondern ich komme vom Gitarrenspiel. Ich habe auch eine Jazz-Ausbildung und das ist mein Baby.

Meine Erfahrung als Frau ist: Ich werde – und ich sage jetzt bewusst die männliche Form – als Gitarrist nicht gesehen. Es ist oft so, als würde ich das live nicht tun und die Leute beziehen sich auf den Gesang und die Lieder. Aber ich habe mein ganzes Leben lang als Gitarrist in verschiedensten Bands gespielt: von Rock, Blues und Jazz bis Pop und Country. Es ist schwierig, Jobs als Gitarrist zu bekommen, und wenn, dann sind es meistens Frauenbands. Ich finde, die Geschlechterpolarisierung in der Musikszene sehr unverständlich, denn als ich angefangen habe, gab es immer gemischte Bands und es sollte so sein, dass Männer und Frauen gemeinsam an Dingen arbeiten. Auch wenn man dem Prinzip des Yin und Yang folgt, ist das die beste Art der Zusammenarbeit. Es würde mich freuen, mehr fachliche Aufmerksamkeit für mein Gitarrenspiel zu bekommen.

Du warst immer wieder in Nashville und hast die dortige Musikszene als Musikerin erlebt. Gibt es dort diese Polarisierung in Bezug auf Männer und Frauen auch oder ist das in Nashville anders?

Katie Kern: Ich habe insofern schon eine Polarisierung bemerkt, als ich Polly Joe kennen gelernt habe. Sie ist eine wunderbare E-Gitarristin, die das Chicken-Picking toll beherrscht. Sie hat mir erzählt, dass sie aus einer Band geworfen wurde, weil sie zu dick ist. Das könnte typisch amerikanisch sein. Ich weiß nicht, ob das Männern auch passiert, aber das ist mir in Erinnerung geblieben. Meine eigenen Erfahrungen in Nashville sind: Du kannst gut spielen? Komm’ und spiel mit uns! Ich hatte dort drei bis vier Bands, durch meinen Akzent durfte ich nicht singen, aber Gitarre spielen durfte ich. Ich bin dort immer gleich in Bands hineingekommen und habe mitgespielt.

Inwiefern bildet die Streaming-Serie „Nashville“ die Musikszene dort authentisch ab? In der Serie läuft es meist so, dass ein Lied geschrieben wird, am nächsten Tag geht man damit ins Studio und am übernächsten Tag auf die Bühne.

Bild Katie Kern
Katie Kern (c) Dijana Idinger

Katie Kern: Als ich dort war, lief die Serie schon und die Musiker:innen haben sich das angeschaut, weil sie zum Teil selbst darin vorgekommen sind. Ja, die Szene dort ist sehr schnell, das ist schön beim Arbeiten. Ich habe viel mit Bob Saporiti gemacht und ich kann mich gut erinnern, dass er gesagt hat: „Wir schreiben das Lied, dann rufe ich ein paar Leute an und wir gehen ins Studio. Dann rufe ich ein paar Leute an und in der nächsten Woche kommt das Lied ins Radio – und dann schreiben wir das nächste Lied.“ Ich habe dort in verschiedenen Bands gespielt, aber nicht, weil ich fix engagiert war, sondern ich durfte einfach mitspielen, nach dem Motto: wir sind drei Gitarristen, aber mit vier Gitarristen ist es noch lustiger.

Alle müssen dort sehr hart arbeiten, aber da wird nicht mit dem Ellbogen gekämpft, sondern das ist eine Musikszene, in der man aufeinander schaut. Es ist eine Szene, die sich ständig durchmischt und so spielen auch Frauen mit Männern und der Ehrencodex besagt, nicht schlecht über andere Musiker:innen zu reden.

„Es geht auch darum, dass sich Frauen gegenseitig unterstützen“

Du warst bei der Band Viennese Ladies dabei, die gerade eine neue CD am Start hat. Ich würde dieses Kollektiv als Initiative zum Empowerment von Musikerinnen beschreiben.

Katie Kern: Wunderschön ausgedrückt. Genau das ist es und es ist auch eine fantastische Band mit fantastischen Musikerinnen. Sie haben auf der neuen Platte eigene Songs, die sehr viele Frauenthemen behandeln. Es geht auch darum, dass sich Frauen gegenseitig unterstützen. Claudia K., die das Projekt in die Wege geleitet hat, setzt da ein gutes Beispiel. Die Konzertreihe Frauenmusik vom Verein littledogtown ist ebenfalls eine wichtige Initiative zur Präsentation von weiblichen Songwriterinnen. Für Männer gibt es solche Initiativen nicht, weil Männer eh präsent sind und spielen und schreiben und in der österreichischen Musikszene an vorderster Front sind. Es braucht noch ein wenig Arbeit, bis Frauen da gleichziehen.

Deine beiden Alben bewegen sich musikalisch im Bereich Americana, Blues bzw. Singer-Songwriting. Wie ergibt sich das bei den einzelnen Liedern, etwa beim Stück „Da Blues“?

Katie Kern: Die Texte sind immer zuerst da, dann gibt es ein paar Akkorde und einen Groove. Und im Kopf höre ich dann schon, welchen Stil das Lied braucht. Ich habe als Gitarristin ja in vielen Stilen gearbeitet, auch im Bereich Jazz. Und jedes Lied hat sein eigenes Mäntelchen, seine eigene Stimmung. Den Text zu „Da Blues“ habe ich eines Nachts geschrieben und als ich am nächsten Tag aufgewacht bin, habe ich dazu passend einen langsamen Song im Stil von Ray Charles gehört. Da es so viele tolle Stile gibt, die ich gerne gelernt habe, wollte ich zeigen, wie viele Möglichkeiten es gibt, ein Lied in ein musikalisches Gewand zu kleiden. Das hat Riesenspaß gemacht und die Musiker.innen haben diese Vielfalt erst ermöglicht: Franz Haselsteiner mit seinem Akkordeon oder eine spanische Gitarre von André Blau sind dabei. Und eine 12-saitige Gitarre von Paul Reschenhofer, auch die Orgel von Philippine Duchateau, um nur einige zu nennen.

„Mein Lieblingsjob als Gitarristin ist es, einem Lied einen Sound zu geben“

Ein Lied auf dem Album „Zwielicht“ heißt „Das Mädchen im Getriebe“. Worum geht es dabei für dich?

Katie Kern: Das Lied behandelt ein Thema, das mich am meisten berührt: es kann nicht sein, dass ein Mensch sein ganzes Leben für einen unangenehmen Job hingibt. Da geht es nicht nur um die Angst, so etwas selbst zu müssen, sondern auch darum, das ständig in meiner Umgebung zu sehen. Ich finde zum Beispiel Computer-Kassen im Supermarkt gut, weil ich nicht will, dass jemand das für mich macht. Und ich möchte nicht, dass Menschen in Jobs gebunden sind, die ihnen die Ausübung von Kunst unmöglich machen. Ich habe „Das Mädchen im Getriebe“ geschrieben, damit wir alle darauf schauen: Machen wir das, was wir wirklich wollen? Da geht es auch um das Bewusstsein, dass dieses Leben extrem wertvoll ist.

Wenn nicht die Gitarre dein Instrument wäre: was würdest du gerne spielen können?

Katie Kern: Steel-Guitar und Violine. Beide Instrumente machen die menschliche Stimme gut nach. Ich mag Saiteninstrumente, weil die Saiten nicht starrsind. Die Steel-Guitar kommt jetzt auch immer mehr in die Popmusik und ist ein gutes Instrument, um einem Lied einen Sound zu geben, der mehr in Richtung Country oder Jazz geht. Sie ist im Sound dick und breit wie ein Piano. Mein Lieblingsjob als Gitarristin ist es, einem Lied einen Sound zu geben. Nicht so sehr ein Solo zu spielen. Die Violine hat für mich den tollsten Sound, den es gibt. Es ist für mich das schönste Instrument: die menschliche Stimme potenziert, auch von der Berührung und der Emotionalität her. Ich wünschte, ich hätte als Kind Violine gelernt.

Herzlichen Dank für das Interview.

Jürgen Plank

++++

Live:
Sa 25.3.2023: BBSV, Prater Hauptallee 2a, 1020 Wien, 19h
Do 27.4.2023: Louisiana Blues Pub, Prinz-Eugen-Straße 4, 1040 Wien, 20h

++++

Links:
Katie Kern
Lindo Music