„Es will raus!“ – HERBERT KÖNIGHOFER im mica-Interview

Der Saxofonist HERBERT KÖNIGHOFER ist BRIAN BRAIN – CLUB AUDIOPROVOCATEUR. Und BRIAN BRAIN spielt auf seinem Debütalbum „The Weapon Is Music“ nicht nur lieber Bassklarinette als Saxofon, sondern singt auch. HERBERT KÖNIGHOFER aka BRIAN sprach mit Markus Deisenberger über die wechselvolle Entstehung des Albums, Geisterschiffe und die Freiheit, die man nicht vorwegnehmen soll.

Das Album ist da, jetzt geht es an die Liveumsetzung. Wie liefen die ersten Konzerte?

Herbert Könighofer: Bis jetzt waren es erst zwei Konzerte. Ich habe erst einmal zwei Gigs probieren wollen, um zu sehen, wie sich das mit dem Singen anfühlt. Das ist ja eine völlig neue Spielwiese für mich. Man könnte schon hergehen und einfach probieren, aber für mich war das eine andere, neue Ausdrucksweise, und die will in Ruhe erprobt werden.

Dass Sie singen, ist aber nicht die einzige Premiere: Auch Bassklarinette spielen Sie zum ersten Mal auf einem Album. Und die Texte kommen ja auch zum Teil von Ihnen. Das sind eine ganze Menge Premieren …

Herbert Könighofer: Wenn man es so siehst, sitze ich gleich mit einem Lächeln da. Denn man muss ja sehen, dass das von Anfang an kein Projekt mit einer fixfertigen Band war.

Sondern?

Herbert Könighofer: Der Ursprungsgedanke war ein Duo mit Peter Kronreif. Er am Schlagzeug, ich am Sax. Aber um die Entstehungsgeschichte zu erzählen, muss ich etwas weiter ausholen: Man hat ja oft gute Neujahresvorsätze. Und 2014 war so ein Jahr, an dessen Anfang ich mir dachte, dass ich einfach einmal die Projekte, die ich teilweise über ein Jahrzehnt lang im Hinterkopf hatte, realisieren möchte. Ich wollte diese Gedanken oder Ideen nicht versacken lassen. Im Jänner 2014 traf ich dann Peter Kronreif und wir haben etwas geplant. Damals hatte ich schon Material ohne Ende. Die Idee war, dass wir gemeinsam ein Projekt einspielen, um es dann auf Festivals vorzustellen. Zuvor hatten wir schon jahrelang immer wieder davon geredet, dass wir endlich gemeinsam etwas machen müssten.

Und wann kam Courtney Jones an Bord?

Herbert Könighofer: Courtney Jones habe ich 2000 oder 2001 beim Jazzfest Wiesen getroffen. Wir saßen backstage zusammen und beschlossen, einmal etwas gemeinsam zu machen. Im besagten Jänner 2014 fasste ich mir dann ein Herz und rief ihn an. Ich erzählte ihm, dass ich neue Lieder in völlig neuem Style hätte. Und ich wollte von ihm Steeldrum, aber anders als üblich. Die Idee gefiel ihm. Bedauerlicherweise konnte er nicht so viel beitragen, wie mir lieb gewesen wäre, weil er 2015 unerwartet starb.
Im März ging ich dann gemeinsam mit Peter Kronreif ins Studio. Ein tolles Studio: Tebes. Aber genau zu dem Zeitpunkt, als wir aufnehmen wollten, gab es ein technisches Problem, ein Störgeräusch. Also habe ich Loops von mir eingespielt. Und das war der Ursprung von etwas völlig Neuem. Peter Kronreif hat die Takes in Weltklassemanier eingespielt. Und am Ende der Sessions hatte ich vier Nummern, die in eine ganz andere Richtung gingen. Mir war gleich klar, dass es nicht beim Duo bleiben werde.

„Wir haben das Pferd ja von der völlig falschen Seite aufgezäumt.“

Das heißt durch das Herumprobieren während einer Studiostörung hat sich etwas völlig Neues ergeben?

Herbert Könighofer: Genau. Ich habe es einfach zugelassen, weil ich so etwas sowieso spannend finde und weil das Projekt ja von Anfang an als Experiment angedacht war. Wir haben das Pferd ja von der völlig falschen Seite aufgezäumt: Es gab keine Band, sondern alles nahm seinen Anfang von einem Loop, über den der Schlagzeuger drüberspielte. Und vieles kam dann erst im Nachhinein dazu. Auch Kompositorisches wurde an das angegliedert, was Peter erspielt hatte – ein interessanter und für mich völlig neuer Zugang. Das improvisierte Duo, das wir vorgehabt hatten, ist es nicht geworden, sondern das Ganze hat auf einmal eine Struktur bekommen. Und ich habe mich an einem riesigen Pool an Songs und Arrangements, die ich in der Schublade hatte, bedient und zugelassen, was da so passiert ist.

Was genau meinen Sie mit „zugelassen“?

Herbert Könighofer: Dass ein anfänglich als Duo angedachtes Projekt immer größer geworden ist. Würde ich das als Duo präsentieren, wäre das einfach nicht glaubwürdig. Ich arbeite ja auch gerne mit einer Band. Mit fünf anderen Musikern auf der Bühne zu stehen, ist einfach etwas anderes, als zu einem Band zu spielen. Das ist eine viel spannendere Begegnung. Und dieses Projekt will gespielt werden. An die zehn Musiker waren an den Aufnahmen letztendlich beteiligt. Vom ursprünglichen Gedanken des Duos ist man da natürlich weit weggekommen.

Wie ging es dann weiter?

Bild Brian Brain
Brian Brain (c) Brian Brain

Herbert Könighofer: Die ersten Aufnahmen waren da, der Wechsel war vollzogen. Peter hatte die ersten Songs eingespielt und ist dann wieder nach New York zurück, wo er lebt.
Nach den vier, fünf Songs wollte auch ich eine Pause machen, ein halbes Jahr darüber nachdenken – natürlich auch, weil die finanziellen Möglichkeiten bei einem Start-up einfach begrenzt sind. Von Studioseite wurde mir aber dann ein Angebot gestellt, das ich nicht abschlagen konnte.
Ich würde mit meiner Musik seine Seele berühren, hieß es vom Studioboss. Wer kann da schon Nein sagen? Mittlerweile hat sich daraus eine Freundschaft entwickelt, auch weil man viel Zeit miteinander verbracht hat.

Wir sprechen von eineinhalb Jahren Produktionszeit.

Herbert Könighofer: Ja, aber eingespielt wurde das Ganze in drei Sessions mit Peter Kronreif. In Tagen gemessen waren es daher nicht mehr als bei anderen Produktionen dieser Art.

Aber das Projekt ist ja nicht nur von der Besetzung her gewachsen, es hat sich auch stilistisch stark gewandelt. Kronreif, Jones, Könighofer – das sind Jazzer. Aber das Album „The Weapon Is Music“ würde ich nicht unbedingt unter Jazz ins Regal stellen.

Herbert Könighofer: Aber muss es etwas mit Jazz zu tun haben?

Nein, aber wie kam es zum stilistischen Wandel?

Herbert Könighofer: Das ist mein erstes Soloprojekt. So kling ich halt, das ist die Summe. Es war für mich ja das erste Mal, dass ich eigenes Material einfach umgesetzt habe. Auch um zu wissen, ob meine handschriftlichen Aufzeichnungen umgesetzt auch so klingen, wie ich das ursprünglich wollte.

Und: Klingt es so, wie Sie wollten?

Herbert Könighofer: Ja. Ich war positiv überrascht.

Und klingt es eins zu eins so, wie Sie es wollten?

Herbert Könighofer: Nein, das geht nie. Kompromisse gibt es immer. In einer bestehenden Band kann man ganz gezielt auf Leute hinschreiben. Da fängt der erste Kompromiss an. Darin kann eine Stärke, aber auch eine Schwäche liegen. Das Gegenteil dessen ist es, zu versuchen, das umzusetzen, was man in seinem kleinen Kopf hört. Selbst da aber muss man auf andere hören, und man wäre auch dumm, würde man das nicht tun.

„Während es für mich eine Wohltat ist, löst es bei anderen Aggressionen aus.“

Aber einen gesunden Egoismus braucht man für solch ein Projekt auch, oder?

Herbert Könighofer: Ja, klar. Man muss sich auch immer in Fällen durchsetzen, wo man gar nicht dachte, dass es irgendwann notwendig sein würde. Reflexion macht es möglich, sich mit Dingen auseinanderzusetzen, die man sich nicht hätte träumen lassen. Es gibt ja auch Leute, die empfinden das, was ich als angenehm empfinde, als völlig schräg. Während es für mich eine Wohltat ist, löst es bei anderen Aggressionen aus.

Welchen Stellenwert wird das Projekt in Ihrem Schaffen einnehmen?

Herbert Könighofer: Es wird nicht, es hat schon einen. Zuerst einmal lässt es mich schmunzeln, dass ich singen und meine Stimme auch hören kann. Mit der eigenen Stimme ist es ja immer so eine Sache. Es macht mir unheimlich Spaß, mich auf der Bühne als Sänger auszudrücken. Das ist ein völlig anderes Erlebnis als am Saxofon. Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen: 2016/17 wird das Projekt schon ein wenig mein Leben bestimmen, denke ich.

Hatten Sie Lampenfieber, als Sie das erste Mal auf der Bühne zum Mikro griffen?

Herbert Könighofer: Nein. Ich war überrascht, wie einfach es ging. Da kam mir die Entspanntheit des bühnenerprobten Saxofonisten zugute. Wenn man nervös ist, wird es nichts. Aber es war schon auch eine merkwürdige Erfahrung: Früher war es halt so, dass ich, wenn der Sänger aufhörte, ein Solo oder einen Part im Bläsersatz spielte. Jetzt ist es umgekehrt.

„The Weapon Is Music“ ist ein sattes Album geworden. Wie setzt man das jetzt live um?

Herbert Könighofer: Erst einmal ist es eine Arbeit, Musik auf Papier zu bringen. Die technische Umsetzung ist eine ganz andere. Ein Problem ist: Die Kontrabassklarinette ist ein sehr leises Instrument, das Programm aber äußerst druckvoll. Das heißt, die Bassklarinette wurde mit vielen Mikros aufgenommen. Live muss man das erst umsetzen.
Aber um auf das poppige Klangbild zurückzukommen: Live ist das schon noch einmal eine andere Watsch’n. Es wird viel jazziger und experimenteller rüberkommen.
Es gibt Livearrangements, die nicht auf Platte sind. Ich wollte die Freiheit, die live passiert, nicht vorwegnehmen. Wenn eine Nummer fünf, sechs Minuten dauert, ist da eh schon eine ziemliche Distanz. Dass der poppige Sound schnell ins Noisige kippen kann, war für viele eine Überraschung.

In einer Review war zu lesen, die Stimme wäre gar nicht so im Vordergrund, sondern diene eher dem Gesamtkonzept. Das empfand ich nicht so.

Herbert Könighofer [lacht]: Ich auch nicht. Ist aber völlig in Ordnung, wenn das jemand so empfindet.

Die Texte haben ja auch eine Aussage, sind keine beliebigen.

Herbert Könighofer: Das Texten ist jetzt nicht unbedingt meine Stärke, deshalb kommen sie auch von verschiedenen Leuten: Harald Friedl von Blaumarod habe ich um Texte gebeten. Den zu „Beauty Lies“ etwa hat er geschrieben. Und Martina Könighofer hat Texte beigesteuert. Den zu „Petrovna“ zum Beispiel. Petrovna ist ein Geisterschiff, das immer wieder irgendwo auftaucht, in den Weltmeeren herumtreibt. Dann wurde es abgeschleppt, dabei riss das Seil. Und um 1900 gab es auch eine Schauspielerin mit diesem Namen, die ebenfalls verschwand. Diese beiden Geschichten vereint das Lied.

Jetzt machen Sie so lange Jazz. Spielte es bei Ihrem jetzigen Ausflug ins Noise/Pop/Rock-Fach auch eine Rolle, aus den gewohnten Bahnen auszubrechen, um andere, vielleicht mehr Leute zu erreichen? Oder ist Brian Brain die logische Fortsetzung der „Scheiß-drauf-Attitüde“, frei nach dem Motto: Ich mach, was ich machen will, und wem es gefällt, dem gefällt’s, wem nicht, dem eben nicht?

Herbert Könighofer: Eher Letzteres. Aber ich habe einfach so viele Ideen im Kopf, dass ein Leben wahrscheinlich zu kurz ist, um das alles umzusetzen. Ich würde ja auch wahnsinnig gerne orchestral arbeiten. Es stellt sich natürlich immer auch die Frage der Finanzierbarkeit und damit auch einer kommerziellen Umsetzung der Dinge. Aber ich habe mich noch nie in meinem Leben hingesetzt und überlegt, ob das, was ich schreibe, fürs Radio passen könnte. Ich muss das machen, was ich mache. Mir bleibt gar nichts anderes übrig. Es will raus. Und dann ist es da und es stellt sich die Frage: Was mache ich damit? Bei mir zu Hause gibt es einen ganzen Kasten voll Musik der verschiedensten Genres. Das alles will eigentlich raus in die Welt. Aber so ganz „Scheiß drauf“ ist es natürlich nie. Ich erwarte mir schon, dass Brian Brain einen gewissen Erfolg hat. Das Projekt wird mich die kommenden zwei Jahre sicherlich so beschäftigen, dass ich erfüllt bin. Und Erfüllung ist schon ein Lebensziel. Und ich will die Südhalbkugel bereisen, wenn das möglich ist. Mit Musik zu reisen, ist ja der rote Faden, der sich durch mein ganzes musikalisches Schaffen zieht.

Sie waren neulich auch in Kirgisien. Mit The Merry Poppins haben Sie schon in Ägypten, Russland und Korea gespielt. Wie lassen sich solche Reisen überhaupt finanzieren? Bleibt da am Ende eine schwarze Zahl?

Herbert Könighofer: Jein. In Kirgisien gibt es ein Jugendorchester, mit dem ich schon arbeiten durfte, und ein Jazzfestival. Die Idee war, dorthin zu fliegen, eine Woche lang etwas mit dem Orchester zu erarbeiten und das dann auf dem Jazzfestival gemeinsam zu präsentieren. Einerseits befriedigt mich so eine Arbeit menschlich, denn ich betrachte es als Kern meiner Aufgabe, mit jungen Leuten zu arbeiten. Aber auch finanziell geht es sich aus. Dass man mit solchen Tätigkeiten kein Millionär wird, ist aber auch klar. Die Zeit allerdings, die man dort verbringt, ist finanziert.

„Aber es ist schön und erfüllend und deshalb rentiert es sich.“

Aber es ist kompliziert, das Ganze so zu organisieren, dass es sich halbwegs ausgeht, oder?

Herbert Könighofer: Ja. Aber es ist schön und erfüllend und deshalb rentiert es sich. Da gibt es Leute aus dem Orchester, die waren damals, als wir das erste Mal zusammenarbeiteten, vierzehn, heute sind sie achtzehn Jahre alt und ich habe dank Facebook immer noch Kontakt zu ihnen. Ich habe also nicht nur eine schöne Zeit verbracht, sondern es entstanden auch musikalische Beziehungen. Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen: Natürlich arbeitet man immer auch am Kommerziellen, man will ja Leute mit seiner Musik erreichen. Wie sich das Album jetzt verkaufen wird, steht noch in den Sternen. Klar ist aber auch, dass ich eine Tür aufgestoßen habe, die ich nie zuvor aufgemacht hatte. Was gibt es Spannenderes?
Das ist auch ein Ziel: Wenn ich etwas neues Musikalisches mache, soll es möglichst nicht an altes anschließen: Blaumarod hatte nichts mit K3 zu tun, The Merry Poppins nichts mit K3, und Brian Brain nichts mit The Merry Poppins. Weder inhaltlich noch musikalisch oder von der Intention her.

Werden Sie auch die anderen Projekte weiterführen?

Herbert Könighofer: Die letzten zwanzig Jahre habe ich als Sideman verbracht. Manche Jobs werden bleiben, andere nicht. Aber mein Herz schlägt einstweilen einmal für Brian Brain.

Vielen Dank für das Gespräch!

Markus Deisenberger

Link:
Brian Brain – club audioprovocateur (Facebook)