„Es war mein bisher außergewöhnlichstes und intensivstes Musikprojekt“ – GERALD PEKLAR im mica-Interview

Mit „Little Grande (Weird Trip)“ hat der Salzburger Elektronikmusiker GERALD PEKLAR nach dem auch schon hoch gelobten und massig auf FM4 gespielten Projekt ELLI UDA zusammen mit der englischen Sängerin INDIA eine der wohl derzeit spannendsten Electronic-Platten produziert. Veröffentlicht auf dem eigenen Label „REFLEX Recordings“ präsentiert das Duo GERALD PEKLAR FEAT. INDIA hypnotisch verwunschene Tracks, die einen nicht nur zum Tanzen animieren, sondern auch gleich wieder zu Dauerbrennern auf FM4 geworden sind. Didi Neidhart hat sich mit GERALD PEKLAR unterhalten.

Laut Presseinfo habt ihr einander im Heizkeller, dem Clubraum des Salzburger Electronic-Kollektivs Freakadelle, kennengelernt. Wie kam es dazu und wie ist dann die Idee zum gemeinsamen Arbeiten entstanden?

Gerald Peklar: Ja, genau. Das war Anfang November 2018 bei der Heizkellerei, also der Clubnacht unseres Vereins Freakadelle. India war erstmals hier, sichtlich angetan und glücklich direkt vor der PA, also den mächtigen Clubboxen, tanzend. Fast als wäre sie gerade aus einer anderen Welt herausgefallen. Das war sie ja irgendwie auch, wie sich nach den ersten Sätzen nicht verbergen hat lassen.

Mit unfassbar lasziver Stimme und einem extremen Londoner Stadtdialekt hat sie mich gefragt, ob ich den Club bzw. die Leute hier kenne. Nachdem ich ihr ein wenig über unseren Club erzählt hatte, unter anderem auch, dass wir nicht nur Techno-Party, sondern vor allem unsere Musik hier im Studio – einem Raum hinter der Bar – machen und rausbringen, hat sie gemeint, dass sie Texte schreibt und gern mal damit ins Studio kommen würde.

Sie hat mir dann ihre E-Mail-Adresse auf einen Zettel geschrieben, den ich natürlich – vor lauter Vorfreude – nie mehr wiedergefunden habe. Ich habe dann aber über ihren Vornamen India, der mir so noch nie untergekommen war, ihr Facebook-Profil gefunden und sie hat tatsächlich aus London zurückgeschrieben.

Sie will jetzt nach ihrem Kunst- und Designstudium am The Henley College in Oxon im Jänner wieder nach Salzburg zurückkommen und an der SEAD Tanz studieren. Da haben wir uns für Ende Jänner ein paar Studiotage ausgemacht.

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India lebt in London, du in Salzburg. Wie habt ihr an den Songs gearbeitet? Gemeinsam via Skype oder habt ihr Files verschickt?

Gerald Peklar: India war die Hälfte der Zeit in Salzburg. Wir haben weder geskypt noch Files verschickt, außer ein paar von meinen jüngeren Projekten, damit sie sich die mal anhören konnte.

Jedenfalls haben wir uns im Jänner 2019 in Salzburg im Plattenladen Minerva getroffen, wo sie mir Texte und Zeichnungen – beides war extrem abgefahren – aus kleinen Zeichenblocks und Büchleins gezeigt hat. Mich haben die Zeichnungen mehr geflasht als die Texte, weil da natürlich auch kein Sprachvermögenskontextverlust da war.

Aber mir sind die Texte, soweit ich sie verstanden habe, ziemlich zynisch und eher hart vorgekommen, also nicht gerade romantisch …

Eigentlich hat mich alles an ihr ziemlich geflasht, auch ihr Outfit, weil sie alles selber aus alter Kleidung und alten Stoffen macht. Dass sie in England Kunst und Design studiert bzw. studiert hat, habe ich auch erst später auf Facebook gelesen.

Ich habe ihr danach ein paar mehr und ein paar weniger fertige Sachen von mir geschickt. Zum einen, um zu zeigen, was ich so mache und an was ich grad arbeite, und zum anderen, um herauszufinden, was ihr mehr gefällt und was weniger. Wir haben uns dann noch im Studio unsere Lieblingsmusik vorgespielt und da war dann klar, dass alles doch ein bisschen abgefahrener und schräger werden soll.

Dass es dann aber so viel Gesang anstatt des vorher geplanten Gesprochenen geworden ist, war den improvisierten Hooklines zum späteren Track „Crossword“ geschuldet. Aber alle Stimmaufnahmen sind hier in Salzburg in meinem BlackGraben Studio gemacht worden.

„Ich war dermaßen hin und weg von den Gesangslinien einerseits und ihrer Stimme und Selbstverständlichkeit andererseits […]“

Das Album hat bei aller Variabilität schon eine sehr stringente Note. Das heißt, die einzelnen Tracks erscheinen weniger als Ansammlung von irgendwann mal gemachten Nummern, sondern geradezu als klassische Albumtracks. War das eine bewusste Entscheidung oder hat sich das quasi von selbst ergeben? Immerhin ist das traditionelle Albumformat ja eher im Verschwinden.

Gerald Peklar: Es waren, wie gesagt, gar kein Album und auch kein Gesang geplant. Wir wollten nur ihre gesprochenen Texte im Studio aufnehmen. Ich sollte dann eher experimentelles, analoges Sounddesign drübermachen.

Aber da sie dann beim Einsprechen lieber doch über Hintergrundmusik aufnehmen wollte, habe ich fertige Tracks von mir hintereinander im Loop laufen lassen und sie hat am ersten Aufnahmetag über zwei Stunden aus ihrem Büchlein gelesen. Als dann ihr Text früher aus war als die Musik, hat sie auf einmal angefangen, frei improvisiert zu singen. Das war übrigens beim Track „Crossword“. Ich war dermaßen hin und weg von den Gesangslinien einerseits und ihrer Stimme und Selbstverständlichkeit andererseits, dass für mich klar war: „India-Album mit so viel Gesang wie geht“.

Was war früher da: die Lyrics oder die Musik?

Gerald Peklar: Die Lyrics, außer bei „Crossword“ und zum Teil bei „Who Are You To Shout“. Vielleicht waren ein paar Songskizzen von mir zum Teil auch ein paar Monate älter, aber es wurde auf jeden Fall getrennt voneinander gemacht.

Gehst du bei den Songs zuerst von gewissen musikalischen Strukturen aus und suchst dann die passenden Sounds dazu oder führen dich gewisse Sounds mehr oder weniger zwangsläufig zu gewissen Pattern und Melodien, aus denen sich dann die jeweiligen Songs entwickeln?

Gerald Peklar: Entweder ich sitze im Wohnzimmer am Piano und klimpere so rum oder tüftle an unvergesslichen, die Welt verbessernden neuen Chordfolgen oder sonstigen Weltmelodien …

Nein, ohne Scherz: Ich komponiere gern und hoffentlich täglich am E-Piano und summe dazu die späteren Pilotstimmen, die ich in diesem Fall India aber nie vorgespielt habe. Später – heißt: frühabends – und dann meist im Studio. Da spiele ich überwiegend mit meinem allerersten und liebsten Synthesizer Juno 6 von Roland. Da dieser gottlob kein Midi besitzt, spiele ich also alles Realtime ein, d. h. nicht quantisiert. Darum klingt sehr viel bei mir so loose. Liegt also weniger am Beat, also den Drums, die sind vielleicht mit ein bisschen mehr Swing als nur gerade quantisiert und programmiert.

Wenn ich aber gleich im Studio anfange, dann ist meist der Groove, also alles Perkussive plus Bass, die Basis. Zum Beispiel bei „The Air Of Circumstance“ und auch bei „Fly Away“ mit dieser altbackenen Disco-Baseline.

Bild India
Bild (c) India

„Erst nach dem x-ten Mix und hoffentlich vor der Veröffentlichung bemerke ich oft, dass der erste Mix der beste war.“

Schraubst du eigentlich lange an deinen Sounds rum?

Gerald Peklar: Ja, viel zu lange und vor allem endlos an den verschiedenen Mixdowns und Versionen. Das können dann schon mal über fünfzig Mixes sein.

Das ist der Part am Musikmachen, den ich gar nicht mag, der aber die meiste Zeit und Energie saugt. Aber der gelernte oder zumindest versierte Tontechniker sitzt halt leider heutzutage immer weniger oder gar nicht mehr im Studio und schon gar nicht in meinem.

Alles sollte man inzwischen allein beherrschen, was ich einfach bei Weitem nicht tue. Und wenn der persönliche Anspruch immer größer als die persönlichen Fähigkeiten ist, dann reicht der erste Mix gefühlt immer seltener. Erst nach dem x-ten Mix und hoffentlich vor der Veröffentlichung bemerke ich oft, dass der erste Mix der beste war.

Jetzt hat diese Art von elektronischer Musik ja auch schon ein paar Jahrzehnte am Buckel. Gerade ein Track wie „Fly Away“ erinnert mich z. B. auch stark an Sachen von Anne Clark aus den frühen 1980er-Jahren, ohne dabei jedoch in die Retrofalle zu tappen. Wie schafft man es, sich in eine gewisse Tradition einzuschreiben, ohne dabei hoffnungslos nostalgisch zu klingen?

Gerald Peklar: Tja, die Zeit des Wurzeln-Leugnens ist hoffentlich vorbei. Die waren bei mir neben klassischen Orchesterkonzerten – meist als Paukist übrigens – und meinen Piano-Solosachen halt Musikerinnen und Musiker wie Elvis Presley, Pink Floyd, David Bowie (mein einziges Idol), Abba, Bee Gees, Queen, ELO, danach Depeche Mode, aber auch Falco und die üblichen Verdächtigen, letztlich dann doch eher die Fraktion Synthesizer und Elektronik.

Aber mit meinem ersten Anne-Clark-Konzert damals im Schlachthof München und spätestens mit meinem ersten Kraftwerk-Konzert 1981 im Salzburger Kongresshaus war‘s dann auch vorbei mit Klassik und Mozarteum. Ich bin als Rookie dann nach den ersten Studioaufnahmen mit meiner damaligen Band Isis Noreia eigentlich beim Songschreiben und Musikmachen mit Juno 6, TR-606, Bandmaschine und Mikrofon hängengeblieben.

Würdest du mir zustimmen, wenn ich das Stimmungspanorama des Albums als großteils zwischen verwunschen und verloren und zwischen verträumt und unheimlich beschreiben würde?

Gerald Peklar: Absolut! Es ist und war alles das. Es war zudem mein bisher außergewöhnlichstes und intensivstes Musikprojekt, vor allem auch gefühlsmäßig mit allen Höhen und Tiefen. Gerade mit India war es mehr als nur einmal Himmel bis Hölle und zurück.

Was bei India auffällt, ist, dass ihre Stimme jazzy klingt, aber nicht im Sinne von Jazz-Vocals, sondern eher auf eine gewisse Stimmung bzw. Attitüde verweisend, die eher an klassisches Crooning erinnert – was ja auch ein Merkmal von Amy Winehouse war – denn an Vokalakrobatik. Wie sehr hat das die Musik geprägt?

Gerald Peklar: Mehr als unheimlich, dass du von Amy-Merkmalen sprichst. Leider kann ich dazu nicht mehr verraten. Aber ja, India hat wirklich alles – und das nicht nur in ihrer Stimme. Sie ist das außergewöhnlichste, verzauberndste und verhexteste Wesen, mit dem ich je zu tun hatte. Eben „Little Grande“ und weird.

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Mit „Don‘t Fall“ gab es Ende 2019 noch einem veritablen FM4-Hit. War das überraschend?

Gerald Peklar: Für mich war sogar unsere erste Single „Fly Away“ schon eine FM4-Überraschung und „Don‘t Fall“ eine noch größere, weil sie noch weniger von den normalen Kriterien eines Radiotitels hat. Das ist übrigens der einzige Track, der im Nachhinein über Indias Vocals komponiert und eingespielt worden ist. Vielleicht klingt der Track deshalb so anders.

Das Album erscheint ja nicht nur als Download, sondern auch in einer Vinyl-Version auf dem eigenen Label „REFLEX Recordings“. Jetzt gibt es aber schon erste Acts – auch in Salzburg –, die neben Downloads und Stream auch noch USB-Sticks anbieten. Wieso immer noch Vinyl?

Gerald Peklar: Weil wir es lieber mögen und manche Alben einfach auch auf Vinyl gehören. Und weil wir von Freakadelle einfach alle lieber Platten spielen, aber womöglich auch ein bisschen wegen Jürgen und Irenes Minerva-Plattenladen.

Das Cover ist ja von Andi Fränzl, der früher bei Bauchklang war, grafisch gestaltet worden. Wie kam es zu diesem Kontakt?

Gerald Peklar: Bauchklang war einer unserer größten und außergewöhnlichsten Live-Acts, die wir in unserem damaligen Vereinslokal, den Loft Kavernen, hatten. Ich glaube es war 2003..

Wir vom TribeClub haben damals für die Loft-CD-Compilation „homegrown“ den Track „sunshine“ von Bauchklang bekommen. Andi war damals schon mit einem unserer DJs befreundet und dann haben wir uns eh alle in Andi verliebt, und das ist wohl bis heute so geblieben.

Letzten Sommer auf dem Lames Sonnenpark Festival in St. Pölten habe ich dann sowohl Andi mit seinen so genialen und eben auch passend minimalen Zeichnungen für das Cover als auch Patrick Pulsinger für einen India-Mix auf der „RE- & MIXES“, also der LP 2, begeistern oder zumindest überreden können. Patricks treibend acidlastiger und wunderbar voodoohafter Remix von „Who Are You To Shout“ wird als Single zusätzlich auch in einer Radioversion rauskommen.

„Mein Wunsch, das Ganze auch als Doppel-Vinyl – meine erste und wohl auch einzige – zu releasen, hat sich somit auch noch erfüllt.“

Neben dem regulären Release wird es also auch ein zusätzliches Remix-Album geben. Wie kam es zu dieser Idee und wer wird da aller vertreten sein?

Gerald Peklar: Nachdem das Feedback unserer Freakadelle-Produzenten so positiv war und jeder einen eigenen Mix oder Remix machen wollte, ist das dann ziemlich auf der Hand gelegen. Mein Wunsch, das Ganze auch als Doppel-Vinyl – meine erste und wohl auch einzige – zu releasen, hat sich somit auch noch erfüllt. Und zwar mit allen mir liebsten und talentiertesten Musikmachern aus meinem Freakadelle-Umfeld, wie Pawa, Mad Rider, markmechanik, Jürgen Vonbank, Karafiat, mike_myrs, unknown.source, rochus und eben Patrick Pulsinger. Aber es wird auch als eigenes Album mit neun Tracks von neun Produzenten, davon sechs auf der Vinyl rauskommen. Veröffentlicht soll es Ende März werden.

Gab es für all das eigentlich Förderungen?

Gerald Peklar: Ja, erstmals habe ich beim SKE-Fond um Förderungen angesucht und auch glatt welche bekommen. Zumindest die Hälfte der Fremdkosten sind damit gedeckt, was in dem Fall doch ziemlich viel war.

Wird es Live-Auftritte von euch geben?

Gerald Peklar: Na ja … Wir sind doch eher die Produzenten, Autoren und Im-Studio-Sessioner und weniger die Performer. Bei uns ist Live-Spielen in neun von zehn Fällen das Auflegen unserer Produktionen am Floor bzw. das Integrieren in unsere DJ-Sets. Aber bei und mit India weiß man definitiv nie, was kommt. Momentan hat sie sich anscheinend wirklich für ein Leben auf der Straße und dem Containern entschieden – und damit gegen die Bühne. Sie lebt jetzt gerade mit ihrer neuen Liebe in Wien.

„Gerald, I don‘t wanna be an artist“, war eine ihrer oft unglaublichen Aussagen. Aber bei einem kürzlichen Electro-Punk-Live-Act im Salzburger SubSalon war sie dann – im nicht ganz nüchternen Zustand – doch die Erste, die mich nach dem Mikrofon zum sofortigen Mitjammen fragte. Und das Ganze noch dazu als Junge verkleidet, der sie ab jetzt sein möchte. Sie hätte jedenfalls alles dafür, auch für die ganz große Bühne.

Und ja, wir und vor allem unsere jungen Musikanten wären sofort Feuer und Flamme für Live-Sessions mit India. Wäre auf jeden Fall ein weiterer verdammter weird trip mit Little Grande India.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Didi Neidhart

Links:
Reflex Recordings (bandcamp) / Little Grande (Weird Trip)
Reflex Recordings (bandcamp) / Re&MIXes (Freakadellen & guests)
Reflex Recordings (Facebook)
Freakadelle