“Es kratzt und rauscht hie und da” – JÜRGEN VONBANK im mica-Interview

Mit „Trial & Eros“ (Night Defined Recordings NDR007) legt einer der umtriebigsten Salzburger Elektronik-Musiker eine Sammlung extrem einnehmender Electronic-Tracks vor, die sich zudem wohltuend vom überproduzierten Blockbuster-Sound aktueller Electronic-Musik unterscheidet. JÜRGEN VONBANK, seines Zeichens ja auch Mitbetreiber des Salzburger Plattenladens „Minerva Records“ und Mitglied des Electronic-Kollektivs FREAKADELLE/FREAKSOUND, besticht hierbei nicht nur durch entschleunigte Grooves, sondern auch durch gewisse Old-School-Praktiken, die vor allem beim Techno immer wieder für neue Impulse sorgen. Anderes gesagt: Hier wurde vieles im Rahmen von Live-Jams eingespielt und nachträglich nur geringfügig bearbeitet. Das tat nicht nur dem Aspekt Zufall gut, sondern führte im Endeffekt auch zu Tracks, bei denen sich Electronica und Intimität ebenso wenig ausschließen wie Stringenz und Emotion. Didi Neidhart sprach mit JÜRGEN VONBANK.

„Trial & Eros“ spielt sich einerseits mit dem Topos „musikalischer freudscher Versprecher“, andererseits geht es auch um die Schönheit des Zufalls. Das ist ja spätestens seit der Digitalisierung gerade in der elektronischen Musik ein Thema, das immer wieder aufgegriffen wird, auch um den Zwängen des vollkontrollierten Digitalen zu entkommen. War diese Art der Dialektik des Elektronischen, wo Digitales und Analoges auch nicht simpel gegeneinander ausgespielt werden, auch für Sie ein Impuls, es diesmal eben mit „Zufällen“ zu probieren?

Jürgen Vonbank: Das ist bei mir eher eine grundsätzliche und intuitive Arbeitsweise. Wenn ich quasi darauf warten würde, bis der Zufall passieren würde, wäre es nach meinem Verständnis ja auch kein Zufall mehr. Es geht schlicht mehr darum, das Unerwartete einzufangen und in einen neuen Kontext zu heben, sofern es der Musik dienlich ist.

Mal abseits vom Haptischen und Nostalgischen: Worin bestehen die Reize, sich mit den Artefakten der analogen Geräte einzulassen bzw. was wird dadurch möglich, was mit digitalen Tools nicht geht?

Jürgen Vonbank: Analoge Geräte sind irgendwie auch menschlicher. Da entwickelt sich mal eine Modulation ganz anders als geplant oder es kratzt und rauscht hie und da. Das kann inspirierend sein. Persönlich mag ich die Klangfarben und all die Obertöne, die dadurch zustande kommen können, einfach sehr. Natürlich gibt es auch digital wunderbare Möglichkeiten, Klänge zu erschaffen. Mir klingt das aber meistens zu glatt und zu clean bzw. fehlt es an der Tiefe.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Im Zusammenhang mit „Trial & Eros“ sprechen Sie auch vom „Mut zur Emotion“ und viele Tracks verbreiten dann ja auch eine regelrecht intime Atmosphäre. Jetzt wird elektronische Musik ja vielfach immer noch klischeehaft als kalt rezipiert. Als eben nicht komponiert und dann in Echtzeit per Hand eingespielt, sondern als quasi kühl programmiert. Kann es aber auch nicht so sein, dass elektronisch generierte Musik auf einer anderen Klaviatur der Gefühle spielt, als, sagen wir mal, herkömmliche Rock- und Pop-Musik?

Jürgen Vonbank: Auf dem Album sind einige Tracks frei eingespielt – damit habe ich mich bewusst aus der oft vielleicht als kühl rezipierten Programmierung gelöst. Auch auf mich wirken viele elektronische Produktionen oft sehr generisch und ohne Seele. Gerade Techno steckt hier meiner Meinung nach – bis auf ein paar Ausnahmen – seit vielen Jahren in einer Sackgasse. Die Tracks sind allesamt sehr persönlich und ich denke, das hört man auch. Ob und wie das jemand anderen dann schließlich berührt, hängt ja immer meist von vielen Faktoren ab.

Bei Tracks wie „Lossless Lost“ fällt auf, wie melancholische Synthesizer-Melodien, die sich modulierend jedoch auch in etwas mitunter gar nicht so Harmloses zu transformieren scheinen, und ultrahektische „Nerv“-Hi-Hats gleichzeitig quasi um die Aufmerksamkeit der Hörerinnen und Hörer kämpfen. Gleichzeitig entsteht dadurch auch der Eindruck, dass man es hierbei mit einer Art imaginärer Filmmusik, z. B. einer Verfolgungsjagd, zu tun zu hat. Ist solch ein Zusammentreffen unterschiedlicher Signaturen der Schönheit des Zufalls geschuldet oder steckt da dann doch noch mehr dahinter?

Jürgen Vonbank: Also wenn hier etwas hektisch und nervend wirkt, dann muss ich mich schon fast dafür entschuldigen, denn das ist definitiv nicht das Ziel dieses Albums!
Im Gegenteil: Meiner Meinung nach üben sich die Tracks allesamt eher in Zurückhaltung. In einer Zeit, in der jede und jeder versucht, lauter zu schreien als die bzw. der andere, möchte ich nicht auch noch um jeden Preis um Aufmerksamkeit heischen.
Wie es zu dem angesprochenen Track kam, kann ich gar nicht mehr genau sagen, da es einer der ältesten auf dem Album ist. In der Regel sind es aber immer eher intuitive Handlungen, die dann bestenfalls im Flow zum Ganzen führen. Sobald man überlegt, welches Element nun als nächstes hinzukommen muss, ist der Track doch eigentlich schon zum Scheitern verurteilt.

Albumcover: "Trials & Eros"
Albumcover: “Trials & Eros”

Auch „dstrbdsolo“ klingt wie zwei oder mehrere Tracks, die aus unterschiedlichen Zimmern bzw. Räumen erklingen und sich dennoch zu einem Ganzen zusammenmorphen, ohne dabei gänzlich zu verschmelzen. Ist das ein rein stilistisches Element bzw. Merkmal oder steckt da mehr dahinter? Hyperbeschleunigt kennen wir solches ja u. a. auch von Genres wie Footwork und Juke.

Jürgen Vonbank: Reines Stilmittel. Ich lasse gerne am Sequenzer produzierte Patterns auf verschiedenen Instrumenten ineinanderlaufen. Dadurch entsteht etwas Neues und man läuft auch nicht immer Gefahr, den ganzen Fokus auf die eine besondere Spur oder Melodie zu legen, die den Track dann ausmachen soll. Letzteres funktioniert in meinem Fall meist eher schlecht.

Welches Equipment wurde eigentlich verwendet und gab es da vielleicht zuvor schon auch konzeptuelle Überlegungen, was verwendet wird und was nicht?

Jürgen Vonbank: Es war klar, dass Melodie und Harmonie eine große Rolle spielen sollen, daher lag der Einsatz von Synthesizern wie dem Roland Juno 106 und Roland Jx3p auf der Hand. Weiters waren noch Drum Machines von Roland und Jomox, ein Bass-Synthesizer von Novation, eine MPC, einige Field Recordings sowie Effektgeräte und Step-Sequenzer im Einsatz. Das Mischen erfolgte dann am Computer.

Wenn Sie mit einem Track beginnen, geben da die Maschinen vor, wohin es schlussendlich gehen wird, oder gibt es vorher schon konzeptuelle Überlegungen?

Jürgen Vonbank: Die Vorgehensweise ist oft sehr unterschiedlich, was mir aber auch wichtig ist. Ich denke, unterschiedliche Workflows begünstigen frischen Output. Aber eine Grundidee oder zumindest Emotion gibt es eigentlich meist als Ausgangspunkt, da dies schon sehr hilft, zu einem Ergebnis zu kommen. Beim Jammen entsteht für mich eigentlich eher selten etwas Zufriedenstellendes.

Als ein Charakteristikum von Pop- und elektronischer Musik gibt der deutsche Poptheoretiker Diedrich Diederichsen „Totem-Sounds“ an. Das waren früher verzerrte Gitarren, Phaser/Flanger-Effekte und kann heutzutage unter dem Stichwort „Autotune“ zusammengefasst werden. All diese Signature-Sounds – egal ob nun analog oder digital – wurden quer durch die Popmusik der letzten 50 Jahre ebenso prägend (teilweise für ganze Genres) wie überstrapaziert. Wenn man jetzt so einen Klang findet und mit ihm zu spielen beginnt, folgt man dann diesen Wegen oder versucht man, andere Abzweigungen zu nehmen?

Jürgen Vonbank: Ich versuche, mir hier nicht zu viele Gedanken zu machen. Natürlich hat man immer seinen Rucksack mit Referenzen am Rücken. Ich denke, das fließt ohnehin unterbewusst ein. Aber natürlich ist es immer das Ziel, etwas Neues zu erschaffen und einem Sound eine eigene Note zu geben.

Die Frage stellt sich u. a. bei Tracks wie „Let’s resonate“, die so eine undefinierte Twilight-Stimmung zwischen Dämmerung und Nacht suggerieren, die schon auch ein bisschen einen gewissen Bowie- bzw. Eno-Appeal – wie z.. auf der zweiten Seite von „Low“ zu hören – versprüht, ohne sich jetzt direkt plakativ darauf zu beziehen. Passiert so etwas einfach oder sagen Sie sich da „Why not“ und spielen sich mit solchen Referenzen?

Jürgen Vonbank: Das passiert tatsächlich einfach.

Auch bei „Creators of Dreams“ scheint es um Echos von Referenzen zu gehen. Auch hier klingen Scifi- bzw.- Games-Musiken und der Japan/Nippon-Hype im elektronischen Pop der 80er- und 90er-Jahre in Spurenelementen an. Gleichzeitig klingt hier nichts wie im Sinne von „Stranger Things“ quasi authentisch nach 80ern und 90ern. Wie geht man an so etwas ran, wenn es um neue Kontexte geht, sich diese aber nicht unbedingt in Form von neuesten, ultrahippen Bearbeitungstechniken und Tools niederschlagen sollen?

Jürgen Vonbank: Also diese Interpretation kommt jetzt von außen und findet bei mir während der Produktion – Gott sei Dank – nicht statt. Wenn, dann sind bei diesem Track eher Referenzen zum Electro aus Detroit und zu IDM-Elementen der frühen Warp-Ära zu finden. Aber ich würde Musik dann auch lieber einfach Musik sein lassen, ohne das zu überinterpretieren. Bei mir sind ästhetische Kriterien vor allem dafür ausschlaggebend, warum ein Track überlebt oder nicht.

Beginnend mit dem ersten Track „trpy“ bis zur Abschlussnummer „Much Kudos“ haben fast alle Tracks eine doch eher kontemplative Grundstimmung. Ich will jetzt nicht „entschleunigt“ sagen, aber da klingt doch vieles nach nächtlicher Abgeschiedenheit, nach musikalischen Nachtschattengewächsen. Gut, das Label heißt ja auch „Night Defined Recordings“, aber wie kam es dazu? Sie sind ja sonst Tracks für den Dancefloor auch nicht abgeneigt.

Jürgen Vonbank: Prinzipiell eignet sich das Albumformat ja wunderbar dafür, auch mal etwas anderes zu machen. Aber ja, Entschleunigung war tatsächlich ein für mich persönlich wichtiges Thema bei der Produktion, die zum Großteil in einer recht hektischen und stressigen Zeit entstanden ist. Das Studio war dabei ein wohltuender Kontrast zum Alltag mit durchaus therapierender Wirkung.

Dieses Nachtschattige manifestiert sich ja auch in einer gewissen atmosphärischen spookyness, die jedoch nie wirklich greifbar ist. Bei „Trial & Eros“ schweben „verdrehte“ Keyboards scheinbar frei und nie direkt out of tune durch den Track, aber dennoch stellt sich auch hier wieder der Eindruck ein, als hätten wir es mit Einzelspuren zu tun, die ein gewisses Eigenleben führen – die nicht fix miteinander verbunden sind.
Wir hören gleichzeitig etwas Schwebendes, Chilliges, aber auch Irritierendes, Nervöses, Hektisches. Und das zieht sich im Prinzip durch alle Tracks. Waren solche paradoxe Stimmungen eigentlich Sinn und Zweck des Ganzen? Anders gefragt: Liegt der „Eros“ vielleicht gerade darin verborgen? Im Nichteindeutigen?

Jürgen Vonbank: Kann man so interpretieren. Für mich wurde „Eros“, wie bereits angesprochen, eher aus dem „Error“ geboren. Es ging also mehr um dieses neue Kontextualisieren von Artefakten und Unvorhergesehenem sowie um den bereits angesprochenen Mut zur Emotion. Das Lebendige, Nichteindeutige – oder wie immer man es nennen möchte – mögen auch daher rühren, dass den einzelnen Sequenzen eingestanden wurde, ihren freien Lauf zu nehmen. Manchmal ist es besser, die Dinge einfach laufen zu lassen und dann einzufangen. Viele der Aufnahmen sind one takes, deren ursprüngliches Arrangement auch größtenteils unangetastet blieb.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Didi Neidhart

Links:
Jürgen Vonbank (Facebook)
Night Defined Recordings (Facebook)

Juergen Vonbank: „Trial & Eros“ (Night Defined Recordings NDR007, 2018; Vertrieb: Dance All Day/Wrong Hands/Minerva Records, Tape, Digital)