„Es hat musikalisch sofort gefunkt zwischen uns” – ASJA VALCIC und RAPHAEL PREUSCHL im mica-Interview

Das ungewöhnliche Duo von ASJA VALČIĆ (Cello) und RAPHAEL PREUSCHL (Bass-Ukulele) widmet sich dem Klang der tiefen Saiten. Schon der Titel ihres Albums „Velvet“ (Session Work Records) suggeriert, dass es einen ganz eigenen, samtenen Klang-Kosmos eröffnet. Mal sind es Groove und Rhythmus, mal sind es wunderschöne elegische Melodien, die einander im so virtuosen wie leidenschaftlichen Spiel abwechseln. Mit Markus Deisenberger sprachen die beiden über den Groove als das verbindende Moment und darüber, wie man beim Komponieren in der spontanen Empfindung bleibt.

Wie habt ihr in dieser außergewöhnlichen Besetzung zueinander gefunden?

Raphael Preuschl: Wir haben 2018 gemeinsam mit Sketchbook Orchestra aufgenommen, da sind wir uns zu ersten Mal über den Weg gelaufen. Allerdings haben wir uns beide vorher schon ein wenig gegenseitig im Visier gehabt und insgeheim daran gedacht, dass sich vielleicht einmal eine Zusammenarbeit ergeben würde. Das Aufeinandertreffen damals war eine gute Gelegenheit, um ins Gespräch zu kommen und sich musikalisch kennenzulernen. Im Zuge dieser Orchesteraufnahmen haben wir auch beschlossen, einmal etwas gemeinsam auszuprobieren. Im Winter 2019 dann, im Rahmen der Präsentation des Albums von Sketchbook Orchestra fanden die ersten gemeinsamen Sessions statt, und ein Jahr später haben wir die Aufnahmen für das Album gemacht.

D.h. eine musikalische Annäherung fand justament vor den ersten Lockdowns statt?

Asja Valčić: Genau. Das war natürlich alles andere als optimal, aber wir hatten plötzlich viel Zeit für das Projekt.

Habt ihr bei den ersten Treffs experimentiert?

Raphael Preuschl: Nein, eigentlich war das schon sehr konkret. Wir haben beide sehr konkrete Ideen gehabt und Kompositionen für das Duo geschrieben.

Asja Valčić: Wir hatten erste Stückideen und haben sehr schnell an den Stücken gearbeitet, und es war ebenso schnell klar, dass es eine Duo-CD geben wird. Anfangs war noch fraglich, ob Raphael E-Bass oder Bass-Ukulele spielen wird, aber auch das ergab sich dann relativ schnell.

Asja, Du spielt sonst u.a. im Duo mit Klaus Paier. Was unterscheidet diese beiden Duos voneinander?

Asja Valčić: Das unterscheidet sich enorm, weil das Instrumentarium völlig unterschiedlich ist. Raphael und ich haben im Vergleich zu einem Harmonieinstrument eher begrenzte Mittel. Das war auch beim Komponieren das wirklich Interessante. Mit diesen zwei tieferen und begrenzten Instrumenten das ganze musikalische Spektrum zu füllen. Wir sind beide in der tieferen Lage unterwegs und keines der beiden ist ein Harmonie-Instrument.

Wie schafft man es dann beim Komponieren, trotzdem das ganze musikalische Spektrum zu füllen? Hat man das immer im Hinterkopf oder ergibt es sich auf natürlichem Wege?

Asja Valčić: Das hat man schon im Hinterkopf. Ich kann auf dem Cello nicht ununterbrochen Doppelgriffe spielen. Das geht einfach nicht. Man muss deshalb schauen, die Essenz dessen zu nehmen, was notwendig ist, um ein harmonisches Klangbild zu erschaffen.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Trotzdem ihr klanglich limitiert seid, strahlt eure Musik eine große stilistische Offenheit aus. Es gibt Stücke, die klingen am Anfang nach alter Musik, dann erfährt das Stück eine Wandlung hin zum Jazz oder zur zeitgenössischen Musik etc. War die größtmögliche Offenheit von Anfang an ein Prinzip der Zusammenarbeit?

Raphael Preuschl: Das Konzept war auf jeden Fall der Klang der beiden Instrumente. Man hat den Klang in den Ohren und komponiert entsprechend. Die musikalische Offenheit ergibt sich, glaube ich, aus den jeweiligen musikalischen Backgrounds. Wir sind beide genre-mäßig ohne Scheuklappen, bewegen uns zwischen Contemporary und Jazz ziemlich frei. Asja vielleicht mehr in der Klassik als ich, ich mehr im Soul und in der lateinamerikanischen Musik. Daraus ergeben sich dann insgesamt die verschiedenen Einflüsse und Strömungen, die sich in den Kompositionen widerspiegeln.

Du hast vorhin gesagt, dass ihr euch, bevor ihr euch getroffen habt, gegenseitig ein wenig ausgecheckt habt. Was war das Interessante am jeweils anderen, das euch musikalisch zueinander hingezogen hat?

Raphael Preuschl: Bei mir war es ganz klar. Der Umstand, dass Asja einen ganz kompromisslosen Groove hat. Es ist wie selbstverständlich, mit ihr zu spielen. Da braucht es keine erste Annäherung, bis das funktioniert, sondern das geht sofort. Und es hat musikalisch auch sofort gefunkt zwischen uns.

Habt ihr vorher schon geahnt, dass das gut zusammenpasst?

Asja Valčić: Ich kannte den Raphael von Videos, als er etwa mit dem Wolfi [Wolfgang Puschnig, Anm.] im Konzerthaus spielte, und ich war von seiner Groove-Fähigkeit beeindruckt. Ich dachte mir, das könnte ein sehr verbindender Moment sein. Das Gemeinsame hat bei uns kein großes Proben erfordert, es war einfach da. Das hat einfach gepasst. Wir haben die ganze CD auch notgedrungen an nur einem Tag aufgenommen, und es ging sich aus.

An einem Tag? Tatsächlich?

Asja Valčić: Ja, es waren zwei Tage geplant, es hat sich aber leider irgendwann herausgestellt, dass der zweite Tag doppelt belegt war beim Raphael. Dann haben wir gesagt: Okay, schauen wir einfach, wie weit wir kommen. Und tatsächlich waren wir am ersten Abend fertig.

Raphael Preuschl: Das hat den großen Vorteil, dass man nicht endlos Takes auswählen muss. Da ist dann relativ klar, dass es der erste oder zweite sein muss, weil es einfach nicht mehr gibt. Nachdem es musikalisch so reibungslos funktioniert hat, war es auch nicht notwendig, noch einmal ins Studio zu gehen und vielleicht das ein oder andere auszuprobieren. Der nächste Termin war dann tatsächlich schon das Mischen und Mastern. Und auch das war an einem halben Tag erledigt. Dank des großartigen Christoph Burgstaller, der das nötige Feingefühl für akustische Instrumente hat.

Asja Valčić: Ich habe alle meine Platten bisher mit ihm aufgenommen.

Da herrschte also eine große Vertrautheit?

Asja Valčić: Absolut, ja.

Habt ihr euch mit fix fertigen Kompositionen getroffen, d.h. war alles fix fertig bis ins letzte Detail geplant oder gab es noch Freiräume für Improvisation?

Raphael Preuschl: Es sind Improvisationen drin. Manchmal waren es Themen, die wir ausprobiert und dann geschaut haben, wie man sie umsetzt.

Asja Valčić: Aber in jedem Stück gibt es Freiräume für Improvisationen.

Asja, du bist durch das Radio String Quartett zum Jazz gekommen. Kann man das so sagen?

Asja Valčić: Das war mein erstes Jazz-konnotiertes Projekt, ja. Vorher habe ich mich mehr oder weniger nur in der Klassik bewegt.

Bild Asja Valčić & Raphael Preuschl
Asja Valčić & Raphael Preuschl (c) Michael Reidinger

Raphael, hattest du mit Kammermusik schon vor dem Zusammentreffen mit Asja Kontakt? Du kommst doch eher aus dem Jazz-, Latin- und Groove-Bereich?

Raphael Preuschl: Ich hatte mit der Neuen Oper Wien und ab und zu im Burgtheater mit Streich-Ensembles zu tun gehabt, aber vorwiegend im theatermusikalischen Zusammenhang. Da ging es darum, dass man Atmosphäre schafft. Die Musik war viel weniger konkret, als das, was wir jetzt machen. Im Casino bin ich einmal bei einem Kammerorchester-Konzert bei einem Schönberg-Abend eingesprungen. Ich konnte mit Schönberg von Anfang an viel mehr anfangen, weil es viel konkreter ist. Mein Vater ist Kontrabassist, deshalb bin ich mit vielen Stücken vertraut, die mir heute noch von der Kindheit und Jugend in den Ohren liegen.

Asja Valčić: Du hattest auch immer eine Verbindung zum Cello.

Raphael Preuschl: Die Leidenschaft zum Cello gibt es schon länger, ja. Ich habe Kontrabass studiert, aber ich hatte auch immer das Gefühl, dass ich in den Tenor-bereich expandieren will, um mir klangtechnisch mehr Möglichkeiten zu schaffen. Deshalb spiele ich auch einen 5-saitigen Bass, bei dem die fünfte Seite allerdings eine höhere und nicht eine tiefere ist. Da war es dann irgendwann naheliegend, einmal ein Cello in die Hand zu nehmen. Meine Tante hat mir schließlich eines geborgt, und ich habe daraufhin zwei Jahre lang fast jeden Tag mehrere Stunden Cello geübt, mehr oder weniger nur für mich, und habe probiert, das Instrument in Projekte einzubauen. Mit David Helbock hatte ich ein Projekt, das wir für das mica entworfen haben. Da gab es einmal eine Serie mit etwas experimentellerem Jazz. Ein Projekt mit zwei Cellisten. Kurzum: Das Cello hat mich nicht mehr losgelassen. Meine Stärke lag aber sicher nicht in einer großartigen Bogentechnik, sondern in den Beats. Es war spannend für mich, in diese Welt einzutauchen und es ergaben sich viele neue Aspekte.

Abgesehen davon muss es doch auch die Grundlage für ein besonderes Einfühlungsvermögen geschaffen haben, oder? Wer jahrelang Cello übt, entwickelt sicherlich ein anderes Sensorium für einen Duett-Partner auf diesem Instrument.

Raphael Preuschl: Ja, wenn ich etwas komponiere, überlege ich natürlich schon, ob das für die Asja spielbar ist. Aber dann denke ich mir immer: Das geht schon, das schafft sie schon. Aber natürlich hilft es, wenn man sich das im Kopf schon durchüberlegen kann.

Was waren eure Inspirationsquellen für die Kompositionen dieses Albums?

Gab es besondere Einflüsse?

Asja Valčić: Bei mir ist das Komponieren eher eine intuitive und spontane Sache. Ich habe null Konzept, wenn ich mich zum Musikschreiben hinsetze. Ich habe keine Idee, gehe eher von einer momentanen Emotion aus, die ich dann verfolge und schaue, was sich daraus ergibt, lerne im Entstehen das Stück kennen und schau, was es wird. Natürlich kommt dann schon einmal der Punkt, wo man es in die eine oder andere Richtung lenken kann. Aber ich glaube, ich bleibe in den Emotionen und in den Empfindungen. Die treiben mich, und schlussendlich haben wir die Stücke auch so benannt. Nach den Empfindungen, die wir in uns tragen.

Stärke, Vergnügen…

Asja Valčić: [lacht] Und Madness.

Wieso “Velvet”?

Asja Valčić: Wegen des Klangs der Instrumente: Die tieferen Lagen. Der sanfte Sound, der nichts Scharfes an sich hat, sondern kuschelig ist.

Raphael Preuschl: Das Gesamtkonzept vom Cover mit der etwas angerauten Oberfläche und dem Titel war die Idee unseres Grafikers Vincent Pongracz, der selber Klarinettist und ein genialer Musiker ist. Das soll von vorneherein diese Wärme herstellen, die uns auch mit unserer Musik vorschwebt.

Aber durchwegs schmeichelnd, wenn ich das sagen darf, ist es nicht. Es gibt auch ein ausgeklügeltes Spiel mit der Dynamik, mit der Stille. War das Absicht, um es nicht zu eindimensional werden zu lassen?

Asja Valčić: Natürlich.

Raphael Preuschl: Auf jeden Fall. Dynamik ist enorm wichtig in der Musik und wird oft stiefmütterlich behandelt.

Bild Asja Valčić & Raphael Preuschl
Asja Valčić & Raphael Preuschl (c) Michael Reidinger

Was mir auch aufgefallen ist: Du, Raphael, wendest sehr unterschiedliche Techniken an. Und ihr wechselt euch auch ab, d.h. nicht immer ist das Cello – wie man vermuten würde – das Lead-Instrument und die Bass-Ukulele die Begleitung, sondern das funktioniert auch umgekehrt bestens. Hat sich das so ergeben oder war euch das von Anfang an wichtig?

Asja Valčić: Ja. Umso mehr als beide Instrumente tiefer sind. Es wäre natürlich naheliegend, dass der Bass oder die Bass-Ukulele das Cello begleitet, aber nach einer Weile wäre das zu langweilig. Mir war sehr wichtig, dass auch dem Bass der solistische Moment eingeräumt wird und der Bass Möglichkeit zur Melodie bekommt. Das war neu und auszuchecken.

Was kann man live erwarten? Ich nehme einmal an, ihr werdet die Nummern nicht genau so spielen, wie man sie auf dem Album hört.

Raphael Preuschl: Die Improvisationen sind tagesabhängig und ändern sich. Die Stücke an sich, d.h. die Themen bleiben, wobei wir tempomäßig ein bisschen variieren. Aber bei den Improvisationen halten wir uns das frei und offen. Je nachdem, was sich in der Interaktion ergibt, kann das auch in eine völlig andere, neue Richtung gehen. Auf einem Album versucht man natürlich auch relativ schnell auf den Punkt zu kommen, weil man nicht so viel Zeit hat. und spielt die Form vielleicht nur zwei statt drei- oder viermal. Live nehmen wir uns mehr Zeit.

Du warst gerade mit Austrian Syndicate unterwegs…

Raphael Preuschl: Bin ich noch immer. Heute ist ein Tag frei.

Ist der Übergang von diesem zum anderen Projekt schroff? Wie meisterst du das?

Raphael Preuschl: Nein, schroff ist das gar nicht. Ich nehme mir Zeit für die Musik, spiele die Themen durch, höre mir die Musik an. Klar, wenn es täglich wechseln würde, wäre das natürlich etwas anderes, denn eine gewisse Eingewöhnungsphase braucht es schon, aber im Laufe der Karriere kriegt man solche Wechsel immer besser in den Griff.

Asja, du bist in Wien klassisch “picken geblieben”, wie man sagt?

Asja Valčić: Ich kam erst mit Dreißig plus hierher, habe in Deutschland, in Russland und in Kroatien studiert. Ich kam wegen meiner Mutter nach Österreich. Die ging Ende der 1980er nach Österreich. Damals habe ich nach Möglichkeiten gesucht, mich hier musikalisch mit Menschen zu verbinden. Meine ersten Erfahrungen habe ich dann im Wiener Kammerorchester gesammelt. Klassisch.

Heute bewegst du dich mit Lundgren und Kühn auch in ganz anderen Szenen. Wie waren deine Erfahrungen hier im Vergleich zu deinen sonstigen internationalen Engagements?

Asja Valčić: Außer mit Klaus Paier hatte ich lange keine andere Zusammenarbeit hier. Durch die Pandemie oder schon kurz davor mit dem Sketchbook Orchestra hat sich das ein wenig geändert, was sehr angenehm ist, weil ich nicht mehr für jedes Projekt reisen muss, sondern auch hier Begegnungen habe. Mich hat anfangs niemand gekannt, es war nicht einfach und hat viele Jahre gedauert. Wenn ich ehrlich bin, habe ich mich sehr lange als Außenseiterin gefühlt.

Du hast in Russland studiert und verfolgst sicher auch die jüngsten politischen Verwerfungen. Hast du noch eine Nähe zur russischen Kultur-Szene?

Asja Valčić: Ich war dort in den 1980er Jahren in der Gorbatschow-Ära. Das Russland von damals existiert nicht mehr. Das ist eine völlig andere Zeit mit völlig anderen Umständen.

Wenn man sich die damalige Zeit mit ihrer Aufbruchstimmung und der Verheißung einer großen, gesamteuropäischen Zukunft in Erinnerung ruft und mit dem Ist-Status abgleicht, könnte man fast ein wenig wehmütig werden. Was meinst du?

Asja Valčić: Das ist nicht wiederzuerkennen. Ich habe dort in einer Zeit gelebt, als es keine Cafés, keine Restaurants und kein Privateigentum gab. Und natürlich auch keine Oligarchen. Ich habe mich zwei Jahre lang den Großteil meiner Zeit damit beschäftigen müssen, an Essen ran zu kommen. Fünfzehn Jahre später fuhr ich auf der Fahrt vom Flughafen in die Stadt an Metro, Ikea udgl. mehr vorbei. Damals hatte ich Hygieneartikel, Damenbinden und Klopapier für ein halbes Jahr dabei. Es hat nichts gegeben damals. Nichts.

Vielen Dank für das Gespräch.

Markus Deisenberger

++++

Duo Valcic Preuschl live
5.12.
Kick Jazz 2023, Porgy 6 Bess, Wien

++++

Links:
Asja Valčić
Asja Valčić (mica-Datenbank)
Raphael Preuschl
Session Work Records