Es musste einfach sein: LUKAS KRANZELBINDERS Band SHAKE STEW bringt 2023 doch noch ein Album heraus – und was für eines. „LILA” (VÖ 13. Oktober) verbindet die erdigen Grooves und melodischen Höhenflüge, die man von der Band kennt, mit einem neuen Ansatz – mitunter durch die Zusammenarbeit mit dem Star-Produzenten MARCO KLEEBAUER. Quo vadis, SHAKE STEW? Philip Yaeger traf KRANZELBINDER, um über den Aufnahmeprozess, Ekstase und Jim Jarmusch-Filme zu reden.
Man könnte „LILA” fast als kurzes Doppelalbum bezeichnen, die zwei Hälften sind von ziemlich unterschiedlichem Charakter. Was verbindet sie?
Lukas Kranzelbinder: Die Aufnahmen sind zunächst alle im Westbahnstudio in Wien entstanden, und wir hatten generell das Gefühl, dass alle Stücke unbedingt veröffentlicht werden sollten. Für mich gibt es keinen großen Unterschied zwischen dem Studio und dem Live-Spielen, solange der Sound nicht komplett unterschiedlich ist. Bei diesem Album steht „live“ (bei den Nummern „Heat“, „Shasta Fey“ und „Breathe“) nur dafür, dass es auf der Platte genau so ist, wie wir es eingespielt haben.
Wie ist denn der Arbeitsprozess innerhalb der Band – wie viel kommt von dir und wie viel entsteht in den Proben?
Lukas Kranzelbinder: Prinzipiell schreibe ich eigentlich alles. Nur bei dem Track “Breathe” ist es zum ersten Mal so, dass die Melodie von [Saxophonist] Johannes Schleiermacher kommt. Bei den Drums habe ich meist eine ungefähre Idee davon, was ich gerne hätte, und wir erarbeiten sie zu dritt [mit Schlagzeugern Niki Dolp und Herbert Pirker]. Bei „Not Water But Rest” und „Lila” ist eigentlich alles geschrieben. Hingegen sind Nummern wie „Shasta Fey” oder “Breathe” total offen. Es gibt die Grooves und eine sehr klare Stimmung – aber dann wird einfach gesurft.
Bei den ersten drei Liedern ist Marco Kleebauers Handschrift ziemlich genau zu erkennen. Wie ist die Zusammenarbeit mit ihm entstanden?
Lukas Kranzelbinder: Ich habe schon länger seine Arbeit verfolgt und bewundert. Bei seinen Drum-Aufnahmen habe ich mir gedacht, genau dorthin will ich mit Shake Stew. Ich habe dann gefragt, ob er bei „Not Water But Rest“ kollaborieren will. Ich wollte einen produzierteren Beat dafür, mit mehr Effekten. Ich war begeistert von seiner Arbeitsweise, weil sie sich fundamental von meiner unterscheidet. Der normale Ablauf bei uns ist: Stück schreiben, einproben, im Studio aufnehmen. Bei ihm ist es eher so, dass ab dem Moment, wo du aufnimmst, alles möglich ist. Herbert und Niki haben die Drums für die Nummer bei ihm im Studio nochmal eingespielt, und er hat dann tausende Sachen gemacht – er schraubt auf seinem Computer herum, und ganze Welten werden aufgemacht, dann hat es auf einmal diesen Vibe, den man sucht. Am Ende habe ich mir gedacht, das klingt so gut, da gehören eigentlich Vocals darüber.
Apropos, woher kennst du Precious Nnebedum?
Lukas Kranzelbinder: Ich habe sie lustigerweise in Saalfelden kennengelernt. Dann war sie zweimal beim Liederabend, einem alljährlichen von mir organisierten Benefizkonzert, dabei. Dann habe ich sie gefragt, ob sie etwas zu dem Lied machen will. Ich habe ihr ein paar Inputs zum Text gegeben, zum Beispiel eine Szene aus [Jim Jarmuschs Kultfilm] „Only Lovers Left Alive”, wo die beiden Hauptfiguren in der Nacht durch die verwüstete Landschaft von Detroit fahren. Tilda Swintons Figur sagt: „This place will rise again…there’s water here. When the cities in the South are burning, this place will bloom.“ Und dann hat sie über Nacht diesen Text geschrieben, eingesprochen, und ich habe mir gedacht, bist du deppert.
Man könnte dich als österreichischen Fahnenträger einer gewissen ekstatischen Tradition in der Musik bezeichnen, Stichwort Mingus, Pharoah Sanders, Albert Ayler, Archie Shepp…
Lukas Kranzelbinder: [lacht] Ekstase ist jedenfalls tatsächlich das, was ich suche.
„Es gibt schon immer in mir ein tiefes Verlangen nach körperlicher oder emotionaler Überwältigung […]”
Wie bist du auf diesen Weg gekommen – waren es bestimmte Platten, die du gehört hast?
Lukas Kranzelbinder: Es gibt schon immer in mir ein tiefes Verlangen nach körperlicher oder emotionaler Überwältigung, darum bin ich auch so ein wahnsinniger Kino-Fan. Als ich früher mit dem Rad zur Schule gefahren bin, habe ich mir immer Musik vorbereitet, die sich episch aufbaut, und mit der ich dann trotz Müdigkeit komplett aufgedreht im Unterricht angekommen bin – da war vom „The Rock“-Soundtrack bis Prodigy alles dabei. Später, so mit 14 oder 15, habe ich das Zawinul Syndicate in kürzester Abfolge mehrmals live gesehen, weil ich gemerkt habe, dass die Art, wie sie spielen, mir extrem zusagt – sowohl die Musik als auch diese getriebene Alles-oder-nichts-Einstellung.
Es ist aber mehr in die Richtung gegangen, als ich Musikstile aus verschiedenen Regionen in Afrika kennengelernt habe, vor allem Gnawa-Musik aus Marokko – da bin ich voll reingekippt. Das ist auf Ekstase angelegt. Ich bin aber auch, muss man sagen, schon sehr affin für Spiritualität, vor allem, wenn es mit dieser tranceartigen Musik gepaart ist. Ich merke auch, dass diese Suche nach der Überwältigung für mich immer konkreter wird, Jahr für Jahr. Aber da muss man sagen, das in der Musik zu schaffen, ist sehr schwierig, weil es sehr viel mit Gruppendynamik, Vertrauen und Zusammenhalt zusammenhängt.
Das geht nur dann, wenn die Gruppe lange genug zusammen ist…
Lukas Kranzelbinder: …und auch offen dafür ist.
Bei eurer ersten Platte war es aber eigentlich schon da.
Lukas Kranzelbinder: Es war musikalisch schon da, aber es ist viel mehr geworden – durch viele offene Gespräche und weil viel Vertrauen herrscht: Das bildet die Basis dafür, dass man sich wirklich gehen lassen kann.
Gerade bei „LILA“ kommt mir vor, dass der Band-Sound mit der Zeit immer zarter wird. Ist das gewollt?
Lukas Kranzelbinder: Also dieses Album ist auf jeden Fall zarter – und aus diesem Grund mag ich es am liebsten von allem, was ich je mit der Band gemacht habe. Es hat für mich selten so stark funktioniert, eine Emotion zu transportieren, wie mit diesem Album. Wir haben sehr viel daran gearbeitet, energetisch zu spielen, aber trotzdem eine gewisse Softness – Lockerheit, Leichtigkeit – zu behalten. Es ist schwierig. Es gehört viel Reflektion dazu… deshalb gefällt mir die Version von „Heat” auf dem Album so gut. Obwohl die total energetisch ist, wird nie was erzwungen, es perlt so dahin.
Ihr spielt hauptsächlich in Mitteleuropa, seid aber auch schon in Ländern wie Tunesien oder in der Türkei aufgetreten. Merkt ihr einen Unterschied, wie die Musik vom Publikum in anderen Kulturen aufgenommen wird?
Lukas Kranzelbinder: Voll. Das beste Beispiel war Marokko 2018, da ist es dermaßen durch die Decke gegangen… hier oder in Kanada wird es durch den Jazz-Background, den die Menschen haben, sehr positiv angenommen. Aber in Marokko und in der Türkei kommt extrem viel zurück – ich glaube, weil sie bestimmte musikalische Aspekte, die in unserer Musik vorkommen, wiedererkennen und in einem völlig anderen Kontext erleben.
Das Tranceartige.
Lukas Kranzelbinder: Und auch das Melodische – die Stücke „Shake The Dust” und „Not Water But Rest” basieren beide auf dieser äthiopischen Tezeta-Skala. Auch wenn ich Guembri spiele, hat es einen starken Marokko-Bezug. Eigentlich würde ich gern viel öfter mit der Band bei Festivals in Afrika auftreten, nur ist es logistisch sehr oft nicht möglich. Da beschränkt sich unser Touring momentan sehr stark auf Europa. Und das ist auch okay.
Herzlichen Dank für das Gespräch.
Philip Yaeger
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Shake Stew live
16.10.2023 Moods, Zürich (CH)
17.10.2023 Cankarjev Dom, Ljubljana (SI)
18.10.2023 Schloss Elmau (DE)
20.10.2023 Jazz & the City, Salzburg
21.10.2023 Stadtgarten, Köln (DE)
30.11.2023 Nasional Jazz Scene, Oslo (NO)
01.12.2023 Handelsbeurs Gent (NL)
02.12.2023 Lantaran Venster, Rotterdam (NL)
08.12.2023 Porgy & Bess, Wien
19.01.2024 Konzerthaus Wien
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