„Es gibt überall heimliche Helden.“ – Gerald Resch im mica-Interview

Mit dem Singspiel „Das Gemeindekind“, der Opera povera „Die Brüste Tiresias‘“ und der Familienoper „Gullivers Reise“ erwies Gerald Resch innerhalb weniger Jahre sein besonderes Interesse am Musiktheater. Mit „Hanni“ kommt am 10. März 2020 im Linzer Brucknerhaus sein neuestes Werk dieses Genres zur Uraufführung. Zwei Wochen danach folgt im Wiener Musikverein das dritte Streichquartett. Christian Heindl sprach mit dem Komponisten.

Es ist eine gleichermaßen schlichte wie packende Geschichte, welche die Grundlage für den neuen Monolog mit Musik bildet. Der Schriftsteller Franzobel hat in „Hanni“ das Leben einer dieser vielen sogenannten einfachen Frauen vom Land nachgezeichnet, deren Biografie sich allerdings insofern aus der Masse heraushebt, als sie vor fast 100 Jahren begann und die Person der Handlung an ihrem 99. Geburtstag als Gast zur Premiere erwartet werden darf: gefeiert mit einem Werk, das als Hommage auf sie zu verstehen ist und ihre unerschütterliche Kraft und ihren Lebensmut hervorhebt.

Das Leben dieser Hanni Rittenschober war über weite Strecken geprägt von bitterer Not, Armut und Entbehrungen. Mit ihrem Vater wurde sie gezwungen, beim Bau der Baracken für das Konzentrationslager Gusen mitzuarbeiten. Später wurde sie Zeugin der grausamen „Mühlviertler Hasenjagd“ auf geflüchtete sowjetische Kriegsgefangene. Ihre mutigen Versuche, den Häftlingen zu helfen, waren allerdings wenig aussichtsreich. Ihr Mann kehrte 1947 gebrochen aus der Kriegsgefangenschaft zurück. Da er alles vertrank und verspielte, musste Hanni allein darum kämpfen, die sechs Kinder durchzubringen. Der Glaube an das Leben ging ihr dabei nie verloren.

Gerald Resch hat den 75-minütigen Monolog in Musik gesetzt. Ausgeführt wird er in der Regie Alexander Hauers von Maxi Blaha (Gesang und Schauspiel), dem Ensemble PHACE sowie Wolfgang Kogert an der Orgel.

Fünf Jahre sind seit unserem letzten mica-Gespräch vergangen. Damals stand die Premiere deines ersten Bühnenstücks „Das Gemeindekind“ im Fokus. Mit „Hanni“ haben wir in wenigen Tagen erneut ein Stück vor uns, in dem es um ein Individuum, die Geschichte eines sogenannten einfachen Menschen geht. Was hat dich an diesem Stoff interessiert und inspiriert?

Gerald Resch: Ich mag „gute Geschichten“, bei denen man in wenigen Sätzen vermitteln kann, worum es geht. Ursprünglich hat Franz Innerhofer mit seinem Roman „Scheibtruhe. Ein Monolog“ mit der Darstellung des Schicksals der Hanni Rittenschober eine solche Geschichte geschrieben, die von Franzobel nun für dieses Bühnenprojekt gefasst wurde. Ein Aspekt für mich war, dass ich selbst aus dem Mühlviertel komme und diese Gegend, in der sich dieses Leben ereignet hat, schon in meiner Kindheit kennengelernt habe. Ich denke, es ist gut, wenn neben den anderen Dingen, die man so macht, auch etwas für die Menschen von dort entsteht, wo man herkommt.

„Man darf die Deutungshoheit nicht einfach einer Seite überlassen.“

Da denke ich an den für mich positiv besetzten Begriff Heimat, der einigen Menschen heutzutage aufgrund seines früheren und oft auch gegenwärtigen Missbrauchs durch Rechtspopulisten bzw. Rechtsextreme Probleme bereitet.

Gerald Resch: Unser Bundespräsident Alexander van der Bellen hatte auf seinen Wahlplakaten den Schriftzug „Heimat“ hervorgehoben. Der Begriff erfordert Positionierung. Man darf die Deutungshoheit nicht einfach einer Seite überlassen. Ich freue mich sehr, wie aufgeschlossen etwa die Bürgermeisterin oder auch der Kirchenchor meiner Heimatgemeinde Lichtenberg auf meine Arbeit reagieren.

Du hast dich vergleichsweise spät, nun aber seit fünf Jahren intensiv mit dem Genre Musiktheater beschäftigt. Ist das ein bewusster Schwerpunkt oder hat es sich einfach so ergeben?

Gerald Resch: Das wird schon bewusst so von mir betrieben. Das Allumfassende, das Musiktheater haben kann bzw. von der Musik einfordert, fasziniert mich. Meine Musik soll bei „Hanni“ ja eine ganze Lebensgeschichte umschließen, dementsprechend vielseitig soll sie auch klingen. Ich denke, sich darauf einzulassen, erfordert Mut zu größerer künstlerischer Freiheit. Das ist eigentlich ein Mahler’scher Anspruch. Musiktheater gibt einem diese Möglichkeit.

Hattest du mit der Person des Geschehens, Hanni Rittenschober, direkt Kontakt oder hast du sie primär durch den Franzobel-Text „kennengelernt“?

Gerald Resch: Ich selbst war nicht bei ihr, aber Franzobel und Maxi Blaha haben sie mehrfach besucht und eine Reihe von Tonaufnahmen angefertigt, auf denen ihre „Originalsager“ festgehalten sind. Diese Aufnahmen hat Franzobel zu einem sehr kunstvollen Monolog verdichtet, der immer wieder überraschende Wendungen nimmt. Ich denke etwa an eine Stelle, da hört man Hanni ganz schlicht sprechen: „Es war immer schön. Im Krieg nicht.“ – der kürzestmögliche Übergang von einer Erinnerung zu einer anderen. Da muss dann auch im Stück Stille herrschen. Da gibt es keine Musik dazu.

Hanni. Monolog mit Musik (c) Georg Buxhofer

Ganz grob skizziert, welches Element weist die Musik in „Hanni“ speziell auf?

Gerald Resch: Das ist sehr verschieden. Es gibt ein einfaches Grundmaterial mit Akkorden und Motiven, die immer wieder vorkommen. Ich habe versucht, zu den insgesamt 49 Szenen jeweils die dazu passende Musik zu finden. Da kommt zum Beispiel auch ein richtiger Schlager vor, der könnte original von damals sein. Zur Szene rund um die „Mühlviertler Hasenjagd“ erfinde ich eine völlig überdrehte „Volksmusik“, eine richtig grausliche Musik in Es-Dur. Mir geht es bei alldem um – Vorsicht, großes Wort – Wahrhaftigkeit der Darstellung.

„Es gibt überall heimliche Helden. Ob das „politisch“ ist, weiß ich nicht.“

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob es da nicht doch auch einen politischen Anspruch gibt?

Gerald Resch: Naja, eine 100-jährig Frau hat ein so langes Leben hinter sich liegen, dass sie gewissermaßen über den Dingen steht. Ihre Erinnerungen springen zwischen den verschiedensten Umständen hin und her, da kommt keine Eindeutigkeit auf. Diese Frau ist aber auf jeden Fall eine vorbildhafte Figur. Es gibt überall heimliche Helden. Ob das „politisch“ ist, weiß ich nicht.

Das Instrumentarium ist sehr klein ausgewählt, es gibt nur fünf Spielerinnen und Spieler, die allerdings in der Kombination sehr unterschiedliche Klangfarben ermöglichen, was für dich typisch ist.

Gerald Resch: Eine spezielle Vorgabe war die Einbindung der Orgel, da der Wunsch bestand, die neu restaurierte Orgel des Brucknerhauses zu verwenden. Mich hat das sofort gepackt, zumal ich selbst in meiner Jugend ja auch Orgel gespielt habe. Das Instrument besitzt eine enorme Wandlungsmöglichkeit. Interessant ist vielleicht, dass die Orgel mit Ausnahme von ein paar Sekunden bei der Rede des Pfarrers nie sakral wird. Es gibt z. B. eine Zirkusmusik, dann wieder eine Stelle, wo sie wie ein Tinnitus klingt, oder ungreifbare schattenhafte Figuren erzeugt. Die vier anderen Instrumente – Klarinette, Trompete, Harfe und Kontrabass – bilden eine Art „Mini-Kapelle“ mit oft volksmusikalischer Färbung.

Lass uns aufgrund der zeitlichen Nähe noch kurz auf deine nächste Wiener Uraufführung eingehen. Am 26. März 2020 hat im Musikverein dein drittes Streichquartett „attacca“, gespielt vom Aris-Quartett Premiere. Was war der Anlass dafür und was erwartet uns dabei?

Gerald Resch: Das entstand in Zusammenhang mit der anlässlich des 250. Geburtstags konzipierten Konzertreihe „Beethoven heute“ als Auftrag des Musikvereins. Das Quartett steht als Mittelstück zwischen den beiden F-Dur-Quartetten Beethovens op. 18/1 und op. 59/1 und setzt sich daher auch indirekt mit diesen auseinander. Ich habe versucht, ein Stück zu komponieren, das auf seine Weise dazupasst. Ausgangspunkte für mich sind etwa Beethovens Meisterschaft, innerhalb kürzester Zeit massive Stimmungsumschwünge zu erzielen, andererseits seine Kunst, scheinbar weit Auseinanderliegendes in logischen Zusammenhang zu bringen.

Ob du wohl das Werk, wenn es das Beethoven-Jahr nicht gäbe, trotzdem komponiert hättest?

Gerald Resch: Beethoven ist so wichtig. Aber ein Beethoven-Jahr brauch’ ma wirklich nicht!

Vielen Dank für das Gespräch!

Christian Heindl

Termine:
„Hanni“ – Uraufführung: 10. März 2020, Brucknerhaus Linz
Streichquartett „attacca“ – Uraufführung: 26. März 2020, Musikverein Wien

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