„Es geht um diesen einen Ton, der hundertprozentig passen muss“ – MARTIN PTAK und MARTIN EBERLE im mica-Interview

Die beiden Musiker MARTIN PTAK und MARTIN EBERLE haben sich vor etwas mehr als zehn Jahren kennengelernt, als sie gemeinsam bei STROTTERN & BLECH gespielt haben. Aus dieser musikalischen Bekanntschaft ist im Laufe der Zeit eine enge Freundschaft entstanden, die zu zahlreichen gemeinsamen Projekten geführt hat. Unter anderem erhielten sie vom Kunsthistorischen Museum Wien im Rahmen des “Ganymed”-Projekts den Auftrag, ein Gemälde von Bruegel zu vertonen. Ende 2022 veröffentlichten sie ihr erstes gemeinsames Album mit dem Titel “Momentum” (col legno), auf dem sie den reduzierten Klang in seiner schönsten Form zelebrierten. Im Interview mit Michael Ternai sprachen die beiden Musiker über die Entstehung des Albums, ihren musikalischen Ansatz und den Auftrag des Wiener Konzerthauses, im kommenden Jahr einen Stummfilm zu vertonen.

Ihr beide macht – auch ganz unabhängig voneinander – musikalisch sehr viel Verschiedenes. Und das in den unterschiedlichsten musikalischen Kontexten. Was ihr aber in eurem gemeinsamen Projekt zum Erklingen bringt, überrascht aber dennoch, weil es wirklich etwas anderes ist, das man von euch erwartet. Vielleicht zu Beginn. Wie ist eure Zusammenarbeit entstanden? Bei Strottern & Blech? Dort habt ihr ja gemeinsam gespielt.

Martin Eberle: Eigentlich schon ein wenig davor. Wir haben bei einem Jazzwerkstatt-Festival im Sun-Ra-Tribute-Orchester schon einmal zusammengespielt. Aber ja, richtig kennen und lieben gelernt haben wir uns bei den Strottern. Von dort weg haben wir dann recht viel gemeinsam gemacht. Unter anderem habe ich ihn gebeten, bei Anja Plaschg (Soap&Skin; Anm.), bei der ich der MD bzw Bandleader bin, mitzutun und die Stelle der Posaune zu übernehmen.

Martin Ptak: Unser erstes Duo-Projekt war dann “Ganymed Nature” 2018. Es war ein Projekt, das im Rahmen der Ganymed-Serie im Kunsthistorischen Museum stattgefunden hat. Wir sollten damals zu einem Bild des Malers Pieter Bruegel Musik machen. Und hierzu haben wir ein Stück von meinem ersten Album ausgewählt, welches wir dann für diese Veranstaltung neu bearbeitet haben. Es ist bei den Leuten ausgesprochen gut angekommen, was uns natürlich motiviert hat, weiterzumachen. So gesehen kann man dieses Projekt als Ausgangspunkt für alles Weitere sehen.

Martin Eberle: „Ganymed Nature“ hat in gewisser Weise auch die musikalische Richtung unseres Duos vorgegeben. Martin hat ja davor schon cineastisch-minimalistisch inspirierte Musik gemacht. Durch ihn bin ich dann schließlich auch mehr und mehr in diesen Stil eingetaucht. Und dann hat sicher in den letzten Jahren auch Corona unseren Sound beeinflusst. Es war einfach viel ruhiger als sonst. Und das ist sicher auch ein Grund dafür, warum unsere Platte so klingt, wie sie klingt.

Martin Ptak: Eine klassische Corona-Platte kann man sagen. Ihren Ausgang genommen hat die Platte im Winter 2020/2021, zu einer Zeit, in der alles stillgestanden ist und die Welt quasi aufgehört hat, sich zu drehen.

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Es haben also viele Faktoren zu eurem Sound geführt.

Martin Eberle: Genau. Und für mich war es in dieser Zeit auch total wichtig, neben den vielen Projekten, in denen ich involviert bin, etwas anderes, einen neuen Weg zu finden. Vor Corona war einfach viel zu viel los, um das tun zu können. Der Stillstand war daher für mich die Gelegenheit, mich wirklich auf dieses Neue zu fokussieren. Es ist auf jeden Fall interessant, was rausgekommen ist.

„Uns geht es darum, auszudrücken, was wir in einem bestimmten Moment spüren und fühlen.“

Es ist definitiv ein Album, das auf wunderschöne Art entschleunigt und dabei wahnsinnig viel Stimmung erzeugt.  Wie geht man an so eine Musik ran. Lässt man sich da viel von Emotionen leiten oder folgt man einer klaren Linie?

Martin Ptak: Bei mir sind es immer Bilder oder Filme, die ich im Kopf habe bzw. die ablaufen, die als Quelle dienen.Daher haben viele meiner Sachen einen cineastischen Touch, weil die Musik quasi der Soundtrack zu diesen inneren Filmen ist. Zudem war ich ja immer schon sehr inspiriert von Filmmusik. Das Komponieren bei mir findet vorwiegend am Klavier und sehr selten auf der Posaune statt.

Martin Eberle: Bei mir verhält es sich eigentlich genau gegenteilig. Ich schreibe die Sachen auf der Trompete und habe meistens schon bestimmte Sounds im Kopf, mit denen ich arbeiten will und die ich zu verwirklichen versuche. Bei diesem Album dagegen habe ich mich sehr von Martin und seinen Vorstellungen von Musik inspirieren lassen. Ich habe eigentlich bloß noch das i-Tüpfelchen draufgegeben und versucht, wie so oft in meinen anderen Bands, das Ganze noch einmal ein wenig aufzubrechen.

Martin Ptak: Und das ist etwas, das uns dann doch etwas abhebt. Wir haben ja von manchen anfänglich das Etikett „Neoklassik“ umgehängt bekommen, obwohl, wie ich glaube, unsere Musik über diesen Begriff hinausgeht. Überhaupt finde ich diesen Begriff eher problematisch. Ich denke, er ist von Musikjournalisten erfunden worden, um diese Art von Musik zu schubladisieren. Es kann angenehm und beruhigend sein, Neoklassik/Ambient zu Hause zu hören, nur wenn es darum geht, die Musik auch konzertant aufzuführen, ist die Sache eine andere. Wir finden, dass beim Konzert eine gewisse Dramatik bzw. Unberechenbarkeit rüberkommen sollte, daher ist uns ein gewisser Anteil an Improvisation auch sehr wichtig.

Bild Martin Eberle Martin Ptak
Martin Eberle & Martin Ptak (c) Helmut Wimmer

Martin Eberle: Und damit brechen wir mit der Bezeichnung Neoklassik. Wir zerstören ihn nicht, aber wir geben dem Fluss definitiv eine andere Farbe. Uns geht es darum, auszudrücken, was wir in einem bestimmten Moment spüren und fühlen. So gesehen ist das Album auch eine Momentaufnahme. Und die beschreibt unseren damaligen Drang, das Tempo rauszunehmen.

Wie sieht eure Zusammenarbeit, euer musikalischer Zugang aus? Wie schnell findet ihr auf eine gemeinsame Ebene.

Martin Eberle: Der Vorteil ist mit Sicherheit, dass wir in den verschiedensten Formationen sehr viel zusammenspielen. So gesehen, sind wir musikalisch mittlerweile wirklich ein Herz und eine Seele. Wir spüren uns und wissen genau wie der jeweilige andere tickt. Und so kann es sein, dass Martin mit quasi schon fast fertigen Stücken in den Proberaum kommt und ich einfach nur noch eine Ebene dazufüge. Das war unter anderem beidem Stück „Ringo“ so. Bei „Juno“ dagegen hat es länger gedauert, weil wir gemeinsam sehr viel an dem Stück herumarrangiert und herumprobiert haben. Das ist etwas, das wir aus der Strottern und Blech Tradition mitgenommen haben, wo es oft um diesen einen Ton gegangen ist, der hundertprozentig passen musste. Wir spielen keine zwanzigtausend Töne, sondern drei, vier Töne zu zweit. Da geht es wirklich darum, dass diese genau dort sind, wo sie sind.

Lässt sich euer Motto daher also unter dem Satz, weniger ist mehr“ zusammenfassen.

Martin Ptak: Ja, genau. Das ist etwas, das wir von den Strottern gelernt haben. Beim Projekt Strottern & Blech spielt man eigentlich immer anders als ein normaler Blechbläser. Viel leiser, gedämpfter oder luftiger. Posaune und Trompete decken vom Klang ja ein weites Spektrum ab, vom lauten Brass bis zu zarten Tönen, wie sie Holzblasinstrumente kreieren. Martin spielt manchmal ohne Mundstück. Und beim Stück „Ringo“ klingt es so, als würde eine Altflöte dazu spielen. Den Klang kann man nicht mehr zuordnen. Zumindest keiner Trompete. Das ist auch ein interessanter Aspekt in unserer Zusammenarbeit, dass wir die Instrumente anders klingen lassen, als sie es klassisch tun.

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Martin Eberle: Und die Suche nach Sound braucht eben Zeit. Und diese boten uns die Monate während Corona. Wir beide haben ja unsere anderen Projekte, die alle ihre bestimmten Ziele verfolgen. Es war einmal schön, nichts in die Richtung zu müssen und die Dinge einfach nur laufen zu lassen, wie wir es wollten. Das Projekt spiegelt das wider, was musikalisch in uns schlummerte und einfach einmal raus musste. Wir hatten keinen Zeitdruck und konnten uns daher sehr intensiv mit unserer Musik beschäftigen.

Martin Ptak: Dieses Album ist in gewisser Weise auch ein Resümee dieser in gewisser Hinsicht einmaligen Zeit. Es stand alles still, keine Emails, keine Flieger… Man konnte einfach in Ruhe z.B. den Regen beobachten. Diese Stimmung hat die Entstehung dieses Albums auf jeden Fall begünstigt.

„Es ist die Musik, die alles trägt.“

Wie es sich jetzt anhört, ist dieses Duo schon auch eine Art Herzensprojekt von euch beiden.

Martin Eberle: Das kann man durchaus so sagen. Es ist schön, dass es sich so entwickelt hat und dass das Konzerthaus nun mit einem Kompositionsauftrag für eine Stummfilmvertonung auf uns zugekommen ist. Das passt perfekt zu unserer Musik. Unser Projekt entwickelt sich auf ganz natürlichem Weg, ohne die Erwartung von irgendeiner Seite erfüllen zu müssen. Es ist die Musik, die alles trägt. Die Möglichkeit, ein Projekt auch einmal ohne Druck vorantreiben zu können, freut uns einfach sehr.

Ihr wurdet, wie du erwähnt hast, vom Wiener Konzerthaus beauftragt, im April 2024 den Stummfilm „The Man with the Movie Camera“ im großen Saal live zu vertonen. Dieser Kompositionsauftrag ist dann eben ein natürlicher nächster Schritt?

Martin Ptak: Genau. Ich glaube, gerade dieser Kompositionsauftrag ergänzt sich perfekt mit unserer Musik mit deren cineastischer Ausrichtung.  Unsere Stücke klangen bis jetzt ja immer nach Musik zu Filmen im Kopf. Bei diesem Projekt ist es nun ein richtiger Film, zu dem komponiert/gespielt wird.

Das Schöne ist ja, dass eure Musik aber auch ganz ohne Bilder bestens funktioniert.

Martin Eberle: Das bekommen wir auch total oft als Feedback. Zuerst haben wir ja immer nur so einzelne Stücke gespielt und dazwischen Ansagen gemacht. Dann haben wir überlegt, dass wir so wenig wie möglich reden. Die Leute sollen einfach in den Saal reinkommen, Platz nehmen und mit uns durch das Konzert reisen.

Herzlichen Dank für das Interview!

Michael Ternai

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