„ES GEHT UM DIE GEMEINSAME VISION“ – MANU MAYR (SCHTUM) IM MICA-INTERVIEW

SCHTUM sind die Musiker MANU MAYR und ROBERT POCKFUSS. Sitzen sich die beiden auf einem Teppich aus Effektgeräten gegenüber, geht es trotzdem alles andere als leise zu. Aus Bass und Gitarre sprengen sie Frequenzen, die den Maschinenraum der Titanic wie ein Wellnesswochenende wirken lassen. Es bumpert und rumpelt, dass Freundinnen und Freunde der Conceptronica vor lauter Angst den Bio-Veltliner über die Faltenhose kippen. Seit ihrer Gründung 2017, haben SCHTUM Branchenfestivals der elektronischen Musik gecrasht. Rio, Berlin, Krems – you name it! Was MAYR und POCKFUSS aus fünf Saiten in den Maschinenpark schleusen, schwingt sich auf der Abrissbirne wieder hinaus. Ihr neues Album „Sequencing Detachments“ erscheint auf VENTIL. Das Release-Konzert führt in die Betonkirche zu Wotruba. MANU MAYR hat sich davor – müde vom Tourstress mit seiner Haus- und Hofband 5K HD – zu einer Melange ins Café Eiles gesetzt und mit Christoph Benkeser diplomatische Aussagen ausgetauscht.

Schön, dass du da bist. Schade, dass es Robert nicht geschafft hat.

Manu Mayr: Er unterrichtet in Linz – Jazztheorie an der Anton-Bruckner-Universität. Außerdem hat er einige Gitarrenschüler. Und Notation lehrt er auch, da ist gemeinsame Zeit eher selten.

Magst du mir trotzdem verraten, was du an Robert schätzt?

Manu Mayr: Sein Denken als Komponist hat mich aber von Anfang an beeindruckt. Ich arbeite nun seit ein paar Jahren mit ihm zusammen. Sein instrumentales Denken inspiriert mich aber nach wie vor.

Ich kann mich an ein Konzert beim Elevate Festival 2018 in Graz erinnern. Ihr habt bei Minustemperaturen im Dom im Berg gespielt.

Manu Mayr: Im Backstage-Raum hat es gefroren! Aber ist das echt schon so lange her?

Ihr seid in Maronibraterhandschuhen vor einem Teppich aus Effektgeräten gesessen. Daran erinner ich mich.

Manu Mayr: Stimmt! Wir haben 2017 das erste Mal gespielt. Im ersten Jahr ein Konzert, im zweiten sind wir zwei Mal aufgetreten und im dritten Jahr bereits vier Mal. Seitdem versuchen wir uns jedes Jahr zu verdoppeln.

Was gut funktioniert mit jemandem, den man künstlerisch schätzt.

Manu Mayr: Ja, ich schätze die Zusammenarbeit mit Robert, weil er in großen Formen denken kann.

Wie kann man sich das vorstellen?

Manu Mayr: Es geht um die Planung und Konstruktion eines mehrschichtigen Verlaufs, aber auch um den Gedanken, welcher Ablauf innerhalb einer Komposition am sinnvollsten ist. Ich komme stärker vom direkten Arbeiten, von einem Schaffen im Moment. Deshalb ermöglicht die Zusammenarbeit mit Robert, einen Schritt zurückzumachen und das Ganze zu betrachten.

Das heißt, du konntest auch viel von seiner Denkweise übernehmen.

Manu Mayr: Absolut. Auch wenn ich bereits vor unserer Zusammenarbeit eine konkrete technische Idee des Projekts hatte. Robert war genau die richtige Person, um sie auszuprobieren. Schließlich hat sich das Grundkonzept bis heute nicht wesentlich verändert. Wir mischen Signale zusammen und schleusen sie durch eine Verzerrerkette, die eine ständige Abhängigkeit provoziert. Das Resultat ist immer ein abstraktes Gemisch unser beider Klänge.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Gerade dieses Abhängigkeitsverhältnis setzt ein Sein im Moment voraus, oder? Das kommt wiederum deinem direkten Arbeiten entgegen.

Manu Mayr: Genau, deshalb funktionieren wir gut zusammen. Die Idee des Abhängigkeitsverhältnisses zu schaffen, war wichtig. Allerdings liegt die Arbeit auch in der Art, wie wir unsere Sinne schärfen, um möglichst genau damit umgehen zu können. An diesem Punkt lerne ich ständig von Robert – wie man aus diesem Prozess herauszoomt und das entstandene Verhältnis in eine konkrete Form fasst.

Wie sieht das aus?

Manu Mayr: Wir machen keinen Experimental-Noise, sondern Songs, die vier oder fünf Minuten dauern sowie einer klaren A-B-C-Form folgen – und trotzdem einen experimentellen Zugang bewahren.

Ja, aber wie funktioniert das Verhältnis zwischen Experiment und konkreter Form?

Manu Mayr: Das Obertonspektrum und Kombinationsklänge sind Grundpfeiler von Schtum. Wir haben unterschiedliche Herangehensweisen ausprobiert, wie wir – jeweils an Gitarre und Bass – einen Ton spielen, ohne dass man einen der beiden Töne hört.

Sondern?

Manu Mayr: Das Resultat, das in der Verzerrkette gespiegelt, gefaltet und verdreht wird. Wir haben aber auch Saiten präpariert, Metallteile eingefügt und so weiter. Dass ich außerdem einen Bass-Drum-Trigger verwende, hat sich zusätzlich daraus entwickelt.

Kannst du das kurz erklären?

Manu Mayr: Zusätzlich zu Gitarre und Bass gibt es ein Drum-Modul. Ich triggere es mit einem Piezo-Pickup, das in meinem Bass klemmt. Das Schlagbrett wird zur Triggerfläche für die Synth-Bass-Drum. Dort erzeuge ich die Kick.

Die mittlerweile ein tragendes Element geworden ist, wenn man euch live sieht.

Manu Mayr: Ja, du hast vorhin den Gig beim Elevate erwähnt. Da gab es das noch nicht.

Im Gegensatz zu eurem Auftritt beim Donaufestival vor zwei Jahren. Das war richtig laut.

Manu Mayr: Oje, laut?

Ich hab mich in die Katakombe der Minoritenkirche gesetzt. Da hat es mich ordentlich durchgerüttelt.

Manu Mayr: Hoffentlich nicht zu arg?

Nein, aber es blieb in Erinnerung. Im Gegensatz zu manch anderem …

Manu Mayr: Würdest du sagen, dass das Programm unter Zierhofer-Kin [Anm. ehemaliger Kurator des Festivals] besser war?

Würde ich, ja. Mir ist das dort mittlerweile zu verkopft, zu meta.

Manu Mayr: Und connectet deshalb nicht.

Außerdem stehen dieselben 150 Leute in Krems, die du sonst in Wien siehst. Das geht sich für mich nicht aus. Aber wir driften ab. Wir waren beim Spielen der Bass-Drum, etwas, das mit der Gitarre nicht möglich ist?

Manu Mayr: Doch, es ginge sogar, aber der Punch würde fehlen. Und das schafft das Statische in unserer Musik. Alles andere hängt – obwohl es durch die Verzerrung stark komprimiert ist – von der menschlichen Ungenauigkeit ab. Die zeitliche Komponente der Kick-Drum ist zwar genauso ungenau, weil ich sie spiele und das nie perfekt getimed sein kann. Ihr Klang ist aber gleichbleibend. Deshalb dient uns die Kick als Gerüst, als wiedererkennbarer Punch, der eine Statik mit sich bringt, innerhalb derer wir gestalten können.

Die Kick hat das Projekt auch logisch erweitert. Einfach nur ein neues Effektpedal anzureihen wär fad gewesen.Manu Mayr: Ja, das Projekt hat sich dadurch auf unterschiedlichen Ebenen weiterentwickelt. Wir haben gelernt, mit dem Soundspektrum umzugehen. Schließlich spielte sich der Sound davor in der Mitte des Frequenzbereichs ab. Mittlerweile sind nicht nur die Höhen stärker betont. Wir haben auch ein Tiefenbewusstsein entwickelt.

„ALS OSZILLATOR EINE SCHWINGENDE SAITE ZU VERWENDEN, IST FÜR MICH INSPIRIERENDER, ALS AUF EINEN KNOPF ZU DRÜCKEN.“

Du sprichst den soundästhetischen Aspekt an.

Manu Mayr: Ja, es ist viel ausgearbeiteter – auch dank der Hilfe von Leon Leder [Asfast, Anm.], der beide Alben coproduziert hat.

Jemand, der sich in der Deconstructed Club-Musik auskennt und weiß, wie’s scheppern kann.

Manu Mayr: Er hat uns viel Input gegeben. Was er sonst digital produziert, wollten wir in unserem analogen Umfeld zustande bringen. Das ist ein Prozess, der nie aufhört. Nehmen wir als Beispiel die Kick: Der Beat ist ein Aspekt der Bass-Drum. Wir spielen fast immer abstrakte Beats, keine technoiden four-to-the-floor-Beats. Trotz der bewussten Verschiebung soll der Sound nämlich etwas Natürliches bewahren und wie ein unregelmäßiger Tanz rüberkommen, der einen Sog entwickelt und körperlich wirkt.

Das ist ein Ansatz, den man von deinen anderen Projekten weniger kennt. Du klingst aber fasziniert vom Experiment, von den elektronischen Möglichkeiten.

Manu Mayr: Mich interessiert das Produzieren, aber auch das Mischen. Mit Schtum können wir zusätzlich die Ästhetik eines Elektronik-Acts live und mit Instrumenten umsetzen. Das heißt nicht, dass ich es anders schlechter fände. Ich hab großen Respekt vor Leuten, die mit dem Laptop auf der Bühne stehen. Ich kann damit aber nichts anfangen, weil es mir ums Spielen, um das Kontrollieren im Moment geht. Und um das kollektive Gefühl, Klänge gemeinsam zu erzeugen und damit mit verschiedenen Räumen umzugehen. Das mein ich auch mit körperlicher Wirkung.

Eine körperliche Wirkung, die dazu führt, dass es kein Sicherheitsnetz im Spielen gibt.

Manu Mayr: Als Oszillator eine schwingende Saite zu verwenden, ist für mich inspirierender, als auf einen Knopf zu drücken. Außerdem ist es spannender, weil man damit an seine Grenzen kommt, die man ständig ausloten muss. Hier herrscht Frustpotenzial, weil viele Dinge einfacher zu erreichen wären.

Ihr macht es euch bewusst schwieriger als es sein könnte.

Manu Mayr: Mit unserer Geschichte sind wir stärker am Instrumentalen verhaftet.

Aber ihr setzt euch gern Frust aus?

Manu Mayr: Nein, gar nicht. Wir machen uns bewusst, dass wir es so wollen, wie wir es machen. Das bedeutet auch, dass es etwas anderes ist als digitale Kunst – und deshalb andere Stärken und Schwächen hat.

Das ist eine ziemlich diplomatische Aussage.

Manu Mayr: Das ist meine Spezialität!

Man könnte auch zurückhaltende Professionalität dazu sagen.

Manu Mayr: Ich gaukle nichts vor, sondern sage, was ich wirklich denke.

Bild (c) Schtum

Damit stellst du dich nicht in den Vordergrund.

Manu Mayr: Weil es weder um Robert noch um mich geht. Vielmehr dreht es sich um die Vision, die wir gemeinsam ausdiskutieren. Das ist mein Ideal für jedes musikalische Projekt. Es sollte nie um die Zurschaustellung individueller Qualitäten gehen, sondern um das, was man im gemeinsamen Schaffen formt.

Ziemlich sympathisch. Und der konträre Ansatz zum Zeitgeist, würde ich meinen.

Manu Mayr: Vielleicht ist mein Approach eine Reaktion darauf.

Als Abwehrhaltung?

Manu Mayr: Na ja, ich bin nicht auf Social Media, weil es mich nie interessiert hat. Die Band-Seiten muss ich zwar verwalten, allerdings bin ich schon überfordert, wenn ich eine private Freundschaftsanfrage bekomme. Ich merke dann, wie es mich aufsaugt und nervt. Auf professioneller Ebene sehe ich aber auch: Social Media wird zum Entscheidungsfaktor für Booker*innen und Veranstalter*innen. Wenn du ein Projekt wie Schtum bewerben möchtest – und du keine sozialen Medien nutzt –, fängst du literally bei null an!

Man kommt schwer drumherum, und muss die Regeln trotzdem übernehmen.

Manu Mayr: Tatsächlich ist ein gewisser Grad an Naivität berechtigt.

Wie meinst du das?

Manu Mayr: Nehmen wir Schtum als Beispiel. Wir tun auf sozialen Medien nicht so, als wären wir riesig, damit Veranstalter*innen uns buchen. Trotzdem sind wir bei namhaften elektronischen Musikfestivals in Deutschland, Frankreich und Brasilien untergekommen. Und zwar als absoluter No-Name!

Indem …

Manu Mayr: Wir den Veranstalter*innen unser erstes Video geschickt haben. Manche haben geantwortet, dass sie es super fänden, aber nicht garantieren könnten, dass sie uns einladen. 2019 ging trotzdem auf, wir spielten sechs Festivals und haben uns bewiesen, dass man nicht zwingend Social Media braucht, um zu diesen Auftritten zu kommen. Das mögen Parallelwelten sein, die eine Blase bedienen, klar. Trotzdem sind es internationale Communitys, die gut vernetzt und noch besser informiert sind. Gerade innerhalb dieser Communitys geht es weniger um die Anzahl der Likes als zum Beispiel im Indie-Sektor. 

Ja, es kann sogar ein Alleinstellungsmerkmal sein, keine Likes zu haben.

Manu Mayr: Weil die Leute das Gefühl haben, sie entdecken etwas neu. Trotzdem muss man sich immer fragen: Wo will man hin, wen schreibt man dafür an – es ist bei jedem Projekt anders und deshalb spannend, sich in diesen unterschiedlichen Soziotopen zu bewegen.

„NUR MIT MÄNNERN ZUSAMMENZUARBEITEN, HABE ICH IMMER ALS PROBLEM EMPFUNDEN.“

Wie unterscheiden sie sich für dich?

Manu Mayr: 5K HD verortet man im Indie-Bereich, Kompost 3 im Jazz, Schtum hauptsächlich in der Elektronik und Gabbeh – ein Projekt mit Stimme, Klarinette und Kontrabass – in der klassischen Musik. Damit spielen wir im Konzerthaus genauso wie beim Unlimited in Wels. Es ist ein Projekt, das seit über zehn Jahren besteht. Wir spielen allerdings selten und nur an ausgesuchten Orten. Trotzdem ist es spannend, wie es sich entwickelt hat und wer sich inzwischen dafür interessiert. Das hat sich stark verändert – aus politischen Gründen, wie ich meine.

Ja?

Manu Mayr: Stimme und Klarinette kommen bei Gabbeh von Iranerinnen. Außerdem muss ich dazu sagen: In meiner persönlichen Entwicklung habe es immer als Problem empfunden, wenn ich nur mit Männern zusammengearbeitet habe. Dass ich in der Mehrheit meiner Projekte mit Männern arbeite, ist …

Dadurch kein Problem für dich?

Manu Mayr: Ich denke an meine Studienzeit zurück. An den Jazzunis waren fünf Prozent Frauen, von denen die meisten Gesang studierten. Das hat sich seither stark verändert, auch wenn wir noch nicht angekommen sind.

Wenn du sagts, dass du es selbst als Problem wahrnimmst, könntest du daran etwas ändern – und mehr Projekte mit Frauen machen.

Manu Mayr: Aber es sind schon so viele Projekte!

Du müsstest andere eliminieren.

Manu Mayr: Eh, trotzdem: Es entwickelt sich in die richtige Richtung.

Was hat dein Bewusstsein dafür geschärft?

Manu Mayr: Die Umstände. Wenn du Musik machen willst und dafür nur Männer findest, fragst du dich natürlich: Woran liegt es? Dass die Musik nur Männer interessiert? Aber das ist Blödsinn.

Und …

Manu Mayr: Ich will auf keinen Fall, dass ich mit 50 dastehe und nur Musik mit Männern gemacht habe. Wenn ich ein neues Projekt mache, muss es mit einer Frau sein. Bis dahin mach ich mir Gedanken darüber, wer das sein kann.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Gut, bleiben wir noch kurz in der Gegenwart: Ende Oktober spielst du mit ihm die Releaseshow der neuen Schtum-Platte. Im November tretet ihr bei Wien Modern auf.

Manu Mayr: Ja, am 20. November.

Was hältst du vom diesjährigen Festivalmotto „Mach doch was du willst“?

Manu Mayr: Das kann man nicht bringen.

Ich find auch – in der jetzigen Situation geht das nicht auf.

Manu Mayr: Es ist ähnlich wie mit der Billa-Werbung vor ein paar Wochen.

Das stimmt. Ohne Kontext ist es zu ambivalent. Immerhin: Das Festivalprogramm ist gut.

Manu Mayr: Das Programm in der Wotruba-Kirche zum Release auf Ventil Records aber auch. Peter Kutin präsentiert das „ROTOR“-Projekt. Und wir unsere neue Platte. Das wird schön!

Vielen Dank für das Gespräch!

Christoph Benkeser

++++

Links:

Vorverkauf zur Albumrelease-Show in der Wotruba-Kirche am 29.10.

Schtum (Bandcamp)
Schtum (Facebook)
Schtum (Homepage)