„Es geht nicht darum, etwas Exklusives zu machen“ – FRAUFELD im mica-Interview

Der Verein FRAUFELD wurde vor zwei Jahren von VERENA ZEINER und SARA ZLANABITNIG gegründet. FRAUFELD ist Vernetzungsplattform, Veranstaltungsreihe, Label, Tonträger-Serie und Ensemble mit dem Ziel einer strukturellen Sichtbarmachung von Musikerinnen in den Feldern progressiver Komposition und Improvisation. Bei FRAUFELD geht es in erster Linie um gemeinsames Empowerment und Vernetzung in geballter Form. Erst kürzlich erschien der zweite Tonträger der Compilation-Reihe „Fraufeld Vol. 2“, diesmal kuratiert von SARA ZLANABITNIG mit Features von unter anderen ANNA ANDERLUH, KATHARINA ERNST, BLACK BIUTI – KATRIN HAUK & STEFFI NEUHUBER, MONA MATBOU RIAHI, ELISE MORY & RINA KAÇINARI. Ada Karlbauer traf zu diesem Anlass das FRAUFELD-Team – VERENA ZEINER, SARA ZLANABITNIG, ANNA ANDERLUH und MILLY GROZ – zu einem Gespräch über fehlende Role Models, Reviermarkierungen auf den Bühnen, die Aktualität von Virginia Wolfs Essay „A Room of One’s Own“ und vor allem über konkrete Lösungsansätze.

Aus welcher Motivation heraus wurde der Verein Fraufeld gegründet?

Verena Zeiner: Wir hatten das Gefühl, das müsse einfach sein! Wir brauchen mehr Sichtbarkeit für Musikerinnen im Bereich der improvisierten Musik. Vor allem weil wir das Gefühl hatten, dass es viele gibt, diese aber nach wie vor auf den Bühnen zu wenig sichtbar sind. Deshalb haben wir uns Möglichkeiten überlegt, dem nachzukommen. Das Erste, das uns einfiel, war, eine Reihe von Compilations zu veröffentlichen, auf denen jeweils viele Musikerinnen versammelt werden, um durch das Gemeinsame mehr Aufmerksamkeit zu erzeugen. Wir wollten diese Compilations in die Welt schicken, um Veranstalterinnen und Veranstalter, Medien, die breite Öffentlichkeit und vor allem jungen Frauen und Mädchen zu zeigen, dass es viele Möglichkeiten gibt, ihr Leben auch als Künstlerin zu gestalten. 

Sara Zlanabitnig: Uns ist es wichtig, Role Models aufzuzeigen: Für alle, die nicht automatisch mitbekommen, wie viele progressive Instrumentalistinnen es eigentlich gibt, wollen wir Inspiration in gebündelter Form liefern.

Verena Zeiner (c) Paul Zeiner

„[Es gibt] Strukturvorteile für Männer, weil sie viele Jahrhunderte länger Zeit hatten, etwas zu entwickeln.“

In den Bereichen Neue Musik, Improvisation und Jazz gibt es also immer noch kaum weibliche Vorbilder, woran könnte das liegen?  

Verena Zeiner: Darauf gibt es keine einfache Antwort. Es ist aber klar – auch wenn man die Musikgeschichte ansieht –, dass es Strukturvorteile für Männer gibt, weil sie viele Jahrhunderte länger Zeit hatten, etwas zu entwickeln. Frauen hingegen haben noch nicht allzu lange die Möglichkeit, Berufe zu ergreifen, die auf einer Bühne oder außerhalb des Hauses stattfinden, um es ganz krass zu formulieren. Ich habe zu einer Zeit Jazz studiert, und das ist noch gar nicht so lange her, zu der ich weder Lehrerinnen in dem Bereich hatte, noch viele Musikerinnen kannte. Die waren für mich einfach nicht greifbar. Das ist mir aber erst viel später bewusst geworden. Dadurch ist die Selbstverständlichkeit, diesen Weg zu verfolgen, nicht so klar gegeben wie für Männer, die ständig sehen, wie das geht. Das ist ein sehr persönlicher Grund und das kann für andere wieder ganz anders sein. Ich habe an mir selbst bemerkt, dass ich eigentlich versucht habe, Männer nachzuahmen. Das ist ein Problem, weil es mich als Künstlerin in Schwierigkeiten bringt, weil ich doch meine persönliche Musik finden will. 

Sara Zlabatnig (c) Paul Zeiner

Sara Zlanabitnig: In der neuen und frei improvisierten Musik ist das – im Gegensatz zum Jazz – kein allzu großes Thema mehr. Da ist es gendermäßig eigentlich ganz gut durchmischt. Wenn man aber diverse Bühnen und Festivals insgesamt rein statistisch diagnostiziert, dann sieht man schnell, dass die Frauenquote durchwegs viel geringer ist.

Anna Anderluh: Ich erlebe das auch so, dass musikalisch bzw. stilistisch gerade auch im Jazz zum Beispiel gewisse Verhaltensweisen bevorzugt werden, die männlich konnotiert sind. Mir fällt auf, dass es vielen Frauen im Jazz oft nur dann möglich ist, erfolgreich zu sein, wenn sie diese Muster imitieren. Da kommt dann beispielsweise eine Saxofonistin im Abendkleid daher und drückt wie die ärgste Sau ab und alle feiern es, weil sie ein junges Mädel ist und „trotzdem“ g’scheit Gas geben kann. Ich finde es schade, dass diese Reviermarkierungen notwendig sind, um ernst genommen zu werden, und dabei subtilere Qualitäten untergehen.

Sara Zlanabitnig: Meines Wissens nach ist es auch nach wie vor so, dass es an allen drei Jazz-Abteilungen der österreichischen Musikuniversitäten nur eine einzige Dozentin gibt, die ein Instrument unterrichtet, nämlich die Bassistin Gina Schwarz in Wien. Es gibt, wenn man sich umschaut, international nicht wenige Jazz-Instrumentalistinnen, aber das Bewusstsein in den Köpfen der verantwortlichen Personen an den Universitäten ist scheinbar zu gering, um daran etwas zu ändern.

„Es geht einfach darum, die Palette wieder zu erweitern […]“

Verena Zeiner: Es ist nicht nur ein Merkmal in der Musik, sondern auch ein Merkmal davon, wie unsere Gesellschaft funktioniert, dass es sehr oft um Leistung, Wettbewerb und „mehr, lauter und größer“ geht. Das ist eine sehr eingeschränkte Sichtweise, und ob man diese als männlich oder weiblich bezeichnet, ist eigentlich egal. Es ist auf jeden Fall nur ein kleiner Ausschnitt davon, was Menschen zu bieten haben. Damit gehen so viele Teile der menschlichen Facetten verloren. Ich weiß aber auch, dass es nicht nur Musikerinnen betrifft, denn es gibt auch viele Männer und Musiker, die unter dieser Energie stark leiden, weil sie eigentlich andere Bereiche abdecken. Es geht einfach darum, die Palette wieder zu erweitern und zu sehen, dass es nicht nur das Offensichtliche gibt, sondern auch so vieles, was eine andere Aufmerksamkeit braucht, wie etwa Ruhe oder zuhören zu können.

Milly Groz: Durch Fraufeld begegnen wir diesen Diskursen mit einem sehr pragmatischen Zugang. Wir haben die Veröffentlichungen, dann werden wir für Kooperationen angefragt, für Konzerte. Bei den Tonträgern war es auch so, dass die Kuratorinnen – bei der ersten CD war es Verena Zeiner, bei der zweiten Sara Zlanabitnig – die Musikerinnen angefragt haben und die Musikerinnen dann aber freie Hand hatten, was sie aufnehmen wollten. Die Musikerinnen, die gefeaturt werden, haben sich alle selbst ausgesucht, mit wem sie zusammenspielen wollen und auch welche Art von Musik gespielt wird. Uns ist wichtig, eine Plattform zu öffnen und den Musikerinnen zu ermöglichen, ihre Ideen umzusetzen.

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Werden Männer dabei kategorisch ausgeschlossen?

Verena Zeiner: Nein, ganz im Gegenteil. Theoretisch hätten alle Musikerinnen die Möglichkeit gehabt, mit Männern zu kooperieren. Es hat sich aber keine dafür entschieden. Es geht nicht darum, etwas Exklusives zu machen, sondern darum, zu lernen, in einem Boot zu sitzen, darum, Bewusstsein zu schaffen, dass es uns alle betrifft. Aber es ist auch schön, dass viele die Compilation dazu genutzt haben, sich solistisch auszuprobieren. Für viele ist es das erste Mal gewesen.

Milly Groz: Das schließt nicht aus, dass im Zuge dieser Kooperationen auch mal ein Mann in einem Fraufeld-Ensemble auf der Bühne steht oder auf einer CD veröffentlicht wird. Es geht uns einfach darum, dass die Musikerinnen entscheiden, was sie machen möchten. Mit wem sie dann spielen, ist ihnen völlig freigestellt.

Sara Zlanabitnig: Die Musikerinnen haben auch insofern einen Mehrwert von der CD, als dass sie nach der Produktion gute Aufnahmen haben, dass es eine Plattform gibt, die darauf aufmerksam macht, dass darübergeschrieben wird und die CDs in Summe einfach sehr viel Aufmerksamkeit bekommen.

Verena Zeiner: Wir verschicken die CDs auch. Wir haben eine ganze Liste an Institutionen sowie Veranstalterinnen und Veranstaltern, die dann erfahren, dass die CDs gibt. Insofern denke ich, dass alle bisher davon profitiert haben. Es ist gut angenommen worden. Ich freue mich beim Rückblick immer, denn in der kurzen Zeit, in der es uns gibt, haben wir eigentlich schon viel bewirkt. Viele Musikerinnen haben sich im Zuge der gemeinsamen Aufnahmen erst kennengelernt, dabei ist auch eine Gemeinschaft entstanden.

Erst kürzlich wurde das Label „arooo.records“ gegründet, auf dem die Fraufeld-Compilations zukünftig erscheinen werden.

Anna Anderluh (c) Fraufeld

Anna Anderluh: Auf „arooo.records“ werden aber nicht nur Compilations veröffentlicht, sondern auch eigene Alben von Musikerinnen. 

Verena Zeiner: Es ist in unserem Interesse, bei diesem Label Produktionen zu veröffentlichen, die für sich eigen sind. Es ist uns wichtig, den vielen Nischen, die es gibt, damit einen Raum zu geben.

Der Label-Name und der theoretische Grundansatz orientieren sich dabei an Virginia Woolfs ikonischem Essay „A Room of One’s Own“ von 1929. 

Verena Zeiner: In ihrem Essay hat Virginia Woolf sich damit auseinandergesetzt, was eine Frau braucht, um künstlerisch arbeiten zu können. Der Essay wurde zwar schon vor hundert Jahren geschrieben, trifft aber gerade in der Musik immer noch zu. Dabei geht es auch um ganz praktische Sachen wie beispielsweise Geld. Denn Geld ist notwendig, um unabhängig sein zu können, und die Geldfrage ist immer noch ein großes Thema in der Musik. Nicht nur für Frauen. Es geht aber vor allem auch um geistige Unabhängigkeit, um das machen zu können, was einem entspricht. Das ist im Musikbusiness einfach keine Selbstverständlichkeit, dass man an dem dranbleiben kann, was einem wirklich am Herzen liegt. Man bekommt oft vor Augen gehalten, was man tun sollte, um in irgendwelche bestehenden Kategorien zu passen. Das passiert schleichend, manchmal ohne es zu bemerken. Ich versuche, immer wieder innezuhalten und mich zu fragen: „Warte, für wen arbeite ich eigentlich?

„Es geht darum, dass man nicht immer nur das Defizit sieht und aus dem heraus handelt […]“

Anna Anderluh: Ein wichtiger Punkt ist in dem Text auch, dass es nicht nur darum geht, dagegen zu sein. Es geht darum, dass man nicht immer nur das Defizit sieht und aus dem heraus handelt, aus dem heraus Kunst schafft, sondern darum, dass die Kunst an sich im Vordergrund steht.

Fraufeld ist ein Label, eine Vernetzungsplattform, ein Stammtisch, ein Ensemble, aber auch eine Veranstaltungsreihe. Was passiert bei den Events?

Sara Zlanabitnig: Wir haben Anfang des Jahres die Veranstaltungsschiene „Fraufeld/Feldforschung“ ins Leben gerufen, die vierteljährlich im rhiz stattfindet. Das hat sich so ergeben, weil uns die Leute vom rhiz dafür angefragt haben. Sie waren tatsächlich auf der Suche nach mehr Frauen für ihre Bühne. Ob die Konzertreihe in dieser Form im nächsten Jahr weiterbestehen wird, ist noch unklar. Aber die Idee ist, dass es an diesen Abenden immer zwei Konzerte gibt, und zwar von Musikerinnen aus unserem Umfeld und auch von solchen, die sich an uns wenden. Wir sind dabei – wie so oft – finanziell eingeschränkt, aber haben ein kleines Budget zur Verfügung. Aus diesem Grund programmieren wir immer kleinere Formationen. Bei der gerade eben stattgefundenen Veranstaltung am 24. September waren es überhaupt zwei Soli: von der Klarinettistin Mona Matbou Riahi und der Bratschistin Jelena Popržan. An diesen Abenden ist auch die Durchmischung im Publikum immer sehr schön divers. Diversität mögen wir.

„DIESE PLATTFORM MACHT ES MÖGLICH, UNS IN GEBALLTER FORM ZU VERNETZEN“

Gibt es mit Fraufeld auch szenenübergreifende Vernetzungen mit anderen Initiativen zur Sichtbarmachung von Frauen in der Musik?

Sara Zlanabitnig: Diese Plattform macht es uns möglich, uns in geballter Form zu vernetzen. Es gibt immer wieder Kollaborationen oder Anfragen, die sich direkt an Fraufeld richten, weil die Leute wissen, dass wir diesen Fokus haben. Oft sind es auch Initiativen, die diesen Fokus nicht haben, aber eben genau danach suchen.

Verena Zeiner: Wir wissen voneinander! Aber wir sind oft auch mit unterschiedlichem Fokus tätig. Ich glaube, dass es immer gute Gründe gibt, um Initiativen immer wieder neu ins Leben zu rufen, weil das aktive Tun dabei so wahnsinnig wichtig ist.

Wenn das Tun wegfällt, bleibt es eine Utopie.

Verena Zeiner: Für mich hat sich deshalb etwas verändert, weil ich aktiv daran gearbeitet habe. Der Prozess der Auseinandersetzung mit dem Thema hat mich auch als Musikerin weitergebracht. Das hätte ich aber nie in der Form verstanden, wenn ich mich einfach einer Initiative angeschlossen und konsumiert hätte, was die für mich tun. Da hätte ich die Relevanz nicht gespürt.

Milly Groz (c) Paul Zeiner

„VIELES GEHT EINFACHER, WENN MAN NICHT ALS EINZELKÄMPFERIN UNTERWEGS SEIN MUSS.”

Verena Zeiner: Zwei Jahre lang haben Sara und ich Fraufeld mehr oder weniger allein gestemmt. Jetzt sind wir über den Zuwachs sehr froh, weil mehr Gehirne involviert sind und dadurch noch mehr Sichtweisen entstehen. Milly und Anna sind seit Jänner dabei, und das ist super [lacht]! Wir veranstalten mit Fraufeld auch die sogenannten Stammtische. Das ist wieder ein anderes Format, da geht es nur darum, Leuten zu ermöglichen, dabei zu sein und sich auszutauschen.

Milly Groz: Wir treffen uns in einem Lokal und es wird besprochen, was auch immer auftaucht. Es gibt keine Tagesordnung. Manchmal kommen auch Musikerinnen, die keine von uns kannte, die aber irgendwie davon erfahren haben. Man tauscht sich aus und lernt neue Leute kennen.

Verena Zeiner: Genau darum geht es, dass Leute nicht das Gefühl haben, dass sie erst ins Organisationsteam aufgenommen werden müssen, um Teil davon sein zu können. Für uns ist es momentan eine gute Größe zu viert. Aber das heißt nicht, dass nicht auch bei einem Stammtisch mit 15 Leuten eine gute Idee entstehen kann. Wir laden herzlich dazu ein!

Anna Anderluh: Ich glaube, es ist einfach wichtig, andere Musikerinnen und auch Musiker kennenzulernen und sich zu vernetzen. Vieles ist einfacher, wenn man nicht als Einzelkämpferin unterwegs sein muss.

Verena Zeiner: Vieles geht auch leichter, wenn man von diesem Gegeneinander-um-Plätze-Kämpfen hin zum Miteinanderagieren geht, weil wir nun mal im gleichen Boot sitzen. Es ist aber enorm schwer in dieser Szene, in der wir permanent um Förderungen oder um Sichtbarkeit konkurrieren müssen. Es gibt viele von uns und es ist sehr schwer, nicht ständig in Gedanken wie etwa „Wenn die andere was hat, dann krieg ich nichts” hineinzukippen. Es ist wichtig zu lernen, es als gemeinsame Aufgabe zu tragen.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Ada Karlbauer

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Kommende Veranstaltungen:

11.10.: Stummfilmvertonung von Elise Mory & Rina Kaçinari bei urbanize
14.11.: Fraufeld & small forms beim Jahresendzeitschokoladenhohlkörper im WUK
21.11.: Fraufeld in der Alten Schmiede: Emily Stewart Solo & Milly Groz Solo
17.12.: Fraufeld/Feldforschung im Rhiz: Ronley Teper u.a.

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