„Es braucht ein bisschen Werner Herzog-Spirit“ – mica-Interview mit Peter Kutin

Am 6. September präsentiert der umtriebige Musiker, Produzent und Sounddesigner Peter Kutin im Porgy & Bess bei „Vienna Room Service“ seine Arbeit „Desert Sound“ mit Field Recordings aus der Atacama-Wüste. Sebastian Fasthuber sprach mit ihm über seine künstlerische Entwicklung, Reisen und seine Arbeit für Filme.

Wie sind Sie aufgewachsen?
Peter Kutin: Ich komme aus Knittelfeld. Da passiert kulturell so gut wie nichts. Mein Background ist die Arbeiterklasse. Meine Großeltern väterlicherseits kommen aus Jugoslawien. Sie kamen nach Österreich, als mein Vater sieben Jahre alt war. Kutin ist ein slawischer Name, sonst hätte ich einen Doppelkonsonaten wie der Skispringer Kuttin.

Mit welcher Musik sind Sie groß geworden?

Peter Kutin: Mit keiner. Meine Eltern haben keine Musik gehört, höchstens Radio Steiermark. In die Kirche mussten wir jeden Sonntag. Wie bei den Simpsons. Vielleicht hat mich ja die Kirchenmusik geprägt. Trotzdem war früh der Wunsch da, irgendeinen Blödsinn mit Musik und Sound zu machen. Die ersten Projekte waren aber die ganz üblichen Bands, die das Standard-Rockzeug gespielt haben. Viel Gitarren-Soli! Man muss sich vorstellen, dass man im Bezirk Knittelfeld teilweise nicht einmal FM4 empfangen konnte. Ich habe abseits der Bands schon immer alleine mit meinem Vierspur-Recorder und Effektpedalen abstrakte Dinge ausprobiert, aber wirklich mit Musikstilen und -formen konfrontiert worden bin ich erst in Wien. Davor war ich einfach ein Landei.

Was waren die ersten Schritte in Wien?
Peter Kutin: Ich hatte das Glück, dass Martin Wagner vom Fluc auch aus meiner Gegend kommt. Sein Halbbruder war ein guter Freund von mir. Als wir zusammen nach Wien gegangen sind, waren wir recht bald mal im Fluc. Das war noch ganz am Anfang der Fluc-Ära, da ist immer irgendwas Schräges passiert. In recht kurzer Zeit war ich dort dann plötzlich Kellner und habe aushilfsweise auch den Ton gemacht. Als die Sache dort richtig losging, war ich der Haustontechniker. Das war noch am alten Standort. Ich habe mich dort sehr wohlgefühlt, viele verrückte Musikrichtungen und verrückte Leute kennengelernt.

Wie stellen Sie sich eigentlich vor, wenn Sie mit Leuten über Ihren Job sprechen? Sie berühren mit Ihrer Arbeit sehr viele Felder.
Peter Kutin: Schwierig. Meistens sage ich, dass ich mit Sound arbeite. Ich weiß nicht, auf was man es runterbrechen kann. Es hat mit vielen Bereichen und Nischen zu tun und schwingt auch viel zwischen Film und Musik herum. Aber im Prinzip produziere und komponiere ich.

„Das Wichtigste ist: nicht jammern.“

Film ist inzwischen der Hauptbereich?
Peter Kutin: Mein Medium ist ganz klar Sound bzw. Musik. Aber Film wird immer mehr zu einem Zentrum, vor allem lebenserhaltungstechnisch. Ich bin aber sehr breit aufgestellt, spiele in Live-Bands wie Shrack und einem neuen, noch geheimen Projekt, schreibe Musik für die Theaterproduktionen von Gods Entertainment, habe einiges für Ö1 gemacht, an der Schnittstelle zwischen Journalismus und Sound Art. Aber meine eigenen kompositorischen Arbeiten rücken jetzt immer mehr in einen erweiterten filmischen Kontext. Und ich mache auch immer wieder Sounddesign oder Musik für Regieseure wie Nikolaus Geyrhalter, Daniel Hösl, Billy Roisz oder Fritz Ofner. Das sind schon sehr etablierte Namen in dem Business. Das hält mich am Leben und es sind auch sehr herausfordernde und anspruchsvolle Aufgaben.

Was genau ist Sounddesign?
Peter Kutin: Das ist ein komischer Begriff, der ganz verschieden verwendet wird. Meistens bezeichnet er die Geräuschebene in Filmen. Das mache ich aber eigentlich nicht. Ich werde meist gefragt, wenn etwas Spezielles gebraucht wird, das nicht gleich nach Musik und Harmonien klingt – also eher etwas Unterschwelliges, Atmosphärisches, Darkes, Noisiges. Ich kämpfe immer noch darum, dass meine Arbeit als Komposition angeführt wird und dezidiert als Musik gilt. Vom Prozess und Aufwand her sehe ich keinen Unterschied, nur weil ich keine harmonischen Tontrukturen setze. Ich arbeite eben mit Klängen. Nur statt Notenabläufe in Liniensysteme setze ich Abläufe geräuschhafter Strukturen in Sequenzersysteme.

Viele Ihrer Arbeiten basieren auf Field Recordings. Was ist der Reiz daran?
Peter Kutin: Am Anfang ist es spannend, ein Erlebnis, wenn man zum ersten Mal mit dem Mikro etwas aufnimmt. Heute nehme ich es allerdings nur mehr in die Hand, wenn ich gezielt weiß, was ich aufnehmen will. Das Verschleißmaterial halte ich gering. Eine Zeit lang habe ich natürlich sehr viel aufgenommen. Da gab es noch keinen kompositorischen Rahmen. Man musste aber auch einmal lernen, etwas gut aufzunehmen. Das ist nicht so einfach und braucht Übung. Die Projekte, die ich jetzt mache, sind meist sehr radikal und schwierig umzusetzen. In einer Wüste oder in einer Gletscherspalte ohne Strom 5-Kanal-Aufnahmen zu machen, ist aufwändig. Auch wenn man versucht, nur Stille aufzunehmen. Da muss man schon ein paar Hebel in Bewegung setzen. Und es braucht auch ein bisschen Werner-Herzog-Spirit dafür.

Was unterscheidet gute von schlechten Field Recordings?
Peter Kutin: Viele romantisieren Field Recordings. Das will ich nicht. Ich habe für den WDR als Auftragsarbeit das Stück „Desert Sound“ in der Atacama-Wüste aufgenommen. Da sind nur Field Recordings aus der Wüste zu hören, ohne Verfremdung. Begrenzte Mittel, mit denen man ökonomisch umgehen muss: Das ist es, was eine Komposition ausmacht. Dass meine Arbeiten in die Schublade Field Recordings fallen, ist ein bisschen ein blöder Zufall. Der Begriff ist mittlerweile inflationär, man assoziiert Langeweile. Das liegt daran, dass sehr viele schlechte Arbeiten in dem Bereich entstanden sind.
Mein Wüstenstück entfernt sich davon: Es ist brutal, soghaft, macht einen fertig. Keine Spur Romantik. Die Realität dort in der Wüste ist ja auch brutal. Nicht umsonst lebt niemand dort. Da finden sich lauter verlassene Geisterstädte, wo früher noch Kupfer abgebaut wurde. Wenn da der Wind reinfährt, bewegen sich riesige Gebäudereste aus Blech. Das ist sehr laut, klingt aggressiv und plastisch, als ob diese Überreste einstiger menschlicher Anwesenheit einen eignen Klangcharakter entwickelt haben. So etwas interessiert mich. Die Rauheit der Natur, dass sie auch aggressiv und nicht nur schön ist, darum geht’s.

Zum Thema Produktion: Sie haben das Album von Mimu produziert. Darüber hinaus kein Interesse daran, für andere Künstler zu arbeiten?

Peter Kutin: Nein, im Normalfall mache ich nur meine eigenen Sachen oder Projekte, bei denen ich mit anderen eng zusammenarbeite. Irgendeine mir persönlich fremde Band zu produzieren, reizt mich nicht. Bei Mimu haben wir ja musikalisch auch sehr viel zusammen erarbeitet.

Einiges an Auferksamkeit haben Sie zuletzt auch als Teil des Trios Shrack bekommen. Da geht es
sehr stark um Grooves, was überhaupt nicht zu Ihren anderen Sachen passt.
Peter Kutin: Ich wollte endlich wieder einmal etwas Energetisches in einer Liveformation spielen. Weil ich mit meinen Solosachen viel zu wenig die Qualitäten des Livespielens abbekomme. Außerdem ist es eine große Freude und auch ein Privileg, mit so tollen Musikern und Charakteren wie Stefan Fraunberger und David Schweighart zusammen zu arbeiten.
Wegen der Grooves: Nach zwei Jahren intensiver Cluberfahrung im und rund ums Fluc, begann für mich eine Phase von fast sieben Jahren, wo ich absolut keine Musik gemacht habe, die einen konkreten Rhythmus oder einen Beat gehabt hat, sondern mich ausschließlich auf Sound, Klangmanipulation, Ambience konzentriert habe. Jetzt kommt das Rhythmische langsam wieder zurück. Es fällt nun vieles leichter, wenn man sich lang davon ferngehalten hat. Wie eine Neuentdeckung. Man hat klarere Ideen. Generell werden die Ideen mit der Zeit für mich immer klarer, kommt mir vor.

„Ohne Rahmen würde ich verzweifeln“


Man weiß mit der Zeit genauer, was ein Projekt braucht und was nicht?

Peter Kutin: Ja. Bei einer Komposition brauche ich z. B. stets ein ganz klares Bild oder Konzept. Bei meiner Burma-Platte „Burmese Days“ reduzierte ich das Material auf die Klänge von burmesischen Bronzeinstrumenten und auf original Field Recordings. Beides durfte dann noch elektronisch bearbeitet werden. Ich stecke mir gerne ein bestimmtes Feld ab, in dem die Klänge und Mittel herumstehen, aus dem ich mich aber nicht mehr heraus bewegen darf.

Weil man sich sonst verliert?
Peter Kutin: Ja, mit Sound kannst du alles machen, was du willst. Ich brauche einen Grund und eine Suche, auf die ich mich begebe. Sonst sind die Möglichkeiten viel zu groß. Ohne Rahmen würde ich verzweifeln. In diesem Rahmen muss man die herumliegenden Dinger dann so verschieben, dass ein stimmiges Bild entsteht.

Ist Innovation ein Maßstab für Sie?
Peter Kutin: Nicht in erster Linie. Mir ist es wichtiger, eine Autorenhandschrift erkennen zu können.

Leben Sie von der Musik?

Peter Kutin: Ja, seit einiger Zeit. Ich habe immer wieder mal Live-Jobs gemacht, das habe ich aber vor zwei Jahren aufgehört. Radian mische ich manchmal noch, aber das mache ich nur, weil sie es sind, nicht als Job. Wenn du einen guten Auftrag hast, verdienst du beim Film für Musiker-Verhältnisse in der Regel recht gut. Da steht halt eine Industrie dahinter. Die Filmleute jammern zwar alle, aber sie jammern auf sehr hohem Niveau. Da wird wirklich noch viel Geld rausgeschossen. In der Musikbranche kriegt niemand, der nicht ein ziemlicher Medienstar ist, im Vorhinein Geld dafür, dass er eine innovative Langspielplatte produziert. In der Filmindustrie giltst du schon als Punk, wenn du mit nur 60.000 Euro Förderung einen Spielfilm machst.

Wer für Filme Musik macht, fällt nicht unbedingt auf. Arbeiten Sie gern eher im Verborgenen?
Peter Kutin: Sagen wir so: Ich bin nicht medienoffensiv. Aber ich verstecke mich auch nicht unter einer Kapuze. Mittlerweile habe ich eigentlich auch nichts mehr dagegen, dass man auch mal mein Gesicht sieht. Auch das hat mit Vertrauen in die eigene Arbeit zu tun. Ich weiß um die Kraft, die die Sounds haben.

Live spielen Sie relativ selten. Warum?
Peter Kutin: Zum einem liegt es sicherlich daran, dass ich es nicht forciere. Zum anderen ist es schwierig, meine Musik angemessen umzusetzen. Ich brauche eine Infrastruktur wie in einem Theater mit großen Räumen, qualitativen, kräftigen und oft auch mehrkanaligen Tonanlagen. In meinen Stücken geht es manchmal von ganz leise sprunghaft auf wahnsinnig laut. Das musst du lang soundchecken, damit es nicht weh tut, aber doch maximale Effizienz im Raum erzeugt. Ich will meine Musik halt gern so hören, wie sie wirklich klingen soll, weil sie dann ihre Wirkung am besten entfaltet. Viele Veranstaltungsorte haben leider db-Zähler oder Anwohner, bei denen man über einen gewissen Wert nicht drüber darf. Verständlicherweise. Bei einem Soundcheck zu „Desert Sound“ im Wiener Echoraum stand plötzlich ein netter alter Herr vor mir und fragte mich leicht erbost, ob ich denn völlig verrückt sei. Aus den Lautsprechern dröhnte die Aufnahme eines rotierenden, tonnenschweren Teleskopspiegels. Wir haben das Stück dann sehr dezent und leise abgespielt und es fehlte dem Ganzen dann halt auch ein wenig an Wirkung.

„Sound ist nun mal sehr körperlich“

Warum ist Lautstärke so wichtig?
Peter Kutin: Es geht um die physischen Auswirkungen von Sound. Sound ist nun mal sehr körperlich. Ich will nicht den Lautstärken-Penis präsentieren, sondern es geht um Kontrast und Dynamik als kompositorisch sinnvoll eingesetzte Stilmittel.

Sie haben schon in der Wüste und in einer Gletscherspalte aufgenommen. Was kommt als nächstes?
Peter Kutin: Als nächstes steht eine Arbeit über Las Vegas an. Bei der Wüste ging es um Leere, bei der Gletscherspalte um Isolation, in Las Vegas wird es um die Illusion gehen. Ich werde das in Kooperation mit Christina Kubisch machen, einer deutschen Komponistin, die elektromagnetische Wellen in Klang übersetzt.

Wie wichtig ist der Aspekt des Reisens für Ihre Arbeit?
Peter Kutin: Eine Zeit lang war es extrem wichtig und ist es auch immer noch. In Wien bin ich bis heute eigentlich nur, wenn ich arbeite. Aber es gab eine Zeit, wo ich unter anderem auch viel mit Filmcrews mitgefahren bin. Da war ich nur 80 Tage im Jahr da, sonst immer in Hotels. Ich bin aus Burma zurückgekommen, hab den Koffer umgepackt und bin am nächsten Tag in Moldawien aus der Maschine gestiegen. Mit der Zeit wird das aber auch zu steil. Ich wollte mich wieder mehr auf die Studioarbeit und das Komponieren konzentrieren, weil ich mich da unterm Strich schon bei weitem am wohlsten fühle. Aber es war und ist gut und wichtig, viel von der Welt kennenzulernen.

Was haben Sie gelernt?
Peter Kutin: Man muss mit dem Privileg umgehen lernen, in Österreich geboren worden zu sein. Das Wichtigste ist: nicht jammern.

Sebastian Fasthuber

http://kutin.klingt.org/
http://jazzwerkstatt.at/vienna-roomservice-2014/