Im Gläsernen Saal im Musikverein bestritt am Montag (12.4.) das Ensemble Kontrapunkte ein enormes Pensum von lauter Neueinstudierungen. Die von Peter Keuschnig verantwortete Programmauswahl erwies sich als vielfältig, klug und von den einzelnen Werken her jeweils wirklich neu und anders. Die anwesenden vier Komponisten gaben Einführungen, zwei formidable Solisten Gerald Preinfalk, Christine Whittlesey brillierten und das bereits 1965 vom Dirigenten begründete Ensemble zeigte einmal mehr, dass es eine führende Formation der zeitgenössischen Musik darstellt.
Den Beginn machte „Altmeister“ Erich Urbanner mit seinem neuen „Kammerkonzert für zwölf Spieler“. Urbanner erläuterte dem Publikum selbst seine Bestrebungen und schrieb auch in seiner Programmnotiz darüber, dass der Titel „Konzert“ für ihn heute nicht mehr bedeuten könne, was die Gattungstradition vermuten lässt, nämlich einen „Wettstreit“ eines Solisten mit dem Orchester oder von Solisten untereinander um die Palme des Virtuosen. Vielmehr gehe es ihm um eine neue Kollektivität, dahingehend, dass er alle beteiligten Musiker diesfalls als vier „Solisten“ gruppiert und zwar in Formationen einschlägiger Kammermusik: „ein Streichquartett (anstatt 2.Geige aber Kontrabass), ein Bläserquintett und ein eigenwillig mit vier Solisten besetztes Klaviertrio, wobei die isorhythmisch geführten Passagen von Geige und Bratsche als eine Stimme zu sehen sind, sowie Basstuba, die mit Horn und Posaune noch eine zusätzliche Trioformation bildet. Die vier Gruppen stellen sich dem Wettstreit in der Rolle des Kontrahenten, der Annäherung zur Partnerschaft bis hin zum gemeinsamen Musizieren … ein flexibles Gewebe von ebenso durchsichtiger Zartheit wie auch stählerner Festigkeit. (…) Die epiloghaft ausklingende Coda gibt einen Hinweis darauf, beim „concertare“ doch wieder das Individuum zu suchen. Könnte dieses Stück vielleicht auch als eine andere Art eines Klavierkonzertes gedeutet werden? — Die Frage bleibt offen“. Sehr schöne Aufgaben auch für die Solisten des Ensembles, neben Klavier auch die Holz- und Blechbläser, aber auch etwa Cello und Kontrabass.
Der nächste Programmpunkt stammte von Norbert Sterk. Sein Saxophonkonzert, dem Interpreten der Uraufführung Gerald Preinfalk gewidmet, übertitelte er mit „Vertigo. Saxophon. Desaster“. Das war zweifellos ein Konzert für Saxophon, das „alle Stückln“ (inklusive einer wunderbaren Schlusskadenz solo) spielen muss, und (durchaus gefordertes) Ensemble inklusive Schlagzeug. In seiner Komposition versucht er, das „langsame Wahrnehmen“ und den „Prozess des Hörens“ zu schildern und zu ermöglichen: Farben, Klänge, Stille – auch Lärm – ohne das alles in ein Korsett zu zwingen. Die Musik (Teil des Zyklus ‚Ins Innere des Bildes’ nach den Gemälden der Künstlerin Elisabeth Holzer) „folgt dem Malprozess, lässt sich inspirieren, ‚malt’ weiter und übermalt (…) Musik und Bild (auch Saxophonist und Ensemble) gleichen zwei Individuen, die einander begegnen und aufeinander regieren (möglicherweise auch durch Nicht-Reagieren) in einer Art freienTanz.“ Well done, Mr. Sterk – Gerald Preinfalk spielte sein wunderbares Instrument souverän und durchaus virtuos in auch schwierigsten Lagen und ‚Multiphonics’!
Thomas Heinisch, einst Schüler etwa von Wolfgang Rihm oder Alfred Schnittke, vor allem aber auch bei den (im Publikum anwesenden) Komponisten Christian Ofenbauer und Friedrich Cerha, später Mitgründer des ensemble reconsil, bot ein sehr eindrucksvolles Werk für Singstimme und kleines Ensemble mit dem vielsagenden Titel „Charons Bild. Totenmaske“. Die Komposition beschäftigt sich mit dem Sterben und der alten Vorstellung, dass der Sterbende vom Fährmann Charon in das Toteneich geleitet wird. Der Titel bezieht sich auf ein (sehr schönes) spätes Gedicht von Heiner Müller: „Der Maler malt das Vergessen. Das Bild vergisst seinen Gegenstand. Der Maler ist Charon. Mit jedem Pinselstrich/Ruderschlag verliert sein Passagier an Substanz. Die Fahrt ist das Ziel, das Sterben der Tod. Am anderen Ufer wird niemand aussteigen.“ „Charons Bild“ ist, wie Sterk schreibt, ein kompositorischer Reflex auf eine etwas frühere Komposition mit einer ähnlichen Besetzung mit Sopransaxophon, in der uraufgeführten tritt statt des Saxophons eine Bassklarinette und vor allem eine Singstimme hinzu. Christine Whittlesey in schwarzer Gewandung mit Kapuze war die großartige Sängerin. „Die Sängerin ist Charon, vielleicht auch Madame La Mort, sie gibt dem Fährmann eine Gestalt – dennoch ist diese Gestalt ‚nur’ Maske, Toten-Maske. Die Singstimme, in die musikalische Textur hineinverwoben, ist gleichsam auch Instrument, sie singt oft nur Vokalisen, gegen Ende zwei Sätze aus dem ägyptischen Totenbuch“ (Heinisch). Sehr delikat verwendete er im Ensemble auch ein Schlagwerk aus tibetanisch anmutenden kleinen Gongs.
Den Abschluss lieferte eine „Klangreise“ für Ensemble von Dirk D’Ase, einst Student bei Luciano Berio, Krzysztof Penderecki und wiederum Friedrich Cerha: „Silberfluss, Feuermond …“ In dieser Komposition will D’Ase ein „Erlebnis im Lauschen“ zum Klingen bringen. Es beginnt und endet mit elektroakustischen Klängen, die aus Naturaufnahmen aus Namibia stammen – der Komponist machte ausgedehnte Reisen und Forschungen im südöstlichen Afrika, die fundamentalen Einfluss auf sein kompositorisches Denken haben. Über sein neues Werk schrieb er selbst: Wir begeben uns „mittels eines Flügelschlags auf eine Klangreise durch die nicht fassbare Welt des Mettaphysischen. (…) Das Basis-Kompositionsmaterial entspringt der graphischen Symbolik von Erde, Wasser und Luft. Die Erde als Metapher für das Fassbare, das Wasser für das vermeintlich Fassbare, aber doch Flüchtige und die Luft für das Unfassbare in unserer Wahrnehmung.“ So werden etwa die einleitenden, vielfältigen Vogelklänge, vorgestellt quasi in ihrer natürlichen Erzeugung dem Instrumentalklang „als künstliche Erzeugung“ in Transformation gegenübergestellt. (hr)
Wiener Musikverein