Einmal mit und zweimal ohne „h“ – JOANNA LEWIS (KOEHNE QUARTETT) im mica-Interview

Vier Gesänge für Sopran und Streichquartett von Balduin Sulzer liegen auf den Pulten und harren der nächsten Probe – drei Tage vor Aufführung des Werks bei den diesjährigen Gmundner Festwochen. Dass sich der komponierende Pater aus Oberösterreich Qualität sicher sein konnte ist garantiert, ist er doch beim Koehne Quartet ebenso wie viele andere Komponisten der Gegenwart seit langem in den allerbesten Händen. Mit Joanna Lewis, der Gründerin und Primgeigerin des Ensembles, sprach Christian Heindl.

Ein Vierteljahrhundert Koehne Quartet – ein bemerkenswertes Jubiläum für etwas das eigentlich als „Studentenpartie“ begann?

Joanna Lewis: Ich wollte eigentlich von Anfang, dass daraus ein ständiges Ensemble wird. Ursprünglich waren wir 1987 in der Besetzung mit Ben und Toby Lea, den Zwillingen, sowie Michael Williams am Violoncello. Wir kamen alle kurz zuvor aus Australien und kannten uns teils schon von dort. Das ging dann langsam auseinander als Michael zum Studium in die Schweiz ging und auch die anderen immer mehr Verpflichtungen hatten. Nach einigen Monaten Pause  erfolgte dann Anfang der 90er-Jahre eine Neugründung mit Anne Harvey-Nagl, Margit Slosser und Anmari van der Westhuizen. Annie habe ich aus Australien gekannt, wo wir ebenso wie hier die gleichen Lehrer hatten. Und mit Margit und Anmari kam der Kontakt durch „On Line“ zustande, für die wir damals sehr viele gespielt haben.

Der frühere Verein „Music on Line“, aus dem das nunmehrige Phace Ensemble hervorging, war ja Anfangs eine Art Heimstatt für euch. Ihr wart so etwas wie ein Stammensemble und ich erinnere mich vieler toller Konzertabende, wo ihr als engagierte Anwältinnen zeitgenössischer Musik auftratet und dabei dem „Musik on Line“-Konzept gemäß zu Unrecht vernachlässigte verstorbene österreichische Komponisten ebenso berücksichtigt habt wie die junge Generation. Obwohl von außen betrachtet alles perfekt erschien, erfolgten nach ein paar Jahren dennoch Neuerungen hinsichtlich eurer Stammbesetzung.

Joanna Lewis: Das war nötig, als Margit aufhörte und Anmari wegging. Anne hat uns Melissa Coleman vorgeschlagen, die sie aus Melbourne kannte, und für Margit kam Petra Ackermann an der Viola. Wir haben uns von Anfang an in sie verliebt, und so lief es perfekt.

Für ein „Wiener“ Streichquartett tragt ihr einen ungewöhnlichen Namen – benannt nach dem australischen Komponisten Graeme Koehne. Eine Idee, die hier in der österreichischen Fremde aus Heimweh entstand?

Joanna Lewis: Nein. Den Namen hatte ich schon ganz am Anfang ausgesucht. Wir hatten in Australien in Music Camps gespielt, wo auch einmal Graeme Koehne Composer in residence war und wir sein 1. Streichquartett zur Uraufführung brachten. Drei von uns damals Mitwirkenden stammten wie Graeme aus Adelaide und so lag das auf der Hand.

Und er hat euch seinen Namen spontan überlassen?

Joanna Lewis: Ja, er war sehr stolz und glücklich in seiner liebenswürdigen Art. – Vor einigen Jahren gab es eine nette Episode. Wir hatten gerade sämtliche Streichquartette von Kurt Schwertsik auf zwei CDs aufgenommen. Graeme kam nach Wien und Kurt, der gut mit ihm befreundet ist, sagte zu ihm: „Du, die heißen jetzt Schwertsik-Quartett!“ – Darauf meinte Graeme völlig bescheiden und ganz im Ernst: „Ja, ja, das läuft natürlich sicher viel besser.“ – Woraufhin wir einige Mühe hatten, ihm zu versichern, dass das alles nur ein Witz war. Er ist ein ganz vorzüglicher Komponist, und mittlerweile haben wir alle drei Quartette von ihm gespielt.

Ihr seid zweifellos einer Vielzahl insbesondere an zeitgenössischer Musik Interessierten bekannt, einem breiteren Publikum vielleicht weniger, zumal ihr keinen fixen Zyklus bei einem der großen Veranstalter – Konzerthaus, Musikverein – habt. Wie seid ihr in eure Positionierung hineingewachsen?

Joanna Lewis: Wir waren nie das Quartett, das acht Stunden am Tag probt und Wettbewerbe spielt. Wir haben immer alle sehr viel anderes gemacht, in den verschiedenen Ensembles gespielt – Burwik, Klangforum etc. – Melissa hat viel mit Tanz gemacht, auch Jazz. Zum anderen ist in Wien die Zahl für Zyklen natürlich auf vier, fünf Streichquartette beschränkt, wobei zudem immer „Sandwiches“ auf dem Programm stehen müssen: zwei Klassiker umrahmen, wenn überhaupt, einen Zeitgenossen. – Wir sind nie hingegangen, um uns da anzubieten.

Ihr habt euch konsequent eine Nische erschlossen.

Joanna Lewis: Genau, und das tun wir immer noch. Immer wenn jemand etwas Spannendes hat, ruft er uns an. Da sind immer wieder die Jazzprogramme im Porgy & Bess. Wenn etwas von den vier Quartetten von Thomas Pernes gespielt wird, werden wir geholt. Da kommt dann auch immer viel mit. In den 90ern haben wir viel Balduin Sulzer gespielt, was ebenfalls heuer gerade wieder anlässlich seines 80. Geburtstags aktuell ist. Die Streichquartette von Francis Burt, vor allem das zweite, das wir extrem oft spielen – ich habe bis 24 mitgezählt, jetzt müssen wir bei rund 30 Aufführungen liegen. Aber jedenfalls wann immer etwas für Burt stattfindet, ruft er uns an. Auch Kurt Schwertsik ruft an. Im März 2013 werden wir mit seiner Frau Christa im Musikverein den Hans im Glück aufführen.

Die gelegentliche durch die personellen Wechsel bedingte Unruhe ist vergessen. Das Koehne Quartet wirkt stabiler denn je, selbst wenn ihr terminbedingt eure vorzüglichen „Stamm-Substitutinnen“ heranzieht. Man ist versucht, von einer Koehne-Klangkultur zu sprechen.

Joanna Lewis: Wir arbeiten jetzt seit 13 Jahren mit Petra in dieser fixen Formation. Wir vier verstehen einander blendend und seither läuft es perfekt. Anders als man das von bekannten Quartetten schon gehört hat, gibt es bei uns keinen Streit und wir legen auch keinen Wert darauf, wenn wir irgendwo gastieren, in getrennten Hotels oder zumindest weit voneinander entfernten Flügeln untergebracht zu werden!

Wie ist euer Arbeitsrhythmus in Anbetracht eurer ja auch individuell sehr vielen anderen Verpflichtungen?

Joanna Lewis: Wir treffen uns zu regelmäßigen Blöcken, dazwischen gibt es Pausen. Vom 1. bis zum 27. Juli haben wir jeden Tag geprobt, dann ist ein Monat Pause. Üblicherweise treten wir einmal im Monat auf und haben davor die entsprechenden Arbeitsblöcke. Ich denke schon, dass gerade dadurch tatsächlich diese „Klangkultur“ zustande kommt. Unsere Freunde mögen das: „Bei euch klingt es groß und warm!“

Soweit ich es über die Jahre beobachtet habe, bist du ja nicht nur die Primgeigerin, sondern auch für die organisatorischen Belange zuständig?

Joanna Lewis: Für mich ist es naturgemäß viel mehr Aufwand als für die anderen, weil ich eben alles organisiere. Das reicht vom Entgegennehmen der Anfragen über das Abchecken mit den Mädels, alle Termine koordinieren, die Noten besorgen, Probenpläne erstellen, Extramusiker engagieren, allfällig Komponisten zu Proben einladen usw. – Für mich sind das alles vielleicht 75% meines künstlerischen Lebens.

Wieweit werden die Programme, die ihr spielt „fremd“, also vom Veranstalter geprägt? Wie viel könnt ihr programmatisch selbst einbringen?

Joanna Lewis: Viel zu wenig. Wir suchen fast nie die Programme selbst aus. Das Programm ist uns fast immer vorgegeben. Es liegt hier nebenan ein so großer Stoß von Noten, die wir kaum einmal durchspielen können. Nur selten lässt sich das eine oder andere unterbringen.

Einige der Werke, die für euch geschrieben wurden bzw. die ihr aus der Taufe gehoben habt?

Joanna Lewis: Eben das 1. Streichquartett von Graeme Koehne, Ein namenloses Streichquartett von Kurt Schwertsik, von Peter Koene Love Dance of the Garden Slug, Oskar Aichinger, Günter Kahowez, Alexander Wagendristel, Wolfgang Nening – ein privater Auftrag von Klaus Josef –, Wolfgang Liebhart, Hannes Löschel und vieles mehr, das ich jetzt auf die Schnelle gar nicht aufzählen kann.

Mit rund zehn CDs habt ihr auch eine bereits beachtliche Diskographie vorgelegt!

Joanna Lewis: Eben erschien ganz neu bei col legno „Peter Herbert – Joni“, Musik von Joni Mitchell in herrlichen Arrangements von Peter Herbert.

Wo wird man das Koehne Quartet in diesem Sommer und Herbst erleben können?

Joanna Lewis: Am 31. August sind wir beim Festival St. Gallen in der Steiermark. Da haben wir ein lustiges Ding mit Schubert, Schmidinger und nach der Pause Haydns Quintenquartett, wo Otto Lechner d‘rüber Improvisationen legt. Das ist ein größeres Projekt mit insgesamt zwölf Haydn-Sätzen. Das ganze haben wir bereits in Lunz am See gemacht, am 22. November kommt es in Amstetten. Am 18. Oktober spielen wir in Raab bei einem tschechisch-österreichischen Projekt ausnahmsweise nur Klassiker: Schubert, Haydn, Dvořák, Smetana und als „modernstes“ Schulhoff. Am 28. November machen wir mit Kaori Nishii für Ambitus fünf neue Werke.

Wie sehr ihr selbst euer Verhältnis zwischen Klassikern und Zeitgenossen. Würdet ihr gelegentlich gerne mehr der großen Repertoirewerke à la Beethoven spielen?

Joanna Lewis: Für uns ist das absolut stimmig. Wir sind nicht festgenagelt.

Du erwähntest eure beiden exzellenten Zweitbesetzungen, Mara Kronick-Achleitner am Cello und – Elaine Koene an der Viola. Zudem habt ihr mittlerweile Musik von Elaines Mann, dem kanadisch-österreichischen Komponisten Jeffrey Koene im Repertoire. Die Frage, die sich da humorvoll aufdrängt: Wie oft wird Koehne und Koene verwechselt?

Joanna Lewis: Immer! Gerade wenn Elaine mitspielt, ist die Verwechslung total. In Australien hatten wir ein Konzert und da waren trotz unserer ausdrücklichen Hinweise schließlich sämtliche drei Namen im Programm falsch geschrieben! – Als ich Elaine kennenlernte kannte ich sie nur unter ihrem Vornamen. Als wir dann einmal gemeinsam auftreten sollten, fragte ich sie, wie sie eigentlich mit Nachnamen heißt. Ich war doch einigermaßen überrascht, als sie antwortet: „Koene!“