Ton, Bild, Text, Video, Körper und Gesten verbindet MANUEL ZWERGER in seinem Schaffen zu einem großen Ganzen. Dem 1992 in Bezogen geborenen Komponisten ist am 17. März 2023 ein Porträtkonzert von Jeunesse (im Rahmen des Zyklus Fast Forward) und ORF RadioKulturhaus | Ö1 gewidmet, bei dem das Ensemble chromoson neben bestehenden Werken auch eine neue Komposition zur Aufführung bringt. Vorab stellt Monika Voithofer die Arbeit von MANUEL ZWERGER vor und geht unter anderem der Frage nach, ob der Einsatz von E-Gitarren schon genügt, um vom Überschreiten von Genregrenzen zu sprechen und inwiefern der Komponist als Kunstsoldat fungiert.
I. Einheit
„[…] denn im Kunstwerk werden wir eins sein“, verheißt Richard Wagner für sein Kunstwerk der Zukunft und formuliert darin die Utopie der Einheit des Volkes, die sich in seiner kollektiven Energie bündelt. Eine solche Kollektivität, ganz im Sinne des Wagnerschen gesamtkunstwerklich-gemeinschaftlichen Gedankens, ist auch in den Arbeiten des 1992 in Bozen geborenen Komponisten Manuel Zwerger festzumachen. Das Absolute – das Hierarchische – wird darin aufgehoben und die Rollen pluralisiert. Musiker:innen sind gleichsam Performer:innen, Klang und Aktion interdependent. Das große Ganze konstituiert sich durch eine stringent durchkonstruierte mediale Vielschichtigkeit, in der Ton, Bild, Text, Video, Körper und Gesten miteinander verflochten werden. „We are all in this together“ – wenn sich nur ein Funken Wahrheit in dieser hohlen Floskel versteckt, so lässt sie sich hier finden.
Eine sich dabei durch das gesamte Œuvre von Zwerger ziehende, wiederkehrende, alles zusammenhaltende Konstante sind Fäden. Transparente Saiten, denen wiederum eine kategorische Ambiguität innewohnt, so sind sie sowohl für die klangliche als auch die performative Struktur der Stücke konstitutiv.
In „CATCH ME IF YOU CAN!“ (2019) etwa hanteln sich die zwei Performer:innen gleich automatisierter Marionetten an den Saiten durch einen zwischen den drei instrumentalen Achsen Klavier, Violoncello und Saxofon gespannten Parkour entlang. Sie treten dabei in Interaktion mit den Musiker:innen und intervenieren in ihr Spielen. Die musikalischen Parameter – Tonhöhe (zwischen hoch und tief im Cello), Tondauer (zwischen schnell und langsam im Klavier) und Lautstärke (zwischen laut und leise im Saxofon) – werden regelrecht ausgestellt. Durch die mechanisierten Bewegungen und präzise gesetzten Akzente gewinnt dabei der Freilegungsprozess der Parameter zusehends den Eindruck einer skelettierenden Durchrhythmisierung aller Dimensionen – der klanglichen und der körperlichen.
Es offenbart sich hier genau das, was Mauricio Kagel in seiner Konzeption des „Instrumentalen Theaters“ in den frühen 1960er-Jahren als „Kinesis“ bezeichnet hat: Die Bewegung der Musiker:innen als Performer:innen auf der Bühne und der Einbezug diverser Medien, insbesondere des Raums sind maßgebliche Aspekte in der Komposition, die darin zur Einheit verschmelzen.
II. Transgression
Von einer „Expanded Music“ spricht der dänische Komponist Simon Steen-Andersen in Bezug auf seine eigenen Arbeiten. Als einer von Zwergers Lehrer:innen an der Royal Academy of Music in Aarhus neben Niels Rønsholdt und Juliana Hodkinso (zuvor studierte Zwerger am Tiroler Landeskonservatorium bei Franz Baur, zudem privat bei Hannes Kerschbaumer und Wolfram Schurig) ist der Einfluss auf Zwergers Arbeiten offenkundig. Die Musik wird expandiert im Sinne einer Erweiterung der Instrumente durch neue Spieltechniken und Präparierungen, sowie des Einbezugs diverser Medien und Materialien, die collagiert, zitiert und rekontextualisiert werden.
In „RAVE PARTY FOR KIDZ: LEVEL 1“ (2021) – mittlerweile gemeinsam mit „LEVEL 2“ und „LAST LEVEL“ der erste Teil einer Werkreihe – wird sich etwa mittels Found Footage das in YouTube-Channels vorgefundene Videomaterial angeeignet und neu montiert. Vögel, Spraydose und Rasenmäher werden live synchron durch die Musiker:innen onomatopoetisch illustriert und ihre Instrumente selbst dabei erweitert. Der Klangkörper der Klarinette etwa ist, verbunden durch einen Luftballon, verlängert, so zwingt sich die Notwendigkeit einer zusätzlichen Musikerin auf, um in der gemeinsamen Interaktion Klänge – in diesem Fall das graduelle Moment des Öffnens und Schließens der Klappen – zu erzeugen. In der Rezeption stellt sich dabei wiederum eine tiefe Ambiguität des ästhetischen Objekts ein, das zwischen flüchtig erklingendem Musikinstrument und statisch installativer Skulptur changiert.
In der musikalischen Entwicklung des Stücks finden die diversen medialen Elemente allmählich zusammen und greifen ineinander, um schließlich wieder zu zerfallen. Es wird mit stilistischen Konventionen gespielt, sie werden vorgeführt und überführt. Dahingehend einen Einfluss von Popmusik zu konstatieren und zu sagen, Zwerger überschreitet in seinen Stücken Genregrenzen, in diesem spezifischen Fall hin zu Techno, wäre jedoch zu banal. In letzter Zeit findet der Begriff „Post-Genre“ vor allem zur Beschreibung von Werken von Komponierenden einer jüngeren Generation, die mit neuesten Technologien arbeiten, vermehrt Anwendung, um eine innovative Zurückweisung und Überwindung von Genre-Grenzen – insbesondere zwischen Neuer Musik und Pop – zu implizieren. In der unkritischen Verwendung des Begriffs wird aber einerseits übersehen, dass Neue Musik schon immer verschiedenste Stile, Schulen und Traditionen verinnerlicht hat und andererseits das Begriffsverständnis von Pop dabei vielfach zu kurz greift. Nur weil E-Gitarren oder Synthesizer neben klassischen Instrumenten in Stücken ihren Einsatz finden, kann noch lange keine musikimmanente Grenzüberschreitung konstatiert werden. Auch „RAVE PARTY FOR KIDZ“ ist keine „Post-Genre“ Musik oder Zwerger ein „Post-Genre“-Komponist. Er schreibt Partituren, wird von der Edition Gravis verlegt und hat an Hochschulen das Fach Komposition studiert. Doch viel wichtiger und nachdrücklicher ist Manuel Zwerger deshalb ein Komponist zeitgenössischer Musik, weil er sich in seinen Stücken kritisch mit Phänomenen unserer Gegenwart auseinandersetzt und diese mit den spezifischen Mitteln der Gegenwart künstlerisch überführt und kommentiert. So finden in seinen Werken keine Transgressionen zwischen Genres, sondern vielmehr Transgressionen zur Welt, die uns alle umgibt, statt.
III. Handwerk
Diese Welt ist nunmehr digital, Komponieren besteht demnach neben dem Setzen von Tönen aus dem Programmieren von Software oder dem Editieren von Videos. Die handwerklichen Fähigkeiten der Komponist:innen umfassen auch und erweitern sich hin zum Beherrschen der (digitalen) Kulturtechniken unseres Alltags. Der bewusste Einbezug dieser Kulturtechniken ist eine politische Entscheidung, denn man entscheidet sich dafür, in den Werken keine elitären, abgehobenen, sich der Welt verweigernden Gegenentwürfe zu kreieren, sondern die eigene Kunst mitten in der Welt zu verorten und die uns täglich konfrontierende mediale Hyperopulenz unseres Alltags entschieden zu reflektieren. Die Entwicklung der eigenen Klangsprache fußt nicht mehr nur auf den Tasten des Klaviers, sondern auch im Hantieren mit der Kombizange.
Das Präparieren von Instrumenten und die Erweiterung von Spieltechniken ist auch in Zwergers Schaffen essenziell. In „Study for Clarinet and Balloon“ (2019) werden etwa Griff- und Atmungstechniken erkundet, in „Hyperplasia“(2018) wird das Violoncello mit Fischersaiten und in „Gedärme“ (2020) das Horn mit Schläuchen und Luftballonen präpariert.
Der prozessuale Charakter ist dabei in all den Werken zentral: Ähnlich des Morphings werden fließende Klangübergänge geschaffen. (Klang-)Zellen entwickeln sich stetig weiter und unterliegen organischen Veränderungen. Zwergers neuestes Stück „YOU CAN’T PLAY THE PLAYER”, das am 17. März im ORF RadioKulturhaus mit dem Ensemble chromoson uraufgeführt wird, ist partizipativ angelegt. Bewusst gesetzte Trigger wie Ostinati-Slaps, glissandierende Multiphonics oder Helium-Mikrotöne sind der Ausgangspunkt, anhand derer sich die Musiker:innen zwischen festgelegten Räumen bewegen. In ihrem Ausloten von Klang und Bewegung wird ihnen ein großes Maß an Entscheidungsfreiheit eingeräumt, so dringen sie in die verschiedenen Räume ein und Ringen darin um ihren Standpunkt. Es ist ein dynamisches Auf und Ab, Vor und Zurück auf horizontaler und auf vertikaler Ebene (im Klang wie im Raum). In seiner Konzeption ist das Stück ein einmaliges, unwiederbringliches Ereignis, das sich durchaus auch politisch verstehen lässt, so ist auch hier, wie in der politischen Utopie der frühsozialistischen Wagnerschen Gesamtkunstwerks-Konzeption, das Moment der kollektiven Energie, der Gemeinschaft zentral.
„Künstler sind immer Kunstsoldaten. Und deshalb bleiben sie ihrem Look treu“, sagt Jonathan Meese. Als ein solcher Kunstsoldat hat sich Zwerger einem Stil verschrieben, in diesem er konsequent zwischen den Säulen Musik, Installation und Performance changiert. Es kehren darin spezifische Konstanten fortlaufend wieder, erfinden sich dabei dennoch stets neu.
Monika Voithofer
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Termine:
Komponistenporträt Manuel Zwerger
Im Rahmen des Jeunesse-Zyklus Fast Forward
Freitag, 17. März 2023
ORF RadioKulturhaus Wien
Great Open Eyes
Oper von Manuel Zwerger, Carolyn Amann und Carmen C. Kruse
Premiere: Samstag, 13. Mai 2023
Theater Münster
impuls Festival
Montag, 24. Juli 2023, 19.00 Uhr
KUG . MUMUTH . György-Ligeti-Saal
Lichtenfelsgasse 14, 8010 Graz
airborne extended spielt Werke von Manuel Zwerger u. a.
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Links:
Manuel Zwerger
Manuel Zwerger (Musikdatenbank)
chromoson. ensemble für neue musik
chromoson. ensemble für neue musik (Musikdatenbank)